Wir organisieren den Ausstieg - unser Weg für eine sichere und ökologisch verantwortbare Energiepolitik (1986)

Aus Beschlussdatenbank der SPD Schleswig-Holstein
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Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Kiel 1986
Bezeichnung: Leitantrag
Antragsteller: Landesvorstand


Beschluss: Angenommen


Unkorrigierte Rohfassung des einstimmig beschlossenen Antrages.

(Änderungen und Einfügungen sind durch kursive Schrift gekennzeichnet.)

Vorwort

Der Landesvorstand der SPD Schleswig-Holstein legt hiermit seinen Antrag zum Energieparteitag am 6. Dezember 1986 in Kiel Vor. Dieser Antrag beruht auf den Vorarbeiten der vom Landesvorstand eingesetzten Projektgruppe Energie.

Der Projektgruppe gehören an:

  • Willi Piecyk (Vorsitzender)
  • Wolfgang-Dieter Glanz
  • Jürgen Hinz
  • Helmut Mikelskis
  • Claus Möller
  • Kurt Püstow
  • Ruth Springer
  • Hans Wiesen

Aufgabe der Projektgruppe war es, mit Hilfe des Gutachtens aus dem Freiburger Öko-Institut ein Energiekonzept zu erarbeiten, das sicher und ökologisch vertretbar ist und den schnellstmöglichen Ausstieg aus der Atomkraft vorsieht.

Wir schleswig-holsteinischen Sozialdemokraten wollen den schnellstmöglichen Ausstieg aus der Atomenergie nach zwei Wahlperioden vollzogen haben. Für eine Energieversorgung ohne Atomenergie haben wir öffentlich und innerparteilich seit über zehn Jahren einen konsequenten Weg verfolgt.

Mit den Nürnberger Beschlüssen hat sich die Gesamtpartei auf eine Energieversorgung ohne Atomkraft innerhalb eines Zeitraumes von zehn Jahren und - wenn möglich - weniger festgelegt.

Die entscheidende Weichenstellung für den Ausstieg aus der Atomenergie muss auf Bundesebene erfolgen. Auf Bundesebene müssen vor allem die rechtlichen Rahmenbedingungen geändert werden. Denn das Problem des Ausstiegs ist nicht die technische Machbarkeit, sondern seine politische und juristische Durchsetzung.

Deshalb ist die Bundestagswahl am 25. Januar 1987 von ausschlaggebender Bedeutung für eine Neuorientierung in der Energiepolitik. Die endgültige Lösung des Problems wird nicht gegen eine Mehrheit in den Gesetzgebungsorganen Bundestag und Bundesrat erreicht werden können.

Wir wissen, wie eng der landespolitische Handlungsspielraum für den Ausstieg aus der Atomenergie ist. Diesen Rahmen werden wir voll ausschöpfen, um den schnellstmöglichen Ausstieg zu erreichen und eine sichere, ökologisch verantwortbare und sozial verträgliche Energieversorgung zu verwirklichen. Dies bedeutet die volle Nutzung aller Möglichkeiten zur Schaffung von Arbeitsplätzen bei der Umstrukturierung des Energiesystems mit seinen industriepolitischen Chancen.

Unsere Energiepolitik

Die gesicherte Versorgung der Bundesrepublik mit Energie ist einerseits eine wesentliche Voraussetzung für den Wohlstand der Bürger und Bürgerinnen und die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft. Andererseits ist die Erzeugung von Energie mit erheblichen Umweltschäden und Risiken für das Leben und die Gesundheit der Menschen verbunden.

Das Waldsterben ist ein Beweis dafür, dass auch die konventionelle Energieerzeugung gravierende Umweltbelastungen produziert.

Nach den Unfällen und Beinaheunfällen von Harrisburg‚ Brunsbüttel und Windscale hat uns die Katastrophe von Tschernobyl die Gefahren durch Nutzung der Atomenergie drastisch vor Augen geführt. Die ungelöste Endlagerungsfrage ist eine unerträgliche Belastung der nachfolgenden Generationen. Die Auseinandersetzungen um die Atomenergie zeigen, dass der soziale Friede in der Gesellschaft bedroht ist.


