II LV1: Resolution zur Energiepolitik (1977)

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Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Tönning 1977
Bezeichnung: II LV1
Antragsteller: Landesvorstand


Beschluss: Angenommen


(Veröffentlicht in: „Zur Sache“ Nr. 1, Juni 1977 - Herausgeber: SPD-Landesverband Schleswig-Holstein)


Zur Lage der Diskussion über die Energiepolitik

Der Beschluss des Landesvorstandes der schleswig-holsteinischen SPD, der sich für eine ergebnisoffene Diskussion über das Für und Wider der friedlichen Nutzung der Kernenergie ausgesprochen hatte, hat dazu beigetragen, eine grundlegende energiepolitische Debatte innerhalb der Partei auszulösen und damit auch die Debatte über unser aller Zukunft einzuleiten. Damit hat sich der Landesverband der SPD in Schleswig-Holstein den Fragen gestellt, die schon frühzeitig von Bürgerinitiativen aufgeworfen worden sind.

Wir befinden uns jetzt weltweit an einem Entwicklungspunkt, der die Menschheit zwingt, die natürlichen Grenzen und Möglichkeiten der Erde zu erkennen und einzuhalten und die verfügbaren Naturschätze und technischen Kräfte sparsamer zu verwalten und gerechter zu verteilen, als es in der Vergangenheit geschehen ist.

Viele Probleme, die dabei gelöst werden müssen, wurden und werden durch ein wirtschaftliches Denken und Handeln erzeugt, das immer noch überwiegend die Problemlösung in einer nur quantitativen Produktionsausweitung sucht und dabei die Interessen der kurzfristigen Kapitalverwertung in den Vordergrund rückt und oftmals nur egoistische Nationalinteressen verfolgt.

Diese Interessen stehen aber oft im Gegensatz zu

  • gesamtgesellschaftlicher Vernunft (volkswirtschaftliche Kostennutzungsrechnung),
  • nationaler und internationaler Gerechtigkeit und Solidarität,
  • den natürlichen und nicht beliebig vermehrbaren Lebensgrundlagen der Menschen,
  • humanen Arbeitsbedingungen,
  • den Grundsätzen der Lebensqualität,
  • den Grundwerten der Demokratie und Selbstbestimmung,
  • den Interessen zukünftiger Generationen.


Mit diesen Problemen muss sich die SPD besonders in der energiepolitischen Diskussion auseinandersetzen.

Deswegen fordert der Landesparteitag eine unvoreingenommene und ergebnisoffene Diskussion über die Chancen und Risiken der friedlichen Nutzung von Kernenergie und unterstützt die politische Forderung nach einem Baustopp. Das bedeutet

  • für alle Kernenergieprojekte bis auf weiteres einen Genehmigungs-, Bau- und Inbetriebnahmestopp anzuordnen; eine Energiepolitik, die der Möglichkeit Rechnung trägt, ohne die friedliche Nutzung der Kernenergie auskommen zu können;
  • ein geschlossenes Konzept aller Entsorgungs-‚ Wiederaufbereitungs- und Endlagerungsmaßnahmen unter Offenlegung aller Risiken (politisch, ökonomisch, technisch) vorzulegen. Eine baubegleitende Entwicklung ist nicht zulässig;
  • den Genehmigungsstopp im Rahmen der internationalen Verantwortung bis auf weiteres auch für den Export von kerntechnischen Anlagen auszudehnen.


Der SPD-Landesverband befürwortet und unterstützt diesen Baustopp mit dem Ziel, einen grundlegenden Umdenkungsprozess in der Energieversorgung einzuleiten. Deswegen muss die Zeit des Baustopps aktiv für Maßnahmen genutzt werden, die

