Demokratie sozialer machen - Schleswig-Holstein-Programm der Sozialdemokraten (1974)

Aus Beschlussdatenbank der SPD Schleswig-Holstein
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Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Bad Segeberg 1974
Bezeichnung:
Antragsteller: Nicht aufgeführt


Beschluss: Angenommen



Ziele und Bedingungen einer Politik für Schleswig-Holstein

A. Probleme und Ursachen

1. Privater Wohlstand . . .

Den meisten Menschen unseres Landes geht es besser als je zuvor: Sie haben ausreichend zu essen, einen eigenen Wagen, moderne Geräte in Küche- und Haushalt, Entspannung und Unterhaltung vor dem Fernsehapparat. Vor materieller Not schützt sie ein umfassendes System sozialer Sicherheit. Und für sich und ihre Familien haben sie soviel Freizeit durchgesetzt wie noch nie.


2. . . . und eine Fülle neuer Probleme

Aber dieses Wachstum an privatem Wohlstand haben wir mit einer Fülle neuer Probleme bezahlt: Noch nie war die Luft so ungesund für uns Menschen, noch nie war sauberes Wasser so knapp. In den Ghettos der ausländischen Arbeitnehmer, in menschenunwürdigen Lebensverhältnissen, schaffen wir das Unterproletariat von morgen, produzieren wir gesellschaftspolitischen Sprengstoff. Und während unsere Städte durch die Zusammenballung von immer mehr Menschen in Müll und Autos ersticken, bleibt in weiten ländlichen Räumen kaum noch eine Mindestversorgung an Bildung oder Gesundheit für die Zurückgelassenen.


3. Probleme wachsen schneller als Lösungsmöglichkeiten

Unsere Gesellschaft hat mit der Fülle der Güter und Leistungen zur Deckung privater Bedürfnisse eine Fülle neuer gesellschaftlicher Probleme erzeugt. Und wir laufen Gefahr, von den sozialen Folgen unseres privaten Wohlstandes überrollt zu werden. Weil die Erfahrung zeigt, dass die Probleme schneller zunehmen als die Bereitschaft und die Mittel der Gesellschaft und des Staates zu ihrer Bewältigung.


4. Das hat jeder am eigenen Leib gespürt. Das kann man am Straßenverkehr nachweisen, wo der Straßenbau mit der wachsenden Motorisierung nicht mehr mitkommt. Das kann man am Umweltschutz zeigen, wo Milliardenbeträge für die Reinigung von Flüssen und Seen ausgegeben werden müssten, die zuvor rücksichtslos verschmutzt wurden. Das gilt für die Gesundheitsversorgung, wo die Einrichtungen und das Personal mit der Zunahme von Krankheiten und Schäden eines inhumanen Produktions- und Verschleißprozesses nicht Schritt halten können. Und hinterlässt seine Spuren in der Arbeiterbewegung, wo die Auseinandersetzungen zwischen den Klassen zunehmend zu Auseinandersetzungen in der Klasse werden, indem einzelne Gruppen ihre Errungenschaften und ihre Vorurteile gegen den Rest der Lohnabhängigen mit Klauen und Zähnen verteidigen, statt sich für deren Interessen einzusetzen.


5. Inhumanität der „Sachzwänge“

In dieser profitorientierten Gesellschaft laufen wir Gefahr, dass der Mensch nur noch daran gemessen wird, wie er als Arbeitnehmer oder als Konsument verwertet werden kann. Dass er der Inhumanität sogenannter technischer oder wirtschaftlicher Sachzwänge unterworfen wird, statt Technik und Wirtschaft zur Schaffung einer humanen Gesellschaft zu beherrschen. Wer sich den Sachzwängen nicht beugen kann oder will, wird an den Rand gedrängt, wird isoliert: alte Menschen, kinderreiche Familien, ausländische Arbeitnehmer. Wer seine Ellenbogen nicht benutzen will oder kann, hat keine Aussicht auf sozialen Aufstieg und öffentliche Anerkennung.


6. Frage nach den Ursachen

Wenn die Probleme schneller wachsen als die Möglichkeiten der Gesellschaft zu ihrer Lösung, muss man nach den Ursachen fragen. Man muss die Frage beantworten, ob es höhere Gewalt ist, wenn das Wasser von Flüssen und Seen ungenießbar wird. Man muss die Frage beantworten, ob es ein naturnotwendiger Prozess ist, wenn Jahr für Jahr mehr Menschen von Autos zu Tode oder zum Krüppel gefahren werden. Oder ob die Menschen nicht selbst die Verantwortung dafür tragen, dass sie die Grenzen hemmungslosen Wirtschaftswachstums zu spüren bekommen.


7. Schon vor hundert Jahren haben die Naturfreunde die Folgen der Technisierung für die Umwelt beschworen. Aber noch vor wenigen Jahren sind sie beliebte Objekte von Karikaturisten gewesen. Noch 1961 wurde Willy Brandt von den Konservativen verlacht, als er den blauen Himmel über der Ruhr zum Thema der politischen Auseinandersetzung machte. Die meisten Probleme von heute wurden frühzeitig erkannt oder hätten erkannt werden können. Aber sie wurden bei den Planungen von Investition und Produktion nicht berücksichtigt.


8. Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung

Im Godesberger Programm wird es als „Widerspruch unserer Zeit“ bezeichnet, dass der Mensch die Produktivkräfte aufs höchste entwickelt, aber gleichzeitig die natürlichen Bedingungen des Lebens zerstört habe. Dass der Mensch ungeheure Reichtümer angesammelt habe, ohne allen einen gerechten Anteil an der gemeinsamen Leistung zu verschaffen. Der Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung bestimmt noch immer die Gesellschaft der Bundesrepublik. Und eine Minderheit kann dadurch verhindern, dass die Mittel und Möglichkeiten unserer Gesellschaft genutzt werden, um unsere Probleme zu lösen.


