S1: Wir sorgen für soziale Sicherheit (2003): Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 25. Juni 2013, 19:59 Uhr

Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Kiel 2003
Bezeichnung: Leitantrag S1
Antragsteller: Landesvorstand


Beschluss: Angenommen


Finanzierungs- und Vertrauenskrise der Solidarsysteme

Soziale Sicherheit für alle Bevölkerungsgruppen und Generationen dauerhaft zu gewährleisten, ist ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit und damit ein zentrales Anliegen der deutschen Sozialdemokratie.

Bislang werden die sozialen Sicherungssysteme in Deutschland ganz überwiegend solidarisch und paritätisch durch Sozialversicherungsbeiträge auf dem Faktor Arbeit finanziert (Rente, Krankheit, Pflege, Arbeitslosigkeit). Diese Finanzierungsform ist aus mehreren Gründen in Frage gestellt. Die Lebenserwartung ist erfreulicherweise – nicht zuletzt aufgrund der medizinischen Fortschritte – deutlich gestiegen. Damit verlängert sich automatisch die Rentenbezugsdauer. Die Sozialversicherungssysteme haben ein strukturelles Einnahmeproblem, bedingt durch die hohe Massenarbeitslosigkeit und kürzere Lebensarbeitszeit. Sie haben aber auch ein strukturelles Ausgabenproblem.

Die demographische Entwicklung in Deutschland führt dazu, dass das Verhältnis zwischen Beitragszahlern einerseits und Rentenbeziehern andererseits immer ungünstiger wird, so dass bei unveränderter Entwicklung die jeweils aktive Generation der Beitragszahler immer stärker – und damit übermäßig belastet wird. Gleichzeitig verbietet sich jedoch eine noch höhere Belastung des Faktors Arbeit, weil steigende Lohnnebenkosten die wirtschaftliche Entwicklung und Arbeitsplätze in Deutschland gefährden. Zudem werden nicht alle Bevölkerungsgruppen von den Abgaben erfasst, so dass sich eine immer größere Gerechtigkeitslücke auftut. Schließlich steht insbesondere die jüngere Generation vor der doppelten Herausforderung stärkerer Abgabenlast einerseits und zusätzlicher eigener Vorsorge andererseits.

Viele Bürgerinnen und Bürger haben ihr Vertrauen in die Haltbarkeit unserer Sozialversicherungssysteme verloren und sind tief verunsichert. Die Wirtschaft sieht sich mit der Gefahr immer weiter steigender Lohnnebenkosten konfrontiert. Dies führt dazu, dass weniger investiert und konsumiert wird, was auch einen Teil der heutigen Schwäche der Binnenkonjunktur begründet. So wächst die Unsicherheit.


Langfristig denken

Grundlegende Strukturreformen im Bereich der sozialen Sicherung sind damit sowohl ein Gebot ökonomischer Vernunft als auch sozialer Verantwortung für heutige und künftige Generationen.

Mit der Einführung einer ergänzenden kapitalgedeckten Altersvorsorge, der „Riesterrente“, haben wir in der vergangenen Legislaturperiode den Umbau der Alterssicherung begonnen. Die Agenda 2010 enthält weitere Schritte des Umbaus – mit dem Ziel, den Verfassungsauftrag zur Sozialstaatlichkeit (Art. 20) unter sich wandelnden Bedingungen umfassend zu erfüllen.

Nur eine konsequente Reform der Sozialversicherungssysteme führt zu dauerhafter sozialer Sicherheit und Generationengerechtigkeit. Weitere Schritte sind notwendig, um auch in den kommenden Jahrzehnten soziale Sicherheit für alle Generationen zu garantieren. Es geht auch darum, durch mehr Steuerfinanzierung und weniger Sozialabgaben den Faktor Arbeit zu entlasten und unsere sozialen Sicherungssysteme zukunftsfest zu machen.

Wir haben bewusst eine langfristige Perspektive im Blick. Verantwortliche Politik muss heute mehr denn je Lösungen anbieten, die über den nächsten Wahltag hinaus wirken. Nur so können wir neues Vertrauen bei den Menschen gewinnen und das Land in eine gute und sichere Zukunft führen.