  • die Sicherheit für die Bevölkerung erhöhen und eine wirksamere Vorsorge gegen Schadensfolgen möglicher kerntechnischer Unfälle durchsetzen;
  • mehr Vernunft im Umgang mit Energie fördern;
  • eine bessere Nutzung der Primärenergie ermöglichen;
  • die Entwicklung neuer Formen der Energieerzeugung, insbesondere die Nutzung der unerschöpflichen natürlichen Energiequellen, verstärken;
  • die Umweltbelastungen von Kraftwerken verringern;
  • den Bürgerdialog über unsere Energieversorgung in Gang setzen helfen;
  • eine kritische Überprüfung staatlicher Forschungs- und Entwicklungsprogramme für die sogenannten fortgeschrittenen Reaktorlinien in Bezug auf ihre Verantwortbarkeit unter Sicherheits- und Wirtschaftlichkeitsaspekten ermöglichen;
  • die Umorientierung der Forschungs- und Entwicklungskapazitäten auf nichtnukleare Energiesysteme und auf die Förderung praktischer Verwendungsintelligenz im Energieverbrauch bewirken;
  • Haushaltsmittel bereitstellen für die Erforschung der biologischen Risiken der Kernspaltungstechnologie und die Verminderung der Umweltbelastungen bei konventionellen Kraftwerken;
  • verhindern, dass die beschäftigungspolitischen Konsequenzen aus den vorher genannten Maßnahmen einseitig auf dem Rücken der davon betroffenen und dafür nicht verantwortlichen Arbeitnehmer abgeladen werden;
  • die Diskussion europäisieren.


Erst der an diesen Zielen orientierte verstärkte Einsatz-von Wissenschaft und Politik führt zu einer sinnvollen Nutzung der Zeit des Baustopps. Und erst greifbare Ergebnisse dieser Anstrengungen machen ein Ende der Denkpause, das heißt eine sinnvolle Entscheidung über Notwendigkeit und Ausmaß der friedlichen Nutzung der Kernenergie sowie des Exports der Kerntechnologie möglich.

Umdenken ist notwendig

Unabhängig vom Pro und Contra der friedlichen Nutzung der Kernenergie müssen wir stärker als bisher neue Wege bei der Erzeugung und Verwendung von Energie gehen. Denn es gilt, technologische Einbahnstraßen zu meiden.

Das ist im Interesse der Erhaltung unserer Demokratie. Die weitere Entwicklung unserer Gesellschaft darf nicht das Ergebnis einer unkontrollierten technologischen Entwicklung sein. Sondern umgekehrt: Die technologische Entwicklung muss das Resultat demokratischer politischer Entscheidungen über die weitere Entwicklung unserer Gesellschaft sein, denn die Nutzung der Kernspaltungstechnologie könnte noch nicht abschätzbare Sicherheitsmaßnahmen erforderlich machen, die letztendlich die durch das Grundgesetz gewährten bürgerlichen Freiheiten beschneiden müssten.

Politik darf nicht durch die angeblichen technologischen Sachzwänge eines einmal eingeschlagenen Weges ersetzt werden. Weil damit das Prinzip der demokratischen Entscheidung der Menschen über die Gestaltung ihrer Zukunft außer Kraft gesetzt wird. Und weil der Staat selbst diesem Sachzwang erliegt: In dem Maße, in dem er von der Funktionsfähigkeit hochempfindlicher Technologien abhängig wird, wächst die Notwendigkeit, diese Funktionsfähigkeit auch gegen die Opposition der Bürger durchzusetzen: Wer nicht den Menschen die Technik, sondern die Technik den Menschen beherrschen lässt, zahlt mit der Einschränkung von Liberalität und Rechtsstaatlichkeit in unserer Gesellschaft.

Die Meidung technologischer Einbahnstraßen ist auch notwendig im Interesse der Erhaltung einer lebenswerten Umwelt. Wirtschaft und eine einseitig an Wirtschaftlichkeitsüberlegungen ausgerichtete Technik zerstören in steigendem Maße mehr Natur, als durch sie wieder aufgebaut werden kann, und vernichten mehr Rohstoffe, als durch sie wieder hergestellt werden können. Damit wird die Lebensfähigkeit unserer Gesellschaft bedroht. Je länger diese Art der Technik und diese Art des Wirtschaftens wirksam bleiben, desto mehr vernichten sie bereits heute die künftigen Existenzgrundlagen unserer Kinder. Die Verantwortung für sie verpflichtet uns, heute zu handeln. Das bedeutet den Umbau von Technik und Wirtschaft und eine Abkehr von bisherigen Lebens- und Verhaltensweisen. Wir müssen aus einer Zivilisation, die auf der Ausbeutung des Menschen und der Natur beruht, eine Zivilisation formen, die dem Menschen dient und die Natur schützt.