9. Machtstrukturen der Gesellschaft

Da sind in erster Linie die Machtstrukturen unserer Gesellschaft, wo die Mächtigen in den Vorstandsetagen der großen Konzerne, Verbände und Bürokratien für den sozialen Schaden nicht aufkommen müssen, den sie anrichten. Wo die Unternehmer die finanziellen Folgen und die sozialen Spannungen durch die Anwerbung von ausländischen Arbeitnehmern nicht in ihre Kostenrechnung aufnehmen müssen. Wo für die Reinigung von Abwässern und die Beseitigung von Müll diejenigen nicht zu zahlen haben, die das Wasser verschmutzt und den Müll produziert haben. Das sind einerseits die Machtstrukturen einer Gesellschaft, in der Bürokratien und Verwaltungen sich oft an Problemen von gestern orientieren, anstatt den erkennbaren Schwierigkeiten der Zukunft rechtzeitig nach den Interessen der Mehrheit zu begegnen. Das sind andererseits die Macht— Strukturen einer Gesellschaft, in der die gesellschaftliche Produktion von wenigen Reichen und Mächtigen nach ihren eigenen Interessen und nicht nach den Interessen der Mehrheit geplant und gelenkt wird.


10. Struktur des Staatsapparats

Das ist aber der Widerspruch zwischen den Strukturen von Staat und Gesellschaft und den Problemen von heute und morgen, wo der Staatsapparat häufig hilflos ist gegen- über Großindustrie und Banken, die die modernsten Techniken praktizieren. Wo der Staatsapparat noch nicht in der Lage ist, langfristige politische Planungen zu entwickeln. Wo die Organisation von Verwaltungen und Parlamenten noch überwiegend hierarchisch aufgebaut ist und Einzelprobleme ohne Rücksicht auf den Gesamtzusammenhang angepackt werden.


11. Struktur der Massenmedien

Das ist dann schließlich auch der Widerspruch zwischen dem Anspruch des Grundgesetzes auf Meinungs- und Informationsfreiheit und den privatwirtschaftlich organisierten Massenmedien, durch die das Bewusstsein der breiten Masse mit Meinungsmanipulation und Konsumzwang im Interesse der wirtschaftlich Mächtigen beeinflusst wird. Wo Arbeitnehmern eingehämmert wird, die bestehende Ordnung sei die bestmögliche. Und wo Verbraucher glauben müssen, die automatische Mama-Puppe sei für die Kinder wichtiger als ein kommunales Hallenbad.


12. Grenzen der Politik

Die strukturellen Widersprüche haben zur Folge, dass die Politiker für Entwicklungen verantwortlich gemacht werden, die sie gar nicht verschuldet haben und auch gar nicht oder kaum beeinflussen können.
Das trifft für die Preissteigerungen genauso zu wie für Strukturprobleme in Landwirtschaft oder Bergbau. Solange wir dem Staat die Möglichkeit verweigern, planend und lenkend in den Wirtschaftsprozess einzugreifen, so lange können wir ihm nicht vorhalten, dass er genau das nicht getan hat.


13. Und damit sind dann gleichzeitig die Grenzen beschrieben, die der Politik kurz- und mittelfristig von außen gesetzt sind.
Und die Grenzen, die von der Politik langfristig überschritten werden müssen, wenn überhaupt politisches Handeln als Einflussnahme durch Vertreter der Mehrheit der Bevölkerung noch möglich sein soll.


14. Politik muss strukturelle Widersprüche unserer Gesellschaft beseitigen helfen. Das haben die Menschen in der Hand, weil es keine Automatik der Geschichte gibt. Aber der Handlungsraum für Politik in einem Bundesland oder auch in Bonn ist beschränkt. Die Menschen können sich damit abfinden. Sie können alles laufen lassen wie bisher. Oder sie können politische Entscheidungen verlangen, mit denen in Bund, Land und Kommunen der Druck der Probleme gemindert und der Entscheidungsraum für Lösungsmöglichkeiten ausgeweitet wird.


15. CDU will keine Veränderungen

Von den in der CDU organisierten Wirtschaftsinteressen sind solche Entscheidungen nicht zu erwarten. Die wollen keine Veränderungen. Und die CDU hat nach dem Krieg alles getan, um Staat und Gesellschaft nach diesen Interessen zu organisieren. Das gilt besonders für Schleswig-Holstein, wo die CDU in über 20 Jahren Regierung zu einer Partei geworden ist, die so tut, als gehöre ihr der Staat.


16. Auch in Schleswig-Holstein geht es uns besser als jemals zuvor. Dennoch hinken wir hinter den meisten anderen Bundesländern her. Wir haben - dank der CDU-Regierung - einen übergroßen Anteil der Probleme zu lösen. Wir leben von Wirtschaftszweigen, die laufend auf Subventionen angewiesen sind. Und wir leben in einem Land, dessen eine Regionen aus Mangel an Menschen veröden, dessen andere Regionen an unkontrollierter Ballung zu ersticken drohen.

B. Grundwerte und Maßstäbe sozialdemokratischer Politik

C. Mittel und Methoden sozialdemokratischer Politik

D. Schwerpunkte einer Entwicklungsstrategie für Schleswig-Holstein

Besser leben in Städten und Gemeinden

Gesunde Umwelt für Arbeit, Freizeit und Erholung

Verkehrspolitik für den Menschen

Ausbildung für die Zukunft

Grundrecht auf Gesundheit

Mehr Demokratie auch in Schleswig-Holstein

Mit dem Bund für Schleswig-Holstein