A1: Eckpunkte der SPD Schleswig-Holstein: Sozialdemokratische Wege aus der Erwerbsarbeitskrise (1997): Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 8. Juli 2013, 09:43 Uhr

Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Husum 1997
Bezeichnung: A1
Antragsteller: Landesvorstand


Beschluss: Angenommen und Überwiesen an Bundesparteitag

(Weitere Beschlüsse: Der Landesparteitag beauftragt den Landesvorstand:

  1. Weiterleitung des Antrages an den Bundesparteitag.
  2. Diskussion innerhalb der Landespartei forcieren durch öffentliche Veranstaltungen, z.B. im Rahmen von PerspekTide, und Einbindung in das Diskussionsorgang die "debatte".
  3. Mit gesellschaftlich relevanten Verbänden, Organisationen usw. ein weitgefaßtes Bündnis im Sinne dieses Antrages schließen.
  4. Aus den Eckpunkten soll eine für Bürgerinnen und Bürger verständliche und akzeptable Fassung erarbeitet werden, in der die Position der SPD klar und unmißverständlich herausgearbeitet ist.)


Erforderlich ist ________________ 1. Ein neuer Gesellschaftsvertrag

Wir wollen ______________________ 2. Die neoliberale Globalisierung

politisch bekämpfen.

Die _____________________________ 3. Krise der Erwerbsarbeit

ist eine ________________________ 4. Bedrohung der sozialen Sicherheit

Wir schlagen ____________________ 5. Wege aus der Erwerbsarbeitskrise

vor und wollen, daß _____________ 6. Europa als sozialer Kontinent

gestaltet wird.

Dazu brauchen wir _______________ 7.Eine neue soziale Bewegung

Ein neuer Gesellschaftsvertrag

1.1. Kohl und die Koalition aus CDU, CSU und F.D.P.haben haben bei der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit kläglich versagt. Noch nie gab es in der Bundesrepublik mehr Erwerbslose als im Januar 1997, die Tendenz ist weiter steigend. Dieser traurige Nachkriegsrekord von etwa 4,7 Millionen wurde zuletzt im Deutschen Reich im Jahr l933 überschritten...

1.2. Die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik der Regierung Kohl ist gescheitert. Auch mit einer Erhöhung der Massenkaufkraft und der Erschließung neuer Wachstumsfelder allein wird sich die Arbeitslosigkeit nicht beseitigen lassen. Das ökonomisch erreichbare und ökologisch verantwortbare Wachstum wird in der Regel hinter dem Anstieg der Produktivität zurückbleiben.

1.3. Diese Entwicklung hebelt den industriellen Gesellschaftsvertrag aus. Immer mehr Waren und Dienstleistungen werden erzeugt, ohne daß entsprechendes Einkommen auf der Nachfrageseite entsteht. Wenn die alte Industriegesellschaft an ihrer Fähigkeit scheitert, gesellschaftlichen Wohlstand mit immer weniger menschlicher Arbeitskraft zu schaffen, muß ein neuer Gesellschaftsvertrag zur Sicherung von Einkommen und Beschäftigung für alle geschlossen werden.

1.4. Diese Aufgabe ist von existenzieller Bedeutung für die Zukunft, sie ist eine politische Gemeinschaftsaufgabe, die nicht allein von den Tarif-Vertragspartnern bewältigt werden kann. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen uns dieser Aufgabe stellen: Es geht um die demokratische Neugestaltung der Arbeit und um die Teilhabe an Einkommen.

Die neoliberale Globalisierung

2.1. Die Globalisierung der Wirtschaft unter den Bedingungen der Lohnminimierung und des Abbaus von Arbeitnehmerrechten führt zur sozialen Krise und untergräbt die Grundlagen der sozialen Sicherungssysteme. Dabei ist nicht die internationale Integration der Produktions- und Dienstleistungssysteme das eigentliche Problem, sondern diese Form der Globalisierung, durch die kulturelle, soziale und politische Strukturen aufgelöst werden.

2.2. Die Begrenzung des ruinösen internationalen Wettbewerbs, solange er unter ungleichen sozialen und ökologischen Bedingungen stattfindet, ist eine Voraussetzung zur langfristigen Sicherung unseres Sozialstaates. Wir werden uns deshalb dafür einsetzen, daß in internationalen Abkommen Sozial- und Umweltnormen eingeführt werden, die unerläßliche Bedingungen darstellen, um die soziale Sicherheit und die Natur zu erhalten und gleichzeitig akzeptable Standards in den heutigen Billiglohnländern aufzubauen.