Dabei lassen wir uns von folgenden Grundsätzen leiten: Die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme soll auf eine breitere Basis gestellt werden. Alle Erwerbstätigen und Vermögenden haben einen gerechten Beitrag zu leisten. Dort, wo wir einen Systemwechsel vornehmen wollen, muss dieser berechenbar und sozial gerecht ausgestaltet sein. Insbesondere müssen bei der Alterssicherung bestehende Rentenansprüche berücksichtigt werden. Das Vertrauen in die langfristige Stabilität der sozialen Sicherungssysteme muss dauerhaft wiederhergestellt werden.


Demografische Entwicklung

In Deutschland kommen auf zwei Erwachsene seit längerem nur noch 1,3 Kinder. Diese Tatsache setzt unsere Gesellschaft unter einen enormen Problemdruck. Die Konsequenzen der demographischen Entwicklung sind noch nicht offensichtlich aber vorprogrammiert. Noch schrumpft Deutschland nicht, wir haben 82,5 Millionen Einwohner und bleiben in dieser Größenordnung sogar noch eine Weile stabil; knapp die Hälfte der Bevölkerung ist erwerbstätig und erarbeitet den Wohlstand, von dem auch Kinder, Lehrlinge und Studenten, Arbeitslose, Kranke und Behinderte, RentnerInnen, Pensionäre und Pflegebedürftige zehren.

Erst ab 2007 (in den neuen Bundesländern ab 2005) werden zunächst die Schülerzahlen stark zurückgehen. Bei den Studierenden wird der Einbruch 2008 erwartet. Ab 2020 steigt die Zahl der Rentner sprunghaft an, dann gehen die Kinder des Babybooms von Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre in den Ruhestand. Das Verhältnis von Rentnern zu Erwerbstätigen, das heute 1:2,9 beträgt, entwickelt sich über 1:2 im Jahre 2020 auf 1:1,4 2030. Sowohl die Rentner- als auch die Erwerbsgenerationen dieser fern scheinenden Zukunft sind längst geboren.

Diese gewaltige demographische Veränderung wirkt sich insbesondere auf die Renten-, die Pflege- und die Krankenversicherung aus. Die Versicherungsbeiträge, die den Faktor Arbeit belasten, müssten steil nach oben gehen, weil mehr und mehr ältere Menschen länger alt, krank und pflegebedürftig sein werden. Die steigenden Lohnnebenkosten (zusammen heute 42 Prozent) für die Rentenversicherung (heute 19,5 Prozent), die Krankenversicherung (14,3 Prozent), die Pflegeversicherung (1,7 Prozent) und die Arbeitslosenversicherung (6,5 Prozent) werden so zur immer höheren Hürde für das, was am dringendsten nötig wäre, um den Wohlstand zu erwirtschaften, aus dem die verdoppelten und verdreifachten Leistungsansprüche der Zukunft zu bedienen wären: mehr bezahlte Arbeit.

Deutschland hat eine im europäischen Vergleich schlecht ausgebaute Kinderbetreuungsinfrastruktur, eine niedrige Frauenerwerbsquote, und eine niedrige Geburtenrate. Diese Tatsachen stehen miteinander im Zusammenhang und tragen dazu bei, dass die Leistungsfähigkeit der deutschen Sozialsysteme substanziell gefährdet ist. Deshalb brauchen wir den erheblichen Ausbau der Kinderbetreuungsinfrastruktur, den die Bundesregierung und einige Landesregierungen durch ihre Milliardenprogramme eingeleitet haben, und mehr. Vergleichszahlen aus EU-Nachbarländern zeigen, dass so die Frauenerwerbstätigkeit deutlich erhöht wird und gleichzeitig die Geburtenrate ansteigen kann.

Die notwendigen durchgreifenden Reformen in der Familien- und Bildungspolitik müssen durch eine vorausschauende Zuwanderungspolitik ergänzt werden. Kurzfristig kann arbeitsmarktbezogene Zuwanderung Engpässe in Teilbereichen des Arbeitsmarktes überwinden und neue Arbeitsplätze schaffen und dadurch die Zahl der Beschäftigten erhöhen. Langfristig ist die Zuwanderung qualifizierter, jüngerer Personen in den Arbeitsmarkt erforderlich, um den dann bestehenden Arbeitskräftebedarf zu decken und ein zu starkes Absinken der Wirtschaftskraft durch wegbrechende Nachfragemärkte abzufangen. Eine steuernde Zuwanderungspolitik kann in Verbindung mit anderen Politiken helfen, die Auswirkungen der demographischen Entwicklung abzubremsen.


