G9: Vorsorgender Sozialstaat (2007)

Aus Beschlussdatenbank der SPD Schleswig-Holstein
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Neumünster 2007
Bezeichnung: G9
Antragsteller: Kreisverband Stormarn


Beschluss: Überwiesen an Projektgruppe Grundsatzprogramm, Regionalkonferenzen

(Beschluss: Überweisung in Projektgruppe Grundsatzprogramm zur Vorbereitung des außerordentlichen Landesparteitages und als Material an die Regionalkonferenzen.)


Der Landesparteitag möge beschließen:


In den „Bremer Entwurf“ des Grundsatzprogramms wird im Kapitel „Der vorsorgende Sozialstaat“ folgende Passage eingefügt (auf Seite 48 hinter dem Absatz „Sicherheit“):

Zum vorsorgenden Sozialstaat gehört auch die Sicherung der öffentlichen Infrastruktur und die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme. Deshalb brauchen wir auch national eine Rückkehr zu einer handlungsfähigen Politik. Wir wenden uns deshalb gegen alle Versuche, den Abbau von staatlichen Regelungen und die Reduzierung staatlicher Tätigkeit unter dem Vorwand der Förderung individueller Freiheitsrechte zur Ideologie zu machen. Einen handlungsunfähigen und finanziell schwachen Staat können sich nur die wirtschaftlich Starken leisten. Die SPD sieht auch in Zukunft den Staat als Regulierer wirtschaftlicher Prozesse und als Garant für die notwendige wirtschaftliche und soziale Infrastruktur.

Privatisierung und Deregulierung sind keine Werte an sich. Der Staat hat die Aufgabe, die zur Bereitstellung der öffentlichen Güter notwendigen Mittel aufzubringen und den gleichberechtigten Zugang zu den öffentlichen Gütern sicherzustellen sowie deren Qualität zu kontrollieren. Gleichzeitig streben wir eine ständige Modernisierung des Staates und seiner Institutionen an.

In der Tradition der Arbeiterbewegung will die SPD gemeinsame Interessen gemeinschaftlich organisieren und befriedigen. Das bestimmt auch unser Verhältnis zum Staat und seinen Gebietskörperschaften als gesellschaftlichen Organisationen. Wir bekennen uns deshalb zu öffentlicher Vorsorge und Versorgung, ohne die die Chance aller zur freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit nicht gewährleistet werden kann. Zu diesen „öffentlichen Gütern“ gehören Demokratie und Rechtsstaat, die kommunalen Aufgaben der Daseinsvorsorge, das öffentliche Bildungssystem, die innere und äußere Sicherheit, der Zugang und die Nutzung der natürlichen Ressourcen und nicht zuletzt der Sozialstaat mit seinen Sicherungssystemen für Risiken wie Arbeitslosigkeit, Krankheit, finanzielle Sicherung im Alter und bei Pflegebedürftigkeit.

Eine niedrige Staatsquote ist kein Dogma. Es geht vielmehr darum, dass über die verschiedenen Ebenen der Politik die gemeinschaftlichen Aufgaben bezahlt werden können. Der Anteil der öffentlichen Haushalte am Sozialprodukt muss sich daran orientieren, wie Bund, Länder und Gemeinden Aufgaben wie Bildung und Wissenschaft, Kinderbetreuung, soziale Sicherheit, Jugendhilfe und Sozialarbeit, Verkehrsinfrastruktur, innere und äußere Sicherheit, Umweltschutz und Kultur ausreichend finanzieren können. Er muss auch die Verpflichtungen Deutschlands gegenüber anderen Ländern in der e i n e n Welt berücksichtigen.

Das Prinzip einer solidarischen Gesellschaft muss sich auch im Steuersystem wieder finden. Die Sozialdemokratie hält am Prinzip Besteuerung nach Leistungsfähigkeit fest. Nur so kann eine gerechte Aufbringung der öffentlichen Einnahmen erreicht werden. Auch eine hohe Transparenz bei Steuern und Beiträgen ist eine Forderung der Gerechtigkeit. Der Staat darf nicht die Steuerungsmöglichkeiten aus der Hand geben, seine politischen Zielsetzungen mit Hilfe differenzierter Steuer- und Beitragssätze den gesellschaftlichen, vor allem aber den privatwirtschaftlichen Akteuren gegenüber durchzusetzen. Der Staat und seine Institutionen finden öffentliche Zustimmung am ehesten durch eine effiziente Nutzung der Einnahmen, durch ein Angebot an qualitativ hochwertigen öffentlichen Gütern und Dienstleistungen, sowie durch eine gerechte Verteilung der notwendigen Belastungen. Eine bessere Finanzierung der öffentlichen Haushalte kann nicht allein durch indirekte Steuern erreicht werden. Wir wollen deshalb die Progression in der Einkommensteuer wieder verschärfen und einen höheren Spitzensteuersatz einführen, wir wollen die Vermögenssteuer wieder einführen, wir streben eine aufkommensstärkere Erbschaftssteuer an. Mehreinnahmen können auch durch eine stärkere Besteuerung des Verbrauchs von natürlichen Ressourcen (Öko-Steuer) erwirtschaftet werden. Deshalb treten wir für die Fortführung der „Ökologischen Steuerreform“ ein.

Die öffentlichen Einnahmen reichen gegenwärtig nicht aus, die notwendige öffentliche Infrastruktur – Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, Bildungs- und Sozialeinrichtungen, Schienen- und Straßenbau – zu erhalten bzw. auszubauen. Viele Kommunen und Bundesländer sind deshalb auf die Idee gekommen, einen Teil der Infrastruktur zu privatisieren und für die Erfüllung öffentlicher Aufgaben zurückzumieten. Dabei spielt neben der Finanznot auch die neoliberale Denkschule eine Rolle, private Unternehmen könnten die entsprechenden Bauten kosteneffizienter bauen und unterhalten. Man nennt das „Public Private Partnership“ (ppp) oder eingedeutscht „öffentlich-private Partnerschaft“ (öpp). Am Ende bedeutet das nichts anderes als den Rückzug politischer Gestaltungsmöglichkeiten zugunsten privater Profitmaximierung.

Die „Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit der Politik“ bedeutet deshalb auch, dass die Politik auf allen Ebenen die für die Darstellung der öffentlichen Güter notwendige Infrastruktur aus Steuermitteln selbst finanzieren und die erforderlichen Investitionen tätigen kann, ohne die wachsende Grauzone zwischen Politik und Profitwirtschaft in Anspruch zu nehmen.