Änderungsantrag: Rationelle Energienutzung, Energiesparen und alternative Energien (1979)

Aus Beschlussdatenbank der SPD Schleswig-Holstein
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Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Burg auf Fehmarn 1979
Bezeichnung: Nicht aufgeführt
Antragsteller: Nicht aufgeführt


Beschluss: Angenommen

(Veröffentlicht in: „Zur Sache“ Nr. 14, Dezember 1979 - Herausgeber: SPD-Landesverband Schleswig-Holstein)

(Beschluss: Der Landesparteitag begrüßt die in dem Änderungsantrag enthaltenen Sparvorschläge und legt sie ebenfalls dem Bundesparteitag vor.)


Der politisch gewollte Ausstieg aus der Kernkraft erfordert eine Umkehrung der bisher von Energiewirtschaft und Politik begünstigten Trends:

  • Vorrang der Maßnahmen zur rationellen Energienutzung vor der Erschließung neuer Energiequellen
  • Dezentralisierung der Energietechnik
  • Beschränkung des Elektrizitätsverbrauchs auf den technisch notwendigen Bereich
  • Vorrang der Erschließung regenerierbarer vor nichtregenerierbaren Energiequellen.

Durch Gesetzgebung, Wirtschafts-‚ Finanz und Forschungspolitik sind folgende Maßnahmen zu fördern:

  • Überprüfung und Änderung der technischen Normen und Regelwerke in Richtung auf das Energiesparziel‚ mit Vorrang in den Bereichen Wärmedämmung von Gebäuden, Antrieb von Kraftfahrzeugen und elektrische Haushaltsgeräte ist das technisch Mögliche und wirtschaftlich Vertretbare zur Norm zu erheben.
  • Einbeziehung des Energiesparziels in die Raumordnungs-‚ Verkehrs-‚ Bauleit- und Industriestandortplanung sowie Koppelung an Heizungsauflagen; Überprüfung der diesen Planungen zugrundeliegenden Gesetze.
  • Ausweitung der Zuschüsse, Fortschreibung und Intensivierung des Energiesparprogramms des Bundes und der Länder.

Dabei erwarten wir beispielhaftes Verhalten der Inhaber von öffentlichen Ämtern, Mandaten und Parteifunktionen als Nutzer von Energie ebenso wie der öffentlichen Hand allgemein.

Politisches Ziel ist die Änderung der Produktionsstrukturen zugunsten einer energiesparenden und umweltfreundlichen Produktion.

Heizung-und Warmwasserbereitung

In diesem bei weitem größten Sektor des Primärenergieverbrauchs (und auch des Ölverbrauchs) ist das außerordentlich hohe Potential an Energieeinsparung (bis über 50 Prozent) wesentlich energischer als bisher zu aktivieren durch

  1. Wärmedämmung (einschließlich Isolierverglasung)
    1. Anhebung des Standards für Neubauten etwa auf schwedisches Niveau
    2. forcierte Nachbesserung von Altbauten.
  2. Umstellung der individuellen Energiequellen und Feuerungen auf – diesel- beziehungsweise gasbetriebene Wärmepumpen
    1. Diesel- beziehungsweise Gasmotoren mit Elektrogenerator (sogenannte Kraftheizung)
    2. Sonnenkollektoren; bei Altbauten vorzugsweise zur Warmwasserversorgung, bei Neubauten im Rahmen integraler Planung auch zur ganzjährigen Heizung
    3. Verbot der Neuinstallation von Elektroheizungen und Maßnahmen gegen weitere Verbreitung von elektrischer Brauchwasserheizung und von elektrischen Wärmepumpen, soweit die Elektrizität aus dem öffentlichen Leitungsnetz bezogen wird
    4. Fernwärme, vorzugsweise durch kommunale Heizkraftwerke.
  3. Sonstiges
    1. individuelle Verbrauchsmessung in Mehrfamilienhäusern
    2. elektronische Regelungsanlagen (Tag/Nacht- und Einzelzimmersteuerung)
    3. Wärmerückgewinnung aus Abwasser.