Wir müssen unsere heutige Wirtschaftsform einer Konsum- und Wegwerfgesellschaft‚ in der als ein wesentlicher Erfolgsmaßstab der Umsatz und der Verbrauch von Energie und Rohstoffen zählt, weiterentwickeln zu einer Wirtschaft, in der die Erhaltung unserer Rohstoffreserven und die Einsparung von Energie durch vernünftigere Erzeugung und rationelleren Verbrauch ermöglicht wird.

Das bedeutet aber, dass wir die bisherigen Handlungsgrundsätze unserer Wirtschaft und unserer Technik, die überwiegend auf rein quantitatives Wachstum ausgerichtet war, ändern und darauf ausrichten müssen, dass ein mehr qualitatives Wachstum entstehen kann. So sollte zum Beispiel steigender Energieverbrauch noch kein Maßstab für die Lebensqualität sein, sondern der steigende Nutzen, den wir aus Energie, etwa bei besserer Wärmedämmung und bei größerer Sparsamkeit, erreichen können. Erst in der Diskussion um die Atomkraftwerke ist klar geworden, dass unsere Energieerzeugung auf Brennstoffen beruht, deren Vorräte schnell zu Ende gehen – wie bei Öl und Erdgas – oder die mittelfristig begrenzt sind – wie bei Kohle oder Uran. Ihre ständig zunehmende Aufzehrung in der Energieerzeugung bedeutet, dass wir möglicherweise den nachfolgenden Generationen ein Stück jener Chancen nehmen, die sie zum Aufbau einer anderen Wirtschaft mit anderen Techniken und damit zur Sicherung ihrer Existenz benötigen.

Zu einer veränderten Wachstumsstrategie gehört die Antwort auf die Frage, wie die bislang auf ständiges Wachstum angewiesene Vollbeschäftigungspolitik vom Wirtschaftswachstum unabhängiger gemacht werden kann.

Wer sich für die Zukunft verantwortlich fühlt, kann deshalb die bisherige Art der Erzeugung und des Verbrauchs von Energie und Rohstoffen nicht akzeptieren. Wir wollen einen anderen Weg.

Unser Ziel muss also sein, ohne Einbuße an Lebensqualität Energie rationeller einzusetzen, den Zuwachs des Energieverbrauchs zu verlangsamen beziehungsweise auf Null zu senken und zugleich die Herstellung von Energie aus knappen Rohstoffen durch andere Techniken ersetzen.

Vernünftigerer Umgang mit Energie und bessere Nutzung von Energie

Das Ziel ist erreichbar, wenn wir unsere heutigen Kenntnisse über sparsamere Energieverwendung systematisch und konsequent anwenden. Dabei muss keinesfalls das Niveau unseres Wohlstandes sinken. Wir können in vielen Fällen denselben Nutzen mit weniger Energieeinsatz erreichen, wenn wir bessere Verfahren anwenden und wenn wir der Energieverschwendung entschiedener als bisher den Kampf ansagen.

Es geht um eine maximale Nutzung der Primärenergie (zum Beispiel durch die Kraft-Wärme-Koppelung) und die richtige Nutzung der Sekundärenergie (zum Beispiel begrenzte Verwendung von Strom für die Raumheizung).

Um Energie rationeller einzusetzen und um den Zuwachs des Energieverbrauchs innerhalb der nächsten Jahre zu verlangsamen beziehungsweise auf Null zu senken, sind Maßnahmen zu fordern; die gesetzlichen Grundlagen für deren Durchsetzung sind sofort möglichst zu schaffen:

