Arbeitsmarktpolitik (1977)

Aus Beschlussdatenbank der SPD Schleswig-Holstein
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Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Bad Bramstedt 1977
Bezeichnung:
Antragsteller: Nicht aufgeführt


Beschluss: Angenommen


(Veröffentlicht in: „Zur Sache“ Nr. 5, 1977 - Herausgeber: SPD-Landesverband Schleswig-Holstein)


Allgemeine politische Strategie zur Erreichung der Vollbeschäftigung

Die bisherigen konjunktur- und arbeitsmarktpolitischen Instrumente haben sich unter heutigen Bedingungen als untauglich erwiesen, die Vollbeschäftigung wieder herzustellen. Das liegt unter anderem daran, dass ein großer Teil der Arbeitslosigkeit nicht von Konjunkturentwicklungen, sondern von Strukturen unserer Wirtschaft verursacht wird. Wirtschaftspolitik darf sich deshalb nicht mehr wie bisher weitgehend auf indirekte, nur rein quantitativ wirkende Anreize beschränken. Sie muss vielmehr auch direkt die Qualität und damit die strukturelle Entwicklung des Wirtschaftswachstums und der Produktion steuern.

Da davon auszugehen ist, dass nur noch wenige Bereiche der Produktion und der privaten Dienstleistungen Wachstum an Arbeitsplätzen aufweisen werden, hat sich die Arbeitsmarktpolitik dar-auf einzustellen, dass auch in den Bereichen Bildung und Ausbildung, Gesundheit, soziale Dienste und Umweltschutz zusätzlich dauerhafte Arbeitsplätze geschaffen werden müssen. In diesen Bereichen besteht ein Nachholbedarf an Arbeitskräften, der langfristig gesehen die Millionengrenze überschreitet. Dabei" ist davon auszugehen, dass die volkswirtschaftlichen Verluste und die Minderung an Steuer- und Beitragseinnahmen durch Arbeitslosigkeit und die Ausgaben für Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger mindestens ebenso hoch sind wie die Kosten für die Schaffung entsprechender Arbeitsplätze im Bereich Bildung und Ausbildung, Gesundheit, soziale Dienste und Umweltschutz. Nach vorsichtigen Schätzungen betrugen 1976 die direkten und indirekten Kosten der Arbeitslosigkeit 22 Milliarden DM. Eine expansive Arbeitsmarktpolitik im Bereich der öffentlichen Dienstleistungen ist deshalb ein wichtiger und notwendiger Beitrag zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit und zur Vermehrung der Arbeitsplätze.

Eine verstärkte Arbeitslosigkeit im Bereich der Produktion muss langfristig durch die notwendige Veränderung unserer Technik vermieden werden. Mit unserer bisherigen Technik verbrauchen wir mehr Rohstoffe, als für die Zukunft vorhanden sind, und zerstören mehr Umwelt, als wir wieder herstellen können. Deshalb ist heute die Entwicklung einer neuen Technik notwendig, wenn wir unseren Kindern Existenzchancen sichern wollen. Das gilt besonders für den Energiebereich. Bei rationeller Verwendung und alternativer Erzeugung von Energie ist er ein wichtiger Wachstumssektor der Zukunft. Hier können Arbeitsplätze zusätzlich geschaffen werden, die teilweise die ersetzen können, die durch Rationalisierung und Automation in anderen Bereichen verloren gehen können. Deshalb ist im Rahmen einer arbeitsmarktorientierten Wirtschaftspolitik auch eine neue Energiepolitik notwendig.

