A1: Resolution zur Bundestagswahl 1990 (1990)

Aus Beschlussdatenbank der SPD Schleswig-Holstein
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Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Büsum 1990
Bezeichnung: A1
Antragsteller: Nicht aufgeführt


Beschluss: Angenommen


Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen nach der Bundestagswahl in der Bundesrepublik Deutschland die Regierungsverantwortung übernehmen. Mit Oskar Lafontaine als Bundeskanzler wollen wir das Zusammenwachsen und die soziale und ökologische Erneuerung Deutschlands in einem vereinten Europa gestalten.

Vor neuen Herausforderungen

Die CDU/CSU/FDP-Bundesregierung unter Kanzler Kohl hat keine der drängenden gesellschaftspolitischen Probleme bewältigt.

In den 8 Jahren der Kohl-Regierung sind die Gegensätze zwischen arm und reich größer geworden. Die Arbeitslosigkeit hat seit 1982 zugenommen. Durch die unterbliebenen Maßnahmen des Umweltschutzes haben sich auch die ökologischen Gefahren verschärft.

Heute stehen wir vor Umwälzungen mit noch nicht absehbaren Auswirkungen.

Dies gilt in besonderem Maße für die Bundesrepublik und die DDR. Alle politischen Entscheidungen in der Bundesrepublik müssen die Interessen der Menschen in der DDR mit berücksichtigen.

  • Mit der Vereinigung Deutschlands besteht die Chance, Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit und Solidarität für alle Deutschen zu verwirklichen. Diese Chance darf nicht verspielt werden. Voraussetzungen dafür sind eine leistungsfähige und ökologisch ausgerichtete Wirtschaft, der Ausbau sozialstaatlicher Leistungen, die Verwirklichung der Gleichstellung und ein erhöhtes Maß an politischen Beteiligungsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger.
  • Die Einheit Deutschlands bedarf einer neuen Verfassung, die durch eine Volksabstimmung legitimiert werden muß.
  • Der Prozeß der deutschen Einigung wird begleitet von der Vereinigung Europas. Deutschland darf kein Nationalstaat alter Prägung werden. Die Einheit der deutschen muß die Einigung Europas voranbringen. Nach 1992 muß aus der Europäischen Gemeinschaft der Staaten Westeuropas eine gesamteuropäische Gemeinschaft werden, die für alle Staaten Ost- und Nordeuropas offen ist. Unser Ziel sind die Vereinigten Staaten von Europa, in denen Frieden, Freiheit, soziale Gerechtigkeit und ökologischer Ausgleich für alle Menschen in Europa verwirklicht werden.
  • Mit dem Ende des Ost-West-Gegensatzes eröffnen sich neue Chancen für friedliche und solidarische Beziehungen zwischen den Völkern der Erde. Wir müssen diese nutzen, um den Prozeß der Abrüstung zu beschleunigen. Der Ausgleich zwischen den armen Völkern des Südens und den reichen des Nordens darf über die neue Entwicklung nicht in Vergessenheit geraten. Er ist eine Voraussetzung für die Lösung der globalen ökologischen Probleme. Daher wird sich die SPD für einen Schuldenerlaß und eine gerechte Weltwirtschaftsordnung einsetzen. Als ersten Schritt wollen wir ein Prozent des Bruttosozialproduktes für sinnvolle Projekte in den Ländern des Südens zur Verfügung stellen.

Soziale Gerechtigkeit

Die Einheit Deutschlands wird Opfer verlangen.

Die SPD wird aber nicht zulassen, daß die sozial Schwachen, die Arbeiter und Angestellten die leichtfertigen Versprechen Kohls im DDR-Wahlkampf bezahlen müssen, während den Unternehmern und Reichen ein erneutes Steuergeschenk in Höhe von 25 Milliarden Mark in Aussicht gestellt wird. Die notwendigen Lasten der deutschen Einheit müssen gerecht verteilt werden. Sie können auch nicht von den Ländern getragen werden. Die Vereinigung Deutschlands ist eine nationale Aufgabe. Dafür ist zuallererst der Bund zuständig.

Die deutsche Einheit darf die Aufspaltung unserer Gesellschaft in Arbeitsplatzbesitzer und Arbeitslose, in Wohnungsbesitzer und Obdachlose, in Gesicherte und Ungesicherte nicht vertiefen. Wir müssen die Aufspaltung unserer Gesellschaft durch eine gerechte Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums überwinden. Von dieser Gefahr sind die Frauen in der DDR besonders bedroht.

In der Bundesrepublik besteht ein dringender sozialer Reformbedarf, den eine SPD-geführte Bundesregierung unbeschadet der enormen finanziellen Herausforderung der deutschen Vereinigung in Angriff nehmen muß:

Dazu gehört:

  • Die Verankerung des Rechts auf Arbeit, Arbeitsförderung und das Recht auf menschenwürdiges Wohnen in der Verfassung.
  • Eine aktive Arbeitsmarktpolitik, die bei Arbeitslosigkeit einen Arbeitsplatz oder eine Qualifizierungsmöglichkeit anbietet.
  • Die Einführung einer Pflegeversicherung für alle zur Absicherung des Pflegefallsrisikos
  • Die Einführung der sozialen Grundsicherung zunächst im Alter und bei Arbeitslosigkeit und bei Invalidität.
  • Die Schaffung eines ausreichenden Angebots an Kinderkrippen, Kindergärten und Kindertagesstätten.
  • Das Selbstbestimmungsrecht der Frauen in Schwangerschaftskonflikten.

Ökologischer Umbau

Die Umorientierung auf eine ökologische Wirtschaft erfordert eine Politik, die durch Aufklärung, Anreize, Gebote, Verbote und steuerliche Instrumente der ökologischen Verantwortung zum Durchbruch verhilft.

