Antrag 2: Resolution - Für eine soziale und ökologische Reformpolitik statt „Kapitalismus-brutal“! (1998)

Aus Beschlussdatenbank der SPD Schleswig-Holstein
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Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Bad Segeberg 1998
Bezeichnung: Antrag 2
Antragsteller: Jusos Schleswig-Holstein


Beschluss: Überwiesen an Forum Arbeit - Wirtschaft - Zukunft

Der Landesparteitag möge beschließen:


Arbeit für alle - wir wollen Vollbeschäftigung!

In den letzten 15 Jahren haben sich die ökonomischen und sozialen Probleme in der Bundesrepublik dramatisch verschärft. An Massenarbeitslosigkeit, wachsender sozialer Ungerechtigkeit und leeren öffentlichen Kassen sind aber nicht die deutsche Vereini­gung oder die sogenannte Globalisierung schuld. Die Verantwortung trägt in erster Li­nie die jetzige Bundesregierung und ihr Kanzler Helmut Kohl!

Im Mittelpunkt sozialdemokratischer Politik steht das Ziel Vollbeschäftigung. Neben In­vestitionen in Zukunftsbereichen der Volkswirtschaft wollen wir augewählte Wachs­tumsfelder erschließen. Um diese Wachstumspotentiale auch nutzen zu können, brau­chen wir eine deutliche Stärkung der Inlandsnachfrage durch eine gestärkte Massen­kaufkraft und höhere Realeinkommen der abhängig Beschäftigten.

Mittlerweile arbeiten bei stark steigender Tendenz über 4,6 Millionen Menschen in nicht sozialversicherungspflichtigen „610-DM-Jobs“. Besonders betroffen von dieser modernen Form der Tagelöhnerei sind Frauen, die dann im Alter aufgrund fehlender Rentenansprüche auf Soziallilfe angewiesen sind. Diese sogenannten ,,610-DM-Jobs" müssen in einem ersten Schritt endlich sozialversicherungspflichtig werden. Darüber hinaus wollen wir die Wiedereinführung der gesetzlichen Lohnfortrahlung auf 100 % und des Schlechtwettergeldes, aber auch der § 116 AFG muß wieder in seine arbeit­nehmerInnenfreundliche Fassung gebracht werden.

Arbeitszeitverkürzung ist ein zentraler Hebel zur Bekämpfüng der Massenarbeitslosig­keit, das hat die französische Regierung erkannt und ein Arbeitszeitgesetz erlassen. Auch in der Bundesrepublik brauchen wir ein solches Gesetz, das Arbeit statt Arbeits­losigkeit finanziert, aber Billiglöhne, Sozialdumping und unqualifizierte Beschäftigung vermeidet.

Arbeit muß gerechter verteilt werden! Überstunden müssen drastisch zurückgefahren werden und die regelmäßige Wochenarbeitszeit auf 32 Stunden bis zum Jahre 2005 verkürzt werden. Den Tarifparteien und den Betrieben wollen wir finanzielle Anreize für Arbeitszeitverkürzung mit Einstellungsgarantien geben und auch die Verbindung von Qualifizierungsmaßnahmen mit Arbeitszeitverkürzung fördern.

Notwendige Arbeit darf nicht liegen bleiben! Durch eine verstärkte aktive Arbeits­marktpolitik wollen wir öffentliche und produktionsnahe Dienstleistungen besonders in den Bereichen Umwelt, Stadtsanierung, Jugend und Kultur fördern. Dieser öffentliche und tariflich abgesicherte Beschäftigungssektor stellt eine sozialdemokratische Alter­native gegenüber den konservativen Verirrungen einer Dienstbotinnengesellschaft und des Niedriglohnsektors dar!