  • Einsatz von Wärmetauschanlagen;
  • Verbesserung der Wohnverhältnisse und der Vorschriften über die Wärmeisolierung von Gebäuden nicht nur bei Neubauten, sondern auch über die Beheizung und Warmwasserbereitung in bestehenden Gebäuden;
  • Wärmepumpen und Solarkollektoren in privaten Wohngebäuden;
  • verstärkter Ausbau der Kraft-Wärme-Koppelung;
  • Nutzung der Prozesswärme der Industrie und Verpflichtung der Energieversorgungsunternehmen zur Abnahme von Industriestrom in die öffentlichen Versorgungsnetze, Ausbau der Fernwärmeversorgung;
  • Einsatz der bisher von den Energieversorgungsunternehmen aufgewendeten Werbemittel für Aufklärungsaktionen über rationelle Energieverwendung, besonders für Verbraucher und mittelständische Betriebe;
  • durchsichtige Auszeichnung des Stromverbrauchs elektrischer Geräte;
  • Förderung der Forschung und Entwicklung von Elektrogeräten mit sparsamem Stromverbrauch;
  • Änderung der Tarifstruktur für elektrische Energie in einer Form, die höheren Verbrauch progressiv mit höheren Preisen bei gewerblichen und privaten Verbrauchern belastet, und Mitwirkung der Selbstverwaltungsgremien in diesem Bereich;
  • Einführung einer Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen;
  • Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene;
  • Abschaffung der Kfz-Steuer; statt dessen Besteuerung nach dem Benzinverbrauch über die Mineralölsteuer bei gleichzeitiger steuerlicher Entlastung für die unteren Einkommensschichten;
  • Bau von benzinsparenden Automobilen;
  • sorgfältigere und vorausschauende Überprüfung bei Ansiedlung von energie-intensiver Industrie unter energiepolitischen, regionalen und strukturellen Gesichtspunkten;
  • Überprüfung energieintensiver technischer Verfahren;
  • Subvention, Steuererleichterungen, Hergabe verbilligter Kredite für die Entwicklung von Techniken und Maßnahmen zur rationelleren Energieverwendung und zur umweltfreundlicheren Nutzung heimischer Reserven;
  • verbilligte Transporttarife der Bahn für die Rückführung energie-intensiver Produkte wie Altgas, Altmüll, Altpapier;
  • Ersetzung energieintensiver Materialien durch andere Produkte.


Mit diesen Maßnahmen kann innerhalb der nächsten zehn Jahre eine Senkung des Energieverbrauchs erreicht werden. Bei Durchsetzung aller Maßnahmen wäre es denkbar, dass damit der Energiezuwachs längerfristig sogar gestoppt würde.

Ein Prozess der Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch wird keineswegs zu negativen wirtschaftlichen Folgen führen. Im Gegenteil: Durch die Entwicklung und Einführung neuer energiesparender Techniken werden neue Wachstumsbranchen entstehen. Hunderttausende neue Arbeitsplätze können dadurch geschaffen werden. Der Bedarf auf den Weltmärkten an dieser neuen Technologie ist groß. Deshalb wird unsere Position im Export dadurch nicht geschwächt, sondern die Umstellung ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, unsere Position zu halten. Anstatt behaupteter negativer wirtschaftlicher Folgen wird ein neuer Wachstumsschub entstehen, der sowohl unsere Produktion als auch unsere Konsumgüter qualitativ verändert.

Die Bundesregierung wird aufgefordert, die positiven Auswirkungen verstärkter Einsparungsprogramme auf den Arbeitsmarkt darzustellen.

Neue Formen der Energieerzeugung

Gleichzeitig mit der Veränderung des Energieverbrauchs müssen Schritte zur Veränderung der Energieerzeugung eingeleitet werden. Die öffentlichen Mittel sollen auf die Erforschung und Anwendung der Energiegewinnung aus den unerschöpflichen natürlichen Energiequellen wie Sonne, Wind, Gezeiten, Biogas konzentriert werden. Mittel- und langfristig gesehen ist es wegen der Kosten und Risiken sowie wegen der Knappheit von Uranvorkommen falsch, den Löwenanteil der Forschungsmittel in die Entwicklung der Energieerzeugung auf Kernspaltungsbasis zu investieren. Vielmehr müssen alternative Energieerzeugungssysteme und Einsparmöglichkeiten gleichrangig gefördert werden. Dazu gehört, dass keine Haushaltsentscheidungen zu fördern sind, die einen einseitigen Ausbau der Kernenergie, insbesondere der sogenannten schnellen Brüter, festschreiben könnten.