2.3. Eine sozialdemokratische Alternative zur neoliberalen Wirtschaftspolitik muß weiter vor allem auch Unternehmen schützen und fördern, die bereit sind, innovative Produkte zu entwickeln. Dieser produktive Teil der Wirtschaft wird bedroht durch die kurzfristigen und spekulativen Interessen auf den globalisierten Geld- und Finanzmärkten. Grundsätzlich kann diesem Problem nur international durch die Einführung einer Transaktionssteuer insbesondere auf Finanzspekulationen begegnet werden.

Krise der Erwerbsarbeit

3.1. In neoliberalen Politik- und Wirtschaftszirkeln wird davon ausgegangen, daß künftig nur noch ein Fünftel der arbeitsfähigen Bevölkerung für den Erwerbsarbeitsmarkt benötigt wird, die verbleibenden 80 Prozent müßten durch Unterhaltung und gerade ausreichende Ernährung ruhiggestellt werden. Diese "Vision" einer Zukunftsgesellschaft ist menschenverachtend, sie spaltet die Gesellschaft und verabschiedet sich letztlich vom demokratisch verfaßten Sozialstaat.

3.2. Auch wir erkennen, daß in unserer Gesellschaft das Erwerbsarbeitsvolumen ständig geringer wird. Die Arbeitsplatzverluste können auch nicht durch neue Beschäftigung im Dienstleistungssektor ausgeglichen werden, weil die Produktivitätssprünge gerade im tertiären Bereich zu gravierenden neuen Beschäftigungseinbrüchen führen werden.

3.3. Gleichwohl treten wir für eine ökologische Modernisierung der Wirtschaft ein, mit der Arbeitsplätze durch qualitatives Wachstum gesichert oder geschaffen werden können. Dabei soll der Schwerpunkt bei der Unterstützung kleinerer und mittlerer Betriebe gesetzt werden, weil dort die Chance für zusätzliche Arbeitsplätze am größten ist.

3.4. Wir wollen keinen Abbau, sondern einen Ausbau der arbeitsmarktpolitischen Instrumente und eine grundlegende Reform der Arbeitsförderung, durch die eine aktive und präventive Arbeitsmarktpolitik gesetzlich vorgeschrieben wird. Die Träger von Maßnahmen im sogenannten 2. Arbeitsmarkt und die TeilnehmerInnen benötigen längerfristige Planungssicherheiten. Deshalb müssen die Förderungsinstrumente verstetigt werden. Die Finanzierung der aktiven Arbeitsmarktpolitik ist eine staatliche Aufgabe und muß aus allgemeinen Steuermitteln erfolgen.

3.5. Aktive Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik sind insbesondere für sozial benachteiligte Menschen wichtige und unverzichtbare sozialpolitische Instrumente, durch sie kann die Erwerbsarbeitskrise aber nicht bewältigt werden. Prognosen gehen davon aus, daß in wenigen Jahren in der Europäischen Union zusätzlich 15 Millionen Erwerbsarbeitsplätze fehlen werden, was einer Verdoppelung der derzeitigen Arbeitslosigkeit in Europa entsprechen würde. Unter diesen Bedingungen kann Vollbeschäftigung im Sinne einer 35-Stundenwoche für alle, die erwerbsarbeiten wollen und können, nicht dargestellt werden.

Diese Entwicklung verändert die Gesellschaft so grundlegend und radikal wie die Industrialisierung. Wir müssen lernen, über die traditionelle Erwerbsarbeitsgesellschaft hinauszudenken.

Bedrohung der sozialen Sicherheit

4.1. Durch die enge Bindung der Absicherung allgemeiner Lebensrisiken an die durch Erwerbsarbeit erzielbaren Einkommen ist unser System der sozialen Sicherung unter den Bedingungen der Massenarbeitslosigkeit gefährdet.

Die konservativ-liberale Bundesregierung führt derzeit vor, wie ihre Problemlösung aussieht: Leistungskürzungen in allen Sozialversicherungsbereichen, Privatisierung der Risikoabsicherung und Abschaffung der paritätischen Beitragsfinanzierung. Diese Politik stellt unseren erfolgreichen Sozialstaat in Frage und gefährdet die Demokratie.