Ziel der Energiepolitik muss sein, eine langfristig gesicherte Energieversorgung zu garantieren. Langfristig gesichert und berechenbar ist die Energieversorgung nur, wenn sie sich auf

  • technisch risikoarme,
  • sozial- und humanverträgliche‚
  • langfristig verfügbare,
  • umweltverträgliche und ökologisch verantwortbare,
  • wirtschaftlich tragbare und ‘
  • zukunftsoffene

Versorgungssysteme stützen kann. Nur eine Energiewirtschaft, die diesen Anforderungen genügt, kann verhindern, dass die Energieversorgung auf Dauer ein technischer, gesellschaftlicher, ökologischer und wirtschaftlicher Risikofaktor bleibt. Wer die Umstrukturierung des Energiesystems fördert, handelt allein verantwortlich, gewährleistet die politische und wirtschaftliche Stabilität der Bundesrepublik und verringert die Risiken.


Bei einer Energieversorgung ohne Atomstrom gelten für uns folgende Leitlinien:

  1. Intelligenter und rationeller Umgang mit Energie, z. B. durch Erhöhung des Wirkungsgrades energieerzeugender oder energieverbrauchender Anlagen, durch eine verbesserte Mess- und Regeltechnik, durch Einschränkung von Wärmeverlusten und Mehrfachnutzung von Energie, z. B. durch Abwärmepumpen.
  2. Vorrang für einheimische Energieträger, insbesondere für einheimische Kohle.
  3. Verlängerung der Verfügbarkeit von Rohstoffen durch Energiesparen, längere Verwendbarkeit von Gebrauchsgütern und Wiederverwertung von Wertstoffen.
  4. Förderung des allgemeinen Bewusstseins für den Umgang mit Energie‚ z. B. durch eine vorbildhafte Verhaltensweise der öffentlichen Hand im Energiebereich.
  5. Verstärkte Forschung, Entwicklung und Nutzung regenerativer Energiequellen, um vorrangig Primärenergieträger zu sparen.
  6. Verringerung der Schadstoffemissionen bei der Energiegewinnung.
  7. Kommunalisierung und Entflechtung der Energiewirtschaft.
  8. Verbesserung der Einflussmöglichkeiten politischer Instanzen auf die Art der Energiegewinnung, Energieverteilung und Energienutzung.
  9. Gerechte Preise für Verbraucher unter Berücksichtigung auch der volkswirtschaftlichen Kosten der verschiedenen Formen der Energiegewinnung und -Verwendung.
  10. Vorrang für leitungsgebundene Energieträger, z. B. Fernwärme und Gas für die Raumwärme, Strom für höherwertige Energieanwendungen.

Bundespolitische Maßnahmen

Auf Bundesebene wollen wir unverzüglich folgende Aufgaben in Angriff nehmen:

Änderung des Atomgesetzes

Änderung des Atomgesetzes mit dem Ziel der Stilllegung aller Atomkraftwerke und der Untersagung der Erteilung von Bau- und Betriebsgenehmigungen für weitere Atomkraftwerke.

Die Wiederaufarbeitung wird untersagt. Auf eine wirtschaftliche Nutzung des Plutoniums wird verzichtet. Der Schnelle Brüter erhält keine Betriebsgenehmigung.

Der Förderzweck des Atomgesetzes muss entfallen. Die Sicherheitsforschung und die Entsorgungsforschung sind davon nicht betroffen.

Während der Übergangszeit noch laufende Atomkraftwerke sind umgehend aufgrund der Erfahrungen des Unfalls von Tschernobyl und entsprechend dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik unter Hinzuziehung der gesamten Breite des fachwissenschaftlichen Sachverstandes auf ihre Sicherheit hin zu überprüfen. Die Erfüllung des Standes von Wissenschaft und Technik sowie eine laufende Überprüfung entsprechend diesem Standard werden gesetzlich vorgeschrieben. Atomkraftwerke, die diesen Standard nicht erfüllen, sind sofort stillzulegen.