Umbau-Modelle

Eine Reihe von EU-Staaten hatte schon in den 90er Jahren begonnen, ihre Sozialsysteme im Hinblick auf die Beschäftigungswirkung erfolgreich zu modernisieren. In Deutschland wurde dagegen die Krise des schon damals veralteten Sozialsystems durch die Finanzierung der Einheit noch zusätzlich verschärft. Heute liegt Deutschland bei den beschäftigungshemmenden Lohnnebenkosten europaweit in der Spitzengruppe, während wir bei der Steuerbelastung, insbesondere der Mehrwertsteuer, im unteren Bereich liegen.

Unsere Nachbarländer Dänemark und die Niederlande, deren kleine Ökonomien von der Globalisierung in besonderem Maße abhängig sind, haben ihr soziales Netz zu einer Art „Trampolin“ umgebaut, das die Menschen in die Erwerbstätigkeit zurückfedert. Grundsicherungsmodelle, die „Cappuccino“-Rente in den Niederlanden und die konsequente Steuerfinanzierung des dänischen Sozialstaats zeigten erhebliche Erfolge für den Arbeitsmarkt. All dies lässt sich nicht eins zu eins auf Deutschland übertragen. Aber es spricht nichts dagegen, sich an einzelnen erfolgreichen Modellen zu orientieren. Die Beispiele aus unseren Nachbarländern zeigen, dass es keinen Grund gibt, die Hände in den Schoß zu legen, Demographie und Globalisierung zu beklagen und an alten Rezepten festzuhalten.

Der Übergang zur Steuerfinanzierung sozialstaatlicher Leistungen, die Abkehr vom Sozialversicherungsstaat bismarckscher Prägung ist dabei selbst bei uns gar nicht so beispiellos, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Viele Transferleistungen des Sozialstaats in Deutschland sind schon heute rein steuerfinanziert:

Erziehungsgeld, Bafög, Sozial- und Arbeitslosenhilfe, Wohngeld und auch die Transferanteile des Kindergeldes. All dies war niemals als „Versicherung“ organisiert. Andere Vorschläge zur Reform der sozialen Sicherungssysteme folgen oft alt bekannten Mustern. Die Oppositionsparteien im Deutschen Bundestag sprechen von „Richtungsentscheidungen für die Freiheit des Einzelnen und gegen die Bevormundung durch den Staat“ (CDU) und von „mehr Eigenverantwortung statt sozialer Bevormundung“ (FDP). Darin sind sich Konservative und Liberale mit den Arbeitgebervertretern einig. Wobei der Terminus „Bevormundung“ meist dazu dient, die Verantwortung der Stärkeren für die, die es – aus welchem Grund auch immer – weniger gut haben, abzulehnen.

Wir deutschen Sozialdemokraten müssen unseren eigenen Weg für die erneuerte soziale Sicherung der Zukunft finden – solidarisch, gerecht, ökonomisch, vernünftig und dauerhaft.

Wir stellen uns den Herausforderungen. Wer, wenn nicht wir, kann sozial gerechte Lösungen auf die vor uns stehenden Herausforderungen geben. Zur nachhaltigen Absicherung der Sozialsysteme Rente, Krankheit, Pflege und Arbeitslosigkeit sind 4 Punkte neu zu justieren.

  • Strukturreform der sozialen Sicherungssysteme
  • Umstellen auf eine stärkere Steuerfinanzierung
  • Verbreiterung der Bemessungsgrundlagen bei Gesundheit und Pflege
  • Definition der Eigenvorsorge in allen 4 Systemen

Rentenversicherung

Wir wollen, dass auch in Zukunft die Rentnerinnen und Rentner ein angemessenes Einkommen im Alter haben. Dies muss aber zu bezahlbaren Beiträgen für die jeweils erwerbstätige Generation erfolgen. Ihr muss die Möglichkeit zur optimalen Nutzung ihrer Beschäftigungschancen gegeben sein. Gleichfalls muss sie ihrer Aufgabe zur Sicherung einer guten Infrastruktur für die aufwachsende Generation gerecht werden können. Dies macht es erforderlich einen Nachhaltigkeitsfaktor in die Rentenformel einzubeziehen, der das Verhältnis von erwerbsfähiger Bevölkerung und Leistungsbeziehern bei der Anpassung der Renten berücksichtigt.