Schritte auf dem Weg zu einer neuen Wirtschaftspolitik

  1. Das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz ist in dem Sinne weiterzuentwickeln, dass sein Instrumentarium wirksamer als bisher der Sicherung der Vollbeschäftigung im Konjunkturverlauf dient.
    Die Geld- und Kreditpolitik der Deutschen Bundesbank ist durch entsprechende neue Bestimmungen des Bundesbankgesetzes verbindlich an der Konjunktur—, Beschäftigungs- und Strukturpolitik der Bundesregierung zu orientieren. Es ist auszuschließen, dass die Geld— und Kreditpolitik der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung entgegenwirkt.
  2. Die einschlägigen Gesetze der Strukturpolitik (die Gesetze über die Gemeinschaftsaufgaben, das Zonenrandhilfegesetz, das Gesetz über das ERP-Sondervermögen u. a.) sind dahingehend zu ergänzen, dass die Programme und Maßnahmen des Bundes und der Länder zur Bewältigung sektoraler und regionaler Strukturprobleme in den einheitlichen Rahmen eines "Strukturpolitischen Konzepts für die Bundesrepublik Deutschland" eingebracht werden. Alle Programme und Maßnahmen des Bundes und der Länder zur Bewältigung strukturpolitischer Probleme sind als Elemente zur Verwirklichung des “Strukturpolitischen Konzepts für die Bundesrepublik Deutschland" durchzuführen. Die Programme und Maßnahmen aufgrund der Haushaltsgesetze beachten die Ziele des Strukturpolitischen Konzepts.
    Die rechtliche Verankerung dieses neuen "Strukturpolitischen Konzepts für die Bundesrepublik Deutschland" sowie die nähere Bestimmung seiner Aufgaben erfolgt durch eine Erweiterung des Wachstums- und Stabilitätsgesetzes.
    Das "Strukturpolitische Konzept für die Bundesrepublik Deutschland" wird, nach seiner Beratung durch die Konzertierte Aktion und seiner Verabschiedung durch den Konjunkturrat für die öffentliche Hand, Bestandteil des Jahreswirtschaftsberichts der Bundesregierung.
    Darin wird es weiterentwickelt und anhand der erreichten Ergebnisse beziehungsweise der veränderten gesamtwirtschaftlichen Situation überprüft.
    Es wird ein Instrumentarium für die Erfolgs- und Wirksamkeitskontrolle des Strukturpolitischen Konzepts entwickelt.
    Der wissenschaftliche Rat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung wendet sich in seinen Jahresgutachten weit intensiver als bisher der strukturellen Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft zu. Sein Gesetzesauftrag ist entsprechend zu ergänzen.
  3. Weitere Ergänzungen des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes sehen vor:
    1. Als neues Instrument der Konjunktur- und Beschäftigungspolitik wird die Bildung von Investitionsrücklagen der Unternehmen vorgesehen, die in einem Fonds bei der Deutschen Bundesbank eingebracht werden. Einlagen in diesen Fonds, die zur Beruhigung des Konjunkturverlaufs verordnet werden, sind auf Vorschlag der Bundesregierung vom Konjunkturrat für die öffentliche Hand zur Verwendung durch die Einleger für Investitionen sowie für die Förderung der Lagerhaltung freizugeben. Die Freigabe erfolgt aus konjunkturpolitischen Erwägungen und nach struktur- und arbeitsmarktpolitischen Kriterien. Bei dieser Operation ist eine Beratung der Bundesregierung mit den Gewerkschaften notwendig.
    2. Bei der Veränderung des Volumens der öffentlichen Investitionsaufgaben, gemäß Wachstums- und Stabilitätsgesetz zur Anregung beziehungsweise Dämpfung des konjunkturellen Ablaufs, sind die Ziele des Strukturpolitischen Konzepts für die Bundesrepublik Deutschland zu fördern.
    3. Für geplante öffentliche und private Investitionen von einer bestimmten Größenordnung an wird eine Meldepflicht vorgesehen. Die Meldung enthält Höhe und Beginn der geplanten Investitionsmaßnahmen, unterteilt nach Anlage- und Bauinvestitionen. Die Angaben werden durch das Statistische Bundesamt nach Branchen und Regionen aufbereitet; sie dienen als Orientierung und als Unterlage bei der Erstellung des „Strukturpolitischen Konzepts für die Bundesrepublik Deutschland“.

Zur Weiterentwicklung der Gesellschaftspolitik

  1. Die Einführung eines 10. allgemeinbildenden Schuljahres, Ausbau des Berufsgrundbildungsjahres als 11. Schuljahr, bundesweite Einführung des Bildungsurlaubs, Ausbau der überbetrieblichen Weiterbildung und Umschulung sollen die Arbeitslosigkeit, besonders die Jugendarbeitslosigkeit, verhindern und abbauen helfen.
  2. Die Ausdehnung der flexiblen Altersgrenze, insbesondere auch für besonders gesundheitlich gefährdete Berufe (z. B. Schichtarbeit), längerer Urlaub (Änderung des Mindesturlaubsgesetzes), kürzere Arbeitszeit und Reduzierung von Überstunden und Sonderschichten sollten zu einer solidarischen Verteilung der vorhandenen Arbeit beitragen, und durch Schaffung breiterer Arbeitstätigkeiten mit größerer Eigenverantwortung ist die Arbeit zu humanisieren. Dabei sollen die Gewerkschaften durch eine solidarische Tarifpolitik zu einer gerechteren Verteilung von Arbeitsplätzen und Einkommen unter den Arbeitnehmern beitragen. Besonders durch eine solidarische Lohnstrukturpolitik in den Branchen und zwischen den Branchen ist eine gerechtere Einkommensverteilung unter den Arbeitnehmern anzustreben. Dazu gehört die Reform des öffentlichen Dienstes, vor allem unter Berücksichtigung einer gerechteren Besoldung.
  3. Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung sind durch eine Arbeitsmarktabgabe von allen natürlichen und juristischen Erwerbspersonen zu ersetzen. Diese Abgabe soll in der Tarifgestaltung der Lohn- und Einkommenssteuer entsprechen.
  4. Die Zahlung von Arbeitslosenunterstützung ist an die Bereitschaft, sich umschulen oder fortbilden zu lassen, zu koppeln, und die von Arbeitslosen anzunehmenden Arbeiten sind auf alle zumutbaren Arbeiten, für die der Arbeitslose aufgrund seiner allgemeinen körperlichen und geistigen Fähigkeiten generell geeignet ist, auszudehnen.
  5. Offene Stellen sind zunächst dem Arbeitsamt zu melden, bevor sie auf andere Weise öffentlich ausgeschrieben werden. Den Arbeitsämtern sind verbesserte Möglichkeiten der Veröffentlichung zu schaffen.
  6. Dem zuständigen Arbeitsamt müssen Produktionseinschränkungen mindestens drei Monate vorher gemeldet werden, wenn mehr als 5 Prozent, und sechs Monate vorher, wenn mehr als 15 Prozent der Belegschaft von Betrieben mit 100 und mehr Beschäftigten davon durch Entlassungen bedroht sein werden. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift macht Kündigungen unwirksam.
  7. Überstunden und/oder Sonderschichten sind vom zuständigen Arbeitsamt zu genehmigen. Genehmigungen dürfen nur erteilt werden, wenn die Überstunden und Sonderschichten nicht durch Einstellung von zusätzlichen Arbeitskräften vermieden werden können. Ihre Notwendigkeit hat der Arbeitgeber unter Mitwirkung des Betriebsrates im Antrag zu begründen.