1: Bildungspolitik in schwieriger Zeit - Neue Herausforderungen im Spannungsfeld zwischen Erwartung und Machbarkeit (1995)

Aus Beschlussdatenbank der SPD Schleswig-Holstein
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Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Damp 1995
Bezeichnung: Leitantrag 1
Antragsteller: Landesvorstand


Beschluss: Angenommen


(Beschluß der Landesparteitage der SPD Schleswig-Holstein vom 18. Februar 1995 in Bad Segeberg und vom 13./14. Mai 1995 in Damp)


Vorwort

1.

Wir brauchen eine zweite Bildungsreform in Deutschland.

  • Was Bildung an der Schwelle zum 3. Jahrtausend leisten soll,
  • welchen Wert Bildung im Zusammenwachsen Europas für den einzelnen und die Gesamtgesell­schaft haben soll,
  • wie die Anforderungen an Bildung in Schleswig-Holstein bewältigt werden können,
  • wie bei knappen öffentlichen Mitteln die notwendigen Finanzmittel aufgebracht werden können,

darüber will die SPD in Schleswig-Holstein eine breite öffentliche Diskussion führen. Dazu eingeladen sind alle: Lernende wie Lehrende, Eltern wie Ausbilder, Gewerkschaften und Unternehmer.

Bildungsfragen sind gesellschaftliche Fragen von hohem Stellenwert. Wie wir sie beantworten, wie wir ihre finanzpolitische Priorität durchsetzen, entscheidet über die Zukunft unserer Gesellschaft und die Chancen jeder und jedes einzelnen.


2.

Eine demokratische Bildungsreform kann nicht "von oben" verordnet werden. Sie muß das Werk aller Beteiligten sein. Die Rolle der Politikerinnen und Politiker dabei ist, Anstöße zu geben und die Rahmen­bedingungen schaffen.


3.

Eine neue Bildungsreform setzt am Erreichten an und entwickelt es sorgsam weiter.

Die CDU-Regierungen in Schleswig-Holstein haben einen enormen bildungspolitischen Reformstau hin­terlassen. Nach jahrzehntelanger konservativ geprägter Bildungsverwaltung mußten überfällige Reformen in kurzer Zeit umgesetzt werden. Die Rahmenbedingungen, die wir 1988 vorfanden, waren schwierig: knapper werdende finanzielle Mittel und ein geminderter Stellenwert von Bildung in der öffentlichen Diskussion.

Wir haben eine Reihe neuer Gesamtschulen ermöglicht und damit den Elternwillen erfüllt. Wir haben den Weg für offenen Unterricht an den Schulen bereitet. Die Integration Behinderter haben wir verstärkt. Die Ausstattung der beruflichen Bildung haben wir verbessert. Die Hochschullandschaft in Schleswig-Holstein wurde belebt. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben neue Chancen der Fort-und Weiterbildung erhalten.

Eine neue Bildungsdiskussion darf weder auf das Ziel "Sparen" verengt werden noch finanzpolitische Illusionen nähren. Sie muß den vorhandenen Problemdruck an Schulen und Hochschulen aufnehmen und hierzu Lösungen erarbeiten.

Bildungsreformen sind langfristige Aufgaben. Wir müssen diese Reformen konsequent und nachvoll­ziehbar weiterentwickeln.


4.

Die SPD legt ein Bildungsprogramm vor, das eine Reihe von Fragen aufgreift und Antworten zur Diskussion stellt. Wir sind uns bewußt, daß wir weder alle möglichen Fragen gestellt noch in jedem Fall bereits hinreichende Antworten gefunden haben. Dieses Programm ist daher erst der Anfangs­punkt einer breiten bildungspolitischen Diskussion. Wir rufen alle, die am Bildungssystem teilhaben, auf, bei der Weiterentwicklung dieses Programms mitzuwirken.

Bildung vor neuen Herausforderungen

Stellenwert und Verständnis von Bildung

Ziel und Aufgabe von Bildung ist für uns mehr als nur Qualifikation für ein Berufsleben. Bildung hat eine besondere Bedeutung für die Entfaltung der Persönlichkeit. Bildung muß Chancen eröffnen für selbständiges Arbeiten, für eine selbstbestimmte Gestaltung der erwerbsfreien Zeit und für verantwor­tungsbewußte und gleichberechtigte Teilnahme am politischen, sozialen und kulturellen Leben unserer Gesellschaft.

Bildung soll Menschen für die selbständige Lebensbewältigung befähigen, so daß sie

  • ihre grundlegenden Lebensbedingungen erfassen,
  • die Veränderungen dieser Lebensbedingungen wahrnehmen,
  • und diese verantwortlich und kreativ mitgestalten können.


