B1: Wahlprogramm - Entwurf (1994)

Aus Beschlussdatenbank der SPD Schleswig-Holstein
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Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Eckernförde 1994
Bezeichnung: B1
Antragsteller: Nicht aufgeführt


Beschluss: Angenommen und Überwiesen an Bundesparteitag


(Beschluss: Annahme und Weiterleitung an den Bundesparteitag in Halle am 22. Juni 1994.)

Wahlprogramm - Entwurf

Unser Land steckt in der tiefsten finanzpolitischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland. 12 Jahre Regierung Helmut Kohl haben den sozialen Konsens zwischen den Gruppen beschädigt, große Teile der Bevölkerung ausgegrenzt, die notwendige Modernisierung unserer Volkswirtschaft verhindert, zweifelhafte außenpolitische Abenteuer gefördert und die Erkenntnisse über die Grenzen des "Wohlstandsmodells" der Industrieländer unbeachtet gelassen. Es ist an der Zeit, in der Politik in Bonn einen neuen Anfang zu machen.

Die SPD Schleswig—Holstein will sich mit den folgenden Schwerpunkten in die Diskussion zum Bundestagwahlprogramm einschalten. Die Neuorientierung der Programmatik der Partei, die sich in den Beschlüssen des Wiesbadener Parteitags wiederfindet, muß fortgesetzt werden.

Wir brauchen ein überzeugendes Programm, das die ökologische und soziale Modernisierung unserer Volkswirtschaft vorantreibt, das allen Menschen Arbeitsplätze sichert, die am Erwerbsleben teilhaben wollen, das wieder mehr soziale Gerechtigkeit herstellt, das gleichzeitig die finanzielle Fähigkeit des Staates zur Mitgestaltung erhält und das schließlich auch die wachsende Verantwortung Deutschlands für die friedliche Entwicklung in der einen Welt dokumentiert.

Arbeit für alle

Wir brauchen eine umfassende soziale und ökologische Modernisierung von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft. Wohlstand, Arbeitsplätze und soziale Sicherheit können nur dann dauerhaft gesichert werden, wenn die deutsche Wirtschaft leistungsfähig und international wettbewerbsfähig ist und zugleich im Rahmen der nationalen Möglichkeiten auf eine dauerhafte Entwicklung hin orientiert wird.

Die Qualität des Wirtschaftsstandorts Deutschland ist nicht in erster Linie abhängig von Lohnkosten und den Kosten der sozialen Sicherungssysteme, sondern vor allem von Forschung und Entwicklung für zukunftsorientierte Produkte, von der Qualifikation der Beschäftigten, von Sicherung und Ausbau der Infrastrukturen, der Qualität der öffentlichen Verwaltungen, einer Reform des Managements in den Unternehmen unter stärkerer Beteiligung der Arbeitnehmer.

Unsere Volkswirtschaft wird nur dann dauerhaft Arbeit und Einkommen sichern können, wenn wir sie nach den vorhandenen ökologischen Erkenntnissen umbauen. Dieser Umbau erfordert die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Förderung neuer Produkte, den sparsamen Umgang mit natürlichen Ressourcen, die Effizienzsteigerung beim Einsatz von Energie und Rohstoffen, die Umweltverträglichkeit von Verfahren und Produkten, die Verringerung des Mobilitätsaufwands, die Verlängerung der Nutzungsdauer und die Orientierung von Produkten und Verbrauch an einer möglichst weitgehenden Kreislaufwirtschaft.

Mit einer "gesamtdeutschen Strategie für Modernisierung, Beschäftigung und umweltverträgliches Wachstum" wollen wir kurzfristig Rezession und Massenarbeitslosigkeit bekämpfen. Die vorgesehenen Maßnahmen sind zugleich auch strukturelle Reformen für die Modernisierung der Volkswirtschaft und die Sicherung unserer Wettbewerbsfähigkeit.

Eine europäische oder gar weltweite Spirale des Lohn- und Sozialdumpings gefährdet die Absatzchancen für die Zukunft und muß durch eine moderne nationale und europäisch koordinierte Wirtschafts—, Finanz-, Geld- und Zinspolitik aufgefangen und in eine aktive europäische Beschäftigungspolitik umgewandelt werden. die notwendige nationale Stabilisierungspolitik muß europaweit abgesichert bzw. durch gleichgerichtete Maßnahmen anderer europäischer Regierungen verstärkt werden.

