AW1: Arbeitsmarktpolitik (2002)

Aus Beschlussdatenbank der SPD Schleswig-Holstein
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Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Kiel 2002
Bezeichnung: AW1
Antragsteller: Landesvorstand


Beschluss: Angenommen und Überwiesen an Bundesparteitag

Sicherheit durch Beschäftigung

Reformstau überwunden

Sozialdemokratische Politik für Innovation und Gerechtigkeit stand bei der Übernahme der Regierungsverantwortung vor den Hinterlassenschaften von 16 Jahren Regierung Kohl. Soziale Schieflage und Reformstau waren die Folge dieser Politik. Die Erblast der Regierung Kohl war erdrückend:

  • Rekordarbeitslosigkeit mit 4,3 Millionen registrierten Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt 1998 standen gerade einmal 310.000 gemeldete Arbeitsplätze gegenüber;
  • Rekordstaatsverschuldung mit über 2,1 Billionen (eine Zahl mit 12 Nullen!) Mark;
  • Rekord-Zinsbelastung – von jeder Steuermark gingen 26 Pfennige für die Zinsen drauf;
  • Abgabenrekord – den Arbeitnehmern wurden zwischen 43 bis 50 % vom Verdienten gleich abgezogen;
  • 600.000 junge Menschen ohne Ausbildung;
  • 2,9 Mio. Sozialhilfeempfänger, darunter eine Million Kinder.

Auf dem Weg zu einer gerechteren Gesellschaft

1998 ist die SPD angetreten mit dem Anspruch, Deutschland fit zu machen für das 21. Jahrhundert. Sie hat die Bundestagswahl gewonnen, weil sie gleichzeitig auf die Modernisierung der gesellschaftlichen Strukturen und auf den notwendigen sozialen Ausgleich gesetzt hat.

Wir haben viel erreicht: Die Arbeitslosigkeit ist gegenüber 1998 um über 400.000 gesunken. Es wurden 1,15 Mio. neue Arbeitsplätze geschaffen. Der Reformstau wurde weitgehend aufgelöst; die deutsche Wirtschaft ist trotz negativer Einflüsse der Weltwirtschaft deutlich wachstumsfähiger gemacht worden. Viele Projekte wurden auf den Weg gebracht: So die durchgreifende Sanierung des Haushalts, eine umfassende Steuerreform, die Reform der Alterssicherung, die Wiederher-stellung des vollen Kündigungsschutzes und der 100%igen Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sowie die Reform der Betriebsverfassung. Das neue Teilzeit- und Befristungsgesetz sowie die neuen Regelungen der Elternzeit machen mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt sowie eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf möglich.

Wirtschaftliche Modernisierung, soziale Verantwortung und Gerechtigkeit gehören für uns Sozialdemokraten zusammen. Auf dem Weg zu einer gerechteren Gesell-schaft geht es nicht um einzelne Maßnahmen, sondern um eine übergreifende Politik, die Wachstum, Beschäftigung, Bildung, Qualifikation, Teilhabe und Gerechtigkeit verknüpft.

Soziale Sicherheit durch Beschäftigung

Die Sicherheit der Beschäftigung ist für die persönliche Lebensplanung zentral und Voraussetzung für das Gefühl von Lebenssicherheit gerade angesichts eines sich schnell wandelnden Arbeitsmarktes. Die Stärkung der individuellen Beschäftiungsfähigkeit sowie ein angemessenes Angebot an Arbeitsplätzen und Qualifizierungsangeboten sind wichtige Rahmenbedingungen, damit die Menschen Arbeit finden und behalten können. Die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit sowie die Förderung von Wachstum und Beschäftigung bleiben wichtigste Ziele sozialdemokratischer Politik. Nachhaltiges Wachstum ist der beste Weg zu mehr Beschäftigung. Die Fortschreibung des Zukunftsinvestitionsprogramms mit seinen Bereichen Schiene, Straße, Forschung, Bildung, Altbausanierung und Energieforschung ist dabei eine unabdingbare Notwendigkeit.

