A0: Die Zukunft der Arbeit (1985)

Aus Beschlussdatenbank der SPD Schleswig-Holstein
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Reinbek 1985
Bezeichnung: Leitantrag A0
Antragsteller: Nicht aufgeführt


Beschluss: Angenommen und Überwiesen an Bundesparteitag

(Veröffentlicht in: „Zur Sache“ Nr. 24, Oktober 1985 - Herausgeber: SPD-Landesverband Schleswig-Holstein)

(Verfahren zur Behandlung des Programms „Zukunft der Arbeit“: 1. Das Programm „Zukunft der Arbeit“ wird nach Einarbeitung des sozialpolitischen Kapitels und nach redaktioneller Überarbeitung als Antrag an den Bundesparteitag weitergeleitet. 2. Grundlage der aktuellen landespolitischen Arbeit ist das Programm „Arbeit in Schleswig-Holstein“ der Landtagsfraktion. Bei der Fortschreibung dieses Programms sollen die landespolitisch relevanten Entscheidungen dieses Landesparteitages Berücksichtigung finden. 3. Bei der Vorbereitung eines Landtagswahlprogramms bildet das fortgeschriebene Programm der Landtagsfraktion unter Berücksichtigung der landespolitisch relevanten Eckdaten des Programms „Zukunft der Arbeit“ die Grundlage. 4. Die Teilziffern 36-38 werden an den Landesvorstand als Material für ein sozialpolitisches Programm erarbeitet, das auf dem außerordentlichen Landesparteitag im Sommer 1986 beschlossen werden soll.)


Vorwort

Sozialdemokraten wollen eine soziale und demokratische, an ökologischen Grundsätzen ausgerichtete Volkswirtschaft. Diesem Ziel stellte sich der wirtschaftspolitische Leitantrag des schleswig-holsteinischen Landesvorstandes, der im Mittelpunkt der Beratungen des ordentlichen Landesparteitages im Juli 1985 in Reinbek stand.

1. Bereits im November vergangenen Jahres hatten die Sozialdemokraten in Schleswig-Holstein auf einem außerordentlichen Landesparteitag eine Zwischenbilanz ihrer wirtschaftspolitischen Diskussion gezogen. Dabei ging es um den Entwurf eines Antrages "Zukunft der Arbeit" — der auf die wirtschaftspolitische Grundsatzdiskussion der Bundespartei auch in Verbindung mit der Programmdiskussion ausgerichtet war - und um das Papier "Arbeit in Schleswig-Holstein" der SPD-Landtagsfraktion. Die dort enthaltenen Vorschläge sind konkrete landespolitische Handlungsalternativen. Der Leitantrag "Zukunft der Arbeit" ist von Ortsvereinen und Kreisverbänden beraten worden. Eine aus Vertretern der Kreise, des Landesvorstandes und der Landtagsfraktion zusammengesetzte Antragskommission hat die durch den Verlauf der Debatte erforderliche Bearbeitung bis zum Reinbeker Landesparteitag übernommen. Die schleswig-holsteinischen Sozialdemokraten haben es sich zur Aufgabe gestellt, von diesem Parteitag ausgehend mit ihren wirtschaftspolitischen Thesen Einfluss auf die Diskussion der Bundespartei zu nehmen. Das Konzept "Arbeit in Schleswig—Holstein" wird zu einem wirtschaftspolitischen Regierungsprogramm weiterentwickelt.


2. Eine Grundsatzdiskussion muss sich den zentralen ökonomischen und ökologischen Herausforderungen unserer Zeit stellen — auch wenn nicht auf jedem Feld lückenlose Antworten auf die neuen Fragen gegeben werden können wie zum Beispiel für die weltwirtschaftlichen Zusammenhänge. Die größte Herausforderung bleibt die Beseitigung der Dauer- und Massenarbeitslosigkeit. Den wirtschaftspolitischen Umdenkungsprozess bestimmen dabei folgende Faktoren:

  • die fortschreitende Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen;
  • die grundsätzliche Veränderung der bestehenden Arbeitsgesellschaft durch den Einsatz neuer Technologien:
  • die Emanzipation von Männern und Frauen und die daraus resultierende Forderung nach einer Neuverteilung der Arbeit;
  • der Abbau der „neuen Armut“ durch eine gerechtere und solidarische Verteilung der Erträge.

Um diesen Herausforderungen gerecht zu werden, wollen Sozialdemokraten für eine Wirtschaftspolitik eintreten, die

  • sich an ökologischen Grundsätzen orientiert;
  • die Chancen neuer Technologien nutzt und deren Risiken durch soziale Steuerung verringert:
  • mehr Freiheit und Demokratie für Arbeitnehmer durch konsequenten Ausbau der Mitbestimmung auf den verschiedenen Ebenen ermöglicht;
  • durch eine gerechte Verteilung des Arbeitsvolumens die Spaltung der Gesellschaft in Arbeitende und Ausgegrenzte — insbesondere zu Lasten von Frauen - verhindert.

Die Zukunftschance der Volkswirtschaft liegt in der Verbindung von Arbeit und Umwelt. Die Zukunftschance der Gesellschaft heißt Solidarität.


3. Die Vielschichtigkeit der ökonomischen Probleme der Gegenwart verlangt nach einer Vielzahl von Maßnahmen auf unterschiedlichen Ebenen:

  • in der Tarifpolitik bei der Arbeitszeitverkürzung;
  • in der Gesellschaftspolitik hinsichtlich des Ausbaus der Mitbestimmung und der Beteiligung von Arbeitnehmern am Produktivvermögen;
  • in der Steuerpolitik hinsichtlich der Wertschöpfung an durch Maschinen erzielten Gewinnen;
  • im Abgaberecht durch dessen ökologische Ausrichtung mit entsprechenden rechtlichen Vorgaben im Sinne von Ge- und Verboten;
  • in der Wirtschaftsförderung durch die Abwendung vom Prinzip der Subventionierung von Sachkapital hin zur Förderung von Arbeitsplatzbeschaffung, und dies vordringlich für kleine und mittlere Unternehmen;
  • in der Forschungs- und Technologiepolitik durch den Aufbau einer Forschungs-‚ Entwicklungs- und Beratungsstruktur, von der besonders kleine und mittlere Unternehmen profitieren;
  • in der Sozialpolitik durch eine Weiterentwicklung des bestehenden Alterssicherungssystems mit dem Ziel, dass jedermann und -frau eine ausreichende Altersversorgung aufgrund erbrachter Arbeit und/oder gesellschaftlicher Leistung erhält;
  • in der Bildungspolitik durch eine umfassende Qualifizierungsoffensive.


4. Differenzierte Strategien zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit und der Wiederherstellung der natürlichen Lebensgrundlagen setzen eine offene, durch die Vielfalt der Formen geprägte Volkswirtschaft voraus. Sozialdemokraten treten deshalb für eine gemischte Wirtschaftsordnung ein, in der von Privatunternehmen über staatliche Betriebe und gemeinwirtschaftlich, genossenschaftlich organisierte Formen die Konkurrenz als ein wichtiges Steuerungsinstrument für Produktion und Verbrauch wieder in Kraft gesetzt und genutzt werden kann. Die derzeitige Vermachtung der Märkte steht diesem Prozess entgegen. Der Staat muss durch Ordnungsrecht und Steuerpolitik, die Gesellschaft durch Mitbestimmung den sozialen und ökologischen Rahmen setzen. Erst das Zusammenspiel von gesellschaftlicher Kontrolle und funktionierenden Marktmechanismen macht neue Wege gangbar.


5. Wenn gegenwärtig und verstärkt auf die Zukunft bezogen die Erwerbsarbeit durch zunehmenden Einsatz von Maschinen abnimmt, dann hängt die Zukunft der Partei der Arbeitnehmer, der Sozialdemokraten, entscheidend davon ab, ob sie Konzepte anbieten kann,

  • die in ihrer Umsetzung gewährleisten, dass alle Menschen, die dies wollen, auch arbeiten können;
  • die all jenen, die vorübergehend nicht am Erwerbsleben teilhaben, einen sozial angemessenen Mindeststandard garantieren;
  • die die Krise der Umwelt durch pragmatische Schritte eindämmen und durch gestaltende Politik ökologisches Denken zu ökonomischem Handeln macht.

Das vorliegende wirtschaftspolitische Konzept soll einen Diskussionsschritt in diese Richtung aufzeigen.


Eckart Kuhlwein
Vorsitzender der Kommission “Zukunft der Arbeit“

Günther Jansen
Landesvorsitzender der SPD Schleswig-Holstein

Mensch, Natur und Arbeit

1.

Sozialdemokraten erstreben eine Gesellschaft, in der jeder Mensch seine Persönlichkeit in Freiheit entfalten und als dienendes Glied der Gemeinschaft verantwortlich am politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben der Menschheit mitwirken kann (Godesberger Programm). Unsere Grundwerte sind Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität. Sozialdemokratische Wirtschaftspolitik muss sich an diesen Grundwerten orientieren.

Das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit und damit die Situation der arbeitenden Menschen unterliegt derzeit einem tiefgreifenden Wandel. Deshalb müssen wir uns neuen Herausforderungen stellen:

  • Die natürlichen Lebensgrundlagen werden zunehmend zerstört;
  • neue Technologien bewirken eine grundsätzliche Veränderung der bestehenden Arbeitsgesellschaft:
  • die Emanzipation von Männern und Frauen erfordert neue gesellschaftlich organisierte Formen der Arbeitsverteilung;
  • Industrieländer und sich entwickelnde Staaten der sogenannten Dritten Welt stehen vor der Alternative einer Verschärfung der internationalen Verteilungskrise oder neuer partnerschaftlicher Zusammenarbeit.

Sozialdemokratische Wirtschaftspolitik muss deshalb auf eine soziale, demokratische und an ökologischen Gesetzmäßigkeiten ausgerichtete Volkswirtschaft hinarbeiten, sie muss das Recht auf Arbeit für Männer und Frauen verwirklichen, sie muss die Massenarbeitslosigkeit abbauen, die technologischen Veränderungen demokratisch und sozial steuerbar machen, die Verantwortung für die Natur übernehmen und einen solidarischen Ausgleich mit der Dritten Welt anstreben.

Ein neuer Begriff von Arbeit

2.

In der Tradition der Arbeiterbewegung ist Arbeit in der Form der Erwerbsarbeit Mittel zur Existenzsicherung und Lebensinhalt zugleich. Gegenwärtig verändern sich jedoch Art und Umfang der Erwerbsarbeit vor allem durch den technologischen Wandel. Dies eröffnet die Chance, macht es aber auch notwendig, Arbeit inhaltlich zu bestimmen.