Der heutige Anteil von Steuermitteln in der GRV ist die Folge der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung für den Bestand einer solidarischen Alterssicherung und Ausdruck politischer Schwerpunktsetzung der SPD. Versicherungsfremde Leistungen werden in der Rentenversicherung steuerfinanziert. So wurde die Mehrwertsteuer bereits 1997 um einen Punkt angehoben. Die SPD-geführte Bundesregierung hat sich nach dem Regierungswechsel bewusst für die Entlastung des Faktors Arbeit entschieden und die Ökosteuer eingeführt, um neue Beschäftigung zu schaffen und die Energiekosten maßvoll anzuheben und die Rentenbeiträge zu senken. Die Leistungen des Bundes aus Steuermitteln an die Rentenkasse liegen derzeit bei 77,3 Mrd. € und betragen damit ca. 1/3 der Rentenzahlungen. Durch den Steueranteil wird ein wichtiger Beitrag geleistet, die Lohnnebenkosten stabil zu halten.

Zur Senkung des Beitragssatzes halten wir eine entsprechende Umfinanzierung durch Steuern für erforderlich und auch sozial vertretbar.

Wir werden die Riester-Rente konsequent weiterentwickeln, die Verfahren deutlich vereinfachen und damit die Voraussetzung schaffen, dass sie obligatorisch werden kann. So stärken wir die private Vorsorge und ergänzen die steuer- und umlagefinanzierte gesetzliche Rente.

Davon unabhängig ist bereits jetzt schon klar, dass der private Teil der Altersversorgung künftig an Bedeutung gewinnen wird. Die gesetzliche Rentenversicherung mit ihren solidarischen Elementen (Steuern und Beiträge), die betriebliche Altersversorgung und die eigene Vorsorge werden in einem neu auszutarierenden Verhältnis künftig die Garanten für ein sicheres Einkommen im Alter sein.

Mittelfristig wollen wir eine steuerfinanzierte Grundrente einführen.

Die demographische Belastung für das Rentensystem kann nicht allein durch steigende Beiträge aufgefangen werden. Auf lange Sicht ist es daher notwendig, durch eine Erhöhung des Renteneintrittalters ein ausgewogenes Verhältnis von Beschäftigungsdauer und Rentenbezugsdauer herzustellen und damit die Lasten zu minimieren. Kurzfristig geht es dabei um die Förderung eines schnellen Berufseinstiegs junger Menschen durch die Verkürzung der Dauer der Erstausbildung, auch im Hochschulbereich, und die Heraufsetzung des faktischen Renteneintrittsalters. Anstelle einer vorzeitigen Ausgliederung aus dem Erwerbsleben muss künftig die verstärkte Beschäftigung Ältere, die vorbeugende Verhinderung von Arbeitslosigkeit von Arbeitslosigkeit und die Wiedereingliederung bereits Arbeitsloser vorrangiges Ziel arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen sein. Auch Änderungen bei den Arbeitsbedingungen, der Arbeitsorganisation und den sozialrechtlichen Rahmenbedingungen müssen einen wichtigen Beitrag leisten, damit ältere Menschen länger erwerbstätig bleiben. Alle diese Anstrengungen werden jedoch nur Erfolg haben, wenn auch die Unternehmen umdenken und älteren Beschäftigten wieder eine Chance auf dem Arbeitsmarkt geben.

Mit unseren Reformen der GRV haben wir einen wichtigen Beitrag zum Einstieg in die eigenständige Sicherung von Frauen und zur Geschlechtergerechtigkeit geleistet. Drei Entgeltpunkte pro Kind sichern der Mutter oder dem erziehenden Vater die Rentenansprüche eines Durchschnittsverdieners für die Zeit von drei Jahren. Kann sie oder er neben ihren/seinen Erziehungsaufgaben noch einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen, werden diese Rentenansprüche zusätzlich angerechnet. Außerdem besteht bis zum 10. Lebensjahr des Kindes die Möglichkeit, Rentenansprüche aus einer gering entlohnten Beschäftigung oder einem Teilzeitjob bis zu einem Entgeltpunkt aufzuwerten. Seit der Rentenreform 2001 besteht darüber hinaus die Möglichkeit, die Rentenansprüche partnerschaftlich aufzuteilen.