Die Grundsätze des Strahlenschutzes - die Strahlenbelastung so gering wie möglich zu halten – sind im Atomgesetz festzuschreiben.

Für bestehende Atomkraftwerke wird der Nachweis einer gesicherten direkten nationalen Endlagerung vorgeschrieben.

Die Haftung der Atomkraftwerkbetreiber ist nicht zu begrenzen und muss durch Versicherungen gewährleistet sein. Die heutige Deckungsvorsorge in Höhe von 500 Millionen DM je Atomkraftwerk ist völlig unzureichend. Staatliche Freistellungen von der Haftung entfallen. Jeder Atomkraftbetreiber muss Rückstellungen für die vollen Kosten der Endlagerung von Atommüll und den Abbruch der Atomkraftwerke vornehmen. Auch diese Kosten sind in den tatsächlichen Preis für Atomstrom einzurechnen.

Die Entschädigungspflicht des Staates gegenüber Betreibern von Atomanlagen ist für den Fall eines berechtigten Bestandsschutzes neu zu regeln. Dabei muss der Sozialpflichtigkeit des Eigentums größere Bedeutung zukommen.

Die Herstellung, der Transport und das In-den-Verkehr-Bringen von nuklearwaffenfähigen Spaltprodukten, insbesondere Plutonium, ist verboten.

Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes

Der gesetzliche Zielkatalog wird um die Belange des Umweltschutzes, der Raumordnung und der Landesplanung erweitert.

Der Wirkungsgrad des Gesamtenergiesystems ist zu erhöhen.

Die kostengünstige Stromversorgung ist durch die gesamtwirtschaftlich optimale Nutzung der Erzeugungs-, Transport- und Verteilungseinrichtungen sicherzustellen. Die Eigentümer der Netze haben die Einspeisung und Durchleitung anderer Stromerzeuger zu gestatten. Der eingespeiste Strom ist von den EVU nach dem Prinzip der vermiedenen Kosten zu vergüten, wobei auch die fixen Kosten zu berücksichtigen sind.

Stromangebote oder Verträge, die die kommunale oder industrielle Eigenerzeugung behindern, sind nichtig.

Die Konzessionsabgaben zugunsten der Kommunen müssen als Wegegestattungsrecht ausgestaltet und vom Umsatz als Bemessungsgrundlage abgelöst werden. Sie sind vorrangig für energiesparende Maßnahmen, für die Kraft-Wärme-Kopplung und für die Nutzung regenerativer Energieerzeugung zu verwenden.

Die Nah- und Fernwärme wird in das Energiewirtschaftsrecht einbezogen.

Weitere bundespolitische Forderungen

Die Bundestarifordnung für Elektrizität wird geändert mit dem Ziel einer verbrauchsmindernden Strompreisgestaltung.

Das Programm zur Förderung des Fernwärmeausbaus im Rahmen des Zukunftsinvestitionsprogramms wird verlängert.

Es werden Förderprogramme und finanzielle Anreize für Betriebe und Private, für energiesparende und emissionsmindernde Maßnahmen, Einrichtungen und Anlagen, für die Installation regenerativer Energiequellen, für den Aufbau kommunaler Verbundnetze usw. geschaffen.

Die Emissionswerte für Feuerungsanlagen und Kfz werden verschärft, die Deutsche Industrienorm für Strom- und Energieeinsparung wird entsprechend geändert.

Es wird ein Gesetz erarbeitet, das die Stilllegung, Sicherung und Abwrackung und endgültige Endlagerung von atomtechnischen Anlagen regelt.

Die Erforschung regenerativer Energiequellen wird erheblich ausgeweitet.

Landespolitische Maßnahmen

(Dies soll „irgendwo“ in die landespol. Maßnahmen nahmen S.9-14 eingebaut werden.): Eine SPD-geführte Landesregierung wird initiativ werden, um atomare Transporte jeglicher Art zu unterbinden. Einzige Ausnahme ist der Transport zu Endlagerungsstätten. Weiterhin soll der „Besuch“ atomgetriebener oder atomwaffenbestückter Schiffe in Schleswig-Holstein unmöglich gemacht werden. Wenn keine Auskunft über Art des Antriebs und der Bewaffnung gemacht wird, dann wird das Anlaufen von schleswig-holsteinischen Häfen untersagt.

