I1 Neues Leben für Schleswig-Holsteins Innenstädte (2020)

Aus Beschlussdatenbank der SPD Schleswig-Holstein
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Gremium: Landesparteirat
Sitzung: Landesparteiratssitzung, August 2020
Bezeichnung: I1
Antragsteller: Landesvorstand


Beschluss: Angenommen


Warum viele Innenstädte sterben

Die Innenstadt war lange Zeit ein Erfolgsmodell. In bester und dadurch teuerster Lage sorgten attraktive Geschäfte mit einem vielfältigen Angebot für große Besucherströme und über Jahrzehnte dafür, dass Einzelhändler*innen und Kaufhäuser gute Geschäfte gemacht haben. Das ist Vergangenheit. Die geplanten Schließungen von Karstadt in Lübeck,Flensburg, Neumünster und Norderstedt sind nur das jüngste Kapitel einer traurigen Geschichte über den Niedergang der Innenstädte in Deutschland.

Gründe dafür gibt es viele. Teilweise wirken sie seit Jahrzehnten. So lange schon verlagern sich Supermärkte auf die grüne Wiese, genau wie die in vielen Orten entstandenen Shopping-Center. In den letzten Jahren kam der immer weiterwachsende Online-Handel hinzu. Auch das Konsumverhalten ändert sich. Die Bedarfe der Kund*innen werden ausgewählter und spezieller. Darunter leiden große Filialisten von H&M bis Esprit. Am stärksten trifft es den traditionsreichen Karstadt-Konzern, dessen Häuser noch immer den Kern vieler Innenstädte sind.

Hinzu kommen oftmals verantwortungslose Grundstückseigentümer und Vermieter.Landauf landab stehen Immobilien als Spekulationsobjekte leer. Die Verluste können ja abgeschrieben werden. Oftmals sind Eigentümerstrukturen so komplex, dass Stadtplanung und Bauaufsicht der Kommunen nicht mal mehr die die richtigen Ansprechpartner herausfinden kann und somit keine Gesprächspartner für eine verantwortungsvolle Stadtentwicklung hat. Auch von mittlerweile völlig überzogenen Mieterwartungen wird nur selten abgerückt. Die meisten Eigentümer können es sich erlauben. Die Einzelhändel in der Regel nicht.

Die Entwicklung hat sich durch die Corona-Krise noch verschärft. Einzelhändler in Schleswig-Holstein beziffern die Einnahmeausfälle auf 20 bis 30 Prozent. Selbst Städte wie Kiel oder Lübeck, die mit kluger und ambitionierter Stadtentwicklung scheinbar die Trendwende geschafft haben, sehen sich wieder mit zunehmenden Leerstand konfrontiert. Die größte Gefahr ist dabei ein Domino-Effekt. Wenn immer mehr Publikumsmagneten aufgeben müssen, sinkt die Gesamtzahl der Besucher und die Umsätze schrumpfen immer weiter. Es droht ein sich selbst verstärkender Negativ-Trend.

Warum wir um die Zukunft unsere Innenstädte kämpfen müssen

In den europäischen Innenstädten hat es seit Jahrhunderten Austausch und Wandel gegeben.Das muss in der Zukunft nicht so bleiben. Die Innenstädte in den USA beispielsweise existieren nicht in vergleichbarer Form. Einige sagen sogar, dass man die laufende Entwicklung gar nicht aufhalten könne. Das ist erstens zynisch, weil es um tausende Geschäfte und Arbeitsplätze geht. Und zweitens steht viel mehr auf dem Spiel. Deshalb müssen wir den Wandel gestalten.Eine Innenstadt ist immer auch ein wichtiger Identitätsanker für die Stadt. Hier kann Geschichte geatmet werden, das Leben pulsiert, dorthin gehen wir gerne mit Freunden und Gästen. Die Innenstadt soll auch in Zukunft der Mittelpunkt unserer Städte sein. Es ist der Ort, an dem Stadtgesellschaft zusammenkommt. Hier vermischen sich Menschen, die in unterschiedlichen Stadtteilen leben.

Gerade für Schleswig-Holstein ist das eine besondere Attraktivitätsfrage. Wir wollen, dass Menschen zu uns kommen, um hier ihren Urlaub zu verbringen. Dafür reichen nicht nur tolle Strände, zwei Meere, hunderte Seen, kulturelle Highlights und malerische Fahrradwege. Wir brauchen auch tolle Innenstädte, die zum Shoppen und Verweilen einladen.

Klar ist: Wir stehen jetzt am Scheideweg. Die nächsten Jahre entscheiden über die Zukunft unserer Innenstädte. Jetzt müssen wir für unsere Innenstädte aufstehen und uns der Entwicklung entgegenstellen.

