A1: Friedenspolitik heute (2014)

Aus Beschlussdatenbank der SPD Schleswig-Holstein
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Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Lübeck 2014
Bezeichnung: A1
Antragsteller: Landesvorstand


Beschluss: Angenommen


Positionen der SPD Schleswig-Holstein zur deutschen Außen- und Sicherheitspolitik

„So viel Kraft und Zeit die Innenpolitik auch immer fordern mag, es kann gut sein, dass Deutschland sich eines Tages den Vorwurf machen muss, es hätte die Chance verschlafen und die Möglichkeiten ungenutzt gelassen, die ihm die neue Lage nach dem Ende des Ost-West-Konflikts geboten hat. Das vereinte Deutschland steht, so souverän wie es die eingegangenen Bündnisverpflichtungen zulassen, d.h. so souverän wie jeder Staat, mit größerem Gewicht vor einem neuen Abschnitt seiner Geschichte… Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geteilt, beschützt und beherrscht ist es nun frei, seine Rolle zu bestimmen.“

(Egon Bahr, Deutsche Interessen, 1998)


Die neue Debatte über die internationale Verantwortung Deutschlands

Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat bei der Amtsübergabe im Auswärtigen Amt am 17. Dezember 2013 eine „kritische Selbstprüfung“ der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik angekündigt: „Wir brauchen heute einen erwachsenen, aufgeklärten Diskurs über den institutionellen Rahmen, in dem sich unser außenpolitisches Handeln bewegen soll, über das Maß an Verantwortung, das wir in den nächsten 10, 20 Jahren schultern können, aber auch darüber, wo die Grenzen unserer Leistungsfähigkeit sind. Deshalb will ich an den Beginn meiner zweiten Amtszeit eine solche Selbstverständigung über die Perspektiven deutscher Außenpolitik setzen… Und ich will das ganz bewusst nicht als klassischen innerministeriellen Prozess anlegen, sondern als Dialog des Auswärtigen Amtes mit den wichtigsten außen- und sicherheitspolitischen Stakeholdern unter Einschluss der Zivilgesellschaft.“

Die SPD Schleswig-Holstein begrüßt diese Debatte über die Ziele, Wege und Mittel deutscher Außen- und Sicherheitspolitik. Mit dieser Positionsbeschreibung wollen wir einen Beitrag dazu leisten. Wir tun dies, weil die Schleswig-Holsteinische SPD auf eine lange und gute Tradition erfolgreicher friedenspolitischer Initiativen zurückblicken kann. Bereits 1966 hat sich die schleswig-holsteinische SPD auf einem Landesparteitag („Eutiner Erklärung“) für eine neue Ost- und Entspannungspolitik ausgesprochen. Noch zu Zeiten der Teilung Europas hat sich Ministerpräsident Björn Engholm 1988 für eine engere wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit der Länder rund um die Ostsee ausgesprochen und dieser Region eine Brückenfunktion zwischen Ost und West zugesprochen. Und zu Recht kann Schleswig-Holstein als Vorbild für eine gelungene Minderheitenpolitik gegenüber den drei hier lebenden nationalen Minderheiten –die dänische Minderheit, die Volksgruppe der Friesen und die Sinti und Roma- gelten. Dazu kommt eine Verantwortlichkeit gegenüber der deutschen Minderheit in Dänemark. Alle in Schleswig-Holstein beheimateten nationalen Minderheiten stehen unter dem Schutz der Landesverfassung. Aus dieser Perspektive heraus sind wir überzeugt, dass gerade angesichts der Vielzahl an Krisen, Konflikte und Kriegen auf der Welt die Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands und Europas der Verständigung zwischen den Völkern und kulturellen Gruppierungen, der friedlichen Austragung von Konflikten, den Menschenrechten, der Abrüstung und der Schaffung einer gerechten Weltwirtschaftsordnung verpflichtet sein muss. Viele Konflikte entstehen in dem Spannungsverhältnis des Rechts auf nationale Selbstbestimmung einerseits und dem Prinzip der territorialen Integrität und der Unverletzlichkeit der Grenzen bestehender Staaten andererseits. Die aktuelle Ukraine-Krise zeigt, dass diese Debatte auch in Europa vordringlich ist, denn schlüssige befriedigende Antworten hierzu gibt es dazu bisher nicht.

Politik ist seit Gründung der SPD vor 150 Jahren der leidenschaftliche Kampf für die Interessen der Ausgebeuteten, Unterdrückten und Benachteiligten. Es ging immer darum diese Interessen umzusetzen in geltendes Recht. Von der Abschaffung der Kinderarbeit und des Achtstundentages über die Durchsetzung des Frauenwahlrechts und die Einführung der Arbeitnehmermitbestimmung in der Betriebsverfassung bis hin zur Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes in unseren Tagen: Immer war und ist es die durchgängige Strategie sozialdemokratischer Politik, das Recht des Stärkeren durch die Stärke des Rechts zu ersetzen. Willy Brandt hat dieses Prinzip auch für unsere internationale Politik postuliert. Angesichts von Kriegen und Bürgerkriegen, von Hunger und Elend, von Ausbeutung und Unterdrückung, der Missachtung von Menschenwürde und Menschenrechten in weiten Teilen der Welt, muss dieser strategische Ansatz in der internationalen Politik der SPD weiter energisch verfolgt werden: Wir wollen das Recht des Stärkeren durch die Stärke des Rechts ersetzen!