Der Ausstieg ist technisch möglich

Sinnvoll ist ein gemeinsamer Ausstiegsplan mit Hamburg. Hierfür sind alle Kraftwerkskapazitäten auf fossiler Basis zu nutzen, soweit sie den Anforderungen der Großfeuerungsverordnung entsprechen und durch kurzfristige Maßnahmen im Primärbereich der Schadstoffausstoß in Grenzen gehalten werden kann. Durch den schnellen Zubau von neuen Kraftwerkskapazitäten ist die Abdeckung eines eventuellen Defizits sicherzustellen und eine ausreichende Reservevorhaltung zu gewährleisten.

Durch geeignete energiesparende und verteilende Maßnahmen ist eine Überschreitung der bisherigen Netzhöchstlast zu unterbinden.

Der Ausstieg ist ökologisch vertretbar

Wir gehen davon aus, dass die Emissionen (Stickoxide‚ Schwefeldioxid und Staub) bei einem Ausstieg aus der Atomenergie nicht erhöht werden dürfen. Bei kurzfristigem Ausstieg müsste man ihn vorübergehend in Kauf nehmen.

Alle Feuerungsanlagen sind sofort nach dem Stand von Wissenschaft und Technik zu entschwefeln, zu entsticken und zu entstauben. Entsprechende Grenzwerte sind zu schaffen bzw. zu verschärfen.

Außerdem sind verstärkt Anstrengungen erforderlich, um den CO2-Ausstoß so niedrig wie möglich zu halten.

Der Anteil der regenerativen Energiequellen an der Energieversorgung muss erhöht werden.

Die Durchsetzung von Energiesparmaßnahmen verringert ebenfalls die Emissionen.

Insgesamt kann von einer Reduzierung der Emissionen chemischer Schadstoffe im Laufe der Abschaltzeit ausgegangen werden. Zusätzlich wirkt sich das Entfallen der radioaktiven Emissionen und anderer Umweltbelastungen aus Atomkraftwerken wie die Abnahme des Kühlwasserverbrauchs positiv aus.

Arbeitsmarktpolitisch ist der Ausstieg erwünscht

Atomenergie ist die am wenigsten arbeitsplatzintensive Energietechnik. Direkt betroffen vom Abschalten sind die in den Atomkraftwerken tätigen Betriebsmannschaften. Für sie müssen Ersatzarbeitsplätze geschaffen werden. Strahlenschutzfachleute und Wachmannschaften werden mit der Stilllegung und Abwrackung der Atomkraftwerke noch jahrelang beschäftigt sein.

Bei einer Abschätzung der Beschäftigungswirkungen durch den Ausstieg aus der Atomenergie und Einführung einer anderen Energiepolitik für Schleswig-Holstein ist mit einem deutlichen Beschäftigungszuwachs zu rechnen. Dies betrifft insbesondere die Produktionszweige der Metallverarbeitung, Maschinenbau, stahl- und elektrotechnische Industrie, Schiffbau und Werften bei einer stärkeren Nachfrage nach Heizkraftwerken und Blockheizkraftwerken‚ aber auch der Windenergie, lokaler Handwerksbetriebe und die Bauwirtschaft bei einer forcierten Nutzung der Potentiale der Wärmedämmung.

Der Ausstieg führt zu tragbaren Strompreiserhöhungen

In Gutachten und Stellungnahmen zum Ausstieg wer-den unterschiedliche Berechnungen der Kosten angestellt. Alle Studien kommen zu dem Ergebnis, dass die mit einem Ausstieg verbundenen Strompreiserhöhungen wirtschaftlich tragbar sind.

Die durch die Ölkrisen verursachten Energiepreiserhöhungen waren um ein Vielfaches höher als die durch den Ausstieg zu erwartenden Strompreiserhöhungen. Die Höhe ist abhängig vom Preis für Kohle und regenerative Energieträger und von der rechtlichen Situation der Entschädigung für Atomkraftwerksbetreiber. Unter Berücksichtigung der langfristig auch ökologischen Risiken der Atomenergienutzung und der wirtschaftlichen Vorteile des Stromsparens und der rationellen Energieverwendung ist eine zeitweise leicht höhere Kostenbelastung der Haushalte zu akzeptieren.