Bildung prägt das Verhältnis des einzelnen zur Gesellschaft ganz wesentlich mit. Bildungseinrichtungen haben deshalb nach unserer Ansicht die Aufgabe:

  • Verständnis für andere Menschen zu wecken und Vorurteile abzubauen,
  • für den Umgang mit anderen Menschen Hilfestellungen anzubieten,
  • zum demokratischen und friedvollen Handeln zu erziehen,
  • und ein friedliches Zusammenleben zwischen den Völkern unter Achtung der kulturellen Eigen­ständigkeit zu fördern.

Diese Forderungen sind heute aktueller denn je.

Nach diesem Verständnis ist Bildung ein lebenslang andauernden Prozeß der Entwicklung der Persönlichkeit.

Um dieses Ziel zu verwirklichen, müssen alle Menschen gleiche Bildungschancen und das Recht auf Zugang zu den Bildungsangeboten haben.

Neue gesellschaftliche Herausforderungen

Unser Bildungssystem steht vor einer schwierigen Phase der Anpassung an veränderte gesellschaftli­che Herausforderungen.

2.1. Die Lebensbedingungen der Menschen befinden sich in einem grundlegenden Wandel. Junge wie erwachsene Menschen werden heute immer mehr aus traditionell geprägten Beziehungen und -bindungen herausgelöst. Sie verlieren damit Sicherheiten, die für ihren Umgang mit anderen Menschen und für ihre Orientierung in der Gesellschaft wichtig sind. Kinder und Jugendliche müssen - zuweilen damit alleingelassen - ihren eigenen Standort finden. In diesem Entwicklungs- und Entscheidungspro­zeß benötigen sie grundlegende Orientierungshilfen.

Immer mehr Kinder wachsen als Einzelkinder und/oder in Ein-Eltern-Familien auf. Zunehmend sind beide Eltern berufstätig.

Durch den steigenden Medienkonsum, durch die wachsende Rolle der Computer im Alltag und durch die Einschränkung der Spielflächen zugunsten des Autoverkehrs wird die unvermittelte Erfahrung von Wirklichkeit eingeschränkt. Die Veränderung von sozialen Beziehungen und Lebenszusammenhängen bewirkt häufig Entsolidarisie­rung und Gleichgültigkeit gegenüber anderen.

Das Kosten-Nutzen-Denken unserer Gesellschaft ist allgegenwärtig. Als wertvoll gilt, was einen Preis hat. Das rücksichtslose Durchsetzen eigener Interessen, auch auf Kosten anderer, wird immer mehr zum Leitbild für Erfolg. Vor diesem Hintergrund ist es für Kinder und Jugendliche besonders schwer, eigene Maßstäbe und Wertvorstellungen zu entwickeln und zu bewahren.


2.2. Die von der SPD in der Vergangenheit geförderte Öffnung der Bildung für größere Anteile der Bevölkerung war richtig. Sie entsprach nicht nur den Wünschen junger und erwachsener Menschen, sondern auch dem Bedarf der Gesellschaft. Anstelle der Bildungsprivilegien für wenige hat die SPD vielen den Zugang zu einer besseren Bildung und zu beruflicher Qualifikation ermöglicht. Ohne dies wäre unsere Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten international nicht so erfolgreich gewesen.

Arbeitsmarktprognosen für das Jahr 2000 sagen voraus, daß die Zahl der Arbeitsplätze, für die Qualifikationen mit höheren Bildungsabschlüssen notwendig sind, immer größer wird.

Gleichzeitig gibt es neue finanzielle Rahmenbedingungen. Neue Anforderungen an die öffentlichen Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden entstehen aus dem Finanzbedarf für den Aufbau in den neuen Ländern, für die Entwicklung in Osteuropa und in der Dritten Welt. Dennoch ist es notwendig zu überprüfen, ob die aufgewendeten finanziellen Mittel für das Bildungssystem ausreichen und wirksa­mer eingesetzt werden können.

Immer modernere Fertigungstechniken stellen höchste Anforderungen an strukturelles Denken, selbständiges Arbeiten und Problemlösungsbereitschaft. Verantwortung wird stärker an Arbeitnehme­rinnen und Arbeitnehmer delegiert als zuvor. Gefragt sind Leistungsbereitschaft, selbstbewußtes, eigenständiges Handeln und Kreativität, um im arbeitsteiligen Weltmarkt bestehen zu können .Arbeitsplätze unterschiedlicher Qualifikationsstandards sollen auf der Basis bestmöglicher Berufsbil­dung einen größtmöglichen Beschäftigungsstand in einer konkurrenzfähigen Wirtschaft sichern.