Der traditionelle Begriff der Arbeit muss erweitert werden zu einem Verständnis sinnvoller Tätigkeit, das die Trennung zwischen Erwerbsarbeit und gesellschaftlicher Arbeit, zwischen privatem und öffentlichem Leben überwindet.

Selbstbestimmte Tätigkeiten im Bereich der Freizeit, der Eigenarbeit und bestimmter Ehrenämter, der Nachbarschaftshilfe, Familienarbeit und genossenschaftlichen Kooperation müssen als gleichwertig neben die Erwerbsarbeit treten.

Von daher sehen es Sozialdemokraten auch als ihre Aufgabe an, Möglichkeiten für Eigenarbeit und andere sinnerfüllte gesellschaftliche Betätigungen, vor allem im sozialen, kulturellen und politischen Bereich zu fördern und zu schaffen und gesellschaftliche Arbeit und Erwerbsarbeit zwischen Frauen und Männern gleichberechtigt aufzuteilen. Wir wollen das Recht auf Arbeit für Männer und Frauen verwirklichen, und wir wollen auch ein ausreichendes Einkommen für die Menschen sichern, die nicht oder nur teilweise am Erwerbsleben teilnehmen.

Ein denkbares Instrument hierfür ist ein bedarfsgerechtes soziales Mindesteinkommen für diejenigen, die nicht über ausreichendes Einkommen aus Erwerbsarbeit oder anderen Quellen verfügen.

Widersprüche der Industriegesellschaft

3.

Die Industrieländer der westlichen Welt haben einen bisher nie gekannten Entwicklungsstand erreicht. Das durchschnittliche Pro-Kopf Einkommen ist so hoch wie niemals zuvor. Es wird mit dem Einsatz von immer weniger Erwerbsarbeit produziert. Für einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung ist der Grundbedarf an Nahrung, Wohnung und Konsumgütern gedeckt.


4.

Dennoch verschärfen sich in diesen Ländern die Widersprüche: Das hohe Produktions- und Verbrauchsniveau wird mit einer nachhaltigen Schädigung und Zerstörung der natürlichen Umwelt (Boden, Luft, Wasser) sowie der physischen und psychischen Gesundheit der Menschen erkauft. Die Kosten des Umweltverbrauchs werden der Allgemeinheit angelastet, nicht aber den Verursachern.


5.

Aber auch die sozialen Kosten werden nicht den Verursachern, sondern der Allgemeinheit und den von wirtschaftlichen Umstrukturierungsprozessen Betroffenen aufgebürdet: Immer mehr Menschen bekommen keine Arbeit oder werden auf Dauer aus dem Arbeitsprozess herausgedrängt Die Einkommensverteilung wird immer ungerechter; Produktionsgewinne werden kaum noch an die abhängig Beschäftigten weitergegeben, weder in Form von Lohnerhöhungen noch, was in der gegenwärtigen Situation dringlicher wäre, in Form von Arbeitszeitverkürzung bei Lohnausgleich.

Neue Armut entsteht: immer mehr Menschen werden von ihr erfasst: Die Zunahme von materieller Not, Obdachlosigkeit und psychosozialen Krankheiten zerstört die Lebensperspektiven der Menschen und führt für viele zur sozialen Ausgrenzung.


6.

Der Wohlstand in den Industrieländern entsteht zu einem erheblichen Teil durch die Ausbeutung der Dritten und Vierten Welt. Abhängigkeit und Armut dieser Länder werden durch Rüstungsexporte weiter gesteigert.

Kritik der Wachstumsideologie

7.

Eine Wirtschaftspolitik, die allein auf quantitatives Wachstum zur Lösung der aktuellen Probleme setzt, muss scheitern, denn sie setzt Wachstumsfaktoren voraus, die schon heute nicht mehr funktionieren:

  • unbeschränkte Belastbarkeit des Menschen und der Natur mit Schadstoffen, Lärm, Abfällen und Stress,
  • unbegrenzte Energie- und Rohstoffquellen,
  • unbegrenzte Konsummöglichkeiten,
  • eine unbegrenzt leistungs- und ausbaufähige öffentliche Infrastruktur.

Der bisher verwendete Wohlstandsmaßstab „Wachstum des Bruttosozialprodukts“ sagt außerdem nichts darüber aus, ob die Menschen besser leben. Dieser Maßstab ist schon deshalb untauglich, weil er diejenigen Güter und Dienstleistungen einer Volkswirtschaft nicht erfaßt, die nicht für den Markt erzeugt werden (Eigenarbeit / Hausarbeit) und ökologische oder soziale Kosten nicht gesondert ausweist.

Internationale Verflechtungen

8.

Die Bundesrepublik Deutschland ist mit fast einem Drittel ihres Bruttosozialprodukts am Welthandel beteiligt. Die Einbindung der Bundesrepublik Deutschland in internationale ökonomische und politische Verflechtungen schränkt die nationale politische Handlungsfähigkeit ein. Deshalb kann jede nationale Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik auf vielen Feldern nur noch in dem Maße erfolgreich sein, wie es gelingt, sie politisch, rechtlich und ökonomisch international abzusichern.

Dabei müssen insbesondere die Möglichkeiten der Europäischen Gemeinschaft offensiv genutzt werden. Die Integration in die EG hat nicht nur ökonomische, sondern vor allem politische Bedeutung. Dasselbe gilt für den Handel mit den kommunistischen Staaten.

Die außenwirtschaftlichen Beziehungen dürfen nicht allein dem Gewinnstreben überlassen bleiben, sondern müssen den Grundsätzen internationaler Partnerschaft und ökologischer Verantwortung unterliegen.

Wirtschaftspolitik muss auch die internationale Wettbewerbssituation berücksichtigen. Gegenwärtig ist die Bundesrepublik in hohem Maße international wettbewerbsfähig, sie verfügt über hohe Devisenreserven und Leistungsbilanzüberschüsse. Ihre Stellung in der Weltwirtschaft würde weder durch Lohnzurückhaltung noch durch Sozialabbau gestärkt. Im Gegenteil: Materielle Unabhängigkeit und sozialer Ausgleich bilden die Grundlage für eine breite Mobilisierung menschlicher Fähigkeiten wie Phantasie und Kreativität als Voraussetzung für erfolgreiches wirtschaftliches Handeln.


9.

Die neue Wirtschaftspolitik muss international abgesichert werden. Dazu gehören insbesondere folgende Maßnahmen:

  • Eine erfolgreiche europäische Integration erweitert den wirtschaftlichen Handlungsspielraum durch ein wachsendes politisches Gewicht Europas in der Welt und durch eine abnehmende Außenhandelsabhängigkeit.
    Sollte es nicht gelingen, die europäische Integration in den nächsten Jahren entscheidend voranzutreiben, müssen zur Absicherung einer nationalen Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik die Instrumente, die das Außenwirtschaftsgesetz zur Kapitalverkehrskontrolle vorsieht, erweitert und genutzt werden.
  • Umweltschutz, soziale Sicherung und Arbeitsmarktpolitik müssen überall im Gemeinsamen Markt entwickelt werden.
  • Enge währungs- und forschungspolitische Zusammenarbeit in der EG ist eine Voraussetzung für europäische und nationale Selbstbehauptung.
  • Die Bundesrepublik und die EG müssen ihr Gewicht im Welthandel nutzen, um die Prinzipien von internationaler Partnerschaft und friedlichem Ausgleich zwischen Ost und West ebenso zu fördern wie zwischen Nord und Süd. Das erfordert auch einen Abbau der Handelsbeschränkungen gegenüber den Entwicklungsländern.
  • Entwicklung angepasster Technologien und Produktionsweisen in Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern.
  • Die Arbeit des Internationalen Währungsfonds muss in seinen Grundsätzen neu überarbeitet werden und den Kriterien von internationaler Partnerschaft und ökologischer Verantwortung angepasst werden.

Neue Formen der Steuerung

10.

Zur Durchsetzung einer sozial gesteuerten und an Ökologischen Gesetzmäßigkeiten ausgerichteten Volkswirtschaft reicht das herkömmliche Instrumentarium staatlicher Wirtschaftspolitik nicht aus. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die wirtschaftliche Entwicklung allein mit den Mitteln der Globalsteuerung und staatlicher Investitionsprogramme nur begrenzt zu beeinflussen ist.

Deshalb brauchen wir neue Formen volkswirtschaftlicher Kontrolle und Steuerung: die Ausdehnung der Mitbestimmung am Arbeitsplatz sowie auf allen Ebenen der Betriebs- und Unternehmensführung, die Abstimmung der Investitionspläne und Forschungsschwerpunkte der Großkonzerne mit gesellschaftlichen Zielvorgaben, die Koordination des regionalen und sektoralen Strukturwandels. Wir wollen mit den dafür geeigneten Instrumenten ein qualitatives Wachstum verwirklichen, das heißt ein Wachstum, das die Umwelt-, Lebens- und Arbeitsbedingungen verbessert und zugleich Arbeitsplätze schafft.

Ansatzpunkte neuer Wirtschaftspolitik

11.

Die neue Wirtschaftspolitik muss in den folgenden Bereichen ansetzen:

  • Arbeitszeitverkürzung zur Umverteilung der Weiterhin knapper werdenden Erwerbsarbeit;
  • gleichmäßigere Verteilung der Einkommen aus Arbeit und Kapital mit dem Ziel, Armut in alten und neuen Formen zu beseitigen und Förderung der Massenkaufkraft durch Erhöhung kleinster Einkommen (Sozialhilfe, Arbeitslosenunterstützung, niedrige Tariflöhne etc.);
  • Beschäftigungsprogramme der öffentlichen Hände in den bisher vernachlässigten Bereichen wie Umweltschutz, Energieeinsparung, öffentlicher Personennahverkehr, Stadt- und Dorfsanierung, soziale Dienste und Bildungswesen mit dem Ziel, Arbeitsplätze zu schaffen und gleichzeitig Lebensqualität zu verbessern;
  • gesetzliche Maßnahmen in den Bereichen des Umweltschutzes und der Energieeinsparung, die für die Zukunft konkrete Anforderungen festschreiben;
  • der Nachweis der Sozial- und Umweltverträglichkeit bei der Entwicklung neuer Technologien;
  • Konzentration der Förderung auf rohstoff- und energiesparende, umweltschonende Verfahren und neue Dienstleistungen sowie auf dementsprechende Produkte, die auch langlebig und leicht reparierbar sind;
  • Ausrichtung der Wirtschaftsförderung auf die Schaffung von Arbeitsplätzen und Qualifikation insbesondere in der regionalen Wirtschaftspolitik;
  • die Förderung von Klein- und Mittelbetrieben auch im Hinblick auf die Verbreiterung einer dezentralen Produktionsstruktur;
  • die Förderung von Existenzgründungen für bisher am Markt nicht oder nicht ausreichend vorhandene Waren und Dienstleistungen sowie von genossenschaftlichen und selbstverwalteten Unternehmensformen;
  • Förderung solcher Produktionsweisen und -umstellungen, die mehr Selbstbestimmung ermöglichen;
  • Umorientierung der Abgaben- und Subventionssysteme zu Lasten der leistungslosen Gewinne und zugunsten der arbeitsplatzintensiven Betriebe;
  • Forschungs- und Entwicklungsförderung, die nicht nur an Großtechnologie orientiert ist;
  • Umstellung von Rüstungsproduktion auf Technologien, die der Verbesserung der Umweltsituation und der Lebensumstände in der Dritten Welt dienen;
  • umfassende Bildung, Ausbildung und Weiterbildung zur kritischen Auseinandersetzung mit der Technikentwicklung und den sozialen Bedingungen der Produktion.

