II LV1: Resolution zur Energiepolitik (1977)

Aus Beschlussdatenbank der SPD Schleswig-Holstein
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Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Tönning 1977
Bezeichnung: II LV1
Antragsteller: Landesvorstand


Beschluss: Angenommen


(Veröffentlicht in: „Zur Sache“ Nr. 1, Juni 1977 - Herausgeber: SPD-Landesverband Schleswig-Holstein)


Zur Lage der Diskussion über die Energiepolitik

Der Beschluss des Landesvorstandes der schleswig-holsteinischen SPD, der sich für eine ergebnisoffene Diskussion über das Für und Wider der friedlichen Nutzung der Kernenergie ausgesprochen hatte, hat dazu beigetragen, eine grundlegende energiepolitische Debatte innerhalb der Partei auszulösen und damit auch die Debatte über unser aller Zukunft einzuleiten. Damit hat sich der Landesverband der SPD in Schleswig-Holstein den Fragen gestellt, die schon frühzeitig von Bürgerinitiativen aufgeworfen worden sind.

Wir befinden uns jetzt weltweit an einem Entwicklungspunkt, der die Menschheit zwingt, die natürlichen Grenzen und Möglichkeiten der Erde zu erkennen und einzuhalten und die verfügbaren Naturschätze und technischen Kräfte sparsamer zu verwalten und gerechter zu verteilen, als es in der Vergangenheit geschehen ist.

Viele Probleme, die dabei gelöst werden müssen, wurden und werden durch ein wirtschaftliches Denken und Handeln erzeugt, das immer noch überwiegend die Problemlösung in einer nur quantitativen Produktionsausweitung sucht und dabei die Interessen der kurzfristigen Kapitalverwertung in den Vordergrund rückt und oftmals nur egoistische Nationalinteressen verfolgt.

Diese Interessen stehen aber oft im Gegensatz zu

  • gesamtgesellschaftlicher Vernunft (volkswirtschaftliche Kostennutzungsrechnung),
  • nationaler und internationaler Gerechtigkeit und Solidarität,
  • den natürlichen und nicht beliebig vermehrbaren Lebensgrundlagen der Menschen,
  • humanen Arbeitsbedingungen,
  • den Grundsätzen der Lebensqualität,
  • den Grundwerten der Demokratie und Selbstbestimmung,
  • den Interessen zukünftiger Generationen.


Mit diesen Problemen muss sich die SPD besonders in der energiepolitischen Diskussion auseinandersetzen.

Deswegen fordert der Landesparteitag eine unvoreingenommene und ergebnisoffene Diskussion über die Chancen und Risiken der friedlichen Nutzung von Kernenergie und unterstützt die politische Forderung nach einem Baustopp. Das bedeutet

  • für alle Kernenergieprojekte bis auf weiteres einen Genehmigungs-, Bau- und Inbetriebnahmestopp anzuordnen; eine Energiepolitik, die der Möglichkeit Rechnung trägt, ohne die friedliche Nutzung der Kernenergie auskommen zu können;
  • ein geschlossenes Konzept aller Entsorgungs-‚ Wiederaufbereitungs- und Endlagerungsmaßnahmen unter Offenlegung aller Risiken (politisch, ökonomisch, technisch) vorzulegen. Eine baubegleitende Entwicklung ist nicht zulässig;
  • den Genehmigungsstopp im Rahmen der internationalen Verantwortung bis auf weiteres auch für den Export von kerntechnischen Anlagen auszudehnen.


Der SPD-Landesverband befürwortet und unterstützt diesen Baustopp mit dem Ziel, einen grundlegenden Umdenkungsprozess in der Energieversorgung einzuleiten. Deswegen muss die Zeit des Baustopps aktiv für Maßnahmen genutzt werden, die

  • die Sicherheit für die Bevölkerung erhöhen und eine wirksamere Vorsorge gegen Schadensfolgen möglicher kerntechnischer Unfälle durchsetzen;
  • mehr Vernunft im Umgang mit Energie fördern;
  • eine bessere Nutzung der Primärenergie ermöglichen;
  • die Entwicklung neuer Formen der Energieerzeugung, insbesondere die Nutzung der unerschöpflichen natürlichen Energiequellen, verstärken;
  • die Umweltbelastungen von Kraftwerken verringern;
  • den Bürgerdialog über unsere Energieversorgung in Gang setzen helfen;
  • eine kritische Überprüfung staatlicher Forschungs- und Entwicklungsprogramme für die sogenannten fortgeschrittenen Reaktorlinien in Bezug auf ihre Verantwortbarkeit unter Sicherheits- und Wirtschaftlichkeitsaspekten ermöglichen;
  • die Umorientierung der Forschungs- und Entwicklungskapazitäten auf nichtnukleare Energiesysteme und auf die Förderung praktischer Verwendungsintelligenz im Energieverbrauch bewirken;
  • Haushaltsmittel bereitstellen für die Erforschung der biologischen Risiken der Kernspaltungstechnologie und die Verminderung der Umweltbelastungen bei konventionellen Kraftwerken;
  • verhindern, dass die beschäftigungspolitischen Konsequenzen aus den vorher genannten Maßnahmen einseitig auf dem Rücken der davon betroffenen und dafür nicht verantwortlichen Arbeitnehmer abgeladen werden;
  • die Diskussion europäisieren.


Erst der an diesen Zielen orientierte verstärkte Einsatz-von Wissenschaft und Politik führt zu einer sinnvollen Nutzung der Zeit des Baustopps. Und erst greifbare Ergebnisse dieser Anstrengungen machen ein Ende der Denkpause, das heißt eine sinnvolle Entscheidung über Notwendigkeit und Ausmaß der friedlichen Nutzung der Kernenergie sowie des Exports der Kerntechnologie möglich.