Unsere Ökologiepolitik muß den Umbau der Wirtschaft in ganz Deutschland auf umweltfreundliche Produktionsverfahren und Produkte beschleunigen.

Dazu sind erforderlich:

  • Die Entwicklung einer Gesamtstrategie zur Energieeinsparung und –verwendung
  • Der Ausstieg aus der Kernenergie
  • Die Erarbeitung eines ökologisch ausgerichteten Generalverkehrsplans unter Bevorzugung des Ausbaus des öffentlichen Personenverkehrs, insbesondere des Schienen- und Nahverkehrs
  • Die Verteuerung des Einsatzes von Energie durch konsequente Besteuerung des primären Energieaufwandes. Die Einnahmen aus dieser Steuer dienen zur Finanzierung notwendiger Umweltschutzmaßnahmen.
  • Die Erhebung einer Schadstoffabgabe, die die Kosten für die „Beseitigung“ umfaßt.
  • Eine konsequente Politik der Vermeidung und Verwertung von Müll.
  • Die durchgehende Anwendung des Verursacherprinzips und die Sanierung von Altlasten aus einem Altlastenfonds unter finanzieller Beteiligung der Industrie.

Die Lasten und Kosten des ökologischen Umbaus müssen sozial gerecht verteilt werden. Soziale Ausgleichsmaßnahmen sind dort unverzichtbar, wo ökologische notwendige Maßnahmen zu soziale nicht verantwortbaren Belastungen führen.

Freiheit

Das neue Europa muß sich vor allem durch Offenheit und Toleranz auszeichnen. Die neuen Freiheitsbewegungen in Osteuropa, die individuelle und politische Rechte erkämpft haben, machen uns Mut, auch bei uns die Freiheitsrechte zu erweitern- Wir brauchen mehr Liberalität und Bürgerrechte.

Deshalb wollen wir:

  • Eine Stärkung der Mitbestimmung der Beschäftigten in den Betrieben und Verwaltungen
  • Eine Erweiterung der Bürgerbeteiligung u.a. durch die Einführung von Plebisziten auch auf Bundesebene
  • Den Ausbau des Datenschutzes zu einem Instrument des Persönlichkeitsschutzes
  • Grundsätzlich freien Zugang zu Informationen, um die Kontrolle von Regierung und Verwaltung durch Einwohnerinnen und Einwohner zu stärken
  • Die rechtliche Sicherung des Aufenthaltsstatus der hier lebenden Ausländerinnen und Ausländer und die Einführung des Ausländerwahlrechts.

Frieden

Noch nach dem Fall der Mauer hat die Regierung Kohl den mit 54,2 Milliarden DM höchsten Verteidigungshaushalt in der Geschichte der Bundesrepublik verabschiedet. Nichts zeigt deutlicher, wie wenig sie die Zeichen der Zeit erkannt hat. Bis heute hat die Bundesregierung keine Konsequenzen aus dem Funktionsverlust der Militärblöcke gezogen.

Der Zusammenbruch des Kommunismus bedeutet das Ende der Vorherrschaft der Supermächte in Europa. Der KSZE-Prozeß kann jetzt zur Entstehung einer europäischen Friedensordnung beitragen, die die bestehenden Militärblöcke überwindet. Darüber hinaus muß Europa seine Verantwortung für seine eigene sicherheitspolitische Zukunft stärken: Der künftige europäische Bundesstaat muß die außen-, sicherheits- und militärpolitische Souveränität seiner Mitgliedstaaten übernehmen. Langfristig bleibt es das Ziel, in einer weltweiten Sicherheitsgemeinschaft Streitkräfte überflüssig zu machen.

  • Wir wollen atom- und chemiewaffenfreie Zonen in Europa als erste Stufe eines von Massenvernichtungsmitteln freien Kontinents. In seiner Verfassung muß das vereinte Deutschland auf die Entwicklung, Herstellung und Verfügung von Massenvernichtungsmitteln verzichten.
  • Wir werden Lieferungen von Kriegswaffen und Rüstungsgeräten nicht genehmigen.
  • Eine sozialdemokratische Bundesregierung unter Oskar Lafontaine wird Manöver an den Grenzen zur DDR und CSFR unverzüglich einstellen.
  • Die veränderte Sicherheitslage verlangt einen Funktionswandel der Bundeswehr, der auch zu einer Reduzierung ihrer Personalstärke führen muß. Vorerst streben wir die Halbierung der Bundeswehr an. Im Rahmen einer europäischen Sicherheitsstruktur wird sich die Zahl der deutschen Streitkräfte weiter verringern. Die Umstrukturierung der Bundeswehr ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Der Staat muß sich der Probleme der Soldaten und ihrer Familien annehmen.
  • Bei der Verringerung der militärischen Präsenz müssen regionale Strukturprobleme berücksichtigt werden. Wo militärische Standorte in strukturschwachen Regionen stillgelegt werden, müssen regionalpolitische Maßnahmen zur wirtschaftlichen Umstrukturierung vorgesehen werden.
  • Die SPD wird den Verteidigungshaushalt im ersten Jahr um mindestens 5 Milliarden DM kürzen. Weitere Einsparungen werden durch die Reduzierung der Personalstärke der Bundeswehr erreicht.

Schleswig-Holstein

In Schleswig-Holstein hat die SPD-Landesregierung mit Björn Engholm unter schwierigen Bedingungen damit begonnen, die soziale und ökologische Erneuerung unseres Landes in Gang zu setzen – oftmals gegen den Widerstand der konservativen Bundesregierung. Schleswig-Holstein braucht eine Bundesregierung, die mit den Ländern und nicht gegen sie versucht, die Auswirkungen der deutschen und europäischen Einigung soziale, wirtschaftlich und ökologisch verträglich zu gestalten.