Bildungsreform in Schleswig-Holstein - Festigung, Sicherung und Weiterentwicklung

Nach langen Jahren der bildungspolitischen Erstarrung unter den konservativen Regierungen, sind in Schleswig-Holstein in allen Bereichen des Bildungswesens wichtige Reformen eingeleitet worden, die sich jetzt bewähren und festigen müssen.

  • Das Schulgesetz hat mehr Mitwirkungsrechte für Eltern und Schüler geschaffen und die Zusam­menarbeit aller Gruppen in der Schule gestärkt.
  • Die Prinzipien eines schülerorientierten offenen Unterrichts setzen sich an den Grundschulen und zunehmend auch an den weiterführenden Schulen durch. So wird die individuelle Förderung aller Begabungen erleichtert.
  • Behinderte und nichtbehinderte Kinder lernen zusammen; die Sonderschulen werden zu Förderzen­tren weiterentwickelt. Die Möglichkeiten der Förderung und Unterrichtung behinderter Schülerin­nen und Schüler haben wir erweitert.
  • Ein neues Verfahren zur Modernisierung der Lehrpläne an den weiterführenden Schulen ist eingeleitet, damit mehr Freiräume an den Schulen und neue Lernerfahrungen möglich wer­den.Inhalte der Schulfächer werden diskutiert, starre Organisationsabläufe in Frage gestellt.
  • Das freiwillige 10. Hauptschuljahr ist für alle Hauptschülerinnen und -schüler erreichbar. Es hat ihre Bildungschancen gestärkt und den Erwerb qualifizierter Ausbildungsabschlüsse erleichtert bzw. überhaupt erst möglich gemacht.
  • Mit der Errichtung von sechzehn zusätzlichen Gesamtschulen sind Wahlmöglichkeiten von Eltern und Schülern für eine integrierte Form der weiterführenden Schule geschaffen worden. Die Ge­samtschulen bieten unter einem Dach alle Bildungsabschlüsse in durchlässiger Form. Ziel ist es, allen Eltern und SchülerInnen die Wahlmöglichkeit für diese Schulform zu bieten.
  • Wir haben die Ausbildungsordnungen in der beruflichen Bildung verbessert, Möglichkeiten zu doppelqualifizierenden Abschlüssen geschaffen und den Hochschulzugang ohne Abitur für beson­ders qualifizierte Berufstätige eröffnet.
  • Die Finanzierung der Schulen in privater Trägerschaft und der Schulen der dänischen Minderheit wurden auf eine sichere Grundlage gestellt, der Unterricht in friesischer Sprache ausgebaut.
  • Der Landeshochschulplan von 1991 hat erstmals mittelfristige Entwicklungslinien - und Perspekti­ven für die schleswig-holsteinischen Hochschulen und die selbständigen Forschungseinrichtungen entwickelt.
    Mit den Hochschulgesetznovellen sind bzw. werden die Leistungsfähigkeit und Autonomie der Hochschulen und die Mitwirkungsrechte der nicht-professoralen Gruppen verbessert. Ein veränder­tes Haushaltsrecht ermöglicht den Hochschulen mehr Flexibilität, Selbstverantwortung und Effek­tivität beim Einsatz ihrer finanziellen Mittel.
    Die Hochschulen und sonstigen Forschungseinrichtungen im Lande werden nachhaltig ausgebaut. Durch neue Standorte insbesondere für technische Studiengänge an den Universitäten und Fach­hochschulen einschließlich der Gründung einer neuen Hochschule an der Westküste werden erheb­liche Ungleichgewichte in der regionalen Hochschulstruktur Schleswig-Holsteins gemildert und die Voraussetzungen für einen innovativen Wissenstransfer geschaffen. (Geomar/ISIT)
    Durch die Integration der Pädagogischen Hochschule Kiel in die Christian-Albrechts-Universität und die Umwandlung der Pädagogischen Hochschule Flensburg in eine Bildungswissenschaftliche Hochschule Flensburg - Universität sind insbesondere leistungsfähige Strukturen für die erforderli­chen inhaltlichen Reformen der Lehramtsausbildung geschaffen worden.
    Die Verselbstständigung der Muthesius-Hochschule für Gestaltung aus der Fachhhochschule Kiel dokumentiert den hohen Stellenwert der bildenden Kunst im schleswig-holsteinischen Hochschul­system.
  • Wir haben den Bildungsurlaub für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eingeführt. Die Kooperation der Einrichtungen zur Weiterbildung haben wir verbessert, um den Zugang für alle zu erleichtern.


Wir wollen diese wegweisenden Neuerungen erhalten und schrittweise im Rahmen der Möglichkeiten ausbauen.