Obwohl diese Maßnahmen in den meisten Fällen für Hauseigner und Bewohner auch betriebswirtschaftlich unter langfristigen Gesichtspunkten günstig sind, wäre es eine Überforderung dieses großen Personenkreises, auf Marktkräfte zur Durchsetzung zu vertrauen. Hier ist energische staatliche und kommunale Förderung erforderlich. Dabei ist zu beachten, daß die Wärmedämmung vom Energieeinspar-Potential und vom langfristigen volkswirtschaftlichen Nutzen her die wichtigste Einzelmaßnahme des gesamten Maßnahmenkatalogs ist, die gleichzeitig auch in hervorragender Weise alle anderen grundsätzlichen Ziele erfüllt„ Ihr kommt die höchste Priorität zu.


Zu den Förderungsmaßnahmen gehören

  • öffentliche Beratungsstellen mit speziell ausgebildetem Personal, Aufbau kommunaler Beratungsdienste‚ Ausstattung dieser Dienste mit fahrbaren Geräten zur Feststellung von Wärmeverlusten (Infrarot), Unterrichtung in öffentlichen Bildungseinrichtungen, PR-Aktionen des Bundes und der Länder zur Förderung der rationellen Energieverwendung.
  • Programme für Energiesanierungsmaßnahmen in öffentlichen Gebäuden und Schwimmbädern, die beispielgebend wirken. Öffentliche Neubauten werden mit optimal energiesparenden Systemen ausgestattet und sollen als Pilot-Projekte die Anwendung alternativer Energiesysteme erproben.
  • Die Bauämter sollen personell und sächlich so ausgestattet sein, daß sie Bauanträge mit dem Ziel des Einsatzes von alternativen Energiesystemen (Solartechnik‚ Windkraft, Wärmepumpen, Speicheranlagen) sowie der Einsparung von Heizenergie bearbeiten und die Antragsteller qualifiziert beraten können.
  • Verankerung des Energiesparziels in das Mietrecht.
  • Strukturhilfen für die einschlägige gewerbliche Wirtschaft mit dem Ziel, deren Kapazität rasch zu steigern.
  • Schaffung gesetzlicher Ge- und Verbote, zum Beispiel des Anschluß- und Benutzungszwangs.

Haushaltsgeräte

Fast ein Drittel des gesamten Stromverbrauchs der Bundesrepublik geht in Geräte und Haushalte und in Kleinverbrauch über. Der Verbrauch kann mit bekannten technischen Maßnahmen drastisch gesenkt werden. Verhältnismäßig kurzfristig, im Rhythmus des Ersatzes alter Geräte durch neue, kann so Einsparung von bis zu 20 Prozent des gesamten Stromverbrauchs in der Bundesrepublik erzielt werden, wenn energisch verbindliche Absprachen mit der Lieferindustrie getroffen und durch Auflagen abgesichert werden.

Vordringliche Maßnahmen sind

  • schnelle Erarbeitung verbindlicher Ziele mit der einschlägigen Lieferindustrie zur Verbesserung der Geräte und zu ihrer energie-verbraucherfreundlichen Kennzeichnung
  • Durchsetzung von Höchstverbrauchsstandards und einer Kennzeichnungspflicht für Jahresnorm-Verbrauch,
  • Zurückdrängen des sogenannten Verschwendungskonsums‚ zum Beispiel von Einwegverpackungen und ähnlichen unter hohem Rohstoff- und Energieverbrauch hergestellten Produkten.


Die Ziele der verbesserten Ausführung von Geräten betreffen insbesondere

  • Warmwasserbereitung, speziell in Waschmaschinen‚ durch Anschluß an nichtelektrische Warmwasserversorgung statt durch elektrische Heizung
  • verbesserte Wärmedämmung‚ speziell bei Kühl- und Tiefkühlschränken
  • Verbesserung der Wirkungsgrade von Elektromotoren,

Verkehr

Der Verkehr ist - nach Heizung - der zweitgrößte Energieverbrauchssektor. Infolge des hohen Mineralölanteils verbraucht er etwa 30 Prozent des Öls in der Bundesrepublik, Pkw und Lkw verbrauchen den bei weitem größten Anteil. Spezifisch verbrauchen sie je nach Transportleistung - wie auch das Flugzeug - wesentlich mehr Energie (noch dazu ausschließlich Mineralöl) als der Schienenverkehr. Daraus ergeben sich für Einsparmaßnahmen klare Prioritäten in der Reihenfolge

  • Pkw- und Lkw-Verkehr
  • innerdeutscher Luftverkehr
  • Schienenverkehr


Folgende Maßnahmen sind zu ergreifen beziehungsweise zu fördern:

