BTW2: Bundeswahlprogramm im Bereich Gesundheit (2009): Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 6. Mai 2013, 13:05 Uhr

Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Elmshorn 2009
Bezeichnung: BTW2
Antragsteller: Arbeitsgemeinschaft der Sozialdemokraten im Gesundheitswesen (ASG)


Beschluss: Überwiesen an Parteivorstand, Programmkommission

Bundeswahlprogramm im Bereich Gesundheit


Der Landesparteitag möge beschließen:

den anliegenden Entwurf eines Programms für den Bereich Gesundheit als Diskussionsgrundlage für das Bundeswahlprogramm in derselben Rubrik an die Bundespartei weiterzureichen und zu unterstützen.


Gesundheit – Investition in die Zukunft. - eine Verantwortung für die Gemeinschaft, ein Recht für jeden -

Gleiche Gesundheitschancen und die solidarische Absicherung des allgemeinen Lebensrisikos Krankheit für alle Menschen sind wesentliche Voraussetzungen für Freiheit in der Lebens­gestaltung und für gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe. Sie tragen zu einem würdigen Leben, zu einer guten Lebensqualität, zu gesellschaftlichen Wohlstand, zu ökonomischer Prosperität und damit zum gesellschaftlichen und sozialen Frieden bei.

Für Sozialdemokraten ist die Verbesserung und Erhaltung der Gesundheit aller Bürgerinnen und Bürger Aufgabe und Verantwortung staatlicher Daseinsvorsorge. Deshalb wollen wir sie als Staats­zielbestimmung in unsere Verfassung aufnehmen.

Veränderte Arbeitsbedingungen, beschleunigte gesellschaftliche Veränderungen, die Verunsicherung und Überforderung vieler Menschen, auch bei der Absicherung der persönlichen Existenz, und die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich haben erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung. Wachsende soziale Unterschiede im Gesundheitszustand und in der Lebenserwartung sind zentrale Gerechtigkeitsfragen. Sie beeinträchtigen zunehmend die Leistungsfähigkeit von Gesellschaft und Wirtschaft und gefährden den sozialen Frieden. Deshalb sind gleiche Lebens- und Gesundheitschancen, gesundheitliche Vorsorge und Versorgung für alle das zentrale Anliegen sozialdemokratischer Politik.

Die gesetzliche Krankenversicherung stellt die Grundlage unseres solidarisch finanzierten Gesund­heitswesens dar. Die Finanzierung bedarfsgerechter Versorgung allein aus Lohneinkommen bei fort­schreitender Entsolidarisierung und strukturellem Wandel in der Arbeitswelt begrenzen zunehmend die finanzielle Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung. Die bereits feststellbaren Elemente einer Zwei-Klassen-Medizin sind für eine Gesellschaft, die auch ein Gemeinwesen dar­stellen soll, ebenso wenig hinnehmbar, wie die fortschreitenden sozial bedingten Ungleichheiten im Gesundheitszustand der Bevölkerung. Wir wollen eine Verantwortung aller Gesellschaftsschichten mit einer gemeinsamen und solida­rischen Finanzierungsgrundlage für die Zukunftsinvestition Gesundheit mit einer gleichberechtigten Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger.

Immer mehr Menschen fühlen sich in den Strukturen des Gesundheitswesens nicht mehr auf­gehoben. Dies hat vorwiegend damit zu tun, dass die Strukturen des heutigen Gesundheitssystems in Deutschland ein Verhalten aller Beteiligten begünstigen, eine Verantwortung für das Gesamtsystem von sich weg auf die die jeweils anderen Beteiligten abzuschieben. Ungeachtet hervorragender Qualität der Einzelleistungen nehmen Sicherheitsgefühl und Vertrauen in die Leistungen des Gesundheitswesens ab. Die patientenzentrierte und ganzheitliche Versorgung ist unzureichend. Der Patient muss wieder im Zentrum der Versorgung stehen. Niemand darf aus finanziellen Gründen vom medizinischen Fortschritt abgekoppelt werden.