Die „kritische Selbstprüfung“ war gedacht als nüchterne Bestandsaufnahme und Erarbeitung neuer Perspektiven in ruhigem Fahrwasser. Die Ukraine-Krise hat jedoch schlagartig offenbart, dass Europa auch 25 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges noch keine neue stabile Friedensordnung gefunden hat. Im Gegenteil: Wir stellen überrascht fest, dass auch Europa weiterhin ein konfliktreicher und leicht entzündbarer Kontinent ist und dass das Ost-West-Blockdenken nicht überwunden ist. Wir erleben das gegeneinander völlig unterschiedlicher Narrative, die Brisanz ungelöster Integration nationaler, sprachlicher oder religiöser Minderheiten, die undurchsichtige Destabilisierung von Regierungen von außen sowie das alte Machtdenken in geopolitischen Einflussräumen und Blöcken.

In der Debatte geht es auch darum, in welchem Verhältnis Interessen und Werte in der Außen- und Sicherheitspolitik zueinander stehen. Deutschland ist eine der stärksten Volkswirtschaften der Welt und hat 2013 mit rund 260 Milliarden Dollar den weltweit höchsten Exportüberschuss erzielt, noch vor China und Saudi Arabien. 25 Prozent der deutschen Arbeitsplätze hängen vom Export und damit von der Entwicklung der Weltwirtschaft ab. Was bedeutet das für die zukünftige Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands im Zeitalter zunehmender Globalisierung, in dem Wirtschaftswachstum plus militärische Stärke als Ausdruck nationaler Größe und politischem Einfluss gesehen werden? Ist die so genannte „Kultur der militärischen Zurückhaltung“ Deutschlands auch künftig die richtige Antwort in einer Welt zunehmend heftigerer ökonomischer Verteilungskämpfe?

Neben dem Eintreten für soziale Gerechtigkeit steht die Friedenspolitik im Zentrum sozialdemokratischer Identität und Werteorientierung. „Wenn wir gefragt würden: Was habt ihr in den letzten Jahrzehnten zustande gebracht, so würde in unserer Antwort die Friedenspolitik nicht an letzter Stelle stehen. In der Tat: Das Ringen um Entspannung, Rüstungsabbau und Zusammenarbeit, um europäische Selbstbehauptung und jeden realistischen Ost-West-Ausgleich, das Einstehen für Menschenrechte und für mehr Gerechtigkeit und Vernunft in den Nord-Süd-Beziehungen: aus der Zusammenfügung dieser Inhalte ist ein gutes Markenzeichen der deutschen Sozialdemokratie geworden.“ (Willy Brandt, Abschiedsrede, Bonner Parteitag 1987)

Die aktuelle Debatte über die künftige Rolle Deutschlands in der internationalen Politik ist für uns Anlass, Notwendigkeit und Chance unsere Friedenspolitik weiter zu entwickeln. Auf welchen Wegen und mit welchen Mitteln soll sich Deutschland künftig international engagieren? Welche Interessen und Werte leiten uns dabei?

Dabei sind wir nicht auf der Seite derer, die fordern, Deutschland sollte sich in seiner Außenpolitik weitaus stärker und ausschließlicher als bisher von seinen wirtschaftlichen Interessen als rohstoffarmes und exportorientiertes Land leiten lassen, seine ethisch-moralischen Vorbehalte gegen militärische Interventionen abbauen und sich häufiger und stärker als bisher an internationalen Militäreinsätzen beteiligen.

Deutsche Außen- und Sicherheitspolitik muss Friedenspolitik sein. Die sozialdemokratische Friedenspolitik hat im Kalten Krieg der 1970er Jahre den minimalen außenpolitischen Spielraum Deutschlands genutzt und maximale Veränderungen bewirkt: von der Politik der kleinen Schritte zum Fall der Mauer, von den Berliner Passierscheinen zur deutschen Einheit.

Friedenspolitik heute heißt, in den internationalen Organisationen, in denen Deutschland ein Mitglied unter vielen ist -in der EU, dem Europarat, der NATO, der OSZE und der UNO- aktiv dazu beizutragen,

  • das Völkerrecht als verbindliche Grundlage des Zusammenlebens der Völker und Nationen zu stärken und durchzusetzen,
  • eine neue Weltwirtschaftsordnung als Grundlage für die Überwindung von Ausbeutung und Unterentwicklung in der Dritten Welt zu entwickeln und durchzusetzen,
  • die Entwicklungszusammenarbeit und die zivile Konfliktbearbeitung als Prävention gegen Krieg und Bürgerkrieg auszubauen und international effektiver zu organisieren,
  • den Umwelt- und Klimaschutz als Grundlage für dauerhaftes Leben auf der Erde aktiv zu fördern.
  • die Einhaltung von Minderheitenrechten in allen Staatsverfassungen zu gewährleisten und das Minderheitenrechte in allen Staatsverfassungen eingeführt werden.

Die Welt, die ihre Ordnung für das Zeitalter der Globalisierung noch nicht gefunden hat, braucht auf diesen Feldern einen starken Motor. Deutschland aufgrund seiner Geschichte, seiner internationalen Glaubwürdigkeit, seiner ökonomischen Kraft und sozialen Stabilität, der Fähigkeiten seiner Diplomatie und Zivilgesellschaft kann ein solcher starker Motor in der Weltinnenpolitik sein.

Deutsche Außenpolitik ist immer auch europäische Außenpolitik. Deshalb müssen unsere Positionen zur deutschen Außen- und Sicherheitspolitik in eine Fortentwicklung und Stärkung einer gemeinsamen Außenpolitik der Europäischen Union einfließen. In einer multipolar organisierten Welt ist ein deutscher und europäischer Einfluss nur durch eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU-Mitgliedstaaten zu realisieren. Eine weitere Vertiefung der EU muss deshalb auch die Außen- und Sicherheitspolitik umfassen.

Neue Herausforderungen in Europa und der Welt

Beiträge und Schwerpunkte deutscher Friedenspolitik

Der Charakter deutscher Außenpolitik: Motor für Friedenspolitik