Dies ist auch das Ziel unserer Steuerpolitik. Mit unseren Steuerreformen haben wir Nettoentlastungen mit einem Gesamtvolumen von 95 Mrd. DM bis 2005 auf den Weg gebracht und damit den Trend zu einer immer weiter steigenden Steuerlast für Arbeitnehmerinnen und Arbeit­nehmer, Familien und kleine und mittlere Unter-nehmen umgekehrt. Die Lohnnebenkosten sanken von 42,5 % auf unter 41 %.

Auch in den kommenden vier Jahren werden wir konsequent eine Politik verfolgen, die dem Einzelnen die Teilhabe an Arbeit eröffnet. Wir werden die Erwerbsbeteiligung von Frauen und Älteren verbessern. Dabei setzen wir konsequent auf die Aktivierung und Qualifizierung der Menschen. Eine solche Politik beinhaltet die folgenden Komponenten:

Programm „Arbeit und Qualifizierung 21“

Mit dem Job-AQTIV-Gesetz haben wir die größte Vermittlungsoffensive in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gestartet. Mit dem neuen grundlegend reformierten Arbeitsförderungsrecht haben wir die Qualifizierungsmöglich-keiten für Beschäftigte und Arbeitslose erheblich verbessert. Das Arbeitsangebot an einfachen Tätigkeiten in der modernen Arbeitswelt ist seit Jahrzehnten rück-läufig. Diese Beschäftigungsverhältnisse sind im Sektor der Einfachdienstleistungen meist instabil. Daher gilt es an- und ungelernten Beschäftigten und Arbeitslosen ohne Berufsausbildung oder mit veralteten Ausbildungsabschlüssen durch Qualifizierung die Teilhabe an der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts zu sichern und zu ermöglichen.

Bei einem Angebot von 1,5 Millionen offenen Stellen und einer großen Nachfrage nach Arbeit sowie eines von der Wirtschaft beklagten Fachkräftemangels in verschiedenen Bereichen des Arbeitsmarktes ist eine breit angelegte nachhaltige Qualifizierungsoffensive erforderlich. Hierzu werden wir ein Sonderprogramm „Arbeit und Qualifizierung 21“ auflegen.

Qualifikation ist der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit. Erforderlich ist ein breiter Mix von Weiterbildungsangeboten aller Qualifikationsstufen und Berufsbilder mit jeweils klarer Zukunfts- und Marktorientierung. Die Qualifizierungsoffensive soll insbesondere Klein- und Mittelbetrieben und den dortigen Beschäftigten zugute kommen. Eine erfolgreiche Umsetzung der Qualifizierungsoffensive muss durch attraktive Leistungsanreize an die Beteiligten unterstützt werden.

Vertrauen zurückgewinnen - Bundesanstalt für Arbeit reformieren

Die Vorkommnisse bei der Bundesanstalt für Arbeit im Bereich ihrer Kernkompetenz – der Vermittlung – haben das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der Arbeitsverwaltung erheblich beeinträchtigt. Dieses Vertrauen muss zügig wieder hergestellt werden.

Vor der Umsetzung eines dringend notwendigen Reformprozesses gilt es, die gesamte Struktur und den Aufbau der Bundesanstalt für Arbeit auf den Prüfstand zu stellen. In diesem Reformprozess sind die Ideen der vielen engagierten Beschäftigten der Bundesanstalt für Arbeit mit einzubeziehen. Ihre Erfahrungen und ihre Fachkompetenzen können entscheidende Bausteine für die Organisation einer neuen, kundenorientierten, modernen und flexiblen Dienstleistungseinrichtung sein.