Angesichts der veränderten Bedingungen, ist die erste Aufgabe der Bildungspolitik die Sicherung und Wahrung der Grundlagen unseres Bildungswesens.

  1. Die Schülerzahlen in Schleswig-Holstein wachsen kräftig. Es ist deshalb erforderlich, die Lehrkräf­te und die räumlichen und sächlichen Schulmittel möglichst wirksam einzusetzen. Im Bedarfsfall müssen auch zusätzliche Lehrkräfte eingestellt werden.
  2. Durch die gemeinsamen Anstrengungen von Land, Kreisen und Kommunen wurde für das Schulwesen von Schleswig-Holstein zum ersten Mal eine verläßliche Schulentwicklungsplanung erarbeitet. Diese gilt es ständig fortzuentwickeln und umzusetzen. Die SPD wird bei der Umset­zung besonders darauf achten, daß bei steigenden Schülerzahlen vernüftige pädagogische Rah­menbedinungen erhalten bleiben. Ziel ist ein wohnortnahes Angebot der von den Eltern ,Schülerinnen und Schülern gewünschten Bildungseinrichtungen. Wo diese nicht vorhanden sind, ist sicherzustellen, daß Gemeinde-, Kreis- und Landesgrenzen der Verwirklichung dieses Ziels nicht entgegenstehen.
  3. Die Zahl der Ausbildungsstellen nimmt ab.Damit alle Jugendlichen, die eine berufliche Ausbildung anstreben, eine Lehrstelle erhalten, muß die Wirtschaft als verantwortlicher Partner im dualen Sy­stem der Berufsausbildung ihrer öffentlichen Verantwortung für die qualifizierte Berufsausbildung wieder stärker gerecht werden.
  4. Ernstzunehmende Prognosen sagen auch langfristig einen hohen Bedarf an HochschulabsolventIn­nen voraus. Auch für Schleswig-Holstein gilt, daß die Bedeutung von Forschung und ihrer intelligen­ten Anwendung zunimmt. Die zur Verfügung stehenden Mittel müssen daher effizient eingesetzt werden. Dabei muß die personelle Ausstattung der Hochschulen den wachsenden Studentenzahlen angepaßt werden.


Auf dieser Grundlage wollen wir eine Weiterentwicklung der Bildungsreform mit Augenmaß.

Folgende Schwerpunkte setzen wir:

  • Wir wollen die erzieherische und sozial integrierende Aufgabe des Bildungssystems stärken.
  • –Wir wollen die eigenverantwortliche Gestaltung der einzelnen Schulen fördern.
  • Wir wollen die Bildungsinhalte modernisieren.
  • ––Wir wollen die Kooperation zwischen den Schularten und Bildungsbereichen ausbauen.
  • –Wir wollen die berufliche Bildung aufwerten.
  • ––Wir wollen den Ausbau und die begonnene Strukturreform der Hochschulen in Lehre und Forschung fortsetzen.
  • Wir wollen Berufsbild und Arbeitsbedingungen von im Bildungswesen tätigen Lehrkräften so gestalten, daß sie den geänderten Anforderungen ihres pädagogischen Auftrags gerecht werden können.


Dabei lassen wir uns von folgenden bildungspolitischen Grundüberzeugungen leiten:

  • Das Bildungssystem gehört in staatliche Verantwortung,
  • Chancengleichheit für alle ist in einer sozialen Demokratie wesentlich,
  • integrieren und fördern statt separieren und auslesen entspricht unserem Menschenbild,
  • Durchlässigkeit und Kooperation zwischen den Bildungswegen ist ein Erfordernis einer modernen Gesellschaft.

Wir brauchen einen Generationenvertrag zugunsten der Bildung

Die bildungspolitische Diskussion wird derzeit durch die aktuellen Finanzierungsprobleme belastet. Dies ist das Ergebnis einer verfehlten Finanzpolitik der Bundesregierung. Zwar wird Bildung immer noch als Zukunftsinvestition gewertet; doch gleichzeitig erleben wir in der Bundesrepublik in den letzten zehn Jahren ein Absinken der Bildungsinvestitionen von um 25 % (von 5,5 % auf 4,2 % des Bruttosozial­produkts). Der Anteil der Bildung an den öffentlichen Haushalten bei Bund und Ländern sank damit von 14 % auf 8 %. Diese Entwicklung muß umgekehrt werden.

Wir müssen besonders verantwortungsbewußt darüber entscheiden, wieviel uns Bildung wert ist und wie wir die Bildungseinrichtungen ihren Aufgaben entsprechend ausstatten.