Grundsätze der Finanzierung

12.

Die von der SPD geforderte Umverteilung von oben nach unten, die dauerhafte Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme, die Finanzierung arbeitsmarktwirksamer Programme, die Reparatur und die Verhinderung von Umweltzerstörungen machen einen Umbau des Steuer- und Abgabensystems erforderlich. Der Anteil der gesellschaftlichen Ausgaben muss wieder ausgeweitet werden. Öffentliche Haushalte müssen wieder in den Dienst einer aktiven Beschäftigungspolitik gestellt werden. Nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten schließen wir auch eine begrenzte Erhöhung der Neuverschuldung nicht aus. Durch Abbau der Überrüstung und durch aktive Friedenspolitik müssen erhebliche Einsparungen im Verteidigungshaushalt erreicht werden, die ebenfalls zur Finanzierung herangezogen werden müssen.


13.

Mit dem Abbau des Steuer- und Abgabensystems muss erreicht werden, dass

  • die Bezieher kleiner Einkommen entlastet und Transferleistungen für die unteren Einkommensgruppen wieder ausgebaut werden können;
  • Vermögenseinkünfte gerecht mit Steuern und Sozialabgaben belastet werden;
  • das Wegrationalisieren von Arbeitsplätzen nicht noch mit Einsparungen bei der Sozialversicherung belohnt wird;
  • die Sanierung der Altlasten im Umweltbereich, soweit erforderlich, nach dem Gemeinlastprinzip finanziert werden kann;
  • der Verbrauch von Natur und Rohstoffen mit allen volkswirtschaftlichen Kosten dem Verursacher angelastet wird.


14.

Dabei sind wir uns im Klaren darüber, dass eine zusätzliche Belastung der Spitzeneinkommen nicht ausreichen wird, um die erforderlichen Mittel aufzubringen. Opfer für die Wiederherstellung der Umwelt, für die Einführung ökologischer Produktionsverfahren und für die Verbesserung der Lage der einkommensschwachen Schichten müssen auch von den Beziehern mittlerer Einkommen erbracht werden. Die SPD tritt deshalb für eine solidarische Lohn-, Abgaben- und Steuerpolitik ein. Wer die Solidarität ernst nimmt, muss bereit sein, zugunsten gesellschaftlicher Aufgabenerfüllung Verzicht zu leisten.

Fragen des Wirtschaftssystem: Staat - Markt – Mitbestimmung

15.

Die zentralisierte kapitalistische Wirtschaft schafft weder soziale Gerechtigkeit noch funktionierenden Wettbewerb. Eine „soziale Marktwirtschaft“ ist bisher in der Bundesrepublik nicht verwirklicht worden. Großunternehmen hebeln den Markt als Steuerungsinstrument für Produktion und Verbrauch aus und beeinflussen gleichzeitig in hohem Maße durch ihre wirtschaftliche Macht politische Entscheidungen. Damit höhlen sie die Demokratie aus. Ökologische Gesamtinteressen werden nicht berücksichtigt. Das wirtschaftliche Einzelinteresse wird gesamtgesellschaftlicher Verantwortung übergeordnet.

Die SPD strebt eine Wirtschafts- und Sozialordnung an, in der die individuellen und gesellschaftlichen Bedürfnisse der Menschen im Mittelpunkt wirtschaftlicher Überlegungen stehen. Deshalb muss die Wirtschaft gesellschaftlich kontrolliert und gesteuert werden.


16.

Die SPD will die gesellschaftliche Steuerung und Kontrolle der Wirtschaft über parlamentarisch gesetzte Rahmenbedingungen und über die Konzeption einer umfassenden Wirtschaftsdemokratie erreichen. Die geltenden Mitbestimmungsregelungen sind unzureichend und verbesserungsbedürftig.

Mitbestimmung muss auf mehreren Ebenen erfolgen:

  • Mitbestimmung am Arbeitsplatz,
  • neue Entscheidungsformen auf Unternehmensebene,
  • Einrichtung überbetrieblicher Arbeitnehmerfonds,
  • volkswirtschaftliche Mitbestimmung (Wirtschafts- und Sozialräte).

Der demokratische Sozialismus will die Selbstbestimmung des Menschen in allen gesellschaftlichen Bereichen. Selbstbestimmung muss darum bei der Mitbestimmung am Arbeitsplatz durch die Arbeitnehmer, indem sie Einfluss auf die Gestaltung ihrer Arbeit nehmen und damit ihre Selbstverwirklichung fördern, beginnen. Die Arbeitnehmer müssen einbezogen werden in die Vorbereitung, Planung und Durchführung von Maßnahmen, die die Gestaltung ihrer Arbeitsbedingungen betreffen. Integriert in die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Betriebs- und Personalräte kann deren Arbeit dadurch unterstützt werden.

Das Betriebsverfassungsgesetz und die Personalvertretungsgesetze müssen ausgebaut werden. Das betrifft insbesondere die Mitbestimmungsrechte des Betriebs- und Personalrates. Bei der Einführung und Anwendung neuer Technologien sollen Arbeitnehmer mitbestimmen und mitgestalten. Damit übernehmen die Arbeitnehmer auch die Mitverantwortung für die menschengerechte Nutzung neuer technischer Möglichkeiten. Darüber hinaus muss die Personalplanung der Unternehmen einschließlich der Regelung von Zeitarbeitsverträgen und Heimarbeitsplätzen mitbestimmungspflichtig sein.

Die veränderten Strukturen in der Arbeitsorganisation stellen eine Herausforderung an die Arbeitnehmervertretungen dar, die auch neue organisationspolitische Antworten notwendig machen. Die Entscheidungsfindung auf Unternehmensebene muss nicht nur die Interessen von Kapital und Arbeit im traditionellen Mitbestimmungsverständnis umfassen. sondern auch Verbraucher-‚ Kommunal- und ökologische Interessen einbeziehen.

Die volkswirtschaftliche Mitbestimmung dient der Umsetzung gesamtgesellschaftlicher Zielsetzungen. Sie organisiert sich regional, auf Länderebene, im Bund und auf europäischer Ebene. Zu den Aufgaben der Wirtschafts- und Sozialräte gehören

  • Mitwirkung bei öffentlicher Wirtschafts- und Forschungsförderung,
  • Beratung der Parlamente und Regierungen,
  • Einrichtung von Investitionsmeldestellen und Ausarbeitung von Empfehlungen für Investitionen.

Um die Rechte der Arbeitnehmer in der EG abzusichern, ist es erforderlich, einen Mindeststandard an Mitwirkungsrechten in der EG durchzusetzen.


17.

Demokratischer Sozialismus ist nicht schon durch staatliches Eigentum an Produktionsmitteln verwirklicht. Staatskapitalistische Wirtschaftssysteme wie zum Beispiel in den Ostblockstaaten und verstaatlichte Unternehmen in kapitalistisch organisierten Staaten verhalten sich häufig in sozialer und umweltpolitischer Hinsicht gesellschaftsschädlich.

Der bloßen Verstaatlichung setzen wir das Konzept der Demokratisierung der Industriegesellschaft entgegen. Dabei treten wir für eine gemischte Wirtschaftsordnung ein, in der die Vielfalt der Formen — von privaten und öffentlichen Unternehmen über genossenschaftliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmensformen bis hin zu Vergesellschafteten Bereichen - ein Maximum an Freiheit und sozialer wie ökologischer Verantwortung für die Menschen mit sich bringen soll, sei es als Arbeitnehmer, sei es als Konsument. Wir gehen dabei davon aus, dass bestimmte gesellschaftliche Bereiche aufgrund ihrer großen Bedeutung für die Allgemeinheit der gesellschaftlichen Kontrolle unterworfen werden müssen. Dies bezieht sich auf das Gesundheits- und Bildungswesen, den Energie- und Rohstoffsektor, die Geldwirtschaft wie den Transport- und Verkehrsbereich.

Sozialdemokratische Wirtschaftspolitik will die Marktmechanismen nutzen, weil sie die Anpassungsfähigkeit der Unternehmen fördern und Verbraucherwünsche berücksichtigen. Die SPD tritt deshalb für solche marktwirtschaftlichen dezentralen und mitbestimmten Wirtschaftsformen ein, in denen die Entfaltung des einzelnen und die Erhaltung der natürlichen Umwelt erreicht werden.

Eine Wirtschaftspolitik unter den Bedingungen verringerten Wachstums erfordert zudem eine staatliche Politik mittel- und langfristiger Vorausschau des notwendigen Arbeitskräftebedarfs und die notwendige Weiter- und Andersqualifizierung von Arbeitskräften.


18.

Kleine und mittlere Unternehmen sind zur Erhaltung eines funktionsfähigen Wettbewerbs und zur ausreichenden Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen unverzichtbar. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur Sicherung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen gerade in strukturschwachen Gebieten.

Wir wollen die Wettbewerbsfähigkeit der kleinen und mittleren Unternehmen des Handels, Handwerks und Gewerbes gegenüber den Großunternehmen stärken, unter anderem durch

  • Subventionsabbau für Großunternehmen,
  • Reform der Wirtschaftsförderung,
  • Umstellung der Berechnung der Sozialversicherungsabgaben zugunsten personalintensiver Betriebe,
  • Ausbau der Beratungsförderung.

Neue Technologien

19.

Die technologischen Bedingungen für unser Wirtschaften sind im Begriff, sich von Grund auf zu ändern. Ursache dafür sind neue Technologien der Informationsübertragung und -sammlung. Alle gegenwärtigen Informationstechniken werden sich wandeln.

Gleichbedeutend mit den Möglichkeiten der Mikroelektronik und Computertechnologie werden in Zukunft die Anwendung von Bio- und Gentechnologie und den sogenannten Reproduktionstechniken sein.

Die technologische Entwicklung ist nicht wertfrei. In der Regel werden aus Gründen der Gewinnmaximierung und der Arbeitskrafteinsparung neue Techniken erforscht und entwickelt. Häufig sind technische Errungenschaften Ergebnisse oder Nebenprodukte von militärischen Forschungsarbeiten.

