S1: Die Chancen der älter werdenden Gesellschaft nutzen (2009): Unterschied zwischen den Versionen

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==Veränderungen der Gesellschaft==
==Veränderungen der Gesellschaft==
Auch wenn die aktuelle Wirtschaftskrise gegenwärtig alles andere überlagert, gibt es doch langfristige soziale Veränderungen, die ganz und gar unabhängig vom Konjunkturverlauf sind. Einer dieser Großtrends ist in Deutschland wie in vielen anderen europäischen Ländern das Älterwerden der Gesellschaft.
In zwanzig Jahren wird die Zahl der 60- bis 65-Jährigen, die dann nach und nach aus dem Erwerbsleben ausscheiden, genau doppelt so groß sein wie die Zahl der dann 20- bis 25-Jährigen, die ins Erwerbsleben eintreten. Heute ist die Relation Arbeitsmarktzugang zu Rentenzugang etwa 1:1. In den kommenden zwei Jahrzehnten verschiebt sie sich sukzessive auf 1:2. In vierzig Jahren, wenn die Berufsstarter von heute in den Ruhestand treten, wird der Anteil der Über-65-Jährigen an der Bevölkerung bei einem Drittel gegenüber heute mit einem Fünftel liegen. Dank der durch uns eingeleiteten Wende in der Kinder-, Jugend- und Familienpolitik steigt aktuell die Zahl der Neugeborenen wieder. Doch diese erfreuliche Entwicklung wird wie auch eine erfolgreiche Integration von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte die zentrale Tendenz nur unwesentlich abmildern.
Da gleichzeitig der Wohlstand in unserer älter werdenden Gesellschaft weiter wachsen soll, die Arbeit im Pflege-, Gesundheits- und Dienstleistungssektor zunehmen und die Exportwirtschaft im globalen Markt weiter wachsen dürfte, wird aus dem Druck des von Massenarbeitslosigkeit geprägten deutschen Arbeitsmarktes der letzten dreißig Jahre in Zukunft mehr und mehr ein Sog: Arbeitskräfte werden gebraucht und gesucht, ökonomisch ausgedrückt: ein „knappes Gut“. Heute schon fehlen in manchen Branchen Fachkräfte, die Schulabgängerzahlen in Ostdeutschland halbieren sich gerade jetzt. Viele Arbeitgeber kämpften in der zurückliegenden Wachstumsphase schon um ihre Attraktivität für junge Leute.
Diese Entwicklung stellt die Politik und die Sozialpartner vor neue Herausforderungen, nicht nur bei Rente, Pflege und Gesundheit. Sie bietet aber ebenso eine Fülle neuer Möglichkeiten für die Gestaltung eines humanen Arbeitslebens in einer sozial gerechteren Gesellschaft.
Wir haben als schleswig-holsteinische SPD umfassende Vorschläge nach dem Prinzip „Steuern statt Beiträge“ für die Festigung der sozialen Sicherungssysteme unter den Bedingungen des demografischen Wandels vorgelegt. Diese sind ins Grundsatzprogramm der SPD eingegangen und stellen heute die Linie der Partei dar. Nun ist es Zeit für einen zweiten Schritt.
Der künftig stärker werdende Sog des Arbeitsmarktes kann sich positiv auswirken auf die Erwerbsbeteiligung von Frauen mit einer bisherigen Beschäftigungsquote von 64 Prozent (Männer: 70 Prozent) – und die Chance eröffnen, familienfreundlichere Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Der Nachwuchsmangel kann Geringqualifizierte (Erwerbsbeteiligung: 54 Prozent, Hochqualifizierte: 84 Prozent) und insbesondere die „Bildungsreserve“ der hier geborenen Migrantenkinder erfassen – und verbindliche Sprachförderung, Integration und gesellschaftliche Inklusion zur puren ökonomischen Notwendigkeit werden lassen. Und der demografische Wandel am Arbeitsmarkt wird dazu führen, dass Unternehmen und öffentliche Arbeitgeber mehr und mehr daran interessiert sein müssen, ältere Beschäftigte in der Belegschaft zu halten. Sie müssen auf ihre veränderte Leistungsfähigkeit reagieren und ggf. bestimmte Arbeitsplätze einrichten, die den älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern besser gerecht werden.
