A5 Digitalisierung in der Arbeitswelt (2020)

Aus Beschlussdatenbank der SPD Schleswig-Holstein
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Gremium: Landesparteirat
Sitzung: Landesparteiratssitzung, August 2020
Bezeichnung: A5
Antragsteller: Kreisverband Pinneberg


Beschluss: Angenommen

Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt in allen Bereichen. Von der Aus- und Weiterbildung über die Arbeitsorganisation und den sozialen Status bis hin zur Lebenssituation nach der Berufstätigkeit. Wir werden die Digitalisierung aktiv und antizipativ gestalten, mit dem Ziel, diese sozial, demokratisch und gerecht zu gestalten.

Es wird dabei Wachstums- und Abbaubereiche in der Struktur der Arbeitsplätze geben – mit Schätzungen zwischen 50% und 20% Verlusten an bisherigen Arbeitsplätzen. Es wird Veränderungen vor allen Dingen bei einfachen und produktionsnahen Tätigkeiten geben, aber nicht nur, sondern auch im Dienstleistungsbereich, in den Verwaltungen und auch bei akademischen Berufen. Wir werden die Digitalisierung mit dem Ziel gestalten, dass sie ein Gewinn für die Menschen ist: Eine verantwortungsvolle Politik muss deutlich machen, wie die Digitalisierung für möglichst alle Beschäftigten neue Chancen bieten kann und muss. Es muss vor allen Dingen deutlich werden, dass es mindestens keine massiven Verschlechterungen geben darf und die Umstellung in der Arbeitswelt in jeder Hinsicht bestmöglich arbeitnehmerfreundlich abgesichert wird und dass niemand allein gelassen wird.

Die Veränderungen in der Arbeitswelt werden schneller und weniger betriebsgebunden, globaler und weniger national steuerbar ablaufen. Die politische Gestaltung muss sich auf diese veränderten Bedingungen in ihren nationalen wie supranationalen europäischen und globalen Initiativen einstellen und diese erweiterten Handlungsdimensionen systematisch vorbereiten.

Die Veränderungen in der Arbeits- und Betriebswelt können weitreichende Auswirkungen auf das System der Steuern und Abgaben haben und damit auf die Daseinsvorsorge, die Zukunftsinvestitionen und das Sozialstaatsystem. Die fortschrittlichen Kräfte in der Politik sind hier in besonderer Weise gefordert, auch für die Zukunft die Sozialpflichtigkeit von Eigentum, Gewinnen und Einkommen für das Gemeinwohl und die öffentliche Infrastruktur sicher zu stellen.

Die Digitalisierung bietet große Chancen und große Risiken. Sie kann das Leben der Menschen verbessern, neuen Wohlstand für viele Menschen bringen und den nachhaltigen Umgang mit den Ressourcen erleichtern. Sie kann gleichzeitig die wirtschaftliche und implizit auch die politische Macht neu verteilen und weiter konzentrieren, die Verteilung von Vermögen, Einkommen und Arbeit noch weiter auseinandertreiben und Kultur, Medien und politische Organisationen und damit die Demokratie massiv verändern. Die Veränderungen der digitalen Arbeitswelt und der Wertschöpfung 4.0 sind auch deshalb sozialdemokratische Schlüsselthemen, weil sie den Kern der gesamten Gesellschaftspolitik von morgen berühren und über den Grundwert Arbeit hinaus die Grundwerte Freiheit, Frieden, Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität und Nachhaltigkeit ansprechen.

Für die politische Arbeit ergeben sich daraus sechs Handlungsfelder, die insbesondere von der SPD als der entscheidenden politischen Kraft, die die Interessen der Arbeitnehmerschaft und des Gemeinwohls im Auge hat, aber auch in anderen fortschrittlichen Parteien und mit den Partnern in den Gewerkschaften, bei den Betriebsräten und in den Wirtschaftsverbänden bearbeitet werden müssen.