Letztendlich sind die Auswirkungen neuer Technologien davon abhängig, in wessen Interesse sie eingesetzt werden und wer über ihre Ergebnisse verfügt.


20.

Die neuen Technologien können den Menschen von monotonen, körperlich schweren und damit menschenunwürdigen Arbeiten entlasten und gleichzeitig Kosten sparen helfen. Sie können an vielen Stellen hilfreich eingesetzt werden wie zum Beispiel zur Energieeinsparung, zur Reduzierung der Umweltbelastung, zum sparsamen Umgang mit nicht erneuerbaren Ressourcen oder zur Förderung der Wiederverwendung von Rohstoffen. Wir sehen in ihnen deshalb die Chance, Zeit für schöpferische Tätigkeiten zu gewinnen und die Natur stärker als bisher zu schonen.


21.

Angesichts des gegenwärtigen Wissenschaftsbetriebes und der Anforderungen der Industriegesellschaft dienen insbesondere die neuen Biotechnologien jedoch eher den Interessen multinationaler Agrarkartelle und ihren Produktionsstrategien. Gentechnologie und Reproduktionstechniken machen den Menschen selbst zum Objekt dieser Techniken und eröffnen die Möglichkeiten genetischer Auswahl und Kontrolle.

Die neuen Informationstechnologien führen zur Vernichtung von Arbeitsplätzen. Betroffen sind davon bisher vor allem weniger qualifizierte Arbeitsplätze, die insbesondere von Frauen besetzt sind. Die Arbeit wird weniger personenbezogen; menschliche Kontakte gehen durch Isolierung am Arbeitsplatz verloren. Die Unterschiede zwischen den Gruppen der Arbeitnehmer verschärfen sich: Die einen arbeiten kreativ mit den Computern, die Arbeit der anderen wird durch die Programme gesteuert. Sozialdemokraten sehen deshalb in den neuen Technologien auch die Gefahr, dass Qualifikation und menschliche Fähigkeiten zunehmend entwertet werden.


22.

Für die sogenannte Dritte Welt hatten die „Neuen Technologien“ bis jetzt verheerende Auswirkungen. Sie sind immer weiter in die Isolation getrieben worden, statt sich emanzipiert zu haben. Während der Wert von Arbeit und Rohstoffen sinkt, wächst die Kapitalintensität der Produktion. Die neuen Industrien werden primär das Ergebnis von Kapitalinvestitionen sein. Aber die Entwicklungsländer verfügen aufgrund der Struktur des kapitalistischen Weltmarktes nur über eine geringe Kapitalausstattung. Durch ihre Auslandsverschuldung wird die Situation für sie noch drastisch verschlimmert. Die neuen Technologien sind den Gesellschaften der sogenannten Dritten Welt nicht angepasst. Sie werden ihre existentiellen Probleme nicht lösen helfen. Die Mehrheit von ihnen benötigt arbeitsintensive Produktionen mit geringem Kapitaleinsatz und angepassten Technologien. Die Mikroelektronik ist das genaue Gegenteil. Die Widersprüche zwischen modernem Industriesektor und traditioneller Landwirtschaft werden sich zuspitzen, Arbeitslosigkeit und Verschuldung werden steigen.


23.

Sozialdemokraten legen deshalb an die neuen Technologien kritische Maßstäbe an.

Technik darf nicht

  • gefährliche oder unnötig komplizierte und undurchschaubare Anwendungen (in sich) beinhalten und dadurch Technokratien schaffen, die undemokratisch sind;
  • die Legitimation für die Einschränkung von Rechten und Freiheiten der arbeitenden Menschen schaffen;
  • wirtschaftliche und soziale Risiken schaffen, die den Arbeitnehmern aufgebürdet werden;
  • Sachzwänge durch (immens) hohe Kosten schaffen, die einen großen Teil volkswirtschaftlicher Ressourcen allein an Folge- und Reparaturkosten binden;
  • zu kultureller Verödung, Monotonie und Stress führen.


24.

Allein aus ökologischen Überlegungen heraus muss Technik folgenden Bedingungen genügen:

  • minimale Ressourcenentnahme,
  • maximale Wiederverwendung im weiteren Produktions- und Konsumtionsprozess,
  • keine Belastung der Umwelt durch Schadstoffe.


25. Zusätzliche politische und soziale Kriterien sind

  • Technikentwicklung muss gesellschaftlicher Kontrolle unterliegen;
  • Technik darf erst eingesetzt werden, wenn der Nachweis erbracht ist, dass sie diesen Kriterien genügt (Technologiefolgeabschätzung vor dem Einsatz);
  • Technik muss am gesellschaftlichen Nutzen, nicht an privater Aneignung orientiert sein;
  • Technik muss rückholbar sein, das heißt in ihren Auswirkungen beherrschbar und kontrollierbar sein;
  • Technik muss die Realisierung und Verbesserung der Prinzipien von Gleichheit und Solidarität (zum Beispiel im Verhältnis zur sogenannten Dritten Welt) gewährleisten und in der Anwendung auch am Arbeitsplatz sicherstellen;
  • Technik muss regionalen und kulturellen Gegebenheiten angepasst sein.


26.

Ausgehend von den Folgen von Technologien lassen sich drei Gruppen abgrenzen:

Technologien, die ökologisch, sozial und human sind, also gefördert werden können (zum Beispiel Umwelttechnologien, Humanisierungstechnologien, alternative Versorgungssysteme);

Technologien, die mit Auflagen, wirksamen Kontrollen und Weiterentwicklung begrenzt akzeptabel gemacht werden können (zum Beispiel Teilbereiche des Computereinsatzes, der Medienverwendung, der Biotechnologie);

Technologien, die “in sich“ destruktiven Charakter tragen und abzulehnen sind (zum Beispiel Kernenergie, Personalinformationssysteme, Genmanipulationen).


27.

Ausgehend von diesen Vorstellungen, haben Sozialdemokraten folgende konkrete Forderungen.

Wir fordern, dass

  • bei der Einführung neuer Technologien der einzelne Arbeitnehmer den Anspruch auf einen qualifizierten Arbeitsplatz behält;
  • durch eine umfassende Qualifizierung Arbeitnehmer und ihre Vertretungen in die Lage versetzt werden, die Auswirkungen beurteilen und Kontrollrechte wahrnehmen zu können;
  • kollektive und individuelle Mitbestimmungsrechte abgesichert und ausgebaut werden;
  • differenzierte Arbeitszeitverkürzungen Möglichkeiten für Weiterbildungsmaßnahmen schaffen;
  • der Datenschutz wesentlich erweitert und ständig der technologischen Entwicklung angepasst wird; insbesondere der Bereich der betrieblichen Datenerfassung und der damit mögliche Zugriff auf Arbeitnehmerdaten verlangt eine permanente Kontrolle durch Arbeitnehmervertreter. Die Daten der in der Bundesrepublik Beschäftigten dürfen nicht ins Ausland übermittelt werden;
  • genetische „Tauglichkeitsprüfungen“ bei Arbeitnehmern (Genomanalysen), wie sie in den USA bereits durchgeführt werden, verboten werden;
  • für Arbeitsplätze im Bereich der Biotechnologie strengste Sicherheitsauflagen erarbeitet werden und Sicherheitsüberprüfungen stattfinden;
  • auf keinen Fall genetisch manipulierte Viren, Bakterien oder Pflanzen freigesetzt werden dürfen, ohne dass eine umfangreiche Risikoabschätzung stattgefunden hat;
  • die zentrale Kommission für biologische Sicherheit ihre Arbeit auf das Problemfeld der Biotechnologie ausweitet und Verfahrensrichtlinien vor der industriellen Nutzung erarbeitet werden.

Maßstäbe und Maßnahmen der Industriepolitik

‘‘‘28. ‘‘‘

Eine sozialdemokratische Industriepolitik muss technologische Prozesse gestalten und neue Entwicklungen sozial steuern.

Dazu gehören

  • die Fragen nach der Umweltverträglichkeit der Technologien sowie deren Veränderbarkeit und Möglichkeit, sie auch wieder rückgängig machen zu können;
  • Fragen nach den Auswirkungen auf die Beschäftigung und das gesellschaftliche Leben;
  • Fragen der Ethik und Humanität, wobei gerade im Bereich der Gentechnologie der Forschungs- und Anwendungsbereich unter öffentliche Verantwortung und Kontrolle gestellt werden muss;
  • die Einrichtung paritätischer und industriezweigbezogener Koordinationsausschüsse zur Bewertung und Analyse von Technikentwicklungen sowie die Durchführung von Forschungsprojekten zur Technologiefolgenabschätzung;
  • die Beteiligung der Gewerkschaften und Einbeziehung von Verbraucher-, Kommunal- und ökologischen Interessen bei der Formulierung von staatlichen Forschungsförderungsprogrammen sowie deren Mitwirkung bei der Vergabe öffentlicher Mittel im Rahmen der Forschungs- und Technologiepolitik;
  • die Förderung eines Instituts "Arbeit und Technik" in gewerkschaftlicher Trägerschaft.

Subventionen für die Anpassung und Erhaltung bestehender Strukturen sollen die Ausnahme bleiben und nur dann gezahlt werden, wenn sie mit konkreten und detaillierten Entwicklungsplänen verbunden sind. Dabei muss der Staat seinen Einfluss auf die Unternehmensführung sicherstellen.

Umverteilung des Arbeitsvolumens

‘‘‘29. ‘‘‘

Ohne eine durchgreifende Arbeitszeitverkürzung wird es angesichts der schnellen technologischen Veränderungen nicht möglich sein, alle Menschen, die dies wollen, an der Erwerbsarbeit zu beteiligen. Eine Umverteilung der Arbeit bei entsprechendem Einkommensausgleich aus Arbeit und Kapital ist für uns dabei die einzig moralisch vertretbare und in einer Demokratie akzeptable Strategie der Arbeitszeitverkürzung° Hierzu gehören alle Formen der Verkürzung der täglichen, wöchentlichen, jährlichen und Lebens- Arbeitszeit. Auch die Einschränkung von Überstunden, die Einführung von Elternurlaub und, unter bestimmten Bedingungen, vermehrte Teilzeitarbeitszeit haben umverteilende Wirkung.


‘‘‘30. ‘‘‘

Wenn neue und sicherere Arbeitsplätze durch eine an Beschäftigung orientierte Wirtschaftspolitik in allen Wirtschaftsbereichen entstehen sollen, muss auch der öffentliche Dienst seine beschäftigungspolitische Aufgabe wieder wahrnehmen. Die öffentlichen Hände dürfen Maßnahmen der Arbeitsumverteilung nicht zur Haushaltssanierung missbrauchen.