Im Zeichen unserer Zeit wollen wir Sozialdemokraten auch im Gesundheitswesen eine neue Kultur von Verantwortung beginnen. Alle Beteiligten – die Gesellschaft in der Finanzierung, die Bürgerinnen und Bürger in der Nutzung, die Krankenkassen und die Leistungserbringer in der Koordination ihres Angebotes und letztlich die Politik in ihrer Steuerungsfunktion – müssen in einer neuen Verantwortungsgerechtigkeit ihre Pflichten für ein solidarisches Gesundheitswesen anerkennen und umsetzen. Aus der Erfüllung dieser Pflichten erwächst das Recht aller Bevölkerungsschichten auf eine individuell optimale Gesundheitsversorgung und kann sich die Freiheit von Krankenkassen und medizinischen Leistungsanbietern ableiten, diese Gesundheitsversorgung zu gestalten.


Für eine gerechte und solidarische Finanzierung: Die Bürgerversicherung

Die Sicherstellung und Wiederherstellung der Gesundheit aller ist eine solidarische Aufgabe aller Bürgerinnen und Bürger. Unser Konzept von einer Bürgerversicherung soll den Ausstieg ganzer Bevölkerungsschichten aus dieser Solidarität verhindern und gleichzeitig die Finanzierung von der Einengung der lohnbezogenen zur verbreiterten Basis einkommensorientierter Beiträge erweitern.

Ein Risikostrukturausgleich unter allen Kostenträgern des Gesundheitswesens sowie ein regionaler Finanzausgleich stellen die Grundvoraussetzung für die Angleichung der Lebensverhältnisse auch im Gesundheitswesen dar.

Kopfpauschalen als Grundlage einer sogenannten medizinischen Grundversorgung sowie kassen­individuelle Zusatzbeiträge, privater Zusatzversicherungen für verbesserte Gesundheitsleistungen und andere Sonderbeiträge zulasten der Versicherten lehnen wir ab.


Mehr Gesundheit für alle – Vorsorge ausbauen

Gesundheitliche Lebens-, Wohn- und Arbeitsbedingungen für alle Bürgerinnen und Bürger, die Vermeidung von Krankheiten und vor allem der Ausgleich sozialer Unterschiede in Gesundheits­chancen und Lebenserwartung sind zentrale Elemente des vorsorgenden Sozialstaates.

Jedes Kind hat ein Recht auf gesunde Lebensbedingungen und umfassende Gesundheitserziehung und -vorsorge. In der Umsetzung dieses Rechtes sehen wir eine Verpflichtung aller Beteiligten, die für das Wohl von Kindern Verantwortung tragen.

Gezielte und systematische Gesundheitsvorsorge auch im Alter vermindert chronische Erkrankungen, erhält die Lebensqualität und vermindert Pflegebedürftigkeit. Gesundheitsvorsorge kann in einem Zwangssystem nicht funktionieren. Die politische Anstrengung besteht vielmehr darin, stets dafür zu werben, dass jedermann/jedefrau darin eine gesundheitliche Verantwortung für sich und damit auch solidarisch für die Gemeinschaft wahrnimmt.

Wir wollen gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit und zur Sicherung der Lebensqualität aller Erwerbstätigen voranbringen. Dem Gendergedanken wollen wir im Gesundheitswesen durch geschlechterspezifische Forschung und Versorgung Geltung verschaffen.

Durch ein Präventionsgesetz wollen wir die gesundheitliche Vorsorge von Anbeginn stärken und Gesundheitsziele als Handlungsrahmen definieren. Bund, Länder, Kommunen, Sozialversicherungs­träger, gesetzliche und private Krankenversicherungen müssen sich an Organisation, Gestaltung und Finanzierung beteiligen.


Lebensqualität stärken – für eine gute Pflege

Die demografische Entwicklung stellt unsere Gesellschaft vor große Herausforderungen. Mit der Pflegereform 2008 wurden wichtige Grundlagen für die Zukunft der Pflege gelegt. Die Reformen müssen fortgesetzt werden:

  1. Wir wollen die Bürgerversicherung auch für die Absicherung des Pflegerisikos einführen.
  2. Mit der Weiterentwicklung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs wollen wir die Hilfen der Pflegeversicherung zielgenauer auf die individuellen Notwendigkeiten der Pflegebedürftigen ausrichten. In dieser Weiterentwicklung müssen auch die Betreuungsnotwendigkeiten psychisch kranker Menschen eingebunden werden.
  3. Unter Beteiligung von Ländern und Kommunen sollen die „Hilfen vor Ort“ weiterentwickelt werden, um pflegebedürftige Menschen möglichst lange in der eigenen Häuslichkeit ver­sorgen zu können.
  4. Professionelle Pflege, Familienselbsthilfe und Nachbarschaftshilfe sollen als aktive Bürgerhilfe besser vernetzt werden
  5. Individuelle Pflegebedürftigkeit und Krankheit lassen sich oft nicht voneinander trennen. Deshalb müssen Pflege und Gesundheitsversorgung besser miteinander verbunden werden.