  • Verdünnung des innerdeutschen Luftverkehrs zugunsten des Intercity-Verkehrs
  • Forcierung verbindlicher und wirkungsvoller Absprachen mit der Automobilindustrie über Einsatzzeitpunkt und Höchstverbrauch benzinsparender Autos (mit Kraftstoffverbrauchsanzeigern) in Verbindung mit Durchsetzung der konkurrierenden Ziele: Minderung von Lärm- und Abgasschädlichkeit, Erhöhung der Sicherheit
  • Umlegung der Kfz-Steuer auf die Mineralölsteuer
  • steuerliche Gleichstellung der Benutzer privater Pkw und anderer Verkehrsmittel bei Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsplatz
  • Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen und Senkung der Höchstgeschwindigkeit auf den übrigen Straßen: Tempo 100 / 80 /50 .
  • sorgfältige Überprüfung aller Straßenbauplanungen auf ihre ökologische und energiewirtschaftliche Verträglichkeit und im Hinblick auf langfristig veränderte Verkehrsverteilung
  • Modernisierung des Schienenverkehrs und Ausbau im Nahverkehrsbereich‚ insbesondere zur Verbesserung des Angebots für Berufspendler. Keine weiteren Streckenstillegungen.
  • Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs durch verbesserte Konzepte, Tarifverbindungen; Erweiterung der Fördermöglichkeiten nach dem Gemeinde-Verkehrs-Finanzierungsgesetz
  • Konsequente Rückverlagerung des Güterverkehrs auf Eisenbahn und Schiff
  • Förderung des Baus von Radfahrspuren und bessere Berücksichtigung bei Straßenbau- und Verkehrslenkung, insbesondere in den Innenstädten.
  • Einbeziehung des Energiesparziels in die Verkehrslenkung
  • Abbau zoll- und steuerfreier Abgaben von Kraftstoff.

Landwirtschaft und Industrie

Die in der Landwirtschaft eingeführten Produktionsmethoden wie intensive chemische Düngung, chemische Schädlings- und Unkrautbekämpfung, immer größere Maschinen, sind sowohl energieaufwendig als auch eine schwere Belastung der Umwelt. Hohe Agrarüberschüsse - als Folge dieser Methoden - erfordern zusätzlichen Energieeinsatz (Kühlhäuser, Herstellung von Trockenmilch).

Daher

  • ist der Einsatz von Umweltchemikalien und Fremdenergie in der Landwirtschaft auf das unumgänglich notwendige Maß zu beschränken
  • sind energiesparende‚ energieproduzierende und umweltfreundliche Landbaumethoden gezielt zu fördern
  • ist in ländlichen Gebieten - soweit möglich - die Abwärme auch für Agrothermosysteme vorzusehen
  • ist ebenfalls bei Altanlagen zu untersuchen, inwieweit eine Abwärmeverwertung erfolgen kann. Die hierzu notwendigen technischen Einrichtungen sind spätestens bei entsprechenden Neu- und Umbauten zu installieren;
  • sind der Einsatz von alternativen Energien im landwirtschaftlichen Bereich wie Wärmepumpen für Ställe, Stroh-Öfen, Abfallholz, Wärmerückgewinnung bei Getreidetrocknung und Bio-Gas-Anlagen durch Bund und Land zu fördern. Pilot-Projekte sind fachtechnisch zu betreuen.


In der industriellen Produktion sind folgende Maßnahmen zu fördern:

  • energiesparende Investitionen durch Subventionierung neuer, noch nicht erprobter energiesparender Technologien
  • Entwicklung von Alternativen zu energieintensiven, insbesondere stromintensiven Produktionen und zu auf Erdöl basierenden Produkten
  • Verbesserung der Wirkungsgrade der Systeme elektrischer Antriebs- / Arbeitsmaschinen, Festlegung von Normen
  • Substitution von Öl durch Kohle oder Erdgas
  • Recycling von Rohstoffen und Energiegewinnung aus Abfallstoffen.

Elektrizitätsversorgung

Alle grundsätzlichen Zielsetzungen der Energiepolitik verlangen, den von den Elektrizitätswirtschaften betriebenen Trend zur Ausweitung des Anteils von Elektrizität innerhalb des gesamten Energieangebots nicht nur einzudämmen‚ sondern umzukehren‚ Grundsätzlich sollte die verlustreich erzeugte Elektrizität nur eingesetzt werden, wo sie unter technischen Gesichtspunkten notwendig ist, also in erster Linie für elektrische Antriebe, Beleuchtung, Elektronik.