‘‘‘31. ‘‘‘

Am wirksamsten lässt sich Arbeit durch eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit umverteilen. Die Einführung der 35-Stunden-Hoche bleibt für uns deshalb der notwendige erste große Schritt zum Abbau der Arbeitslosigkeit. Die SPD wird die Gewerkschaften in ihrem Kampf um die Einführung der 35-Stunden-Woche weiterhin aktiv unterstützen. Sie wird gleichzeitig dort, wo ihre Vertreter im öffentlichen Dienst Arbeitgeberaufgaben wahrnehmen, gewerkschaftliche Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung fördern. Wir streben eine solche Verkürzung der Arbeitszeit an, die es Frauen und Männern ermöglicht, Beruf und familiäre Aufgaben gleichermaßen wahrzunehmen. Mittelfristig muss deshalb die 30-5tunden-Woche realisiert werden.


‘‘‘32. ‘‘‘

Um die erwarteten Arbeitsplatzeffekte einer Verkürzung der Wochenarbeitszeit nicht zu gefährden, sind begleitende Maßnahmen nötig:

  • Abbau beziehungsweise Erschwerung von Überstunden durch die Senkung der Regelarbeitszeit in einem Arbeitszeitgesetz;
  • Ausschluss der Bezahlung von Überstunden - wo sie unumgänglich sind, soll der Ausgleich in Freizeit erfolgen;
  • Bekämpfung illegaler Beschäftigung und Verbot von Leiharbeit:
  • Verbot von Nebentätigkeiten für Beschäftigte im öffentlichen Dienst durch strengere Genehmigungsvorschriften, wobei Nebentätigkeiten in besonderen Fällen ermöglicht, jedoch auf das Hauptamt angerechnet werden sollen;
  • Begrenzung des Zuerwerbs für Rentner und Pensionäre nach der Höhe des Einkommens.


‘‘‘33. ‘‘‘

In Ergänzung zur notwendigen Verkürzung der Wochenarbeitszeit sollte auch die Jahres- und Lebensarbeitszeit durch verschiedene Maßnahmen verkürzt werden. Dazu gehören

  • die Ausweitung des gesetzlichen (Mindest)-Jahresurlaubs;
  • Bildungsurlaubsgesetze in allen Bundesländern und eine Ausweitung der Möglichkeiten der Freistellung für außerbetriebliche berufliche Weiterbildung;
  • bezahlter Elternurlaub mit Arbeitsplatzgarantie nach der Geburt eines Kindes;
  • Ausweitung des Betreuungsurlaubs für erkrankte Kinder;
  • Schaffung eines Pflegeurlaubs für Arbeitnehmer zur Pflege erkrankter, behinderter oder älterer Angehöriger mit Arbeitsplatzgarantie;
  • Ermöglichung von arbeitsfreien Jahren in regelmäßigen Abständen zur Weiterbildung und von Langzeiturlaub, wobei der Zugang zur Sozialversicherung erhalten bleiben muss:
  • Verbot der Abgeltung von Urlaub.


‘‘‘34. ‘‘‘

Bewährt haben sich auch Tarifverträge, die eine schrittweise freiwillige Verkürzung der Wochenarbeitszeit für ältere Arbeitnehmer ermöglichen und damit den Arbeitsmarkt entlasten. Der frühere Eintritt ins Rentenalter durch Vorruhestandsregelungen soll durch gesetzliche Absicherung weiter ermöglicht werden.


‘‘‘35. ‘‘‘

Die SPD setzt dem Konzept der Flexibilisierung die Forderung nach „freier Gestaltung der persönlichen Arbeitszeit“ entgegen. Dabei geht sie davon aus, dass bei einer beachtlichen Zahl von Arbeitnehmern der Wunsch besteht, ihre Arbeitszeiten mit den persönlichen Bedürfnissen in Einklang zu bringen. Dies gilt insbesondere für Ehepartner mit Kindern, die Familienarbeit mit Erwerbsarbeit verbinden wollen. Die freie Gestaltung sollte sowohl die Lage der Arbeitszeit innerhalb einer gemeinsam vereinbarten Wochenarbeitszeit als auch verschiedene Formen der Teilzeitarbeit umfassen.


‘‘‘36. ‘‘‘

Die SPD wendet sich jedoch entschieden gegen alle Maßnahmen, die den Arbeitgebern das Recht geben wollen, allein über Dauer und Lage der Arbeitszeit zu bestimmen (sogenannte Flexibilisierung). Diese Maßnahmen führen dazu,

  • das Arbeitsvolumen so zu verteilen, dass Arbeitszeitverkürzungen ohne Lohnausgleich und ohne zusätzliche Einstellungen erfolgen;
  • das Arbeitskräftepotential zu Lasten von Freizeit und Gesundheit intensiver auszunutzen;
  • die Entsolidarisierung der Arbeitnehmer zu fördern;
  • den Schutzcharakter kollektiver Regelungen abzubauen. Zusätzliche Arbeitsplätze werden mit der Flexibilisierung nicht geschaffen. Wegen der damit verbundenen Arbeitsverdichtung ist das Gegenteil der Fall. ‚


‘‘‘37. ‘‘‘

Teilzeitarbeit muss nach Auffassung der SPD an folgende Bedingungen gebunden werden:

  • Alle Arbeitsverhältnisse müssen künftig von der ersten Stunde an sozialversicherungspflichtig werden.
  • Die Arbeitsbedingungen (Lohn, Urlaub, Sozialleistungen) müssen im Verhältnis denen der Vollzeitbeschäftigten entsprechen.
  • Einsatzzeiten müssen nach Tagen und Stunden genau festgelegt und vertraglich vereinbart werden.
  • Teilzeitarbeitsverhältnisse müssen den vollen Schutz von Gesetz und Tarifvertrag erhalten.
  • Der Wechsel von Vollzeit- in Teilzeitarbeit und umgekehrt muss Wahlrecht des Arbeitnehmers sein.


‘‘‘38. ‘‘‘

Bei der Einführung von Tele-Heimarbeit (oder Fernarbeit) muss der Arbeitnehmerstatus der Beschäftigten erhalten bleiben. Sie ist nur in Form dezentraler Gruppenarbeitsplätze zulässig, wobei die Geltung und Kontrollierbarkeit der arbeits- und sozialrechtlichen Vorschriften zu gewährleisten ist. Sie darf nicht unter das Heimarbeitsgesetz fallen.


‘‘‘39. ‘‘‘

Die öffentlichen und privaten Arbeitgeber müssen gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der Chancengleichheit von Frauen im Arbeitsleben ergreifen. Insbesondere sind Bund, Land und Kommunen gefordert, Frauenförderpläne beziehungsweise -richtlinien zu schaffen. Inhalt dieser Richtlinien muss unter anderem sein, dass bei Stellenbesetzungen, bei der Fortbildung, bei der Wiedereingliederung und bei der Höhergruppierung Frauen bei gleicher Qualifikation bevorzugt werden, solange sie in den jeweiligen Bereichen unterrepräsentiert sind.


‘‘‘40. ‘‘‘

Alle Berufsanfänger müssen einen Rechtsanspruch auf Arbeit für mindestens zwei Jahre erhalten. Dieser Anspruch ist durch kommunale Beschäftigungsprogramme oder durch befristete Einarbeitungszuschüsse an private Betriebe einzulösen. Dabei ist zu prüfen, ob für Berufsanfänger befristet auch Teilzeit-Arbeitsverhältnisse mit einem bedarfsgerechten Mindesteinkommen akzeptiert werden sollten. Teilzeitarbeit für Berufsanfänger muss von Weiterbildungsmaßnahmen begleitet werden, die von der Bundesanstalt für Arbeit zu finanzieren sind. Für Jugendliche, die trotzdem keinen Arbeits-/Ausbildungsplatz bekommen, muss es zu einer bedarfsgerechten finanziellen Absicherung kommen.


‘‘‘41. ‘‘‘

Die SPD lehnt die Ausweitung der Möglichkeit von Zeitverträgen ab. Zeitverträge schaffen keine zusätzlichen Arbeitsplätze, gehen zu Lasten des Stammpersonals und bedeuten einen Verlust an sozialer Sicherheit.


‘‘‘42. ‘‘‘

Dauerarbeitsplätze für kommunale und staatliche Aufgaben werden nur durch neue Planstellen geschaffen. Dennoch brauchen wir in der aktuellen Beschäftigungssituation eine deutliche Erhöhung der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM). ABM sollten insbesondere in den Betrieben gefördert werden, die von der öffentlichen Hand beziehungsweise von freien Trägern nicht oder noch nicht erschlossen sind.

Dazu gehören kulturelle und soziale Dienste (zum Beispiel Kultur- und Jugendzentren, Gesundheitshilfe, Frauenprojekte, Freizeitprojekte, offene Werkstätten) sowie Natur- und Umweltschutz.

Mit den Möglichkeiten von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen muss kritisch und verantwortlich umgegangen werden:

  • ABM dürfen nicht dazu beitragen, dass sich die Ausbildungsplatz-Situation verschlechtert.
  • Weggefallene Arbeitsplätze dürfen nicht durch ABM ausgeglichen werden.
  • ABM dürfen nicht dazu führen, dass Personalhaushalte heruntergefahren werden.
  • Die entsprechenden Tarifverträge müssen bindend eingehalten werden.
  • Bei Missbrauch von ABM sind die Kosten durch den Träger der Maßnahme zurückzuerstatten.
  • Betriebs- und Personalräte müssen bei der Antragstellung und Durchführung von ABM beteiligt werden.
  • Die Selbstverwaltung der Arbeitsämter ist so auszustatten, dass sie die bewilligten ABM auf ihre Übereinstimmung mit dem Arbeitsförderungsgesetz hin kontrollieren kann.

Um gemeinnützigen Trägern die Schaffung von Dauerarbeitsplätzen zu ermöglichen, müssen die Zuschüsse aus öffentlichen Haushalten entsprechend erhöht werden.

Frauen sind entsprechend ihres Anteils an der Arbeitslosigkeit bei den ABM zu berücksichtigen.

Bei hochwertigen (teuren) Tätigkeiten soll lediglich Teilzeitbeschäftigung gefördert werden.


Arbeit und Umwelt

‘‘‘43. ‘‘‘

Wir haben in ökologischer Hinsicht jahrzehntelang über unsere Verhältnisse gelebt. Die daraus entstandenen Umweltschäden und Belastungen müssen wir sanieren, bevor es zu spät ist. Gleichzeitig müssen wir in die Vermeidung zukünftiger Umweltbelastungen investieren. Wie nachgewiesen wurde, sichert und schafft beides Arbeitsplätze; wir müssen nur bereit sein, die dazu nötigen finanziellen Mittel aufzubringen. Durch die Förderung neuer umweltfreundlicher Technologien werden zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen.