Wir wollen, daß der jungen Generation ein Bildungssystem zur Verfügung steht, in dem das Recht auf bestmögliche Erziehung und Bildung verwirklicht wird und das sich dabei zugleich an den gesell­schaftlichen Erfordernissen orientiert. Dem Generationenvertrag in der Alterssicherung muß ein Generationenvertrag zugunsten der Bildung und Ausbildung und der Bildungsfinanzie­rung entspre­chen. Wir treten ein für eine solche Generationenverpflichtung gegenüber der Jugend, bei der die Gesellschaft eine moderne Schul- und Berufsausbildung garantiert und der Staat den Rahmen für einen solchen zukunftsorientierten Ausbau des Bildungssystems setzt.

Wenn das Erreichte nicht nur gehalten, sondern verbessert werden soll, dann muß der Bildungsbereich bei der Verteilung der öffentlichen Mittel wieder einen höheren Stellenwert gewinnen. Wir wollen die Priorität für Bildung und Wissenschaft in den öffentlichen Haushalten auf allen Ebenen durchsetzen, um die als notwendig erkannte Weiterentwicklung der Bildungsreform zu sichern.

Gleichzeitig muß aber auch sichergestellt sein, daß für die berufliche Ausbildung und Qualifizierung steigende Mittel in den Unternehmen der Wirtschaft bereitgestellt werden. Bei der Gestaltung von Tarifverträgen erwarten wir von den Tarifparteien, daß sie auch Vereinbarungen über neue Arbeits­zeitmodelle treffen, die den Beschäftigten zusätzliche Zeiten zur Weiterbildung eröffnen.

Die Strukturen unseres Bildungssystems müssen modernisiert werden

Die veränderten Rahmenbedingungen für Bildung müssen zu einer Reform und Weiterentwicklung der bisherigen Strukturen im Bildungssystem führen:

  • Schulen, Hochschulen und andere Bildungsinstitutionen müssen ihr eigenes Profil gewinnen. Wir wollen ihnen eine wachsende Gestaltungsfreiheit und -verantwortung in der Organisation und Finanzierung ihrer Ziele und deren methodischen Umsetzung eröffnen.
  • Die wachsende Selbständigkeit der einzelnen Bildungseinrichtungen soll sich auch in der freien Verfügung über die von der öffentlichen Hand zugewiesenen Mittel widerspiegeln. Eine effizientere Verwendung der Mittel setzt kompetente Management- und Verwaltungs­strukturen in den Insti­tutionen unseres Bildungssystems voraus. Wir streben deshalb an, das Leitungspersonal an Schu­len und Hochschulen entsprechend zu qualifizieren. Durch den Einsatz von geeigneten Verwal­tungskräften sollen die pädagogischen Fachkräfte entlastet werden.
  • Um flexibler auf die allgemeinen und speziellen Veränderungen in der Bildungsnachfrage reagieren zu können, ist es notwendig den öffentlichen Dienst zu reformieren u. a. mit dem Ziel, künftig mehr Lehrer im Angestelltenverhältnis zu beschäftigen. Zu diesem Zweck sollen auch mehr Stellen für junge Lehrerinnen und Lehrer geschaffen werden. Die Ausweitung von Teilzeittätigkeiten in allen Bereichen und auf allen Verantwortungsebenen des Bildungs­wesens werden wir fördern, wenn die Beschäftigten es wollen.
  • Auch an den Hochschulen wollen wir den Anteil von Angestellten in Lehre und Forschung erweitern.
  • Es sollen Modelle für eine neue Berechnung der Arbeitszeit der pädagogischen Lehrkräfte entwickelt und erprobt werden. Die Tätigkeitsmerkmale sind zu beschreiben und zu gewichten, um auf diese Weise auch andere pädagogische Tätigkeiten in die Arbeitszeitberechnung einzube­ziehen.
  • Leitungspositionen an den Schulen sind im Grundsatz zeitlich zu befristen. Über entsprechende Zulagen sollen sie ausreichend dotiert werden. Über die Verlängerung entscheidet das Gremium, das über die Besetzung der Leitungsfunktionen zu entscheiden hat.
  • Im Hochschulbereich sind Zusagen über Sach- und Personalmittel, die über die Grundversorgung hinausgehen, ebenfalls zeitlich zu befristen. Über die Verlängerung entscheidet das zuständige Organ der Universität.
  • Wir wollen diese Reform des öffentlichen Dienstes auch für den Bildungsbereich in engem Zusammenwirken mit den Gewerkschaften und Verbänden erarbeiten.
  • Es wird die Möglichkeit geschaffen, Spenden und Stiftungen in einen Bildungsfonds einzubringen. Auf Landesebene wird dazu eine "Bildungsstiftung" eingerichtet, die bei der Mittelvergabe nach dem Prinzip der Chancengleichheit verfährt. Die Existenz und Funktion von Schulvereinen bleibt davon unberührt. Soweit Bildungseinrichtungen private Mittel als Spenden zur Verfügung gestellt werden, sollen diese steuerlich begünstigt werden.
  • Zur Sicherstellung der beruflichen Erstausbildung brauchen wir neue Finanzierungs­instrumente. Betriebe, die sich nicht ausreichend an der beruflichen Erstausbildung beteiligen,werden mit einer zweckgebundenen Abgabe belastet. Betriebe, die besondere Ausbildungsanstrengungen unter­nehmen, werden im Rahmen einer aufkommensneutralen Unternehmenssteuerreform belohnt.
  • Die staatliche Ausbildungsförderung wird schrittweise weiterentwickelt. Neben einem begrenzten Zuschuß zur Schulzeitförderung wollen wir die Bedarfssätze und Freibeträge für die Ausbildungs­förderung im Rahmen der ersten Phase der wissenschaftlichen Ausbildung an einer Hochschule regelmäßig anpassen. Daneben wollen wir eine niedrig verzinste Darlehensförderung für die Zeit der Promotion und der Meisterausbildung einführen (Bildungsdarlehen).