Der SPD-Landesverband begrüßt den politischen Sperrbeschluss, mit dem die SPD-Bundestagsfraktion erreicht hat, dass vorerst keine neuen Zusagen über eine weitere Förderung der Weiterentwicklung der Schnellbrut-Reaktor-Technologie gegeben werden können. Ebenfalls begrüßt wird die parlamentarische Initiative, die zu einer ausführlichen Problematisierung der Brüter-Technologie auf der Grundlage eines umfassenden Berichts der Bundesregierung führen wird. Der SPD-Landesverband fordert die Einstellung aller nationalen wie internationalen Forschungs- und Entwicklungsprogramme, die die Kommerzialisierung der Plutonium-Technologie vorbereiten und fördern sollen.

Die Bundesregierung und die Bundestagsfraktion werden aufgefordert,

  • die Bedingungen und Varianten der Möglichkeit zu prüfen, den Bau des SNR 300 in Kalkar einzustellen und das Bauprojekt einer anderen Nutzung zuzuführen;
  • die Bevölkerung über die Sicherheitsrisiken der Brüter-Technologie und die Problematik der Plutonium-Wirtschaft aufzuklären;
  • alternative Beschäftigungsmöglichkeiten für das in der Brüterentwicklung arbeitende Personal zu entwickeln;
  • die für die Kommerzialisierung der Brüter-Technologie eingeplanten Mittel für nicht-nukleare Programme zu verwenden;
  • Absprachen und Verträge zu verhindern oder rückgängig zu machen, mit denen die Kommerzialisierung der Plutonium-Technologie der schnellen Brüter gefördert werden sollte;
  • im Forschungshaushalt die Prioritäten eindeutiger zugunsten von Alternativenergien außerhalb des Kernenergiebereichs zu setzen.


Dabei müssen die Kosten zum Schutz der Umwelt künftig in die Energiekosten eingehen. Nur wenn alle Folgekosten mitgerechnet werden, kann die Frage nach der Wirtschaftlichkeit verschiedener Energieträger glaubwürdig beantwortet werden.

Eine wirksame Politik der Senkung des Energieverbrauchs bei gleichem Nutzen erübrigt zunächst einen zusätzlichen Ausbau der Atomkraftwerke, da die ursprünglich geplanten Kraftwerke durch bessere Energienutzung mindestens großenteils eingespart werden können. Ob gegen Ende dieses Jahrhunderts wegen schwindender Reserven an Erdgas und Erdöl auf eine verstärkte Nutzung dieser Technik zurückgegriffen werden muss, lässt sich heute noch nicht vorhersehen, da wir die Fortschritte auf dem Gebiet der Energiegewinnung aus unerschöpflichen natürlichen Quellen noch nicht abschätzen können.

In dem Maße, in dem durch bessere Nutzung der Energieverbrauch sinkt und die Erzeugung von Energie aus unerschöpflichen natürlichen Quellen steigt, wäre die Ersetzung heutiger Verfahren der Energiegewinnung möglich.

Verbesserung der Standortvorsorge

Wir brauchen eine bessere Planung neuer Kraftwerke und die Beteiligung der Parlamente bei dieser Planung.

Die Landesregierung wird aufgefordert,

  • ihre Kriterien für die langfristige Energieversorgung und Standortplanung für Kraftwerke in Schleswig-Holstein darzulegen;
  • mögliche Standorte für Kraftwerke im Lande Schleswig-Holstein im Rahmen der Regionalplanung und Raumordnung auszuweisen und unter Berücksichtigung der Forderungen der Landesplanung, der Raumordnung und der Folgelasten dem Landtag vorzulegen. Dazu gehört auch die Erstellung und Offenlegung landschaftsbezogener Umweltpläne. Bei der Aufstellung aller Pläne soll im Vorfeld politischer Entscheidung eine Anhörung der Bürger der betroffenen Region stattfinden.
  • die Standortplanung für Kraftwerke mit den norddeutschen Küstenländern, mit dem Bund, mit der DDR und mit Dänemark abzustimmen;
  • sich für eine bundesweite, übergeordnete Planung von Kraftwerksstandorten einzusetzen.