4.2. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen die solidarische Absicherung der allgemeinen Lebensrisiken für alle Mitglieder der Gesellschaft erhalten und ausbauen. Durch die Strategie der weitgehenden Arbeitszeitverkürzungen bekämpfen wir wirksam die Massenarbeitslosigkeit und sichern zugleich die Finanzierungsgrundlagen der Sicherungssysteme.

4.3. Kurzfristig müssen die Sozialversicherungssysteme von allen versicherungsfremden Leistungen entlastet werden. Die Finanzierung dieser Aufgaben muß aus allgemeinen Steuermitteln erfolgen.

4.4. Unsere Sozialpolitik muß von einer nachträglich auszugleichenden zu einer vorbeugenden Sozialpolitik weiterentwickelt werden. Die Institutionen des Sozialstaates müssen effizienter organisiert werden. Wir setzen uns daher für eine Verstärkung der Prävention auf allen Ebenen und insbesondere für eine Verbesserung des Arbeitsschutzes ein. Die Wirtschafts-, Verkehrs- und Städtebaupolitik muß an sozial- und gesundheitspolitischen Zielen orientiert sein, um die Schädigung der Menschen und die Verursachung gesellschaftlicher und individueller Kosten zu minimieren.

Wege aus der Erwerbsarbeitskrise

5.1. Die SPD findet sich nicht ab mit den gesellschafts- und gemeinschaftszerstörenden Auswirkungen der strukturellen Erwerbsarbeitskrise. Sie bereift die künftige soziale Gestaltung und Anerkennung der verschiedenen Dimensionen menschlicher Tätigkeit und die solidarische Absicherung allgemeiner Lebensrisiken als ihre zentralen politischen Aufgaben. Die sozialdemokratische Alternative ist eine solidarische Gesellschaft, die die Produktivitätsgewinne für Arbeitszeitverkürzungen und Einkommenssicherung verwendet.

5.2. Die Lösung der Erwerbsarbeitskrise erfordert eine grundsätzliche Neuorientierung und eine Handlungsstrategie, die längerfristige Zielsetzungen für eine künftige Gesellschaft mit pragmatischen sozial- und arbeitsmarktpolitischen Konzepten verknüpft.

Die SPD will dabei auch die Verengung des Arbeitsbegriffes auf den Aspekt der Erwerbsarbeit überwinden. Die Erwerbsarbeit als marktvermittelte Tätigkeit gegen Entgelt ist nur eine geschichtliche Erscheinungsform der Arbeit in industrialisierten Gesellschaften. Sie ist kein existenzielles Merkmal des Menschen, obwohl sie häufig so bewertet wird. Eigenarbeit ohne Tauschbeziehungen und freie Tätigkeiten müssen als gesellschaftlich gleichwertig neben die Erwerbsarbeit treten.

5.3. Die notwendige gesellschaftliche Aufwertung der Eigenarbeit (z.B. Hausarbeit, Erziehungsarbeit) und der freien Tätigkeiten (ehrenamtliche Arbeit) muß verbunden werden mit einer fairen Verteilung und einer gerechten Bewertung dieser Nichterwerbsarbeiten zwischen Frauen und Männern.

Die Ausweitung von schlecht bezahlten und sozial ungesicherten Dienstleistungen stellt keine Lösung der Krise des Erwerbsarbeitssystems dar. Eine solche Strategie führt zu einer Dualgesellschaft: Der eine Teil gehört zu denjenigen, die durch immer mehr Erwerbsarbeit immer mehr verdienen, um sich die Dienste einer wachsenden Armee schlecht bezahlter Dienstboten zum persönlichen Vergnügen leisten zu können. Dieses Lebens- und Erwerbsmodell entspricht nicht unseren Zielvorstellungen von einer gerechten Gesellschaft und von einer gerechten Verteilung der bezahlten un unbezahlten Arbeit zwischen Frauen und Männern.