Bildungsinhalte für die Zukunft

Bildung während des ganzen Lebens

Bildung soll für die Menschen in allen Lebensabschnitten und entsprechend ihren Interessen und Fähigkeiten Angebote bereitstellen.

Diese lebensbegleitenden Bildungsangebote sollen der persönlichen Entfaltung des Einzelnen dienen,und sie sollen ihn gleichzeitig ermutigen, Verantwortung für andere Menschen und die Gesellschaft zu übernehmen.

Lebenslanges Lernen setzt voraus, daß die Lernenden zu jedem Zeitpunkt in das Bildungssystem wieder einsteigen können. Dazu ist es notwendig, daß überflüssige Barrieren beseitigt werden. Es muß allen Menschen ermöglicht werden, sich z. B. an den Hochschulen weiterzuqualifizieren.

Bildungsnetze

Bildung beginnt bereits in den Kindertagesstätten, deren Ausbau und Ausstattung damit zu einer wesentlichen gesellschaftlich Pflichtaufgabe wird. Darüber hinaus müssen Einrichtungen für die Jugendarbeit erhalten und geschaffen werden, Konzepte erarbeitet und die Förderung von Initiativen verstärkt werden. Unsere Forderung bleibt aktuell, die Finanzierung der Kinder- und Jugendarbeit im Kinder-und Jugendhilfegesetz (KJHG) zu verankern und damit sicherzustellen.

Kinder und Jugendliche müssen die Möglichkeit haben, demokratische Verhaltensweisen einzuüben, indem sie sich aktiv an der Gestaltung ihres Umfeldes beteiligen. Sie brauchen außerschulische (Frei-)Räume, die ihren Neigungen und Bedürfnissen entsprechen. Sie müssen mehr als bisher in politische Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Kunst- und Musik­schulen bereiten auf die Teilnahme am kulturellen Leben vor und tragen damit wesentlich zur Entwicklung der demokratischen Gesellschaft bei.

Der Bildungsauftrag ist in der Schleswig-Holsteinischen Verfassung verankert. Volkshochschulen und Bibliotheken kommt bei seiner Verwirklichung eine zentrale Rolle zu. Die materielle Ausstattung dieser Bildungseinrichtungen muß gewährleistet und ausgebaut werden. Ihre Tätigkeit muß mit anderen Bildungseinrichtungen vernetzt werden, ohne die jeweilige Unabhän­gigkeit und Qualität wie Quantität der Angebote einzuschränken. Sinnvolle Kombination von Haupt- und Ehrenamt können die Eigenin­itiativen und Profilbildungen stärken.

Unser Bildungswesen ist vielfach so organisiert, daß Bildungsinstitutionen zusammenhanglos neben­einander stehen. Selbst Schulen in Bildungszentren arbeiten oft sehr isoliert. Wir fördern deshalb die Vernetzung von benachbarten Schulen in organisatorischer wie inhaltlicher Hinsicht. Auch im Hoch­schulbereich und in der Weiterbildung ist die Zusammenarbeit weiterzuentwickeln. Bildungsinstitutio­nen können so bessere Schwerpunktbildungen vornehmen und die vorhande­nen personellen und fi­nanziellen Ressourcen sinnvoller nutzen. Zudem ist auf diese Weise eine größere Durchlässigkeit zwischen den Bildungseinrichtungen erreichbar.