Mehr Sicherheit für die Bevölkerung

Die öffentliche Hand ist verpflichtet, zur Abwendung von Unfällen und deren Folgen in kerntechnischen Einrichtungen die entsprechende Vorsorge zu treffen.

Die Einbindung des Katastrophenschutzes für kerntechnische Unfälle in den bestehenden allgemeinen Katastrophenschutz ist zweckmäßig und sinnvoll. Aber nukleare Katastrophen erfordern weitere vorbereitende Maßnahmen, die weit über das hinausgehen, was den konventionellen Katastrophenschutz betrifft.

Die Landesregierung wird aufgefordert,

  • Notstandspläne in Kooperation mit Dienststellen des Bundes und der benachbarten Bundesländer für bereits vorhandene Kraftwerkanlagen, insbesondere Kernkraftwerke, aufzustellen und die notwendigen materiellen und personellen Voraussetzungen zur Durchführung der Notstandspläne und für Einrichtungen zur schnellen Versorgung strahlengeschädigter Personen sicherzustellen. Die Notstandsplanungen müssen einem Ausschuss des Landtages vorgelegt werden.
  • dem Landtag darzulegen, wie sie die laufende Kontrolle des Betriebs sowie der Erhaltung des Sicherheitsstandards von Kernkraftwerken gewährleisten wird und welche personelle und materielle Ausstattung sie für die Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde für ausreichend hält.
  • für Städte und Landkreise, in deren Gebiet sich Kernkraftwerke und sonstige kerntechnische Einrichtungen befinden, vor der Inbetriebnahme Katastrophenschutzpläne auszuarbeiten und eventuell in Planspielen zu erproben, ob die organisatorischen Maßnahmen und die bereitgestellten technischen Mittel ausreichend sind.

Die Grundzüge der Katstrophen-Abwehrpläne bei kerntechnischen Unfällen sind der Bevölkerung mitzuteilen. Die daraus abgeleiteten Verhaltensregeln sind der Bevölkerung in geeigneter Weise zu vermitteln. Die Kosten aller Katastrophenschutzmaßnahmen sind von den Betreibern der Kernkraftwerke zu bezahlen.

Verringerung der Umweltbelastung durch Kraftwerke

Eine Belastung der Umwelt durch Kraftwerke entsteht durch konzentrierte Abgabe von Abwärme, durch Ausstoß ungereinigter Abgase, durch die Abgabe radioaktiver Substanzen, durch die Zunahme der Kohlendioxyd-Konzentration in der Atmosphäre. Da wir in der Bundesrepublik in einem dichtbesiedelten Land leben und Kraftwerke nicht in dünnbesiedelte Gebiete verbannen können, müssen wir durch strenge Auflagen verhindern, dass unser Lebensraum nichtreparierbare Schädigungen durch Kraftwerke und andere Industrieanlagen erfährt.

Daher fordern wir bei der Planung, beim Bau und Betrieb von Kraftwerken folgende Maßnahmen:

  • Konsequente Durchsetzung der bestehenden Umweltschutzgesetze, auch auf bestehende Anlagen;
  • Nutzung der Abwärme von Kraftwerken;
  • Ersatz uneffektiver umweltbelastender alter Anlagen durch neue mit hohem Wirkungsgrad, Wärme-Kraft-Koppelung und geringerer Umweltbelastung;
  • strengere Rückhaltevorschriften für radioaktive Substanzen im Normalbetrieb und bei Störfällen von Kernkraftwerken;
  • keine Geheimhaltung aller Strahlenmessergebnisse.


Bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe wird in einem größeren Maßstab Kohlendioxyd in die Atmosphäre abgegeben, als unter den natürlichen Bedingungen unserer Erde verarbeitet werden kann. Das kann weltweit zu bedrohlichen Klimaveränderungen führen, zum Beispiel zur Entstehung neuer Wüstengürtel dort, wo heute Nahrungsmittel produziert werden. Die Verringerung dieses Problems muss auch durch Nutzung von nichtfossilen Energiequellen erreicht werden.