Auch mit den neuen Fördermöglichkeiten der Riester-Rente sind jedoch Benachteiligungen von Frauen im System bedingt. Der größte Nachteil liegt im versicherungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Frauen müssen aufgrund ihrer höheren Lebenserwartung bis zu 15 % höhere Beiträge zahlen, bei in der Regel geringeren Einkommen. Wir fordern, dass geschlechtergerechte Tarife mit gleichen Beitragssätzen für Männer und Frauen bei der Förderung bevorzugt berücksichtigt werden.

Die gesetzliche Rentenversicherung sollte flexible Möglichkeiten vorsehen, Versicherungslücken, die aus Brüchen der Erwerbsbiografie entstehen, zu schließen. Aus Gründen der Gerechtigkeit sollte der Ansatz der Rentenreform 2001 fortgeführt werden, d.h. alle Maßnahmen zur Stabilisierung der Rentenversicherung werden wirkungsgleich in die Beamtenversorgung übernommen. In der Zukunft wird der bereits eingeschlagene Weg der Zahlung eines eigenen Beitrages der Beamten zu ihrer Altersversorgung weiter fortgesetzt werden müssen. Entsprechende Regelungen sind auch bei der Altersvorsorgung von Ministern und Abgeordneten vorzunehmen. Wir sprechen uns für eine schrittweise Ausweitung des Versichertenkreises auf die Beamten aus.

Die Einbeziehung von Selbständigen in die GRV sollte für den Personenkreis geprüft werden, der nicht schon heute über eine angemessene berufsständische Absicherung verfügt. Hierbei steht insbesondere die Frage der Gerechtigkeit und der durchgängigen Absicherung von Menschen mit wechselnden Phasen von Selbständigkeit und abhängiger Beschäftigung, wie sie zunehmend unter den „neuen“ Selbständigen zu finden sind, im Vordergrund.

Krankenversicherung

Durch die Modernisierung des Gesundheitssystems wollen wir die Qualität der Gesundheitsversorgung verbessern und die Effizienz des Mitteleinsatzes erhöhen. Unabhängig von Alter, Geschlecht oder Einkommen soll jede Bürgerin, jeder Bürger auch in Zukunft die medizinisch notwendigen Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung erhalten. Landesgesundheitskonferenzen haben die Aufgabe, eine an regionalen Krankheitsraten orientierte, sektorenübergreifende Versorgung zu koordinieren.

Darüber hinaus gehende Zusatzleistungen sind den Versicherten ausschließlich von der privaten Krankenversicherung anzubieten.

Wir wollen die Leistungen der sozialen Krankenversicherung dauerhaft sichern. Gleichzeitig wollen wir die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung im Hinblick auf Belastungsgerechtigkeit und gesamtwirtschaftliche Wirkungen nachhaltig neu ordnen. Ziel ist es, den Beitragssatz im Ergebnis deutlich zu senken. Ein Beitrag ist dabei die Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen. Auch für die GKV gilt das Prinzip sozialdemokratischer Politik, dass die solidarischen Sicherungssysteme nicht durch Leistungen überfordert werden dürfen, die von der ganzen Gesellschaft zu tragen sind. Wir machen Schluss mit der einseitigen Finanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben nur durch die Versicherten.

In der GKV wollen wir einen qualitätsorientierten Wettbewerb sowohl zwischen den Krankenkassen als auch zwischen den Leistungserbringern in einem solidarischen und fairen Ordnungsrahmen.

Private Vorsorge muss auch in einem zukunftsfähigen Gesundheitssystem eine größere Rolle spielen. Gesundheitsbewusstes Verhalten und die Stärkung des Präventionsgedanken sind zentrale Elemente einer stärkeren privaten Verantwortung für die Stabilisierung des Gesundheitswesens. Ein Präventionsgesetz wird diese Gedanken unterstützen. Durch eine individuelle gesundheitsfördernde Lebensführung können Krankheiten vermieden, Lebensqualität gefördert und das Leben verlängert werden.

Versicherte, die an speziellen Versorgungsformen teilnehmen, sollen einen finanziellen Anreiz erhalten. Bei Leistungen, die nicht notwendig sind, müssen die Menschen mehr Eigenverantwortung übernehmen.