Ob die verschiedenen Organisationsebenen so bestehen bleiben müssen, ist in die Beratungen mit einzubeziehen. Im neuen Job-AQTIV -Gesetz ist bereits die Zusammenarbeit mit privaten Vermittlern und Weiterbildungsträgern erweitert worden. Zu prüfen ist, wie es hier zu einer noch engeren Kooperation einerseits und mehr Wettbewerb andererseits kommen kann. Ein echtes Benchmarking der verschiedenen regionalen Arbeitsämter mit größerer Flexibilität und Verant-wortung für Entscheidungen vor Ort muss gewährleistet werden. Unproduktiver Verwaltungs- und Verordnungsaufwand muss massiv reduziert werden. Das Kerngeschäft der Vermittlung muss verbessert und noch viel stärker in den Mittelpunkt gerückt werden. Oberstes Ziel muss es sein, Arbeitslose und Arbeitsuchende so schnell wie möglich in neue Beschäftigung zu vermitteln. Gemeinsame Firmen von Arbeitsverwaltung und privaten Vermittlern sollten ebenso wenig ausgeschlossen sein, wie die Teilübertragung von Vermittlungsaufgaben auf Dritte. Auch gilt es über hausinterne Anreizsysteme für die Beschäftigten zur Steigerung von Vermittlungszahlen und ebenso die Akquisition von Stellenangeboten aus den Betrieben zu diskutieren. Erfolgsorientierte Bezahlung sollte auch in der Arbeitsvermittlung nicht länger tabu sein.

Das Controlling muss ebenfalls verstärkt werden. Dies gilt sowohl für die Vermitt-lung als auch für die Wirkung der Beschäftigungs- und der Weiterbildungsmaß-nahmen. Ebenso ist es angesichts der rasanten technologischen Entwicklung und der Veränderung der Arbeitsstrukturen in den Unternehmen erforderlich die Ausbildung der Beschäftigten bei der Bundesanstalt weiter zu reformieren. Hier müssen die Kompetenzen als Dienstleister und Personalmanager gegenüber dem Verwaltungswissen stärker in den Vordergrund rücken.

Soll neues Vertrauen zurückgewonnen werden, so wird auch über Struktur und Dienstleistungsorientierung der Arbeitsverwaltung offen zu diskutieren sein.

Intelligente Arbeitszeitmodelle voranbringen

Zur künftigen Arbeitswelt muss auch eine flexiblere Verteilung der Lebensarbeitszeit in Form von Arbeitszeitkonten gehören. Diese muss einer Realität gerecht werden, in der berufliche Unterbrechungen häufiger sind und die Einkommens-situation wechselt; daraus ergibt sich die Notwendigkeit, Schwankungen im Erwerbsverlauf besser auszugleichen. Dazu sind folgende Handlungsfelder aufzugreifen:

  • Absicherung von Zeitguthaben im Konkursfall
  • Arbeitsrechtliche Regelung von Langfrist-Arbeitszeitkonten, die so zu gestalten sind, dass nicht mittelfristig die effektive Arbeitszeit erhöht und der Trend zur Frühverrentung gefördert wird.
  • Möglichkeit des Ansparens von Arbeitszeit für Qualifizierung.

Die oft von Teilen der Wirtschaft geforderte Flexibilisierung der Arbeitswelt darf nicht zum Selbstzweck werden. Notwendig ist ein Ausgleich der Arbeitszeitinteressen von Beschäftig­ten und Arbeitgebern. Dabei ist besonderer Wert darauf zu legen, dass Arbeitsprozesse und Arbeitszeiten im Sinne einer Vereinbarkeit von Familie und Beruf organisiert werden.

Kein Jugendlicher muss arbeitslos sein

Arbeitslosigkeit trifft junge Menschen in einer entscheidenden Phase ihres persönlichen Entwicklungs- und Entfaltungsprozesses. Ein misslungener Einstieg in die Arbeitswelt birgt die Gefahr von Orientierungs- und Perspektivlosigkeit sowie von gesellschaftlicher Isolation. Deshalb bedürfen insbesondere Benachteiligte sowie Jugendliche und junge Erwachsene in strukturschwachen Regionen einer besonderen Förderung bei der Ausbildungsplatzsuche. Gleiches gilt an der „zweiten Schwelle“ beim Übergang von der Ausbildung in das erste Arbeitsverhältnis. Jeder arbeitslose Jugendliche oder junge Erwachsene erhält daher Rechtsanspruch auf unverzügliche Hilfsangebote bei der Ausbildungsplatz- oder Arbeitssuche.

Wir wollen mit einer Beschäftigungsbrücke zwischen Jung und Alt den Berufsein-stieg nach der Ausbildung erleichtern. Bestehende Ansprüche auf Altersteilzeit sollen mit neuen Ansprüchen auf „Jugendteilzeit“ verknüpft werden. Die Instrumente des Job-AQTIV-Gesetzes werden dabei genutzt, um eine Übernahme nach der Ausbildung in eine Teilzeitbeschäftigung zu ermöglichen, die durch eine berufsbegleitende Qualifizierung ergänzt wird.