Dialog mit dem Bürger

Der Landesparteitag bekennt sich nachdrücklich zum Recht eines jeden, sich durch friedliche Demonstration und durch Anrufung der Gerichte gegen die Planung, den Bau und den Betrieb von Kernkraftwerken zu wehren. Der Staat hat die Pflicht, die Bürger umfassend über alle Fragen der Energieversorgung zu informieren. Er muss es den Bürgern möglich machen, alle ihre Rechte ohne Einschränkung wahrzunehmen und geltend zu machen.

Die Bürgerinitiativen gegen Kernkraftwerke können das Verdienst für sich in Anspruch nehmen, die unbestrittene Problematik der Kernkraftwerke einer größeren Öffentlichkeit bewusst gemacht zu haben. Einige von ihnen haben darüber hinaus noch vor den Parteien die Frage gestellt, wie eine lebenswerte Zukunft unserer Gesellschaft aussehen soll. Diese Frage ist nicht nur eine Herausforderung für die Parteien, sondern auch für alle Bürgerinitiativen, sich an dieser Diskussion sachlich zu beteiligen. Politiker haben die Pflicht, Bürgerinitiativen nicht sich selbst zu überlassen. Sie müssen bei ihren Diskussionen und Aktionen dabei sein, sich ihnen stellen, ohne dass sie mit ihnen identifiziert werden.

Wir brauchen einen ständigen Bürgerdialog über unsere Energieversorgung. Dabei müssen dem einzelnen Bürger mehr Handlungsmöglichkeiten für seinen vernünftigen Energieverbrauch eröffnet werden. Bei diesem Bürgerdialog muss die Grundsatzdiskussion zur Nutzung der Kernenergie ein Thema für sich mit eigenem Stellenwert bleiben. Eine solche Grundsatzdiskussion darf von Seiten der Bundesregierung nicht als Bürgerdialog zur "Notwendigkeit und Sicherheit der friedlichen Nutzung der Kernenergie" angelegt werden.

Bei diesem Bürgerdialog müssen Multiplikatoren und Verbände (Schulen, Volkshochschulen, Gewerkschaften, Verbraucherverbände usw.) eine aktive Rolle bei der Aufklärung spielen.

Alle Gremien des Landesverbandes der schleswig-holsteinischen SPD auf Landesebene und kommunaler Ebene, insbesondere die Ortsvereine, Kreisverbände und Arbeitsgemeinschaften, werden aufgefordert, sich an einer Aufklärungsaktion zur besseren Nutzung von Energie in den Haushalten, aber auch in Betrieben und Verwaltungen zu beteiligen. Der Landesvorstand soll den Gliederungen der Partei entsprechendes Material zum Selbstkostenpreis zur Verfügung stellen. Dem nächsten Landesparteitag ist ein Bericht über die Durchführung dieser Aktion vorzulegen.

Nicht nur der Landesvorstand, sondern auch der Parteivorstand wird aufgefordert, sich an der Organisation der ergebnisoffenen Grundsatzdiskussion zur Kernenergie zu beteiligen und die Gliederungen der Partei mit sächlichen und personellen Mitteln zu unterstützen.

Verbesserung der atomrechtlichen Genehmigungsverfahren

Die atomrechtlichen Genehmigungsverfahren sollen zukünftig von eigens dafür auf Landesebene nach dem Vorbild des Bundeskartellamtes einzurichtenden, ausgegliederten und unabhängigen Behörden durchgeführt werden.

Das atomrechtliche Genehmigungsverfahren ist nach folgenden Grundsätzen zu verbessern:

  • Unabhängigkeit der Sachverständigen;
  • Hinzuziehung von Sachbeiständen im Anhörungstermin;
  • keine willkürliche Verkürzung des Anhörungstermins;
  • keine Teilerrichtungsgenehmigung vor Bescheidung der übrigen, z. B. wasserrechtlichen Einwendungen, das heißt keine Aufsplittung in Einzelgenehmigungsverfahren;
  • keine sofortige Vollziehbarkeit der Teilerrichtungsgenehmigungen.


Zur Verbesserung des Rechtsschutzes für Bürger und Bürgerinitiativen ist die Möglichkeit einer Verbandsklage mit Herabsetzung des Streitwertes einzuführen.