Wenn die bundespolitischen Rahmenbedingungen sich nicht ändern, gibt es bei der rechtlichen Durchsetzung des Ausstiegs erhebliche Probleme

Bei atomrechtlichen Entscheidungen ist eine Landesregierung Genehmigungsbehörde im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung. Ein Widerruf bereits erteilter Genehmigungen kann sich nur auf das jeweils geltende Atomgesetz beziehen. Der mögliche Entscheidungsspielraum einer Landesregierung bezieht sich danach auf den neuesten Stand von Wissenschaft und Technik und die jeweilige Sicherheitsphilosophie.

Eine SPD-geführte Landesregierung wird die Betriebsgenehmigungen für Atomkraftwerke in Schleswig-Holstein widerrufen.

Zur rechtlichen Absicherung dieser Entscheidung wird eine SPD-geführte Landesregierung unverzüglich für alle Atomkraftwerke in Schleswig-Holstein Sicherheitsüberprüfungen durch unabhängige Gutachtergremien in die Wege leiten.


Diese werden strengste Maßstäbe auf der Grundlage des jeweils neuesten Standes von Wissenschaft und Technik anlegen. Es wird eine umfassende und wissenschaftlich abgesicherte Neubewertung der Gefahren vorgenommen, die von Atomanlagen ausgehen. Auf dieser Grundlage wird im Interesse von Mensch und Natur eine neue Sicherheitsphilosophie erarbeitet.

Weiterhin erforderlich sind nach Auffassung der SPD Schleswig-Holstein folgende Maßnahmen:

  • Landesamt für Energiefragen
    Einrichtung eines Landesamtes für Energiefragen als Landesoberbehörde.
  • Energiesparagentur
    Einrichtung einer Energiesparagentur Schleswig-Holstein mit der Aufgabe der Beratung von Kommunen und Betrieben und der Planung von Projekten mit dem Ziel der Energieeinsparung oder einer anderen Form der Energieerzeugung; Beratung bei der Finanzierung, Hilfe bei der Kapitalbeschaffung und eventuell finanzielle Beteiligung bei entsprechenden Projekten, aber auch beim Aufbau oder Rückkauf kommunaler Verbund- und Versorgungsnetze.

Veränderung der Schleswag zum Energiedienstleistungsunternehmen

Eine SPD-geführte Landesregierung muss unter Nutzung aller politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Handhaben eine ausreichende Einflussmöglichkeit auf die Geschäftspolitik der Schleswag sicherstellen und versuchen, diese zu einem Landesenergiedienstleistungsunternehmen für alle die Gemeinden umzuwandeln, die zur Zeit nicht mehr oder noch nicht über eigene Energieerzeugungs- und -verteilungskapazitäten verfügen.

Dabei werden wir auch prüfen, wie mit Hilfe des Kartell und Energiewirtschaftsrechts die nachteiligen Folgen der energiewirtschaftlichen Monopolisierung gemildert und die wirtschaftlichen Bedingungen für eine rationelle Nutzung dezentraler Energiequellen verbessert werden kann.

Die Unternehmensziele der Schleswag sind zu ändern. Oberster Grundsatz muss die optimale Energieversorgung bei minimalem Energieeinsatz sein. Das marktwirtschaftliche Ziel der Gewinnerzielung hat demgegenüber zurückzustehen. Dementsprechend sind die Unternehmensziele der Schleswag um

  • Energieeinsparung
  • Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung und
  • regenerative Energie

zu erweitern. Für das Maß der Verwirklichung soll im Rahmen der Jahresabschlüsse Rechenschaft abgegeben werden. Die Schleswag darf einer Rekommunalisierung der Energiewirtschaft nicht im Wege stehen, sondern hat diese kooperativ zu fördern. Die von der Schleswag erwirtschafteten Überschüsse sollen in Schleswig-Holstein in eine neue Energieversorgungsstruktur reinvestiert und nicht aus Schleswig-Holstein abgeführt werden. Die Preispolitik darf die kommunale Eigenversorgung und –Verteilung nicht behindern oder gefährden und soll die Wirtschaftlichkeit regenerativer Energieerzeuger verbessern helfen.