Die Veränderung der Gesellschaft erfordern gesellschaftspolitische Weichenstellungen. Mit einem öffenflichen Zukunftsinvestitionsprogramm wollen wir den Weg in das näch­ste Jahrtausend eröffnen. Große Chancen durch eine öffentliche Investitionsoffensive bieten der Einstieg in eine Bildungsoffensive und in ökologische Verkehrs-und Infra­strukturnetze. Um den Ausstieg aus der Atomenergie zu realisieren, brauchen wir den Einstieg in die Solarwirtschaft!

Bildung soll die Chancengleichheit aller vewirklichen und darf nicht nur nach der wirt­schaftlichen Verwertbarkeit beurteilt werden. Es ist paradox, wenn die Konservativen das angeblich schlechte Bildungsniveau beklagen, gleichzeitig aber die Bildungszeiten immer mehr verkürzen wollen.

Die integrierte Gesamtschule ist nach wie vor die gerechteste aller Schulen. Studien­gebühren als sozialen Numerus clausus lehnen wir ab. Statt dessen können die Studi­endauern durch die überfällige Einführung des elternunabhängigen BAFÖGs verkürzt werden. Zur Zusammenführung von allgemeiner und beruflicher Bildung gilt es, das Modell der Kollegschulen weiterzuentwickeln.

Zur Deckung des Ausbildungsplatzbedarfs muß endlich die längst beschlossene Ausbil­dungsplatzumlage eingeführt werden. Leeren Ausbildungsplatzversprechen können wir nicht vertrauen. Die Streichung des 2. Berufsschultages schafft keine neuen Ausbil­dungsplätze, sondern dient nur den Gewinninteressen der Unternehmer.

Seit dem Regierungswechsel 1982 betreibt die Regierung Kohl unter dem Schlagwort ,,geistig-moralische Wende" die systematische Demontage des Sozialstaates. Der Sozi­alstaatsabbau durch Kohl und Co. verstärkte sich seit den 90ern noch unter dem Vor­wand der neoliberalen Standortdebatte mit dem offen formulierten Ziel, sämtliche so­ziale und kulturelle Leistungen entweder ersatzlos zu streichen oder gegen Null zu kürzen! Der Politik der sozialen Kälte und der vom DIHT-Vorsitzenden ins Spiel ge­brachten Systemfrage erteilen wir eine klare Absage! Wir wollen statt dessen den Sozi­alstaat entsprechend den Bedürfnissen von Frauen und Jugendlichen umbauen und auch die Initiative für einen europäischen Wohlfahrtsstaat untersützen. Die von Unter­nehmensverbänden und der FDP angelegten Kampagne gegen den solidarischen Ge­nerationenvertrag ist unverantwortlich. Das Kernproblem der Altersicherung ist kei­nesfalls der Altersaufbau der Gesellschaft, sondern das Fehlen beitragspflichtiger Be­schäftigung. Die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit ist somit von zentraler Be­deutung für einen erneuerten Generationenvertrag und einen zukunftsfähigen Sozial­staat.

Mit der bedarfsorientierten Mindestsicherung wollen wir allen Menschen einen aner­kannten und nicht diskriminierenden Mindeststandard an gesellschaftlicher Teilhabe ermöglichen. Ein solcher sozialstaatlicher und verwandtenunabhängiger Rechtsan­spruch muß die massenhaft auftretenden Einkommensrisiken erfassen und in die be­stehenden Sozialsysteme integriert werden.


Kein Standort, sondern ein Verteilungsproblem!

In der Bundesrepublik gibt es kein Standortproblem, sondern nur einen Verteilungs­konflikt. Dieses Land wird immer reicher, man muß nur wissen, wer den Rahm ab­schöpft. Begünstigt durch die Kohlregierung erreichten die Unternehmensgewinne astronomische Höhen, und das private Geldvermögen hat in Händen einiger weniger die Fünf-Billionen-Grenze erreicht, dagegen mußten ArbeitnehmerInnen Reallohnein­bußen hinnehmen. Wer sich denn auf die Lohnkostendiskussion einlassen möchte, sollte ehrlicherweise die jeweiligen Lohnstückkosten vergleichen, und da hat die Bun­desrepublik als Exportweltmeister wahrlich kein Standortproblem. Der wachsenden Polarisierung von Arm und Reich wollen wir mit einer sozialgerechten Steuerpolitik und der Herausnahme von einigen versicherungsfremden Leistungen aus den Sozial­versicherungssystemen entgegentreten.