5.4. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen, daß alle Menschen an den Produktivitätsfortschritten teilhaben und setzen uns im Rahmen des neuen Gesellschaftsvertrages dafür ein, die individuelle Zeitautonomie, d.h. die Verfügbarkeit über die eigene Lebensarbeitszeit, zu erhöhen. Die Verwirklichung dieser allgemeinen Zielsetzung erfordert eine neue Arbeitszeit- und Einkommenspolitik, durch die ein Recht auf immer weniger Erwerbsarbeit für alle verbunden wird mit einem Recht auf zeitweilige Nichtarbeit und entsprechende Transferleistungen für erwerbsarbeitsfreie Perioden.

5.5. Die Produktivitätssteigerungen ermöglichen obiektiv weitgehende Erwerbsarbeitszeitverkürzungen, durch die die Massenarbeitslosigkeit von Millionen Menschen transformiert werden könnte zu einem Recht auf weniger Erwerbsarbeit für alle. Die bisher von den Gewerkschaften erkämpften Arbeitszeitverkürzungen haben nachweisbar positive Beschäftigungseffekte gehabt. Sie sind vergleichsweise gering ausgefallen, weil sie in zu kleinen Schritten und über zu lange Zeiträume realisiert wurden und so teilweise durch Rationalisierungen neutralisiert werden konnten.

5.6. Eine gesamtwirtschaftliche Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit um etwa 20 % in vier Stufen, verbunden mit einer aktiven Beschäftigungspolitik, führt zu einer weitgehenden Lösung der Erwerbsarbeitskrise.

Der technologische Fortschritt und der wirtschaftliche Strukturwandel sowie die immer kürzer werdende Halbwertzeit des erlernten Wissens machen in der Arbeitswelt ein ständiges Um-, Weiter- und Neulernen erforderlich. Lebenslanges Lernen erhält für die Beschäftigten und deren Entwicklungsmöglichkeiten am Arbeitsplatz eine zentrale Bedeutung. In einem ressourcenarmen Land ist daher die Qualifizierung der ArbeitnehmerInnen, also die "Investition in die Köpfe der Menschen" eine zentrale Aufgabe. Angesichts der weltwirtschaftlichen Herausforderungen im internationalen Wettbewerb und der Entwicklung der modernen Informations- und Kommunikationstechnologie brauchen wir eine bundesweite Bildungsoffensive. Daher sind Zeiten der Arbeitszeitverkürzung auch verstärkt für Weiterbildung zu nutzen. Eine Politik des "Weiterbilden und Einstellen", in der Beschäftigte, auch über längere Zeiträume, ihre Arbeitszeit verkürzen und an Weiterbildungsveranstaltungen teilnehmen, soll gleichzeitig dazu beitragen, daß Arbeitslose im Rahmen der für Beschäftigung freigewordenen Zeit eingestellt und in die Unternehmen integriert werden können. Auf diesem Weg ließen sich auch kontinuierliche Weiterbildungsprozesse in rollierenden Systemen von Arbeit und Weiterbildung organisieren.

Diese Strategie der Arbeitszeitverkürzung und Weiterbildung muß abgestützt werden durch die Zahlung von Lohnersatzleistungen zum teilweisen Ausgleich der Nettolohnverluste.

Durch eine solche Strategie würden Einkommen und Erwerbsarbeitszeit teilweise entkoppelt.

Wir wollen vielfältige Formen der Arbeitszeitverkürzungen ermöglichen, die den spezifischen Notwendigkeiten der Betriebe ebenso wie den lebensgeschichtlichen Situationen der Arbeitnehmerinnen gerecht werden.

Durch die Schaffung von mehr sozialversicherten Teilzeitarbeitsplätzen kann die Politik der Arbeitszeitverkürzung ergänzt werden.

In Dänemark erhalten z.B. nach dem 1993 beschlossenen Urlaubsgesetz Beschäftigte, die sich bei vollem Rückkehrrecht in beliebigen Zeitabschnitten für insgesamt ein Jahr freistellen lassen, für diese Zeit einen Lohnaus-gleich etwa in Höhe der Arbeitslosenhilfe in Deutschland. Diese Möglichkeit konnte in Dänemark in einzelnen Betrieben so umgesetzt werden, daß die Zahl der Beschäftigten um bis zu 25 % stieg.