Nach unserer Ansicht sind Schulen wie auch Hochschulen zu wenig in ihr Umfeld eingebunden. Erfahrungen auch in Schleswig-Holstein zeigen, daß sich Bildungseinrichtungen und Stadtteil bzw. das weitere regionale Umfeld gegenseitig sehr positiv beeinflussen können. Hierzu gehören die Kooperation mit Betrieben, Vereinen und sozialen Einrichtungen, die Nutzung außerschuli­scher Lernorte und das Einbeziehen externer Experten in den Unterricht. Deshalb setzt sich die SPD für Berufsinformationen und Berufspraktika bei entsprechender Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte in allen Schularten ein.

Bildungseinrichtungen wirken nicht allein auf die Entwicklung junger Menschen. Familien, andere Jugendliche, Vereine, Betriebe, Rundfunkanstalten, Büchereien, Wohnungen, Stadtteile prägen ihr Selbstbild und Verhalten wesentlich mit. Anforderungen an Bildungseinrichtungen müssen diese Zusammenhänge berücksichtigen.

Neue Formen des Lernens und der Bildung ermöglichen

Angesichts der sich immer schneller wandelnden Anforderungen an die Qualifikation von Menschen, müssen Bildungsangebote vorrangig vermitteln, wie man lernt.

Die SPD will erreichen, daß in unseren Bildungseinrichtungen

  • das Denken in Zusammenhängen gefördert wird, das notwendig ist, um angemessen auf die komplexen Überlebensfragen unserer Zivilisation reagieren zu können,
  • der Unterricht stärker fächer- und jahrgangsübergreifend und vernetzt organisiert wird,
  • Fachwissen in ganzheitliche Betrachtungen einbezogen wird,
  • die Persönlichkeitsentwicklung gleichzeitig gefördert wird,
  • Bildungseinrichtungen gesellschaftliche Veränderungen flexibel aufgegriffen werden.


Wir müssen die Bildungsangebote auch danach beurteilen, ob sie Menschen unterschiedlicher Begabungen und Fähigkeiten, unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlicher Kulturkreise zusam­menführen oder ob sie Menschen stigmatisieren und durch Ausgrenzung im Selbstwertgefühl verletzen. Inhalte und Methoden von Bildungs- und Erziehungsarbeit sowie die Bedingungen, unter de­nen die einzelnen Einrichtungen arbeiten, müssen daraufhin überprüft werden.

Wir müssen den Bildungseinrichtungen genügend Zeit für ihre umfassende und schwieriger gewordene Aufgabe geben und ihnen genügend Freiräume geben, um eigenverantwortlich über das Richtige und Erforderliche zu entscheiden.

Die konkrete Ausgestaltung der Bildungsarbeit der einzelnen Einrichtung kann und darf nicht zentral verordnet und durch eine Vielzahl von Vorgaben und Erlassen reglementiert werden. Schulen und ande­re Bildungseinrichtungen sollen zukünftig selbständiger darüber entscheiden, wie der Unterricht organisiert werden soll.

Bildungsinhalte

Bei allen Differenzen über bildungspolitische und pädagogische Absichten gibt es Grundwerte in unserer Gesellschaft, an denen sich Bildungs- und Erziehungsarbeit orientieren muß. Dazu gehören ins­besondere:

  • den Menschen zu befähigen, friedlich in einer Welt mit unterschiedlichen Kulturen, Gesellschaftsfor­men, Völkern und Nationen zusammenzuleben
  • der Erhalt einer demokratischen Kultur. Ein demokratisches Gemeinwesen hat nur Bestand, wenn Demokratie und Empfinden von Gerechtigkeit in allen Lebensbereichen gelebt und gelernt wird.
  • der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen. Der Mensch muß sein Verhältnis zur Natur und Umwelt neu bestimmen, wenn er als Mensch mit der Natur überleben will.
  • eine sozial gerechte Gestaltung der Lebensverhältnisse, angesichts des wirtschaftlichen, technischen und sozialen Wandels.
  • die Gleichstellung zwischen Frauen und Männern, Jungen und Mädchen in Familie, Beruf und Ge­sellschaft.
  • das Recht aller Menschen zur Gestaltung ihrer politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Le­bensverhältnisse, ihre Mitwirkung und Mitverantwortung in allen Lebensbereichen.


Zu den grundlegenden Inhalten zählt für uns eine humanistische Grundbildung. Über die Vermittlung der Kulturtechniken hinaus soll sie den jungen Menschen Wissen und Verständnis unserer und anderen Kulturen und ihrer Entwicklung vermitteln. Sie soll zum Verständnis unserer modernen Gesellschaft und ihrer Geschichte beitragen. Der europäischen Tradition, ihren Sprachen und ihren Ideen, wollen wir eine besondere Bedeutung geben. Zu einer breit angelegten Grundbildung gehört neben sozialen und musischen Fähigkeiten auch die Vermittlung fach- und berufsübergreifenden Qualifikationen (Schlüsselqualifikationen).