Maßnahmen für eine gerechte Steuer- und Finanzpolitik sind für uns u.a.. den Steuer­höchstsatz wieder auf 53 % zu setzen, die Besteuerung von Erbschaften und Schen­kungen auf bis zu 30 % erhöhen, die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, die dra­stische Belastung für nicht investierte Gewinne, Stopfung der vielzitierten Steuer­schlupflöcher und die Neufassung von Bewertungs- und Abschreibungrundsätzen. Sonderbelastungen müssen durch direkte Zuschüsse (Erziehungsgeld, Familiengeld Baugeld etc.) statt durch Steuererleichterungen realisiert werden.

Die Bedrohung unserer natürlichen Lebensgrundlagen hat durch Umweltzerstörung und Ressourcenverschwendung eine solche Qualität erreicht, daß die ökologische Frage einen zentralen Punkt zukünftiger Reformpolitik darstellen muß. Ein Hebel dafür bietet heute die Einführung einer Ökosteuer auf den Energieverbrauch. Die durch die Ökosteuer erzielten Einnahmen sollen in den ökologischen Umbau und in die Kassen der Krankenversicherung fließen, die unteren und mittleren Lohngruppen müssen ei­nen Ausgleich erhalten.

Ohne einen subventionierten öffentlichen Personennahverkehr werden wir dem Ver­kehrskollaps nicht entkommen. Er muß endlich als Gemeinschaftsaufgabe verstanden werden. Busse und Bahnen statt Transrapid und Binnenflüge.

Entgegen dem an kurzfristigen Aktienkurssteigerungen ausgerichteten Shareholder-Value-Kapitalismus wollen wir eine sozial-ökologische Wirtschaftsweise etablieren. In Übernahmen wie z.B. im Fall Krupp-Thyssen, der ausufernden Macht der Banken und in den immer größer werdenden globalen Finanzmärkten sehen wir eine Gefahr für alle Menschen! Daher wollen wir Kotrollmechanismen über die Bankenmacht ent­wickeln und die Verschmelzung von Bankenmacht und industrieller Produktion ent­koppeln und das Kartellrecht ausbauen.

Um den Sozialabbauwettlauf und die Ausbeutung der europäischen Arbeitskräfte zu beenden, brauchen wir endlich einen europäischen Sozialpakt, der Mindestlöhne und Mindestsozialstandards festschreibt. Wir wolllen das vereinte Europa vor allem für die Menschen und nicht für die grenzenlose Ausbeutung!

Auf den internationalen Finanzmärkten werden stündlich Milliardenbeträge zwischen verschiedenen Währungen hin- und hergetauscht, um mit minimalen Kursschwankun­gen Spekulationsgewinne einzufahren. Wir wollen daher eine Devisenumsatzsteuer nach den Vorschlägen des Nobelpreisträgers Tobin einführen, die jeden Währungs­umtausch mit einem Prozent der Wechselsumme belastet und damit langfristigen Währungstausch begünstigt! Ein ähnliches Modell wollen wir für kurzfristige Aktien- und Rentenmarktspekulationen einführen.

Die Wehrpflicht stellt eines der letzten Relikte der Blockkonfrontation dar. Sie ist heute weder ökonomisch vertretbar, noch sicherheitspolitisch hilfreich und auch gegenüber den Freiheitsrechten des Einzelnen unhaltbar. Wir fordern die Überführung in eine Kurzzeitdienerarmee. Die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht als Quelle billi­ger Arbeitskräfte für den sozialen und ökologischen Dienst lehnen wir ab. Wir brau­chen qualifiziertes Personal und keien Zwangarbeiter!