Die eingeleitete Ausweitung der mitwirkungsrechte der Patienten und ihrer Verbände ist weiter auszubauen. Gütesiegel für Ärzte und Krankenhäuser sind zur Patienten- und Verbraucherorientierung einzuführen. Patientenverbände sind in den Landesgesundheitskonferenzen zu beteiligen.

Die aktuellen Reformschritte, insbesondere durch Strukturmaßnahmen und Steuerungsinstrumente bei der Versorgung, stellen die GKV mittelfristig auf eine stabilere Basis.

Kritisch sehen wir die überproportional hohe Belastung insbesondere der Kranken durch Leistungsbegrenzung und Anhebung der Zuzahlung. Weitergehende kostensenkende Strukturreformen auf Seiten der Leistungserbringer sind aber am Widerstand der CDU/FDP Opposition und der Lobby der Standesorganisation und der Pharmaindustrie gescheitert.

Wir brauchen mehr Wettbewerb auch im Gesundheitssystem. Die Aufhebung des Vertragsmonopols der Kassenärztlichen Vereinigungen, die Positivliste, die Liberalisierung bei der Arzneimittelversorgung und die Beseitigung bestehender Wettbewerbsverzerrungen bei den Krankenkassen bleiben für die SPD zukünftige Reformschritte.

Mittelfristig gilt es, die gesetzliche Krankenversicherung durch die Sicherung einer nachhaltigen Finanzierung zu modernisieren. Dabei sind die Ausdehnung des Versichertenkreises auf die Wohnbevölkerung, die Einbeziehung aller Einkommensarten sowie die Fortschreibung der Beitragsbemessungs- und Versicherungspflichtgrenze wesentliche Faktoren zur Weiterentwicklung der Finanzierung einer wettbewerbsorientierten GKV. Wir wollen für die medizinisch notwendigen Leistungen der sozialen Krankenversicherung eine solidarische Bürgerversicherung, wobei die Beiträge der abhängig Beschäftigten von Arbeitgebern und Arbeitnehmern paritätisch finanziert werden soweit sie aus dem Arbeitseinkommen resultieren. Die darüber hinaus gehenden Leistungen sind den Versicherten ausschließlich durch die privaten Krankenversicherungen anzubieten.

Damit können die Beiträge und Lohnnebenkosten spürbar gesenkt werden.

Pflegeversicherung

Ziel unseres Reformansatzes ist es, die aus dem demographischen Wandel resultierenden Lasten gleichmäßig auf die Generationen zu verteilen und die Leistungsfähigkeit der GPV zu erhalten. Auf der Basis realistischer Annahmen über die Ausgabenentwicklung in der GPV ergäbe sich langfristig die Notwendigkeit, den Beitragssatz bis zum Jahr 2040 auf mindestens 3,0 % anzuheben. Ab dem Jahr 2010 wird daher ein „intergenerativer Lastenausgleich“ eingeführt. Die Rentnerinnen und Rentner werden sich durch einen zusätzlichen Beitrag an der gerechten Verteilung der Lasten zwischen den Generationen beteiligen. Durch den Aufbau eines Kapitalstocks sollen die demografisch bedingten Folgen für alle Generationen in Zeiten der höchsten Belastung abgemildert werden.

Im Rahmen der Reform der GPV wollen wir eine klarere Trennung von medizinischer Behandlungspflege der GKV und den Pflegeleistungen der GPV. Die bestehenden Verschiebungsmöglichkeiten zwischen diesen beiden Systemen müssen beendet werden.

Alle Leistungssätze werden ab dem Jahr 2005 dynamisiert, um das tatsächliche Leistungsniveau der Pflegeversicherung langfristig aufrecht zu erhalten. Die Leistungssätze für die ambulante und die stationäre Pflege werden ab 2005 angeglichen. Die Sätze für das Pflegegeld im Jahr 2005 bleiben dabei unverändert.

Die Ergänzung der Leistungen der GPV durch die Hilfen zur Pflege nach dem Sozialhilferecht aus Steuermitteln stellen bereits heute sicher, dass sich die Gemeinschaft an der Absicherung von Pflegeleistungen angemessen beteiligt.

Dennoch wird die Pflegeversicherung auch in Zukunft nur eine ergänzende Versicherung des Lebensrisikos Pflegebedürftigkeit bieten können. Zusätzliche private Anstrengungen werden weiterhin notwendig sein, um eine umfassende Absicherung im Pflegefall zu erreichen.