Diesen Wandel kann und muss sozialdemokratische Politik gestalten. Es geht auch um ein neues Bild des bewussten Älterwerdens. Es geht um gute Arbeit, die nicht krank macht und die anständig bezahlt wird, um armutsfeste soziale Sicherungssysteme, um Familienfreundlichkeit und um gesellschaftliche Teilhabe für alle Generationen. Mehr Zeitsouveränität für die Beschäftigten ist möglich: Im Wettbewerb der Unternehmen um Mitarbeiter werden Teilzeitmodelle, Optionszeiten („Sabbaticals“) und flexible Übergänge am Ende des Erwerbslebens zum Konkurrenzvorteil. Auch wenn immer noch zu viele Arbeitgeber dies ignorieren, so hat doch eine wachsende Zahl von ihnen die Notwendigkeit zum Handeln bereits erkannt. Nicht zuletzt durch unsere rentenpolitischen Entscheidungen und die Initiativen zur Beschäftigungsförderung Älterer ist die Beschäftigungsquote der über 55-Jährigen vom Jahr 2000 mit 37 Prozent bis 2008 auf 54 Prozent angestiegen.
Wir stehen vor der wohl größten Umwälzung des Arbeitslebens seit der industriellen Revolution: Die Vorstellung vom starr dreiteiligen Lebenslauf – Ausbildung, „Normalarbeitsverhältnis“, Ruhestand – entspricht schon heute nicht mehr der Realität. Dieses Bild darf deshalb auch nicht allein bestimmend sein für die Ausrichtung der Sozialsysteme.
Im siebten Familienbericht (April 2006), der noch von der rot-grünen Bundesregierung in Auftrag gegeben war, wird schon thematisiert, dass die zunehmend längeren Lebensläufe so zu organisieren seien, „dass sich unterschiedliche Lebensphasen von Bildung, Fürsorge, ökonomischer Erwerbsarbeit und Erholungsphasen nicht mehr in eine Dreiteilung des Lebenslaufs einfügen müssen, sondern in bunter Abfolge miteinander verknüpft werden können. […].“
Wir brauchen sozialdemokratische Konzepte für eine neue, finanziell ausreichend abgesicherte Zeitsouveränität, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Zukunft gewinnen können.
'''Deshalb fordern wir:'''
* '''Alle Unternehmen sollen sich auf älter werdende Belegschaftsstrukturen einstellen und gute Arbeit bieten, die ein auskömmliches und leistungsgerechtes Einkommen sichert, Ansprüche auf Leistungen der solidarischen Sozialversicherung garantiert und gute Arbeitsbedingungen gewährleistet.'''
* '''Alters- und alternsgerechte Arbeitsplätze sowie eine Beschäftigungskultur, in der es für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit schweren körperlichen Belastungen rechtzeitig Rehabilitationsangebote, Qualifizierungen und Transfermöglichkeiten auf andere Arbeitsplätze gibt.'''
* '''Lebensbegeleitende Weiterbildung, alternative Beschäftigungsmöglichkeiten nach längeren Phasen schwerer körperlicher Arbeit, Existenzgründungsprogramme für ältere Menschen sowie ein Bundesprogramm Gründungspaten.'''
* '''Mehr Zeitautonomie für die Beschäftigten durch innovative Umsetzung der Rechtsansprüche auf Teilzeit, Elternzeit, Pflegezeiten für nahe Angehörige und Weiterbildung.'''
* '''Die offensive Nutzung der gegen Insolvenz geschützten Arbeitszeitkonten für eine bessere Lebensarbeitszeitplanung'''
* '''Flexible Übergänge vom Arbeitsleben in den Ruhestand durch Fortsetzung der Altersteilzeitförderung bis 2015, einer neuen Rentenart der Teilrente ab 60 Jahren und zusätzlichen Beitragsmöglichkeiten an die Rentenversicherung.'''
* '''Die Möglichkeit der Beschäftigung bei individuellem Wunsch auch über das gesetzliche Renteneintrittsalter hinaus.'''
* '''Eine Stärkung der Freiwilligendienste für alle Generationen.'''
==Altersgerechtes Arbeiten==
==Altersgerechtes Arbeiten==
===Gemeinsames Interesse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, Wirtschaft und Gesellschaft===
===Gemeinsames Interesse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, Wirtschaft und Gesellschaft===