Handlungsfeld 1: Das persönliche Recht auf Bildung und die staatliche und Arbeitgeber-Pflicht zur Bildungsförderung

  • Es muss das Recht auf Grundbildung für alle ausgebaut werden: Wir wollen eine Erweiterung des Grundbildungsumfanges. Dies umfasst für uns auch die persönliche und berufliche Entfaltung sowie der politisch-gesellschaftlichen und kulturellen Teilhabe. Und jeder Mensch muss in seiner Bildungsbiographie auch eine 2. und 3. Chance und auch weitere neue Chancen bekommen.
  • Wir brauchen neue Instrumente in der Arbeitsmarkt-Politik und der Beschäftigungsförderung – mit einem umfassenden Rechtsanspruch auf Weiterbildung, mit einem finanziell gut ausgestatteten Weiterbildungskonto, mit einem Recht auf mehrere geförderte Weiterbildungen, mit Erfolgsprämien bei Fortschritten in der Alphabetisierung und der weiteren Grundbildung sowie bei nachgeholten Schul- und Berufsbildungsabschlüssen.
  • Wir werden ein Recht auf individuelle Ausbildung einführen. Zudem muss es ein Recht sowie eine Förderung für höhere Berufsbildung geben. Auch muss die Durchlässigkeit zwischen der beruflichen und akademischen Bildung verbessert werden. So werden wir die wechselseitige Anerkennung von Abschlüssen als sozialdemokratisches Projekt forcieren.
  • Mit Blick auf die Wertschöpfung 4.0 braucht es eine umfassende Ausbildungsmodernisierung und eine gut ausgestattete Ausbilderqualifizierung und Weiterbildung für Ausbilder in den Betrieben.
  • Die öffentlichen Berufsbildungszentren sind zu modernen Stätten der beruflichen Erstausbildung und der beruflichen Weiterbildung auszubauen.
  • Es muss dringend eine neue ganzheitliche Ausbildungsförderung von der Schule bis hin zur Fort- und Weiterbildung geben, die alle sozioökonomisch benachteiligten Lernenden erhalten, die in finanzieller Höhe ausreichend sowie den Lebensrealitäten der Lernenden entsprechend gestaltet ist – auch im Hinblick auf die Förderbedingungen! Der SPD-Bundesvorstand wird aufgefordert, entsprechende Ziele im Bundestagswahlprogramm zu benennen und die Ausbildungsförderung wieder sozialdemokratisch zu machen, d.h. die durch CDU-Bundeskanzler Kohl eingeführte Rückzahlung zu streichen.

Handlungsfeld 2: Eine bessere Vorbereitung auf die digitale und sich ständig verändernde Arbeitswelt

  • Eine weitere Stärkung der Vermittlung von Kompetenzen bspw. im Umgang mit Quellen und Medien sowie eine Vermittlung von „Lernen lernen“.
  • Dementsprechend sind medienpädagogische und mediendidaktische sowie heterogenitätsbezogene Lehrveranstaltungen als verpflichtende Inhalte allen Lehramtsstudierenden zu vermitteln, um diese besser auf ihre Aufgabe als Lehrkraft mit dem Rollenverständnis eines Lerncoaches vorzubereiten und entsprechende Grundkompetenzen zu vermitteln.
  • Flächendeckende Einführung von gebundenen Ganztagesschulen, um einen rhythmisierten Schultag, bestehend aus Bewegung, Lernen, Erholung und Freizeit, zu ermöglichen und Bildungsgerechtigkeit zu gewährleisten.

Wir wollen:

  • Eine Förderung von forschendem Lernen und interaktiven Lernmethoden (u.a. Lernvideos, Software), sodass Schüler*innen sich Wissen in ihrem selbstgewählten Tempo erarbeiten können.
  • Den Ausbau von projektorientiertem, praxisorientiertem und fächerübergreifendem Unterricht.

Hierfür wollen wir eine stärkere Vermittlung entsprechender Kompetenzen im Lehramtsstudium.

Allen Schüler*innen muss in der Schule ein digitales Endgerät für den Unterricht und zum Lernen zur Verfügung gestellt werden.