Umdenken ist notwendig

Unabhängig vom Pro und Contra der friedlichen Nutzung der Kernenergie müssen wir stärker als bisher neue Wege bei der Erzeugung und Verwendung von Energie gehen. Denn es gilt, technologische Einbahnstraßen zu meiden.

Das ist im Interesse der Erhaltung unserer Demokratie. Die weitere Entwicklung unserer Gesellschaft darf nicht das Ergebnis einer unkontrollierten technologischen Entwicklung sein. Sondern umgekehrt: Die technologische Entwicklung muss das Resultat demokratischer politischer Entscheidungen über die weitere Entwicklung unserer Gesellschaft sein, denn die Nutzung der Kernspaltungstechnologie könnte noch nicht abschätzbare Sicherheitsmaßnahmen erforderlich machen, die letztendlich die durch das Grundgesetz gewährten bürgerlichen Freiheiten beschneiden müssten.

Politik darf nicht durch die angeblichen technologischen Sachzwänge eines einmal eingeschlagenen Weges ersetzt werden. Weil damit das Prinzip der demokratischen Entscheidung der Menschen über die Gestaltung ihrer Zukunft außer Kraft gesetzt wird. Und weil der Staat selbst diesem Sachzwang erliegt: In dem Maße, in dem er von der Funktionsfähigkeit hochempfindlicher Technologien abhängig wird, wächst die Notwendigkeit, diese Funktionsfähigkeit auch gegen die Opposition der Bürger durchzusetzen: Wer nicht den Menschen die Technik, sondern die Technik den Menschen beherrschen lässt, zahlt mit der Einschränkung von Liberalität und Rechtsstaatlichkeit in unserer Gesellschaft.

Die Meidung technologischer Einbahnstraßen ist auch notwendig im Interesse der Erhaltung einer lebenswerten Umwelt. Wirtschaft und eine einseitig an Wirtschaftlichkeitsüberlegungen ausgerichtete Technik zerstören in steigendem Maße mehr Natur, als durch sie wieder aufgebaut werden kann, und vernichten mehr Rohstoffe, als durch sie wieder hergestellt werden können. Damit wird die Lebensfähigkeit unserer Gesellschaft bedroht. Je länger diese Art der Technik und diese Art des Wirtschaftens wirksam bleiben, desto mehr vernichten sie bereits heute die künftigen Existenzgrundlagen unserer Kinder. Die Verantwortung für sie verpflichtet uns, heute zu handeln. Das bedeutet den Umbau von Technik und Wirtschaft und eine Abkehr von bisherigen Lebens- und Verhaltensweisen. Wir müssen aus einer Zivilisation, die auf der Ausbeutung des Menschen und der Natur beruht, eine Zivilisation formen, die dem Menschen dient und die Natur schützt.

Wir müssen unsere heutige Wirtschaftsform einer Konsum- und Wegwerfgesellschaft‚ in der als ein wesentlicher Erfolgsmaßstab der Umsatz und der Verbrauch von Energie und Rohstoffen zählt, weiterentwickeln zu einer Wirtschaft, in der die Erhaltung unserer Rohstoffreserven und die Einsparung von Energie durch vernünftigere Erzeugung und rationelleren Verbrauch ermöglicht wird.

Das bedeutet aber, dass wir die bisherigen Handlungsgrundsätze unserer Wirtschaft und unserer Technik, die überwiegend auf rein quantitatives Wachstum ausgerichtet war, ändern und darauf ausrichten müssen, dass ein mehr qualitatives Wachstum entstehen kann. So sollte zum Beispiel steigender Energieverbrauch noch kein Maßstab für die Lebensqualität sein, sondern der steigende Nutzen, den wir aus Energie, etwa bei besserer Wärmedämmung und bei größerer Sparsamkeit, erreichen können. Erst in der Diskussion um die Atomkraftwerke ist klar geworden, dass unsere Energieerzeugung auf Brennstoffen beruht, deren Vorräte schnell zu Ende gehen – wie bei Öl und Erdgas – oder die mittelfristig begrenzt sind – wie bei Kohle oder Uran. Ihre ständig zunehmende Aufzehrung in der Energieerzeugung bedeutet, dass wir möglicherweise den nachfolgenden Generationen ein Stück jener Chancen nehmen, die sie zum Aufbau einer anderen Wirtschaft mit anderen Techniken und damit zur Sicherung ihrer Existenz benötigen.

Zu einer veränderten Wachstumsstrategie gehört die Antwort auf die Frage, wie die bislang auf ständiges Wachstum angewiesene Vollbeschäftigungspolitik vom Wirtschaftswachstum unabhängiger gemacht werden kann.

Wer sich für die Zukunft verantwortlich fühlt, kann deshalb die bisherige Art der Erzeugung und des Verbrauchs von Energie und Rohstoffen nicht akzeptieren. Wir wollen einen anderen Weg.

Unser Ziel muss also sein, ohne Einbuße an Lebensqualität Energie rationeller einzusetzen, den Zuwachs des Energieverbrauchs zu verlangsamen beziehungsweise auf Null zu senken und zugleich die Herstellung von Energie aus knappen Rohstoffen durch andere Techniken ersetzen.

Vernünftigerer Umgang mit Energie und bessere Nutzung von Energie

Neue Formen der Energieerzeugung

Verbesserung der Standortvorsorge

Mehr Sicherheit für die Bevölkerung

Verringerung der Umweltbelastung durch Kraftwerke

Dialog mit dem Bürger

Verbesserung der atomrechtlichen Genehmigungsverfahren