Deshalb brauchen wir ein ökologisches Zukunftsinvestitionsprogramm (ÖZIP). Das von der SPD-Bundestagsfraktion vorgelegte Programm "Sondervermögen Arbeit und Umwelt" ist ein Schritt in diese Richtung.

Strom und Wärme

‘‘‘44. ‘‘‘

Energieunternehmen dürfen nicht mehr am Gewinnmaximierungsprinzip orientiert sein, sondern müssen sich ausschließlich am gesellschaftlichen Bedarf ausrichten (zum Beispiel Umweltoptimierung). Der Ausstieg aus der Kernenergie ist eines unserer energiepolitischen Ziele. Im Interesse des Umweltschutzes ist der Ausbau und die Entwicklung alternativer Energieanlagen unter Einbringung vorhandener Erkenntnisse erforderlich. Als Einzelschritte schlagen wir vor:

  • Erstellung integrierter Versorgungskonzepte für die Gemeinden und Kreise,
  • Umgestaltung der Tarife der Energieversorgungsunternehmen mit dem Ziel, Mehrverbrauch nicht mehr zu begünstigen,
  • Energiesparmaßnahmen durch Wärmedämmung und veränderte Produktionstechniken sowie durch passive Nutzung der Solarenergie,
  • Ersatz von Großkraftwerken durch Kraft-Wärme-Koppelung in dezentralisierten Heizkraftwerken,
  • kleinere Windkraftanlagen und Sonnen-Energie-Anlagen, deren Strom von den Energieversorgungsunternehmen zu günstigen Konditionen abgenommen werden muss,
  • Nutzung von Wärme aus der Stromerzeugung für Heizzwecke,
  • Wärmerückgewinnung in der landwirtschaftlichen Produktion,
  • Biogasanlagen zur Nutzung landwirtschaftlicher Abfallstoffe,
  • Abnahmepflicht der Energieversorgungsunternehmen für überschüssige Energie aus industriellen Anlagen,
  • Ausrüstung von Stromerzeugungsanlagen mit Rauchgasentstaubung,
  • Entschwefelung und Entstickung.

Wasserwirtschaft

‘‘‘45. ‘‘‘

Trinkwasser wird immer knapper und damit teurer. Deshalb müssen wir sparsamer als bisher damit umgehen. Dazu gehören folgende Maßnahmen:

  • radikale Verminderung des Eintrags von Schad- und Belastungsstoffen in das Oberflächen- und Grundwasser;
  • konsequente Luftreinhaltung (saurer Regen, Grundwasserbelastung durch Schwermetalle etc.);
  • Schutz der Trinkwasserressourcen;
  • Bau und Sanierung von Trinkwassergewinnungsanlagen
  • Maßnahmen zur Sicherung vorhandener und künftiger Wassergewinnungsanlagen;
  • Entwicklung wassersparender Technologien;
  • individuelle Verbrauchsmessung, auch im Mietwohnbereich;
  • intensive Verbraucherberatung für den ökologischen Umgang mit Wasser,
  • Einbau von Zweikreissystemen zur Trennung von Trinkwasser und Brauchwasser insbesondere in industriellen, gewerblichen und landwirtschaftlichen Bereichen;
  • Verbot der industriellen Nutzung von Grundwasser;
  • Umgestaltung der Tarife für Wasser und Abwasser mit dem Ziel, Mehrverbrauch von Wasser nicht mehr zu begünstigen.

Unsere Flüsse und Seen sind mit Schadstoffen überlastet. Hier müssen nicht nur Altlasten und vorhandene Schäden schrittweise beseitigt, sondern auch durch Ausbau von Kläreinrichtungen weitere Belastungen verhindert werden:

  • drastische Verringerung der Einleitungen nicht abbaubarer Schadstoffe,
  • Ersatz veralteter öffentlicher Kanalisation,
  • Bau zusätzlicher kommunaler Kläranlagen und Sammler sowie Umbau und Erweiterung vorhandener Kläranlagen auf volle Abwasserreinigung, wobei biologische Klärmethoden den Vorrang erhalten,
  • Sanierung der Vorfluter und Seen,
  • Entwicklung von Mess- und Kontrollsystemen und von Methoden zur Gewässersanierung,
  • Regenwasser sollte nicht zentral abgeführt werden, sondern möglichst an Ort und Stelle versickern,
  • weitgehender Verzicht auf Betonunterbauten bei gepflasterten Straßen und Wegen,
  • Schaffung von Entsorgungsmöglichkeiten für “Sonderwasser” (vergiftete Abwässer).

Abfallwirtschaft

‘‘‘46. ‘‘‘

Vorrangig ist die Vermeidung von Müll, zum Beispiel durch ein Verbot bestimmter Verpackungen wie Einwegflaschen, Plastikflaschen und Getränkedosen. Der personelle Mehraufwand im Handel würde den Verlust an Arbeitsplätzen ausgleichen. Die konsequente Ausweitung oder Wiederverwertung von Abfällen würde für die Wirtschaft einen großen Investitionsbedarf und eine Vielzahl von neuen Arbeitsplätzen bedeuten:

  • Förderung von Projekten zum getrennten Sammeln verschiedener Müllarten wie kompostierbarer Abfälle, Plastik, Glas, Papier, Eisen und Buntmetalle;
  • Förderung von Recyclingzentren;
  • Förderung der Sanierung alter Müllkippen, wobei bevorzugt diejenigen zu behandeln sind, wo Giftmüllanteile vermutet werden oder die im Trinkwassereinzugsbereich liegen;
  • Förderung der Entgasung bestehender Deponien zur Energiegewinnung;
  • Förderung der Entwicklung abfallvermeidender Technologien;
  • Förderung der Entwicklung von Technologien zur Wiederverwertung von Abfällen;
  • engeres Netz für die Sammlung von Sondermüll;
  • umfangreiche Bürgeraufklärung über Abfalltrennung und Abfallvermeidung.

Stadtsanierung und Dorferneuerung

‘‘‘47. ‘‘‘

Die Zeiten großer Zuwachsraten im Wohnungsbau sind vorbei. Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen, neue Wohnformen und die Verbesserung des Wohnumfeldes können jedoch wieder Beschäftigung für das Baugewerbe bieten. Dazu gehören:

  • Stadtsanierung und Dorferneuerung mit dem Ziel der Stabilisierung oder Wiederherstellung des sozialen Gefüges unter Beachtung stadtökologischer Gesichtspunkte. Dazu gehört die Überwachung der Renaturierung der Städte und Dörfer durch
    • Entwurf von Landschaftsplänen zur Neugestaltung durch ökologisch ausgerichtete Landschaftsplaner,
    • Durchführung von Baum- und Buschpflanzprogrammen mit heimischen Arten,
    • umfassende Entsiegelung in Wohn-/Lebensbereichen,
    • Umweltkataster;
  • Entwicklung und Förderung des ökologischen Bauens mit umweltschonenden und energiesparenden Stoffen;
  • bedarfsgerechte Fortführung des sozialen Wohnungsbaus in überschaubaren Einheiten;
  • Konzepte für neue kleine Wohnungsbaugenossenschaften zur gemeinschaftlichen Erstellung preiswerter Wohnungen, zur Bestandssicherung und Modernisierung von kostengünstigem Wohnraum sowie zur Sanierung;
  • Erhaltungsinvestitionen für bestehende Bauten;
  • Umwandlung von Verkehrsstraßen in Wohnstraßen oder in Verkehrsflächen für Fußgänger und Radfahrer;
  • Erschließung der Grünreserven in Hinterhöfen, Begrünung von Fassaden und Dächern, Anlage von vernetzten Kleinbiotopen;
  • Anlage von Versiegelungskatastern mit dem Ziel, für jeden Quadratmeter Boden, der neu überbaut wird, einen Quadratmeter überbauter Fläche zu "entsiegeln";
  • Maßnahmen zur Denkmalspflege und Restaurierung von Kulturgütern.

Verkehr

‘‘‘48. ‘‘‘

Hit dem Anwachsen des Individualverkehrs in den letzten 30 Jahren haben die ökologischen Belastungen Dimensionen erreicht, die nicht länger vertretbar sind. Zerschneidungen von Ökosystemen, Bodenbelastungen und Waldsterben, jährlich hohe Verkehrsunfallzahlen, insbesondere durch den Straßenverkehr, und Lärmbeeinträchtigungen sind Beispiele dafür. Eine ökologisch vertretbare, sozial gebotene, aber auch arbeitsmarktorientierte Verkehrspolitik muss daher dem Ausbau des öffentlichen Personen- und Güterverkehrs Vorrang geben.

Dabei sind besonders zu fördern:

  • die Verringerung der Verkehrsbeziehungen durch wohngebietsnähere Arbeitsstätten, zum Beispiel Entflechtung großer Verwaltungen,
  • die Rekultivierung von Verkehrsflächen, die dem Verkehr entzogen werden können;
  • die Erhaltung und die Wiederbelebung des Schienenverkehrs — auch in vereinfachtem Betrieb durch Einsatz von Kleintriebwagen;
  • die Bekämpfung des Verkehrslärms an der Quelle durch weitere aktive und passive Lärmschutzmaßnahmen;
  • die Zusammenarbeit von Verkehrsunternehmen und die Schaffung von Verkehrsgemeinschaften und -verbünden;
  • die Anschaffung von Bussen und Bahnen — einschließlich der Möglichkeit zur Mitbeförderung von Fahrrädern;
  • die Errichtung von Rufsystemen;
  • die Schaffung landesweit miteinander verbundener Radwegenetze, getrennter Abbiegespuren und Ampeln.

Land- und Forstwirtschaft

‘‘‘49. ‘‘‘

Arbeitsintensivere Produktionsmethoden, die ohne den Einsatz nicht abbaubarer Chemikalien auskommen, müssen wirtschaftlich möglich gemacht werden, auch um die Verdrängung kleiner landwirtschaftlicher Familienbetriebe durch die Agrarpolitik der EG aufzuhalten. Die Erhaltung von Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft kann nicht durch Stabilisierung oder Erweiterung der Produktion, sondern durch die schrittweise Umorientierung landwirtschaftlicher Arbeit auf ökologische Betriebsformen und Landschaftspflege erreicht werden.