Handlungsfeld 3: Das individuelle Recht auf gute, selbstbestimmte Arbeit und die kollektive Verpflichtung zur Arbeitsgestaltung 4.0

  • Die Produktivitätsgewinne durch die Wertschöpfung 4.0 müssen gerecht auf die Arbeitnehmerschaft verteilt werden. Grundsätzlich müssen die Arbeitsentgelte insgesamt erhöht werden, auch im Zusammenhang mit der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 13,00 € die Stunde. Dazu muss die Tarifbindung gesteigert werden und die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen ausgebaut werden.
  • Wir brauchen für die Zukunft eine deutliche Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, wenn die Automatisierung in der industriellen Produktion, aber auch bei Dienstleistungen und bei Verwaltungstätigkeiten voll wirksam wird. Die Arbeitszeitverkürzung muss mit mehr Zeitsouveränität in der Arbeitszeit verbunden werden, sei es in der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit, sei es in Form von Verblockungen bis hin zu Sabbatjahren etc. Alle Arbeitnehmer bekommen das Recht auf 3 Sabbatjahre in ihrem Berufsleben.
  • Die höhere Beanspruchung durch die neuen digitalen Technologien muss bewältigt werden können durch eine bessere Entlastung von Arbeitsstress, mehr Maßnahmen zur Gesundheitsprävention, die Einführung von Grenzen der Erreichbarkeit und eine viel stärkere Doppelbesetzung von Stellen, um die globalen Zeitzonen und die durchgängigen Maschinenlaufzeiten abzufangen.

Handlungsfeld 4: Selbstbestimmung, Selbständigkeit und Mitbestimmung

  • Die Mitbestimmung ist auf deutlich mehr Betriebe ausbauen. Das Mitbestimmung und Betriebsverfassungsrecht ist entsprechend so zu ändern, dass die Bildung von Organen der Mitbestimmung deutlich erleichtert wird.
  • Unternehmer, die die Bildung von Betriebsräten hintertreiben und bekämpfen, werden sanktioniert.
  • Es müssen internationale Mindest-Standards für Mitbestimmung ausgearbeitet und zum Gegenstand zum Handelsabkommen gemacht werden. Das europäische Mitbestimmungsrecht muss vorbildlich in der Welt werden.
  • Das Initiativrecht der Betriebsräte für Ausbildung und Weiterbildung ist auszubauen. Die Qualifizierung der Betriebsräte ist deutlich zu verstärken. Es muss umfassende Qualifizierungsrechte für Betriebsräte geben.
  • Das Vergabe-Recht ist an sozialen Kriterien und an der Beteiligung der Arbeitnehmer an der betrieblichen Mitbestimmung auszurichten. Die öffentliche Hand muss ihr milliardenschweres Vergabevolumen hier gezielt einsetzen können.
  • Die Informationelle Selbstbestimmung im Betrieb und bei der Arbeit ist zu garantieren. Der Datenschutz ist beim Umgang mit Big Data und Künstlicher Intelligenz unbedingt beizubehalten.
  • Die Rationalisierungsschutzabkommen sind zu verbessern. Es muss gut ausgestattete Auffanggesellschaften und Sozialpläne mit digitaler Qualifizierung geben. Für Berufsveränderer sind Digital-Camps einzurichten.

Handlungsfeld 5: Alternative Arbeit und vielfältige Arbeit

  • Die soziale, kulturelle, schöpferische Arbeit im Gesamtarbeitsmarkt ist deutlich ausbauen. Hierfür sind entsprechende Ausbildungs- und Weiterbildungskapazitäten zu schaffen.
  • Selbständige Arbeit ist sozial besser abzusichern durch Integration in die großen solidarischen sozialen Sicherungssysteme. Die Absicherung von Soloselbständigen soll Schritt für Schritt umgesetzt werden.
  • Es ist ein System des Solidarischen Grundeinkommens in einem erweiterten öffentlichen Arbeitsmarkt aufzubauen.

Handlungsfeld 6: Sicherung von Daseins- und Zukunftsvorsorge und Sozialstaatlichkeit

  • Das Wertschöpfungsprinzip muss bei der Erhebung von Steuern und Abgaben voll Einzug halten, d.h. die Versteuerung muss im Land der unmittelbaren Wertschöpfung stattfinden.
  • Es sind wirksame nationale und internationale Steuern auf Datenhandel und Finanzhandel zu erheben.
  • Deutschland ergreift die Initiative in Europa und in globalen Organisationen bei der Regulation gegen Marktdominanz, z.B. durch mehr Konsequenzen im Informationszugangsbereich (Info-Freiheitsrecht) und eine Pflicht zum Datensharing, beim Aufbau von alternativen Unternehmen der Social Media und der Datenverarbeitung und bei der Steuer- und Abgabenmodernisierung, durch Verschärfung des Wettbewerbsrechts durch stärkere Kartell- und Fusionskontrollen und Erleichterung der Entflechtungen von Großunternehmen.