Version vom 6. Mai 2013, 14:04 Uhr

Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Elmshorn 2009
Bezeichnung: S1
Antragsteller: Landesvorstand


Beschluss: Angenommen



Mehr Zeitsouveränität, bessere Arbeit, flexiblere Übergänge, mehr Kraft für freiwilliges Engagement


Veränderungen der Gesellschaft

Auch wenn die aktuelle Wirtschaftskrise gegenwärtig alles andere überlagert, gibt es doch langfristige soziale Veränderungen, die ganz und gar unabhängig vom Konjunkturverlauf sind. Einer dieser Großtrends ist in Deutschland wie in vielen anderen europäischen Ländern das Älterwerden der Gesellschaft.

In zwanzig Jahren wird die Zahl der 60- bis 65-Jährigen, die dann nach und nach aus dem Erwerbsleben ausscheiden, genau doppelt so groß sein wie die Zahl der dann 20- bis 25-Jährigen, die ins Erwerbsleben eintreten. Heute ist die Relation Arbeitsmarktzugang zu Rentenzugang etwa 1:1. In den kommenden zwei Jahrzehnten verschiebt sie sich sukzessive auf 1:2. In vierzig Jahren, wenn die Berufsstarter von heute in den Ruhestand treten, wird der Anteil der Über-65-Jährigen an der Bevölkerung bei einem Drittel gegenüber heute mit einem Fünftel liegen. Dank der durch uns eingeleiteten Wende in der Kinder-, Jugend- und Familienpolitik steigt aktuell die Zahl der Neugeborenen wieder. Doch diese erfreuliche Entwicklung wird wie auch eine erfolgreiche Integration von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte die zentrale Tendenz nur unwesentlich abmildern.

Da gleichzeitig der Wohlstand in unserer älter werdenden Gesellschaft weiter wachsen soll, die Arbeit im Pflege-, Gesundheits- und Dienstleistungssektor zunehmen und die Exportwirtschaft im globalen Markt weiter wachsen dürfte, wird aus dem Druck des von Massenarbeitslosigkeit geprägten deutschen Arbeitsmarktes der letzten dreißig Jahre in Zukunft mehr und mehr ein Sog: Arbeitskräfte werden gebraucht und gesucht, ökonomisch ausgedrückt: ein „knappes Gut“. Heute schon fehlen in manchen Branchen Fachkräfte, die Schulabgängerzahlen in Ostdeutschland halbieren sich gerade jetzt. Viele Arbeitgeber kämpften in der zurückliegenden Wachstumsphase schon um ihre Attraktivität für junge Leute.

Diese Entwicklung stellt die Politik und die Sozialpartner vor neue Herausforderungen, nicht nur bei Rente, Pflege und Gesundheit. Sie bietet aber ebenso eine Fülle neuer Möglichkeiten für die Gestaltung eines humanen Arbeitslebens in einer sozial gerechteren Gesellschaft.

Wir haben als schleswig-holsteinische SPD umfassende Vorschläge nach dem Prinzip „Steuern statt Beiträge“ für die Festigung der sozialen Sicherungssysteme unter den Bedingungen des demografischen Wandels vorgelegt. Diese sind ins Grundsatzprogramm der SPD eingegangen und stellen heute die Linie der Partei dar. Nun ist es Zeit für einen zweiten Schritt.

Der künftig stärker werdende Sog des Arbeitsmarktes kann sich positiv auswirken auf die Erwerbsbeteiligung von Frauen mit einer bisherigen Beschäftigungsquote von 64 Prozent (Männer: 70 Prozent) – und die Chance eröffnen, familienfreundlichere Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Der Nachwuchsmangel kann Geringqualifizierte (Erwerbsbeteiligung: 54 Prozent, Hochqualifizierte: 84 Prozent) und insbesondere die „Bildungsreserve“ der hier geborenen Migrantenkinder erfassen – und verbindliche Sprachförderung, Integration und gesellschaftliche Inklusion zur puren ökonomischen Notwendigkeit werden lassen. Und der demografische Wandel am Arbeitsmarkt wird dazu führen, dass Unternehmen und öffentliche Arbeitgeber mehr und mehr daran interessiert sein müssen, ältere Beschäftigte in der Belegschaft zu halten. Sie müssen auf ihre veränderte Leistungsfähigkeit reagieren und ggf. bestimmte Arbeitsplätze einrichten, die den älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern besser gerecht werden.