Deshalb streben wir an:

  • die Umstellung auf chemiearme Produktion;
  • die Umstellung auf extensive Bewirtschaftung in schützenswerten Landschaftsteilen;
  • den Verzicht auf landwirtschaftliche Produktion auf Grenzertragsböden;
  • Umweltförderprogramme für die Landwirtschaft (zum Beispiel Knick- und Baumpflegeprogramme, Patenschaften für Knicks und stillgelegte Flächen);
  • Programme zur Renaturierung von Grenzertragsböden (zum Beispiel gemeinsam mit Naturschutzverbänden und Schulen);
  • Förderprogramme für einen ökologischen Schutz für Randflächen zwischen landwirtschaftlich genutzten Anbaugebieten und Biotopen (besonders Flüsse und stehende Gewässer);
  • Unterstützung von ökologisch ausgerichteten Erzeuger- beziehungsweise Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaften (Grünes Netz);
  • die Erhaltung von Feuchtwiesen, Knicks und natürlichen Bachläufen beziehungsweise deren Wiederherstellung;
  • die Aufforstung mit standortgerechten Bäumen auf zerstörten Waldflächen;
  • der Ausnahme von Naturwaldparzellen aus der Forstwirtschaft;
  • Gülleregelungsprogramme;
  • Viehhaltung nach Betriebsgröße (Viehbestandsobergrenzen einführen). Massentierhaltung verbieten, weil sie intensiven Pharmakaeinsatz bedingt und Gesundheitsgefährdung auch für den Menschen nicht ausschließt;
  • Aufbau von Beratungsstellen für umstellungswillige Landwirte.

Naturschutz und Landschaftspflege

‘‘‘50. ‘‘‘

Vielfältige Aufgaben des Biotop- und Artenschutzes, der Renaturierung von Mooren und anderen Feuchtgebieten dürfen nicht allein Landschaftsnutzern wie Landwirten, Jägern, Förstern und Anglern überlassen bleiben. Hier ist zusätzliches Fachpersonal erforderlich, wobei sowohl der Staat als auch die Umweltverbände — vergleichbar etwa der Arbeit der vom Staat geförderten Wohlfahrtsverbände - als Träger entsprechender Maßnahmen in Frage kommen.

Freizeit und Fremdenverkehr

‘‘‘51. ‘‘‘

Arbeitszeitverkürzung bietet die Chance zu mehr Erholung und sinnvoller Freizeitgestaltung im Urlaub und zu Hause. Der Gefahr der kommerziellen Fremdbestimmung auch im Freizeitleben der Menschen (von der Spielhalle bis zur überdimensionierten Ferienanlage) setzen wir ein Freizeit— und Fremdenverkehrskonzept entgegen, das kulturelle Initiative fördert, Kreativität und Neugier auf die Auseinandersetzung mit der Umwelt und mit sich selbst weckt, das Spaß an der selbständigen Weiterbildung vermittelt und Gesundheit nicht nur als Wiederherstellung der Arbeitskraft, sondern als „Lebenswert an sich“ ansieht.

Naherholungsgebiete wie Fremdenverkehrsgebiete insgesamt leben dabei davon, dass eine natürliche und intakte Umwelt vorhanden ist. Zusätzliche Belastungen der Umwelt in diesem Bereich durch neue Anforderungen zu verhindern, ist daher gerade in einem Bundesland wie Schleswig-Holstein, in dem dieser Sektor einen entscheidenden Zukunftsbereich repräsentiert, Aufgabe von Politik.

Arbeit und Sozialpolitik

‘‘‘52. ‘‘‘

Durch die drastische Abnahme von Erwerbsmöglichkeiten entsteht eine erhebliche Belastung der sozialen Sicherungssysteme. Zum einen wird die Finanzierung bestehender Sozialversicherungssysteme durch die Abnahme der Zahl der Beitragszahler gefährdet, zum anderen nimmt die Zahl der Menschen zu, die auf Mittel der Sozialversicherung angewiesen sind. Wir reagieren darauf nicht allein mit Mitteln der klassischen Sozialpolitik, sondern durch aktive Beschäftigungspolitik und allgemeine Arbeitszeitverkürzung. Wir wollen auf die Einführung eines bedarfsgerechten sozialen Mindesteinkommens hinarbeiten, das deutlich höher als die heutigen Sozialhilfegesetze und Kleinstrenten ist.


‘‘‘53. ‘‘‘

Die Zunahme von Stress, psychosozialen und umweltbedingten Krankheiten erfordert in vie1 stärkerem Umfang vorbeugende Maßnahmen, als sie heute angeboten werden. Diese werden von staatlichen Gesundheitsdiensten, insbesondere von kommunalen Gesundheitsämtern, zu gewährleisten sein, die dabei mit der Sozialversicherung, freien Trägern und Selbsthilfegruppen eng zusammenarbeiten. In diesem Bereich können viele zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden.

Bildungs- und Wissenschaftspolitik

‘‘‘54. ‘‘‘

In der Bildungs- und Wissenschaftspolitik müssen wir neue Wege gehen, wenn wir für die Zukunft allen ein menschenwürdiges Leben sichern wollen. Wir können dabei an die insgesamt richtige Bildungspolitik der SPD seit Ende der 60er Jahre anknüpfen. Ihre Grundsätze wie Ausbildung für alle, Öffnung des Bildungssystems, Chancengleichheit, Demokratisierung der Institutionen, Orientierung der Inhalte am Leitbild des mündigen Staatsbürgers, Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung, haben auch für die Zukunft Bestand. Gleichzeitig müssen Bildungs- und Wissenschaftspolitik auf neue gesellschaftliche und ökologische Herausforderungen neue Antworten finden.


‘‘‘55. ‘‘‘

Die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und die Notwendigkeit ihrer sozialen Beherrschung verlangen einen weiteren Ausbau des Bildungssystems und gleichzeitig dessen Veränderung. Dabei müssen Bildung und Wissenschaft Vor allem folgende Aufgaben erfüllen:

  • Vermittlung der Fähigkeit, den technologischen Wandel gesellschaftlich zu beherrschen und zu steuern;
  • Vermittlung der Fähigkeit, laufend dazu- und umzulernen;
  • Vermittlung einer breiten Bildung, die darauf vorbereitet, dass bei wachsender Freizeit alle Menschen voll am sozialen und kulturellen Leben der Gemeinschaft teilhaben;
  • Sicherung eines hohen Standards an Forschung.


‘‘’56. ‘‘‘

Für Inhalte und Strukturen unseres Bildungssystems hat das folgende Konsequenzen:

  • Die Schulpflicht an den allgemeinbildenden Schulen beträgt zehn Jahre. Die Vermittlung von Kenntnissen über Inhalte, Probleme und Organisation der Arbeitswelt ist Unterrichtsgegenstand und wird durch Einführung der Arbeitslehre in allen 7. bis 10. Klassen verwirklicht. Dabei müssen die beruflichen Orientierungsmöglichkeiten und der Praxisbezug verstärkt werden.
  • Es ist ein gleichwertiger Abschluss der Sekundarstufe I für alle anzustreben.
  • Die Dauer der Erstausbildung soll unter Berücksichtigung erweiterter Allgemeinbildung und breiter beruflicher Grundbildung den Anforderungen des jeweiligen Berufes entsprechend festgelegt werden, wobei in alle schulischen und Hochschul-Ausbildungsgänge Praxisphasen eingebaut werden müssen.
  • In der Berufsausbildung muss der Anteil der Grundausbildung in Berufsfeldern ausgeweitet werden, Allgemeinbildung und Fachtheorie müssen ausgebaut werden.
  • Das System der beruflichen Vollzeitschulen mit anerkannten Berufsabschlüssen wird erweitert.
  • Die schulische und berufliche Ausbildung behinderter Kinder ist gezielt zu verbessern.
  • Die berufliche Weiterbildung wird mit dem Ziel neu geordnet, ein flächendeckendes Angebot zu schaffen, vergleichbare Abschlüsse anzubieten und die Angebote der Träger besser zu koordinieren. Die Möglichkeiten des Arbeitsförderungsgesetzes für die Ausbildung Erwachsener, für Umschulung und Weiterbildung werden aus- gebaut.
  • Die allgemeine und politische Weiterbildung muss ausgebaut werden, um die Fähigkeiten zu vermitteln, die wachsende Freizeit sinnvoll zu nutzen.
  • Die Hochschulen werden auch für die Weiterbildung Berufstätiger geöffnet.
  • Der wissenschaftliche Nachwuchs muss bessere Beschäftigungschancen erhalten. Die Zulassung zum Studium muss auch unabhängig vom Abitur möglich sein.
  • Die Studienreform wird über zentrale Kommissionen unter Beteiligung der Gewerkschaften zügig fortgesetzt.

Zur Finanzierung der Berufsausbildung muss eine Berufsbildungsabgabe erhoben werden, aus der Maßnahmen der betrieblichen, überbetrieblichen und außerbetrieblichen Ausbildung bezuschusst werden.


‘‘‘57. ‘‘‘

Die Hochschulforschung muss sich stärker als bisher an den Bedürfnissen der Gesellschaft orientieren und sich an der Lösung der aktuellen und der Zukunftsprobleme beteiligen. Die Konzentration von Mitteln und Personal auf die „Neuen Technologien“ geht bereits heute zu Lasten von Geistes- und Sozialwissenschaften. Im Bereich der Bio- und Gentechnologie drohen besondere Gefahren durch die Verquickung von Kapitalinteressen und Forschungsvorhaben, die nicht nur die Wissenschaftsfreiheit einschränkt, sondern auch die besonderen Risiken dieser Technologien einer wirksamen gesellschaftlichen Kontrolle entzieht.

Deshalb fordern wir,

  • dass die aktuellen und mittelfristigen Gefährdungen, die sich aus der wirtschaftlichen und technologischen Entwicklung für die Arbeitnehmer ergeben, in der Forschung Vorrang erhalten;
  • dass die sozialen, gesundheitlichen und ökologischen Folgewirkungen neuer Technologien wissenschaftlich überprüft werden;
  • dass Forschungsprogramme aufgelegt werden, deren Ziel es ist, Technologien zu entwickeln, die dem Erhalt der Gesundheit, der sozialen Existenz und der natürlichen Umwelt der Arbeitnehmer angepasst sind;
  • dass Forschung Möglichkeiten aufzeigt, durch wirksame Hilfe in der Dritten Welt und durch rationale Konfliktregelungen Frieden zu erhalten;
  • dass in der Grundlagenforschung neue Schwerpunkte wie “sanfte Technologien“, alternative Energiegewinnung, biodynamische Landwirtschaft, Netzwerke, unorthodoxe Pilotprojekte sowie neue Wohn- und Bauformen gesetzt werden.

Finanzierung ökologisch orientierter Produktionen

‘‘‘58. ‘‘‘

Zur Erhaltung und Sanierung der Umwelt müssen die Einführung ökologisch vertretbarer Produktionen und die Beseitigung von Altlasten massiv gefördert und finanziert werden. Gleichzeitig sind Anreize für ein umweltverträglicheres individuelles Verhalten zu schaffen. Dies erfordert weitreichende Änderungen unseres Steuer- und Abgabensystems:

  • Anhebung der Mineralölsteuer, dafür Abschaffung der Kfz-Steuer, sowie Umlegung der Haftpflichtversicherung auf den Benzinpreis;
  • Aufhebung der Werbungskostenpauschale für die Pkw-Benutzung vom Wohnort zum Arbeitsplatz und Umwandlung in eine verkehrsmittelneutrale Entfernungspauschale;
  • Erhebung einer Schwefel- und Stickoxidabgabe;
  • Erhöhung der Abwasserabgaben;
  • Erhebung einer Grundwasserabgabe;
  • Aufhebung aller degressiven Strom- und Wassertarife;
  • Belastung von Treibstoffen für Flugzeuge.