Unter Schlüsselqualifikationen verstehen wir

  • das selbständige und eigenverantwortliche Lernen und Arbeiten;
  • das Entwickeln von Selbsteinschätzungskompetenzen;
  • das Lernen und Arbeiten in (Lebens-)Zusammenhängen;
  • der Erwerb fachlicher Kompetenz im Hinblick auf die Problemstellung,
  • das Lernen und Arbeiten im Team;
  • die selbstverständliche Berücksichtigung der menschlichen, der internationalen und ökologischen Kernprobleme beim Lernen und Arbeiten.

Diese Schlüsselqualifikationen sind Grundlage für die berufliche Handlungsfähigkeit des Individuums. Sie sind ein Teil der Persönlichkeitsentwicklung.


Der in unserem Bildungssystem verwendete Leistungsbegriff ist zu eng. Er bezieht sich fast aus­schließlich auf die individuelle Leistungsfähigkeit in Konkurrenz zu anderen Menschen, orientiert am abfragbaren Wissen, an meßbaren Fertigkeiten und immer noch am sozialem Durchsetzungsvermögen. Menschlich wertvolle und gesellschaftlich wichtige Fähigkeiten wie gesellschaftlich-politisches Ver­antwortungsbewußtsein, Kooperationsfähigkeit, solidarisches Verhalten, moralische und soziale Empfindsamkeit gehen nicht genügend in die Bewertung ein. Soziale Bedürfnisse nach Zusammenar­beit und gegenseitiger Hilfe bleiben häufig unberücksichtigt.

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten setzen uns für einen umfassenden und an der Gesamtpersönlichkeit ausgerichteten Leistungsbegriff ein. Dieser pädagogische Leistungsbegriff berücksichtigt:

  • den individuellen Lern- und Entwicklungsprozeß,
  • die soziale Dimension des Lernens und
  • die Grundsätze des Ermutigens und Förderns.

Die Weiterentwicklung der Schule

Sozialdemokratische Bildungspolitik will fördern und integrieren statt auslesen und ausgrenzen. Für Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten gibt es kein Zurück in ein Schulsystem der sozialen Separierung und Auslese sowie der staatlichen Zuteilung von Bildungsprivilegien. Politik, die gesell­schaftliche Ungleichheit von Menschen verfestigt, ist undemokratisch.

Wir wollen Schulen, die eine Vielfalt von Bildungsmöglichkeiten und -abschlüssen anbieten, den unterschiedlichen Neigungen und Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler Rechnung tragen, sie differenziert fördern und so mehr Chancengleichheit verwirklichen. Die Erfahrungen von Unterschied­lichkeit, von unterschiedlicher Herkunft und Nationalität, von individuellem und sozialem Lernen, von Selbstverwirklichung und Verantwortung für sich selbst und für andere kann nur dort gemacht wer­den, wo auch unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichem Selbstverständnis und unterschiedli­chen Zielen vertreten sind und einander schätzen lernen.

Diese Ziele müssen auch die notwendige Erneuerung der Schulform des dreigliedrigen Schulsystems bestimmen. Die Gesamtschule ist für die SPD die zukunftsweisende Schulform, die flächendeckend einzuführen ist, damit alle Eltern, die dies wünschen, ihr Kind an einer Gesamtschule anmelden können. Damit wird der unterschiedlichen Nachfrage der Eltern nach den verschiedenen Schulformen für ihre Kinder Rechnung getragen.

Wo Eltern sich nach der Grundschule für das gegliederte Schulsystem entscheiden, sollen sie lei­stungsfähige Bildungsangebote vorfinden. Wir werden daher nach Lösungsmöglichkeiten suchen, die die Probleme im gegliederten System in ihrer Wirkung auf Kinder und Jugendliche möglichst mildern und die Schulträger in die Lage versetzen, sachgerechte regionale Lösungen zu finden.

Der Erziehungsauftrag der Schule und ihre Möglichkeiten der sozialen Integration

Eine demokratische Schule braucht mehr eigenverantwortliche Entscheidungs- und Handlungsräume

Ausbildung und Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern

Die Strukturen im Schulsystem weiterentwickeln

Berufliche Erstausbildung

Stärkung des dualen Systems

Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung

Erstausbildung für alle

Die Weiterentwicklung der Hochschulen

Ausbau und Strukturreform der Hochschulen - Investition für die Zukunft

Erfolgreich studieren in angemessener Zeit

Durch breite Beteiligung die Eigenverantwortung der Hochschulen stärken

Forschungspolitik

Weiterbildung für eine menschliche Zukunft