Haushaltsnahe Dienstleistungen

Im Bereich der einfachen haushaltsbezogenen Dienstleistungen gibt es hohe Beschäftigungspotenziale. Die Förderung der legalen Beschäftigung in privaten Haushalten ist ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung der Schwarzarbeit. Auch ist zu erwarten, dass die Förderung der legalen Beschäftigung in privaten Haushalten und die damit verbundene Professionalisierung des Angebots neue Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf eröffnen wird.

Erwerbschancen für alle – Sozial- und Arbeitslosenhilfe reformieren

Mit der Ausweitung des „Mainzer Modells“ auf Bundesebene erschließen wir zusätzliche Beschäftigungspotentiale für geringqualifizierte Arbeitslose durch eine Subvention der Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitnehmer in der Einstiegsphase. Dies geschieht mit einer klaren Zielgruppenorientierung und ist eine Förderleistung auf Zeit. Wobei durch den enthaltenen Zuschuss zum Kindergeld Familien besonders gefördert werden.

Auch wenn Subventionen fehlende Qualifikationen natürlich nicht dauerhaft ersetzen können und die noch zu erschließenden Beschäftigungspotentiale begrenzt sind, wird durch die Förderung auf Zeit den Menschen eine neue Startchance in der Arbeitswelt gegeben. Dieser Einstieg muss mit der Schaffung einer dauerhaften Perspektive, frei von Subventionsabhängigkeiten, verknüpft werden. Dafür gilt es verstärkt passgenaue berufsbegleitende Qualifizierungsangebote anzubieten. Die guten Erfahrungen und Erfolge des „Elmshorner Modells“ in Schleswig-Holstein bieten hier hervorragende Voraussetzungen für eine Weiter­entwicklung der Integrationsbemühungen für Langzeitarbeitslose und Sozialhilfempfänger.

Will der Sozialstaat diesen Menschen eine Perspektive bieten, muss er Arbeitsförderangebote qualitativ ausbauen sowie das Prinzip „Fördern und Fordern“ konsequent umsetzen und die Betroffenen als wichtige Partner bei der sozialen Integration ernst nehmen. Er muss den Anspruch auf zweite und dritte Chancen sichern.

Eine Reform der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe muss daher:

  • ein einfaches, transparentes und in sich konsistentes System der Gewährung der materiellen Hilfeleistungen sein. Es geht es darum, durch mehr individuelle Unterstützung Sozialhilfebedürftigkeit zu vermeiden beziehungsweise zu überwinden. Es darf dabei zu keiner zusätzlichen finanziellen Belastung der Kommunen führen.
  • Finanzielle Leistungen transparent und bedarfsgerecht weiter entwickeln.
  • Regelsatzbemessung und Fortschreibung neu bestimmen - gegebenenfalls neu konzipieren.
  • Die Selbstverantwortung des Hilfeempfängers stärken und die Verwaltung vereinfachen.
  • Die aktivierenden Instrumente und Leistungen der Sozialhilfe verbessern (‚Fördern und Fordern‘).
  • Die rechtlichen Rahmenbedingungen für personenbezogene Dienstleistungen weiter entwickeln. Deren zentrale Elemente sind eine “Förderkette” (Beratung, Assessment, Hilfeplanung, Case-Management), der Zugang zu Beschäftigung und zu Qualifikation, eine Kooperation der Beteiligten und die Partizipation der Betroffenen. Der Stellenwert der Förderung der Hilfe zur Selbsthilfe ist zu erhöhen.
  • Die Integration in den Arbeitsmarkt beschleunigen und verbessern.

Für eine bessere Integration in den Arbeitsmarkt sind die laufenden Modellvorhaben aus dem Projekt “MoZArT” zur Verbesserung der Zusammenarbeit von Arbeitsämtern und Trägern der Sozialhilfe auszuwerten, die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen und entsprechende gesetzliche Regelungen zu treffen.