‘‘‘59. ‘‘‘

Zur Finanzierung ökologischer Produktionen fordern wir darüber hinaus eine Differenzierung der Mehrwertsteuer:

  • doppelter Satz auf Luxusgüter;
  • Ausgestaltung der Mehrwertsteuer als Rohstoffsteuer, indem sie für wertvolle Rohstoffe angehoben und der Vorsteuerabzug vermindert wird. Dies schafft Anreize sowohl zum sparsameren Umgang mit Rohstoffen als auch zur Errichtung eigener dezentraler Energieversorgungssysteme (Solar, Wind, Biogas, Abwärme usw.).


‘‘‘60. ‘‘‘

Bereits entstandene Umweltschäden lassen sich nicht allein durch Anwendung des Verursacherprinzips bereinigen. Hier ist, soweit erforderlich, nach dem Gemeinlastprinzip zu verfahren. Dies erfordert eine Stärkung der öffentlichen Einnahmen. In bestimmten Bereichen müssen „Altlasten“ durch die „Altverursacher“ getragen werden (zum Beispiel Sonderfonds im Bereich der chemischen Industrie).


‘‘‘61. ‘‘‘

Die Strafvorschriften für Wirtschafts- und Umweltkriminalität sind so zu verschärfen, dass-in jedem Falle das Risiko größer ist als der wirtschaftliche Gewinn. Dabei sind insbesondere die Vorschriften über die Beschlagnahme von Vermögensgegenständen zu erweitern.

Finanzierung aktiver Gesellschafts- und Beschäftigungspolitik

‘‘‘62. ‘‘‘

Die größere beschäftigungspolitische Verantwortung des Staates erfordert eine steigende Finanzausstattung. Weil aber schwach wachsende beziehungsweise stagnierende kapitalistische Wirtschaften durch eine von der Arbeit zum Sachkapital verlagerte Wertschöpfung gekennzeichnet ist, können steigende öffentliche Einnahmen auf Dauer nur durch ein grundlegend umgestaltetes Steuer- und Abgabensystem erzielt werden. Die Belastung mit Steuern und Sozialabgaben muss die Unternehmensgewinne und insbesondere die leistungslosen Vermögenserträge stärker einbeziehen.


‘‘‘63. ‘‘‘

Kernstück eines reformierten Abgabensystems ist es, alle Einkünfte aus Kapitalvermögen genauso sicher zu erfassen wie Lohneinkünfte. Hierzu ist eine Depotpflicht bei einem inländischen Kreditinstitut für alle Vermögensbestände erforderlich. Dabei sind alle Bestände und Erträge von Konten und Depots an das Finanzamt zu melden. Zur Schonung des „kleinen Sparers“ sollte der Sparerfreibetrag bei Kapitaleinkünften erheblich angehoben werden. Durch Gewinnabführungen an Arbeitnehmerfonds soll gemeinschaftliches Arbeitnehmervermögen geschaffen werden.


‘‘‘64. ‘‘‘

Die Steuereinnahmen sind auf folgende Weise zu sichern:

  • Anhebung des Einkommensteuertarifs bei Einkommensteilen, die 120.000 DM jährlich übersteigen;
  • Abschaffung des Ehegattensplitting;
  • Anhebung des Vermögenssteuersatzes für Großvermögen;
  • Anhebung der Erbschafts- und Schenkungssteuer. Die Freibeträge sind so zu gestalten, dass Durchschnittsverdiener und kleine Familienbetriebe nicht betroffen sind;
  • die Umgestaltung der Gewerbesteuer zu einer neuen kommunalen Steuer, die auch die freien Berufe einbezieht;
  • wirksame Maßnahmen gegen Steuerumgehung und Steuerhinterziehung;
  • die Bewertung der Grundstücke für die Erbschafts-‚ Schenkungs- und Vermögenssteuer erfolgt nach ihrem Verkehrswert.


Mehr steuerliche Gerechtigkeit

‘‘‘65. ‘‘‘

Zur Stärkung der inlandsbezogenen Kaufkraft und als Ausgleich für geringere Einkommenszuwächse infolge Arbeitszeitverkürzung sind für die unteren Einkommensgruppen folgende Entlastungen erforderlich:

  • Der Steuergrundfreibetrag wird familiengerecht gestaltet und erheblich heraufgesetzt.
  • Der Tarif soll die Einkommen im unteren Bereich stärker entlasten.
  • Die 7b-Abschreibung wird durch Festbeträge ersetzt.
  • Kinderfreibeträge werden aufgehoben. Dafür wird das Kindergeld erhöht.

Das Steuerrecht muss so klar sein, dass der Anspruch des Bürgers auf steuerliche Gleichbehandlung nicht nur auf dem Papier steht. Es ist sicherzustellen, dass nicht mit zunehmendem Einkommen in zunehmendem Maße Schlupflöcher zur Verfügung stehen, um den tariflich geschuldeten Steuern auszuweichen.

Für die Berechnung der Sozialabgaben wird ein Freibetrag eingeführt, der die Mitgliedschaftsrechte und Ansprüche unberührt lässt. Er stärkt die Nettolöhne und Kaufkraft und führt zu einer beschäftigungswirksamen Senkung von Lohnnebenkosten.

Diese Entlastungen werden durch die Anhebungen im oberen Einkommensbereich, die verschärfte Besteuerung der Kapitaleinkünfte und die erhöhten Produktsteuern ermöglicht. Ferner führt die aktive Beschäftigungspolitik zu Einsparungen beim Arbeitslosengeld, bei der Arbeitslosen- und Sozialhilfe.


Das wirtschaftspolitische Programm der SPD Schleswig-Holstein ist unsere Antwort auf die neuen Herausforderungen im Zusammenspiel von Mensch, Natur und Arbeit. Es ist ein Vorstoß, der tiefgreifenden wirtschaftlichen Krise mit den Folgen von Massenarbeitslosigkeit. Verarmung, Verschwendungswirtschaft und Umweltzerstörung eine neue Politik entgegenzustellen. Zwischen Kapitalismus und Kommunismus wollen wir einen dritten Weg, der eine soziale und demokratische Volkswirtschaft zum Ziel hat, die sich an ökologischen Grenzen und Maßstäben orientiert.

Hierin liegt ein Gebot der Zeit, das wirtschaftliches Wachstum um der Profite und seiner selbst willen durch qualitatives Wachstum der Wirtschaft ersetzt, ' das Arbeitslosigkeit beseitigt, Einkommen sichert, soziale Gerechtigkeit schafft, Lebensqualität fördert und die natürlichen Lebensgrundlagen schützt und schont.

Die neuen Herausforderungen erfordern neue Schwerpunkte und Instrumente wirtschaftlichen Handelns. Mit diesem Programm der SPD Schleswig-Holstein setzen wir

  • gegen die Arbeitslosigkeit für immer mehr Menschen, die Verkürzung der Arbeitszeit für alle und mehr Freiheiten in der Gestaltung von Arbeit und Arbeitszeit für die Beschäftigten;
  • gegen die Gefahren der Rationalisierung mit den Folgen der Entwertung von menschlicher Arbeit und der Vernichtung von Arbeitsplätzen, die gezielte Förderung von qualifizierter Arbeit und den konzentrierten Einsatz der wirtschaftlichen Kräfte für die Verbesserung der Lebensqualität, den Schutz unserer Umwelt und die Entwicklung von sozialer, kultureller und politischer Identität in unserer Gesellschaft;
  • gegen den Fortschrittsglauben der Vergangenheit, die Forderung nach einem ökologischen Umbau der Volkswirtschaft und nach Umweltverträglichkeit und sozialer Steuerung von neuen Technologien und Produktionsformen;
  • gegen die zunehmende Konzentration und Monopolisierung der Wirtschaft, die Förderung und Stärkung von selbständigen Unternehmen, Klein- und Mittelbetrieben in allen Regionen unseres Landes;
  • gegen die Entmündigung der Arbeitnehmer durch die wirtschaftliche Verfügungsgewalt von wenigen Kapitalisten, Managern in Großunternehmen und Banken sowie der nationalen und internationalen Wirtschaftsbürokratie; die Ausweitung von inner- und überbetrieblicher Mitbestimmung, die Wiederbelebung von genossenschaftlichen Betriebsformen und die begleitende öffentliche Information und Kontrolle über die wissenschaftlich-technische Innovation.

Diese neue Orientierung ergibt sich für uns aus dem offensichtlichen Versagen und Unvermögen der bisherigen Wirtschaftspolitik, eine soziale, demokratische und an ökologischen Gesetzmäßigkeiten ausgerichtete Volkswirtschaft zu schaffen. Das wirtschaftspolitische Programm für die Zukunft kann dabei nur das Ergebnis einer längerfristigen, ebenso offenen wie öffentlichen Diskussion mit den Arbeitnehmern und ihren Organisationen, mit unternehmerisch Tätigen und Selbstständigen in Handwerk, Handel und Produktion, mit Ingenieuren, Technikern und Wissenschaftlern aller Bereiche sein. Diese neue Orientierung in der Wirtschaftspolitik ist nur denkbar als Ergebnis einer Reformpolitik, von einer ebenso radikalen wie kontrollierten Veränderung und Erneuerung in den zielen und Instrumenten wirtschaftlicher Produktion.

Die gesellschaftliche Diskussion wird dabei einige Grundfragen unserer Existenz neu zu begreifen und vorurteilsfrei zu diskutieren haben.

  • Wie können wir die Trennung von Erwerbsarbeit und gesellschaftlicher Arbeit, zwischen privatem und öffentlichem Leben für immer mehr Menschen überwinden?
  • Wie können wir sicherstellen, dass alle Menschen, unabhängig von einer Erwerbstätigkeit, ein ausreichendes Einkommen haben und Armut, in welcher Form auch immer, endgültig der Vergangenheit angehört?
  • Wie können wir die wirtschaftliche Produktion derart in Einklang mit den ökologischen Grenzen und Gesetzmäßigkeiten bringen, da8 die Umwelt geschont und die Lebenschancen künftiger Generationen erhalten bleiben?

Das wirtschaftspolitische Programm der SPD Schleswig-Holstein soll hierzu ein Ansatz sein und helfen, die Zukunft der Arbeit neu zu gewinnen.