Neue Kohlekraftwerke auf der Basis Kraft-Wärme-Kopplung

Die Planung des Baus zweier oder mehrerer Kohlekraftwerke, vorrangig an vorhandenen Kraftwerksstandorten‚ mit modernsten Rückhaltetechniken und optimaler Befeuerung sollte unverzüglich begonnen werden, um eine ausreichende Kraftwerkskapazität im Inland bei Abschaltung aller Atomkraftwerke vorhalten zu können.

Aufbau einer neuen Energieversorgungsstruktur

  • Ein Landesenergiespargesetz ist vorzulegen.
  • Für Kommunen, Private und Betriebe sind Förderprogramme für eine rationelle Stromerzeugung und -nutzung, eine ökologisch orientierte Stromerzeugung (Nutzung regenerativer Energiequellen, insbesondere Wind und Sonne), die Erarbeitung von örtlichen und regionalen Energieversorgungskonzepten und umweltentlastende Wärmegewinnungs-, verteilungsverfahren und -rückhalteverfahren aufzulegen.

Eine SPD-geführte Landesregierung wird darüber hinaus versuchen, mit den anderen Landesregierungen eine größtmögliche Übereinstimmung hinsichtlich des Weges aus der Atomenergie zu erreichen.

Verhandlungen sind auch erforderlich, weil über das nationale Verbundnetz die Stilllegung von Atomkraftwerken in einem Bundesland auch die Energieversorgung anderer Bundesländer berührt.

Die besondere Verantwortung der Kommunen

Die Gemeinden müssen wieder zum maßgebenden Träger der Energiepolitik werden. Ohne ihre aktive Mitwirkung ist der Umstieg in die rationelle und ökologische Energieerzeugung und -nutzung und damit auch der Ausstieg aus der Atomenergie nicht möglich. Aktive Mitwirkung meint: mehr Eigenverantwortung zur Bereitstellung kommunaler Energiedienstleistungen übernehmen, um so unabhängig von den notwendigen Reformen in Bund und Land die tatsächlichen Voraussetzungen für eine neue Energiewirtschaft zu schaffen; dies gilt insbesondere für die kommunalen Vertreter in den Aufsichtsgremien der Energieversorgungsunternehmen. Dies bedeutet vor allem:

  1. Umorientierung der kommunalen und regionalen Energieversorgungsunternehmen hin zu Energiedienstleistungsunternehmen - das heißt weg vom angebotsorientierten Versorgungsdenken hin zum nutzungsorientierten Dienstleistungsbetrieb.
  2. Aufstellung örtlicher Energiekonzepte, um Ziele und Lösungen für eine sparsamere und rationelle Energieerzeugung und -nutzung im Gemeindegebiet zu ermitteln und festzulegen.
  3. Bildung bzw. Erweiterung kommunaler Energiedienstleistungsunternehmen, um so die Versorgung des Gemeindegebietes mit leitungsgebundenen Energien eigenverantwortlich übernehmen zu können.
  4. Ausschöpfen der verfügbaren Potentiale zur Einsparung von Energie und Nutzung aller vorhandenen Energiequellen. Die wesentlichen Komponenten eines kommunalen Energiesparprogramms sind:
    • breite Information und Werbung für das Energiesparen in den lokalen Medien;
    • Aufbau eines kommunalen Energieberatungsdienstes, der kostenlos Energiespartips‚ insbesondere zur Gebäudeisolierung, zur Modernisierung von Heizungen, zur Nutzung von Nahwärmesystemen und regenerativen Energiequellen anbietet sowie über staatliche Hilfen für Energiesparinvestitionen informiert;
    • Schaffung von kommunalen Energiesparagenturen (Beispiel: Saarland), die das Management von Energie- und Stromsparinvestitionen übernehmen. Der Hauseigentümer bezahlt die von der Energiesparagentur vorfinanzierten Investitionen aus den erzielten Heizkostenersparnissen in einer vertraglich festgelegten Zeit. Wenn sich die Energieeinsparung amortisiert hat, kommendem Eigentümer bzw. dem Mieter die niedrigeren Heizkosten zugute.
    • Erschließung des privaten und industriellen Strom- und Wärmepotentials;
    • Wahrnehmung einer Vorbildfunktion bei der rationellen Energienutzung für kommunale Gebäude und Einrichtungen;
    • Einführung möglichst linearer, nicht verbrauchsfördernder zeitabhängiger Stromtarife. Einsatz moderner Mess- und Regeltechnik im kommunalen Versorgungsnetz und bei den Stromverbrauchern.
  5. Planerische und finanzielle Vorsorge für die Errichtung kommunaler Anlagen zur Erzeugung und Verteilung von Strom und Wärme; ggf. Übernahme vorhandener Versorgungsnetze;
  6. Nutzung regenerativer Energiequellen wie Sonnenenergie, Wasserkraft, Windenergie, Bio-, Deponie- und Klärgas;
  7. Nutzung der vorhandenen Abwärmepotentiale in Industrie und Gewerbe;
  8. Ausschöpfen der Möglichkeiten, durch Bauleitpläne und andere Ortssatzungen zur passiven Nutzung der Sonnenenergie und zur sonstigen Verringerung des Energiebedarfs von Gebäuden beizutragen.