Folgende Maßnahmen sind zu ergreifen beziehungsweise zu fördern:

  • Zurückdrängen des Einsatzes von Elektrizität bei Raumheizung, Warmwasserbeheizung und als Prozeßwärme, keine Förderung von Elektrowärmepumpen
  • Umgestaltung von Stromtarifen, so daß Anreiz zu geringem Verbrauch entsteht; Abschaffung der Grundgebühr und verbilligter Tarife für Elektrowärmepumpen, Ersetzung von Vorzugstarifen für Schwachlastzeiten durch Zuschläge für Spitzenlastzeiten
  • Begünstigung von Industrieheizkraftwerken
  • Begünstigung kleiner dezentralisierter Heizkraftwerke auf Basis der Kohle-Wirbelschicht-Feuerung
  • Begünstigung des Ersatzes von Gebäudeheizkesseln durch Kraftheizungen
  • Verbot der Werbung für den Verbrauch von Elektrizität, Begrenzung der Straßen-‚ Weihnachts- und Reklamebeleuchtung.
  • Insbesondere zur Durchsetzung des Programms der dezentralen Kraft-Wärme-Koppelung sind einschneidende Veränderungen der gesetzlichen Grundlagen der Elektrizitätsversorgung erforderlich. Die Verstaatlichung der Stromleitungsnetze ist zu prüfen, Regelungen für Stromaustausch mit dezentralen Erzeugern sollen angestrebt werden.

Energieforschung und -entwicklung

Auch in der Forschungspolitik ist deutlich zu machen, daß die potenteste alternative Energiequelle die Rationalisierung der Energienutzung ist.

Die Mittel zur Energieforschung sollen auf alternative Erzeugungsanlagen umgesteuert, die industrieunabhängige Energieforschung soll verstärkt gefördert werden.

Die weitere Entwicklung alternativer Energiedarbietung hat die grundsätzlichen gesellschaftspolitischen und ökologischen Ziele zu beachten. Daraus ergibt sich der eindeutige Vorrang für dezentrale Energiequellen, insbesondere

  • regenerierbare Sonnenkollektor-Systeme, kleine Sonnenheizkraftwerke, Biomasse-Konversion, Systeme zur Nutzung von Wasser-und Windkraft, Erdwärme
  • Wärme-Kraft-Koppelung, Kohle-Wirbelschicht-Heizkraftwerke, Kraftheizung, Einspeisung industriell erzeugten Stroms in die öffentlichen Leitungsnetze.


Daneben genießt das Kohle-Technologie-Programm des Bundesministeriums für Forschung und Technologie weiterhin Priorität. Allerdings sind die Planungen zur Kohlehydrierung unter der neuen energiepolitischen Zielsetzung zu überprüfen. Die Planung gigantischer Hydrierungsanlagen ist volkswirtschaftlich nur vertretbar in einem Zeitraum, der eine sorgfältige Absicherung durch Zwischenschritte gestattet. Es darf nicht der irreführende Eindruck baldiger Verfügbarkeit von Benzin aus Kohle erweckt werden. Maßnahmen des Zielkatalogs Verkehr, insbesondere das benzinsparende Auto, greifen schneller, sind volkswirtschaftlich angemessener, sozial verträglicher und krisensicherer. Daneben ist agrarisches Benzin parallel zu entwickeln. Kohlehydrierung soll deswegen nicht überstürzt werden.


Weitere Maßnahmen sind

  • Förderung der Forschung im Bereich der Energiespeicherung
  • Ausbau des Erdgasversorgungsnetzes als Ergänzung zur Wärmeversorgung über Kraft-Wärme-Koppelung und zur Nutzung von Abwärme
  • Förderung von Projekten kombinierter Energiesysteme, zum Beispiel aus Sonnenenergie, Kraft-Wärme-Koppelung und gas- und dieselbetriebener Wärmepumpen
  • Schaffung energieunabhängiger beziehungsweise energiesparender Arbeitsplätze im Bereich des Umweltschutzes
  • Verstärkung von Forschung und Entwicklung, um Entwicklungsländern mit schwacher Infrastruktur und wenigen Fachkräften kleine und einfach zu handhabende Energieversorgungssysteme, insbesondere auf der Grundlage von Sonnenenergie und/oder Biomasse, anbieten zu können. Schaffung eines Energie- und Entwicklungshilfesonderprogramms für die Dritte Welt.