G10 Neu: Änderungsantrag zum Grundsatzprogramm / Hamburger Programm (2007)

Aus Beschlussdatenbank der SPD Schleswig-Holstein
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Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Kiel 2007
Bezeichnung: G10 Neu
Antragsteller: Landesvorstand


Beschluss: Angenommen


Der Bundesparteitag möge beschließen:


Kapitel 4. „Unsere Ziele, unsere Politik“, Abs. 7-11 „Politik für Vollbeschäftigung“ (S. 42 ff.) wird ersetzt durch:


Die Zukunft der Arbeit

Das Versprechen auf Vollbeschäftigung durch ein ausreichendes Angebot an Arbeitsplätzen wird in den nächsten Jahren auf natürliche Grenzen stoßen, weil das Wirtschaftswachstum mit der steigenden Produktivität der Arbeit nicht Schritt halten wird. Schon heute gilt: Noch nie wurde mit so wenig menschlicher Arbeitskraft soviel an Gütern und Dienstleistungen produziert. Und noch nie gab es auch so viele Menschen ohne Beteiligung an der Erwerbsarbeit. Gleichzeitig sinkt die Lohnquote und der gesellschaftlich erzeugte Reichtum wird immer ungerechter verteilt.

Allein durch Wirtschaftswachstum werden sich diese Widersprüche nicht beseitigen lassen, weil vor dem Hintergrund der Produktivitätsentwicklung für dauerhafte Vollbeschäftigung Wachstumsraten in einer Höhe erforderlich wären, die ökonomisch nicht darstellbar und ökologisch im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung nicht wünschenswert wären.

Eine der wichtigsten Aufgaben für die Arbeitspolitik der Zukunft wird es sein, diese Veränderungsprozesse rechtzeitig zu erkennen und die sozialen und ökonomischen Folgen politisch zu gestalten. Wenn für immer mehr Menschen der Zugang zur Erwerbsarbeit im Sinne "guter Arbeit" blockiert wird, müssen auch andere Tätigkeiten aufgewertet werden, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern.

Die enorme Steigerung der Produktivität ist ein Wohlstandsindikator. Sie versetzt uns erstmals in der Geschichte der Menschheit in die Lage, den Anteil der Erwerbsarbeit an unserer Lebenszeit soweit zu reduzieren, dass wir den größten Teil unseres Lebens darauf verwenden könnten, Tätigkeiten und Zielen außerhalb der Erwerbsarbeit nachzugehen. Mehr Zeitwohlstand für alle wird ökonomisch möglich.

Die Produktivitätsgewinne müssen deshalb in Zukunft auch dazu genutzt werden, die Erwerbsarbeitszeit planmäßig, stufenweise und weitgehend zu verkürzen. Dieser Prozess sollte auch dazu dienen, die in Deutschland besonders ausgeprägten geschlechtsspezifischen Arbeitsformen und Arbeitszeiten zu überwinden.

Der traditionelle Begriff der Arbeit darf nicht länger auf den Aspekt der Erwerbsarbeit verengt werden. Für die meisten Menschen ist sie heute zwar die entscheidende Einkommensquelle und die Teilhabe daran für die Identität und für die soziale Anerkennung von großer Bedeutung. Aber die Erwerbsarbeit auf einem "Arbeitsmarkt" gehört nicht selbstverständlich zum Wesen des Menschen. Sie ist vielmehr eine historisch gewachsene Form eines Teils der menschlichen Tätigkeiten und Lebensäußerungen. Ziel muss es dennoch bleiben, auch unter veränderten Bedingungen allen, die es wollen, die Teilnahme am Erwerbsarbeitssystem unter Berücksichtigung verkürzter Arbeitszeiten mit lebensstandardsichernder Bezahlung (gesetzlicher Mindestlohn) zu ermöglichen. Das gilt insbesondere auch für die bisher auf dem Erwerbsarbeitsmarkt benachteiligten Frauen.

Zugleich müssen aber ehrenamtliche Tätigkeiten, bürger­schaftliches Engagement, die notwendige Familienar­beit und Eigenarbeit gesellschaftlich als gleichwertig anerkannt und materiell abgesichert werden. Auch diese Tätigkeiten schaffen Werte und vermitteln soziale Anerkennung. Sie bieten die Chance zu sinnvoller Beschäftigung, zu neuer sozialer Integration und zur Persönlichkeitsentwicklung außerhalb des Erwerbsarbeitssystems.

Außerdem gibt es in unserer Gesellschaft noch viel zu tun. Aber für viele notwendige Tätigkeiten gibt es keinen „Markt“: Für eine humane Betreuung von Alten und Gebrechlichen, für die intensive erzieherische und schulische Förderung von Kindern, für die Integration der Menschen mit „Migrationshintergrund“, für Bereiche des Umwelt- und Naturschutzes. Gleichzeitig gibt es noch auf lange Sicht viele – vor allem ältere – Langzeitarbeitslose, die kaum noch eine Chance haben, in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt zu werden. Viele von ihnen wollen ihre Kenntnisse und Erfahrungen in die Gesellschaft einbringen und am sozialen Leben teilhaben. Ihre Menschenwürde verlangt, dass sie nicht auf einen später vielleicht doch wieder aufnahmefähigeren Arbeitsmarkt vertröstet werden. Wir werden mit ihnen in verschiedenen Bereichen der kommunalen Daseinsvorsorge vor Ort gemeinwohlorientierte Bürgerarbeit organisieren. Und wir werden dafür auch ein öffentlich finanziertes Anreizsystem schaffen.