Zur Umsetzung des BVerfG-Urteils zur Berücksichtigung der Kindererziehung, wird für alle GPV-Mitglieder ohne mitversicherte Kinder ein zusätzlicher pauschaler Beitrag erhoben. Damit wird auch in der Pflegeversicherung ein klares Signal zu Besserstellung von Erziehenden verankert und ein Beitrag zur Geschlechtergerechtigkeit geleistet.

Mittelfristig ist die Integration der GPV als eigenständiger Versicherungszweig in die Bürgerversicherung zu prüfen.

Arbeitslosenversicherung

Die Arbeitslosenversicherung soll vorrangig das individuelle Risiko Arbeitslosigkeit absichern (Arbeitslosengeld). Daneben erfüllt die Arbeitslosenversicherung in Deutschland zahlreiche weitere Funktionen wie z.B. Beratung und Vermittlung, aktive Arbeitsförderung sowie familien- und sozialpolitische Aufgaben.

Die Arbeitslosenversicherung finanziert sich bisher zu mehr als 90 % aus den Beiträgen von sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Aus diesen Beiträgen werden in erheblichem Umfang auch versicherungsfremde Leistungen von gesamtgesellschaftlichem Interesse bezahlt.

Mit der Umsetzung der Hartz-Vorschläge sind wichtige Reformen für den Arbeitsmarkt eingeleitet worden. Zur Senkung der Lohnnebenkosten in Deutschland sind weitere Reformen erforderlich. Wir schlagen vor, grundsätzlich an der Arbeitslosenversicherung als gesetzlicher Pflichtversicherung und der paritätischen Finanzierung durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber festgehalten. Das Versicherungsprinzip und die Effizienz der Arbeitslosenversicherung sollen gestärkt werden.

Kern der Reform sollte sein, die Aufgaben der Arbeitslosenversicherung entsprechend dem Grad der mehr individuellen bzw. mehr gesellschaftlichen Verantwortung zu unterscheiden und entsprechend zu finanzieren:

  • Echte Versicherungsleistungen (Ersatz des Arbeitsentgelts bei Arbeitslosigkeit und bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers) werden weiterhin aus Beiträgen der sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer und Arbeitgeber paritätisch finanziert.
  • Aufgaben im unmittelbaren Interesse und in der Verantwortung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern werden weiterhin aus den Sozialversicherungsbeiträgen zur Arbeitslosenversicherung finanziert. Dies umfasst die individuelle und institutionelle Förderung der beruflichen Aus- und Weiterbildung, berufsvorbereitende Maßnahmen und Leistungen zur Rehabilitation.
  • Die Beratung und Vermittlung einschließlich der Beauftragung Dritter mit diesen Aufgaben (z.B. PSA) sowie die sonstigen Ausgaben der Bundesanstalt für Arbeit sollten künftig aus Steuermitteln erfolgen.
  • Aufgaben, bei denen die Verantwortung nicht nur bei den sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, sondern bei allen gesellschaftlichen Gruppen liegt, sollten künftig aus Steuermitteln finanziert werden. Hierzu zählen z.B. die Integration von Behinderten in Gesellschaft und Arbeitsleben, die Förderung von Jugendlichen (inkl. Maßnahmen zur Berufsorientierung von Schülern). Auch die Förderung von Existenzgründungen sowie Strukturanpassungsmaßnahmen und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen liegen im gesamtgesellschaftlichen Interesse.

Bei einer solchen Reform würden von den Gesamtausgaben der Bundesanstalt für Arbeit (von rd. 53 Mrd. € (Soll 2003) knapp ein Drittel (etwa 16,5 Mrd. Euro) aus Steuermitteln getragen. Die restlichen 36,6 Mrd. sollten weiterhin aus Beiträgen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern sowie den übrigen bisher üblichen Quellen finanziert.

Mit dieser Steuerfinanzierung der Arbeitslosenversicherung in Höhe von 16,5 Mrd. € können die Beiträge der Arbeitnehmer und Arbeitgeber von 48,6 Mrd. € auf 32,1 Mrd. € gesenkt werden. Da ein Prozentpunkt des Beitragssatzes (derzeit 6,5 %) einem Aufkommen von etwa 7,5 Mrd. € entspricht, ließe sich der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung durch diese Reform rechnerisch um 2,2 Prozentpunkte auf 4,3 % senken.