Diese Strategie muß zur wirksamen Bekämpfung der seit 20 Jahren bestehenden Massenarbeitslosigkeit mit weiteren und vielfältigen Formen der Arbeitszeitverkürzung verbunden werden.

  1. Die SPD wird unverzüglich ein "Zukunftsinvestitionsprogramm" starten, das folgende Schwerpunkte enthalten soll:
    • Die Förderung von umweltverträglichen Technologien mit der Konzentration auf Stoffeffizienz, Abfall- und Immissionsvermeidung,
    • die Förderung von Zukunftstechnologien wie Optoelektronik, Biotechnik (mit Ausnahme der Gentechnik) und Mikrosystemtechnik,
    • die Förderung von neuen umwelt- und gesundheitsverträglichen Werkstoffen,
    • die Förderung eines ökologischen Verkehrssystems, insbesondere des schienengebundenen Nah- und Fernverkehrs,
    • die Förderung einer ökologischen Energiewirtschaft, insbesondere der Solarenergie und anderer regenerativer Energien,
    • die Förderung einer sozial verträglichen Kommunikationswirtschaft,
    • die Ausweitung der Städte- und Wohnungsbauförderung,
    • die Unterstützung von gesundheits- und arbeitsschutzfördernden, beteiligungsorientierten Produktions- und Arbeitsabläufen.
    • der Ausbau der sozialen Infrastruktur, insbesondere im Bereich der Kinderbetreuungseinrichtungen
  2. Die SPD wird eine intelligentere und gerechtere Verteilung der Arbeit fördern. Sie wird durch die Weiterentwicklung des Arbeitsförderungsgesetzes zu einem Arbeits- und Strukturförderungsgesetz (ASFG) die Möglichkeiten der Bildung von Beschäftigungsgesellschaften verbessern, deren Aufgabe es sein wird, gesellschaftlich notwendige Arbeiten zu übernehmen und gleichzeitig Qualifikationen für den ersten Arbeitsmarkt zu sichern. Wir wollen Arbeit statt Arbeitslosigkeit bezahlen. Aktive Arbeitsmarktpolitik muß verknüpft werden mit beschäftigungspolitischer Strukturpolitik und regionalen Entwicklungs- und Handlungs-konzepten unter besonderer Berücksichtigung der hohen Arbeitslosenquote von Frauen.
    Die SPD wird einen öffentlich geförderten Arbeitsmarkt nicht als Instrument benutzen, Löhne und Tarife zu drücken oder zu umgehen. Die Koppelung von Lohnkostenzuschüssen an untertarifliche Bezahlung werden wir abschaffen.
  3. Die SPD will eine Investitionsoffensive für mehr Arbeitsplätze auch durch gezielte steuerliche Fördermaßnahmen für private Investitionen in Zukunftsbereichen.
  4. Wir werden ein zukunftsgerichtetes Konzept zur Sicherung maritimer Industriestandorte und Industriezweige sowie zur aktiven Schiffahrtspolitik in Abstimmung mit den norddeutschen Bundesländern vorlegen.
    Die Wettbewerbshilfe für den Schiffbau wird in Abstimmung mit der EG (bisher auf der Basis der 7. EG-Schiffbaurichtlinie) fortgeführt.
  5. Die SPD will eine ökologische Steuerreform durchsetzen, die Innovationen in der Wirtschaft fördert, indem sie umweltschädliches Verhalten schrittweise verteuert und so an die "ökologische Wahrheit" heranführt. Durch die Einführung einer allgemeinen Energiesteuer sollen ökologisch wichtige Investitionen finanzierbar gemacht und der Faktor Arbeit entlastet werden.
  6. Für behinderte und schwerstbehinderte Mitbürgerinnen und Mitbürger muß die Teilahme am Erwerbsleben möglich sein. Die Schaffung von Arbeitsplätzen für Behinderte entsprechend den gesetzlichen Vorgaben ist für die SPD ein besonderes Ziel. Dies soll unter anderem durch eine deutliche Anhebung der Ausgleichsabgabe erreicht werden.
    Wir werden uns für die Gleichstellung behinderter Menschen einsetzen und unsere Bemühungen verstärken, Integration in allen Lebensbereichen zu verwirklichen.
    Dafür muß die Gestaltung des Lebensumfeldes an den Bedürfnissen ausgerichtet werden. Wir werden eine behindertenpolitische Konzeption vorlegen, die die Behinderung nicht als Privatangelegenheit der Betroffenen ansieht, sondern als gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
  7. Die SPD will den Faktor Arbeit außerdem durch eine verstärkte Steuerfinanzierung der aktiven Arbeitsmarktpolitik, durch eine gezielte Senkung der Steuerbelastung kleinerer Einkommen und durch eine Reform des sozial ungerechten Familienausgleichs entlasten. Beamte, Freiberufler, Abgeordnete, Minister und Ministerinnen sollen zu einer Arbeitsmarktabgabe herangezogen werden, soweit und solange die Arbeitsmarktpolitik aus Beitragsmitteln der Bundesanstalt für Arbeit finanziert wird. Die SPD wird das Schlechtwettergeld wieder einführen und die letzten Kürzungen von Arbeitslosengeld und -hilfe zurücknehmen.
  8. Die SPD strebt eine leistungsfähigere Organisation der öffentlichen Verwaltung an. Sie wird das öffentliche Dienstrecht vereinheitlichen, leistungsgerechtere und leistungsfördernde Personal- und Entlohungsstrukturen schaffen, die Planungs- und Genehmigungsverfahren ohne Beeinträchtigung von Bürgerbeteiligung bzw. Umwelt- und Sicherheitsstandards straffen und den Anteil der Beamten im öffentlichen Dienst schrittweise auf die hoheitlichen Funktionen zurückführen. Sie wird im Beamtenrecht Möglichkeiten bieten, um im öffentlichen Dienst Modelle einer flexibleren Wochen—, Jahres- und Lebensarbeitszeit zu erproben. Dies würde auch neue Chancen für die Einstellung von Junglehrern durch die Länder öffnen.
  9. Wir wollen ein Bundesverbrauchergesetz, das den Verbraucherschutz als Pflichtaufgabe des Staates festlegt, eine vorbeugende Verbraucherpolitik definiert, die zuständigen Organisationen beschreibt, die Finanzierung der Beratung sicherstellt und den Zugang der Verbraucher zum Recht erleichtert.