Seelische Gesundheit stärken – psychisch Kranken wirksam helfen

Psychische Beeinträchtigungen gehören zwischenzeitlich zu den häufigsten Diagnosen. Nur eine Kurskorrektur in der Politik mit verlässlicher Beschäftigungssicherung, fairer Lohnpolitik und fördende, statt ausgrenzender Bildung reduzieren die Folgen aus Existenzangst und Verzweifelung.

Um auch für schwer psychisch Kranke bedarfsgerechte Hilfen in ihrer jeweiligen Heimatregion sicherzustellen, sind regionale Gemeindepsychiatrische Verbünde in die Verantwortung zu nehmen, Betreuungsmöglichkeiten zu schaffen, die die Betroffenen nicht sozial isolieren und ihnen eine weitestmögliche Eingliederung in die Gesellschaft und größtmögliche Selbstständigkeit erlaubt.


Die Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen

Eine patientenorientierte, flächendeckende, medizinische, rehabilitative, pflegerische und soziale Verantwortung ist unabdingbar für eine älter werdende Gesellschaft. Dazu ist die integrierte, möglichst regionale Versorgung zu verstetigen und durch eine verlässliche Finanzierung dauerhaft zu sichern. Gleiches gilt für die Versorgung chronisch kranker Menschen durch Leitlinien gestützte und evidenzbasierte Behandlungsprogramme.

Krankenhäuser müssen mit einer soliden finanziellen Grundlage ihre wichtige Versorgungsaufgabe erfüllen können. Wir fordern, dass die Länder ihrer Investitionsfinanzierungsverpflichtung ver­bindlich nachkommen. Nur bei ausreichender personeller Ausstattung ist qualitätsgesicherte Arbeit in den Kliniken möglich- Das DRG-System hat sich bewährt und muss konsequent qualitätsorientiert weiter entwickelt werden.

Wir fordern, dass die Erstattungsfähigkeit von Arzneimittelkosten zukünftig an den Nachweis des tatsächlichen Mehrnutzens – sowohl des medizinischen als auch in der wesentlich verbesserten Handhabbarkeit – gebunden wird. Scheininnovationen dürfen nicht weiter zu Lasten der solidarischen Versichertengemeinschaft finanziert werden.


Gute Arbeit in Medizin und Pflege

Gute Arbeit zu schaffen, ist das Ziel der SPD für alle Bereiche der Arbeitsgesellschaft. Gute Arbeitsbedingungen, Ausbildungs-, Aufstiegs- und Qualifikationsmöglichkeiten, Vereinbarkeit von Familie und Beruf und faire Löhne haben im Gesundheitswesen einen besonders hohen Stellenwert.

Gerade für Beschäftigung, die Dienst am Menschen ist, muss ein Einkommen selbstverständlich sein, welches ein auskömmliches Dasein ermöglicht. Deshalb brauchen wir gesetzliche Vorgaben, die verbindlich regeln, dass aus Sozialbeiträgen finanzierte Arbeitsplätze grundsätzlich sozialver­sicherungspflichtig und tarifgebunden sein müssen.


Gesundheit ist Kernbereich öffentlicher Daseinsvorsorge

Die gesetzlichen Krankenkassen sollen die Sachwalter unserer solidarischen Krankenversicherung bleiben. Durch den bisher etablierten Kassenwettbewerb der etwa 200 Kassen werden sie zu betriebswirtschaftlichen Denken und Handeln gezwungen, welches einer solidarischen Gesundheitspflege entgegensteht. Jede Kasse kümmert sich nur um die eigenen Versicherten. Niemand in Deutschland hat die Verantwortung für eine effiziente und sachgerechte Versorgung in der Fläche. Wir wollen dafür sorgen, dass die Kassen diese Verantwortung auf Landesebene in Zukunft gemeinsam tragen. Die Solidargemeinschaft darf nicht geteilt und von der Gesundheitsindustrie beherrscht und instrumentalisiert werden!