Wie wir die Trendwende schaffen wollen

  • Die Innenstadt neu erfinden. In der Zukunft wird der Einzelhandel die Innenstädte nicht mehr allein bestimmt. Wir brauchen mehr Wohnen, Kultur, Grün, Cafés und Restaurants in der Innenstadt. So ist auch abends noch etwas los. Es lohnt sich dafürz u kämpfen.
  • Die Innenstadt attraktiver machen. Gerade jetzt muss in die Innenstädte investiertwerden. Dazu gehören Projekte wie der Kleine Kiel-Kanal oder die Erneuerung desGroßflecken in Neumünster. Wenn sich Städte und Gemeinden mit klugenKonzepten und ihren Investitionsentscheidungen zu ihren Innenstädten bekennen,wird das auch privates Investitionen auslösen. Um das zu erleichtern, muss dasGesetz über die Einrichtung von Partnerschaften zur Attraktivierung von City-,Dienstleistung- und Tourismusbereichen aus dem Jahr 2006 aktualisiert werden.
  • Aufenhaltsqualität durch mehr dritte Orte in den Innenstädten. Neben demZuhause (1. Ort) und dem Arbeitsplatz (2. Ort) brauchen wir mehr dritte Orte inunseren Innenstädten. „Dritte Orte“ sind halb-öffentlich inszenierte Lebensräume, andenen sich Menschen vorübergehend zu Hause fühlen. Das muss der Handel nichtalleine leisten. Öffentliche Kunst- oder Sozial-Cafés mit günstigen Preisen undhoher Aufenthaltsqualität sorgen für mehr Besucher*innen in den Innenstädten.
  • Die Städte brauchen unabhängige Beratung. Die Städte und Gemeinden dürfen mit der Aufgabe nicht alleine gelassen werden. Die Landesregierung sollte deshalb eine Beratungsstelle für die Innenstadtentwicklung schaffen. Diese sollte auch beider Beteiligung von Bürger*innen begleiten und so sicherstellen, dass nicht Lobbyinteressen oder Kapitalgesellschaften die Entwicklung unserer Innenstädte diktieren. Wir brauchen städtebauliche Gesamtkonzepte, die Leben und Einkaufen verbinden.
  • Online- und Offline zusammenführen. Alleine sind die Einzelhändler schwach.Zusammen verfügen sie über erhebliche Marktmacht. Mit der nahen Erreichbarkeitund der kompetenten und persönlichen Beratung haben sie starke Verkaufsargumente auf ihrer Seite. Diese Offline-Qualitäten müssen mit mehr Online-Kompetenz zusammengeführt werden. Die Stadt Kiel hat es in der Corona-Krise mit einem eigenen Online-Portal vorgemacht. Das muss das Land für alle Städte und Gemeinden zur Verfügung stellen. Dort kann ich Bücher, Kleidung,Schokolade oder Waschmaschinen bei meinen örtlichen Händlern kaufen und bekomme sie trotzdem nach Hause geliefert. Beim Versand sollte die Kooperation von Einzelhändlern unterstützt werden, um Rahmenverträge zu ermöglichen. So bekommt Schleswig-Holstein sein eigenes Amazon – bloß in fair, gerecht und lokal.
  • Dialog zwischen Mietern und Vermietern verbessern. Eines der wesentlichenProbleme in innenstädtischen Lagen sind die weiterhin hohen Mieten. Sie wurdebisher oftmals nur unzureichend an die gesunkenen Umsätze angepasst. Dieintransparenten Besitzstrukturen müssen aufgeklärt werden. Der Einzelhandelbraucht Unterstützung bei den Verhandlungen mit Vermietern. Das Ziel ist wieder eine Mietpartnerschaft zu erreichen.
  • Eigentum wieder zur Verpflichtung machen. Da viele Vermieter eher Leerstand inKauf nehmen, statt die Miete zu senken, kriegt der Markt das Problem derLeerstände nicht allein gelöst. Um dieser Entwicklung zu begegnen, wollen wir dieEinführung von Mietspiegeln auch für den Einzelhandel. Die Abschreibung vonKosten bei leerstehenden Objekten soll nach einer Zeit von drei Monateneingeschränkt werden. Zudem soll die Möglichkeit geschaffen werden, leerstehendeObjekte nach einem Jahr für öffentliche Zwecke wie Ausstellungen oderVersammlungsräume zu nutzen.
  • Gleiche Wettbewerbsbedingungen schaffen. Der stationäre Handel ist gegenüber dem Online-Handel seit inzwischen vielen Jahren benachteiligt. Das betrifft insbesondere die Besteuerung, aber auch die Tarifgestaltung (statt Einzelhandel-werden häufig Logistik-Tarife angewandt). Dabei setzen wir große Hoffnung auf die maßgeblich von Olaf Scholz im Kreis der G20 vorangetriebene Digitalsteuer. Aber auch national muss Deutschland zusätzliche Maßnahmen ergreifen, um die Benachteiligung des lokalen Einzelhandels zu bekämpfen. Dazu gehört die Verbesserung der ruinösen Arbeits- und Geschäftsbedingungen im Pakethandel.