5.7. Zum teilweisen Ausgleich der Nettolohnverluste muß bei der Bundesanstalt für Arbeit ein “Arbeitszeitverkürzungs- und Qualifizierungsfonds" gebildet werden, der aus ihren Mitteln mitfinanziert wird. Mittelfristig muß auch der Produktionsfaktor Kapital zur Finanzierung der Arbeitsmarktpolitik herangezogen werden. Wir erwarten von der SPD auf Bundesebene, daß sie entsprechende Konzepte entwickelt. Kurzfristig wollen wir die Lohnnebenkosten und insbesondere die Beiträge zur Bundesanstalt für Arbeit durch einen Einstieg in die ökologische Steuerreform senken.

Wir schlagen vor, weitere Finanzierungsmöglichkeiten, mit denen vor allem bisher steuerlich nicht erfaßte Gewinne und Erträge herangezogen werden sollen, in die Diskussion einzubeziehen.

Europa als sozialer Kontinent

6.1. Wir wissen, daß die sozialen und wirtschaftlichen Probleme der Bundesrepublik nicht losgelöst von europäischen und globalen Zusammenhängen betrachtet werden können.

Daher darf das Ziel der Einigung Europas nicht nur der freie Waren- und Geldverkehr sein. Viel stärker als bisher muß die soziale Komponente betont werden: Wie Menschenrechte müssen auch soziale Absicherungen für alle Menschen in Europa gelten.

6.2. Die Einigung Europas bietet die Chance, hohe Sozialstandards auch dort zu erreichen, wo bisher keine oder unzureichende Absicherungen bestehen.

Derzeit versuchen Kräfte der Wirtschaft und neoliberale Politiker das Gegenteil durchzusetzen: Senkung der sozialen Standards vom hohen auf das niedrigst mögliche Niveau. Dieser gefährlichen Entwicklung muß die Politik auf europäischer Ebene entgegenwirken. Denkbar wäre u.a. - wie kürzlich von der Internationalen Arbeitsorganisation gefordert - die Einführung eines kontrollierten internationalen "Soziallabels", das den Verbrauchern die Einhaltung sozialer und arbeitsrechtlicher Standards bei der Herstellung der angebotenen Waren und Dienstleistungen garantiert.

6.3. Europapolitik muß heute mehr denn je eine Politik sein, die soziale Rechte, wo sie nicht europäisch zu verankern sind, zumindest in den Teilstaaten erhält. Wer nicht bereit ist, ein soziales Europa mitzugestalten, sondern an nationalen niedrigen Sozialstandards festhält, verfolgt eine antieuropäische Politik, eine Politik gegen die Menschen in Europa.

Eine neue soziale Bewegung

7.1. Die SPD will mit ihren alternativen "Wegen aus der Erwerbsarbeitskrise" den Primat einer sozialen Politik gegen den gesellschaftszerstörenden neoliberalen Marktradikalismus durchsetzen. Unsere Vorschläge für einen neuen Gesellschaftsvertrag zur Arbeitszeitverkürzung und zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit sind ein programmatisches Angebot, eine Einladung zu einer gesellschaftlichen Verständigung über eine Neuorientierung der Politik.

7.2. Die geschichtlichen Erfahrungen auch in der Bundesrepublik zeigen, daß ein grundsätzlicher Richtungswechsel der Politik und die Durchsetzung neuer Ziele möglich sind, wenn die Inhalte von einer breiten sozialen Bewegung getragen werden. Deshalb streben wir ein weitgefaßtes Bündnis für den neuen Gesellschaftsvertrag an und wenden uns mit diesen Vorschlägen an Gewerkschaften, Unternehmensverbände, Betriebe, an Wohlfahrts- und Sozialverbände, an Kirchen und an die Wissenschaft.

Wir wenden uns insbesondere auch an die junge Generation, an Arbeitslose, an die Älteren, an sozial benachteiligte, an Menschen, die keiner politischen Partei angehören, und laden alle dazu ein, eine neue solidarische Gesellschaft aktiv mitzugestalten.

7.3. Durch die Entkoppelung von Erwerbsarbeitszeit und Einkommen ergeben sich auch qualitativ neue Chancen für eine Weiterentwicklung gemeinnütziger und lebensweltbezogener Tätigkeiten. Die vergrößerten Zeitbudgets ermöglichen es wesentlich mehr Menschen als vorher, sich in ehrenamtliche Arbeit, in nachbarschaftliche, solidarische Hilfen und persönliche Dienstleistungen einzubringen. Die Bürgergesellschaft als neue Gemeinschaftlichkeit kann gesellschaftliche Integration und sozialen Zusammenhalt entwickeln und festigen.