Diesen Wandel kann und muss sozialdemokratische Politik gestalten. Es geht auch um ein neues Bild des bewussten Älterwerdens. Es geht um gute Arbeit, die nicht krank macht und die anständig bezahlt wird, um armutsfeste soziale Sicherungssysteme, um Familienfreundlichkeit und um gesellschaftliche Teilhabe für alle Generationen. Mehr Zeitsouveränität für die Beschäftigten ist möglich: Im Wettbewerb der Unternehmen um Mitarbeiter werden Teilzeitmodelle, Optionszeiten („Sabbaticals“) und flexible Übergänge am Ende des Erwerbslebens zum Konkurrenzvorteil. Auch wenn immer noch zu viele Arbeitgeber dies ignorieren, so hat doch eine wachsende Zahl von ihnen die Notwendigkeit zum Handeln bereits erkannt. Nicht zuletzt durch unsere rentenpolitischen Entscheidungen und die Initiativen zur Beschäftigungsförderung Älterer ist die Beschäftigungsquote der über 55-Jährigen vom Jahr 2000 mit 37 Prozent bis 2008 auf 54 Prozent angestiegen.

Wir stehen vor der wohl größten Umwälzung des Arbeitslebens seit der industriellen Revolution: Die Vorstellung vom starr dreiteiligen Lebenslauf – Ausbildung, „Normalarbeitsverhältnis“, Ruhestand – entspricht schon heute nicht mehr der Realität. Dieses Bild darf deshalb auch nicht allein bestimmend sein für die Ausrichtung der Sozialsysteme.

Im siebten Familienbericht (April 2006), der noch von der rot-grünen Bundesregierung in Auftrag gegeben war, wird schon thematisiert, dass die zunehmend längeren Lebensläufe so zu organisieren seien, „dass sich unterschiedliche Lebensphasen von Bildung, Fürsorge, ökonomischer Erwerbsarbeit und Erholungsphasen nicht mehr in eine Dreiteilung des Lebenslaufs einfügen müssen, sondern in bunter Abfolge miteinander verknüpft werden können. […].“

Wir brauchen sozialdemokratische Konzepte für eine neue, finanziell ausreichend abgesicherte Zeitsouveränität, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Zukunft gewinnen können.

Deshalb fordern wir:

  • Alle Unternehmen sollen sich auf älter werdende Belegschaftsstrukturen einstellen und gute Arbeit bieten, die ein auskömmliches und leistungsgerechtes Einkommen sichert, Ansprüche auf Leistungen der solidarischen Sozialversicherung garantiert und gute Arbeitsbedingungen gewährleistet.
  • Alters- und alternsgerechte Arbeitsplätze sowie eine Beschäftigungskultur, in der es für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit schweren körperlichen Belastungen rechtzeitig Rehabilitationsangebote, Qualifizierungen und Transfermöglichkeiten auf andere Arbeitsplätze gibt.
  • Lebensbegeleitende Weiterbildung, alternative Beschäftigungsmöglichkeiten nach längeren Phasen schwerer körperlicher Arbeit, Existenzgründungsprogramme für ältere Menschen sowie ein Bundesprogramm Gründungspaten.
  • Mehr Zeitautonomie für die Beschäftigten durch innovative Umsetzung der Rechtsansprüche auf Teilzeit, Elternzeit, Pflegezeiten für nahe Angehörige und Weiterbildung.
  • Die offensive Nutzung der gegen Insolvenz geschützten Arbeitszeitkonten für eine bessere Lebensarbeitszeitplanung
  • Flexible Übergänge vom Arbeitsleben in den Ruhestand durch Fortsetzung der Altersteilzeitförderung bis 2015, einer neuen Rentenart der Teilrente ab 60 Jahren und zusätzlichen Beitragsmöglichkeiten an die Rentenversicherung.
  • Die Möglichkeit der Beschäftigung bei individuellem Wunsch auch über das gesetzliche Renteneintrittsalter hinaus.
  • Eine Stärkung der Freiwilligendienste für alle Generationen.

Altersgerechtes Arbeiten

Gemeinsames Interesse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, Wirtschaft und Gesellschaft

Sichere und alternsgerechte Arbeitsplätze schaffen

Dabei sein durch Qualifizierung und Übergänge in neue Beschäftigung

Optionszeiten

Von den Arbeitnehmern her denken

Gegen Insolvenz geschützte Arbeitszeitkonten zur Lebensarbeitszeitplanung nutzen

Flexible Übergänge vom Arbeitsleben in den Ruhestand

Variable Lösungen statt „Ganz oder gar nicht“

Altersteilzeitförderung mit neuer Konditionierung bis 2015 fortsetzen

Neue Rentenart ab 60 – Teilrente modernisieren

Zusätzliche Einzahlungen in die Rentenversicherung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer ermöglichen

Beschäftigung auch über das gesetzliche Rentenalter hinaus bei individuellem Wunsch ermöglichen

Freiwilligendienste für alle Generationen