Ausbau der kommunalen Energieerzeugungsanlagen

Auf allen kommunalen Ebenen Schleswig-Holsteins sollten vorhandene Energieerzeugungs- und -verteilungskapazitäten auf jeden Fall erhalten bzw. ausgebaut werden. Alle Möglichkeiten des Ausbaus der Fernwärme in kommunaler Trägerschaft sind zu nutzen. Die Möglichkeiten zur Emissionsminderung (zirkulierende Wirbelschichtfeuerung, Entschwefelung und Entstickung) bei kommunalen Kohlekraftwerken und Kraft-Wärme-Kopplungseinheiten sind unabhängig von der Größe der Anlagen schnellstmöglich zu verwirklichen.

Ein besonderes Defizit besteht im Bereich der Hansestadt Lübeck, die ausschließlich Strom von der PREAG bezieht. Hier sollte ein Kraft-Wärme-Kopplungskraftwerk ggf. am Standort des alten Kraftwerkes Lübeck-Siems gebaut werden, um die Möglichkeiten für eine Fernwärmeerschließung der Innenstadt zu schaffen. Der kommunale Stromversorgungsanteil ist stufenweise auszubauen.

Die gemeinsame Versorgung und Reservevorhaltung der Oberzentren durch Mitbenutzung des Hoch- und Höchstspannungsnetzes der Preußen Elektra sollte ermöglicht werden. Der Erhalt der Eigenständigkeit hat auch für die Städte und Gemeinden höchste Priorität, die zwar über keine Energieerzeugungskapazitäten, jedoch über eigene Gemeinde- oder Stadtwerke für die Verteilung von Energie verfügen. Weitere Aufkäufe kommunaler Energiebetriebe durch überregionale Versorgungsunternehmen müssen verhindert werden.

Vor der Verlängerung auslaufender Konzessionsverträge ist in jedem Fall zu prüfen, ob der Anschluss an bereits vorhandene kommunale Versorgungsnetze - insbesondere im Umland der Oberzentren - möglich ist.

Eine besondere Verantwortung tragen die kommunalen Spitzenverbände, die die energiewirtschaftliche Beratung der Gemeinden, Städte und Kreise intensivieren müssen.

Damit der Ausstieg aus der Atomkraftnutzung auch vollzogen werden kann, sind nicht nur Mehrheiten in den Gesetzgebungsorganen notwendig, sondern auch außerhalb der Bevölkerung, denn es geht nicht nur um den Ausstieg, darüber hinaus muss ein Wiedereinstieg verhindert werden. Dabei kommt der Anti-AKW-Bewegung eine besondere Bedeutung zu.