Wohnen als Grundbedürfnis sichern

Die Bundesregierung hinterläßt im Bereich der Wohnungspolitik ein Trümmerfeld. Jahrelange Untätigkeit, falsche Förderpolitik zugunsten von Luxussanierung und zu Lasten von Neubauten und zunehmender finanzieller Rückzug aus der Wohungsbauförderung haben dazu geführt,

  • daß in der Bundesrepublik 2,5 Mio. Wohnungen fehlen,
  • daß es in der Bundesrepublik über 1 Mio. Obdachlose gibt.

Gleichzeitig versperrt die Bundesregierung durch Nichtanhebung der Einkommensgrenzen seit 1983 für viele Arbeitnehmerfamilien den Zugang zum sozialen Wohnungsbau. Wenn hier nicht schnellstens Abhilfe geschaffen wird, droht insbesondere in vielen Städten eine Verslumung ganzer Wohngebiete. Durch Wohnungsnot und Obdachlosigkeit hat die Bundesregierung einen sozialen Sprengstoff gelegt, der die Betroffenen oft in eine Verweigerungshaltung oder schlimmer noch in die Arme rechtsradikaler Kräfte treibt.

Wir wollen 550 000 Wohnungen pro Jahr bauen, davon

  • 200 000 Sozialwohnungen,
  • 170 000 Eigenheime,
  • 180 000 freifinanzierte Wohnungen.

Wir wollen die öffentlichen Finanzmittel umschichten, weg von der Luxussanierung und der überproportionalen Förderung der wohlhabenden Bevölkerungsschichten insbesondere beim Bestandkauf zugunsten der Förderung von Neubauten. Wir wollen das selbstgenutzte Wohnungseigentum gezielt für mittlere Einkommen fördern, die ohne öffentliche Förderung die Schwelle zum eigenen Haus nicht überschreiten könnten. Die Förderung soll durch einkommensunabhängigen Steuerabzug erfolgen, d. h., daß u. U. Förderbeträge auch ausgezahlt werden können, wenn die Erstattung die Steuerschuld übersteigt.

Wir wollen durch Entrümpelung der Bauvorschriften, Verwaltungsvereinfachung und Stärkung der Eigenverantwortlichkeit von Bauherren und Planern den Wohnungsbau effizienter, schneller und preiswerter machen.

Die Umwelt erhalten

Den Straßenverkehr reduzieren

Bildung und Wissenschaft wieder ausbauen

Die Gesundheitsvorsorge ausbauen

Mehr innere Sicherheit schaffen

Mit der Gleichstellung ernstmachen

Mehr soziale Gerechtigkeit durchsetzen

Verantwortung für die eine Welt übernehmen