C1: Neue deutsche Verantwortung für Frieden und Sicherheit (1993)

Aus Beschlussdatenbank der SPD Schleswig-Holstein
Version vom 22. August 2013, 10:12 Uhr von Julia (Diskussion | Beiträge) (→‎Wir brauchen eine globale Initiative)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Bad Segeberg 1993
Bezeichnung: C1
Antragsteller: Nicht aufgeführt


Beschluss: Angenommen


“Wer Unrecht lange geschehen läßt‚ bahnt dem nächsten den Weg.

Die Vereinten Nationen zu stärken, ist uns ein altes und vertrautes Bestreben. ... Helfen wir, den Vereinten Nationen die Mittel zu geben, derer sie bedürfen, um Einfluß auch ausüben zu können."

(Willy Brandt an die Sozialistische Internationale‚ 14.09.1992)

Deutschlands Verantwortung für den Frieden

In den letzten Jahren haben epochale Veränderungen stattgefunden.

Sie erfordern neue und tragfähige politische Antworten.

Das Ende des Ost-West-Konf1ikts, die Auflösung der Sowjetunion und des Warschauer Vertrages sowie die staatliche deutsche Einheit sind Wegmarken für die notwendigen zukünftigen Sicherheitsstrukturen.

Auf der anderen Seite zeichnet sich die Herausbildung einer Festungsmentalität ab, die gegen Einwirkungen von außen (z.B.Wanderungsbewegungen) abschottet und Wohlstand nach innen verspricht. In der so zwischen Europa, den USA und Japan aufgeteilten Welt ist für die armen Länder des Ostens und Südens kein Platz.

Gleichzeitig ist - spätestens mit der UNCED-Konferenz von Rio - deutlich geworden, daß der Menschheit nicht mehr viel Zeit bleibt, soll die Erde auch für künftige Generationen bewohnbar bleiben. Die entwickelten Industrieländer - darunter besonders auch die Bundesrepublik Deutschland - tragen dafür wegen ihres hohen Verbrauchs an Rohstoffen und Energie ein besonderes Maß an Verantwortung. "Ohne einen Ausgleich zwischen Industrie- und Entwicklungsländern wird die Zukunft der ganzen Menschheit gefährdet. wo Hunger und Elend herrschen, kann Frieden nicht Bestand haben" (Berliner Grundsatzprogramm).

Neben ethnische und religiöse Konfklikte treten immer stärker territoriale und wirtschaftliche Verteilungskämpfe, ökonomisch und ökologisch bedingte Fluchtbewegungen und eine flächendeckende Umweltzerstörung globalen Ausmaßes. Die klassischen Mittel der Außen- und Sicherheitspolitik, wie die Androhung und Durchführung militärischer Interventionen, versagen bei der Auflösung solcher Konflikte. Es ist höchste Zeit für eine neue Welt-Innenpolitik im Rahmen der UNO und auch ihrer Regionalorganisationen. Es ist höchste Zeit für eine neue deutsche Außenpolitik, die mehr als bisher Verantwortung für Gerechtigkeit, Entwicklung und Frieden in der Welt übernehmen muß.

Wir brauchen eine neue deutsche Außenpolitik

Eine neue deutsche Außenpolitik muß auf der Basis des ökologischen Umbaus der eigenen Wirtschaft und entsprechender Initiativen in Europa

  • die Möglichkeiten der UNO für eine dauerhafte Entwicklung auf der ganzen Welt finanziell und politisch stärken,
  • für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung eintreten,
  • konsequente Schritte zur Abrüstung und zum Stopp der Rüstungsproduktion unternehmen,
  • den Umfang der Entwicklungszusammenarbeit erheblich steigern und dafür eine neue Qualität schaffen,
  • personelle und technische Hilfen zur Bewältigung von Katastrophen, ökologischen Krisen und Versorgungsproblemen leisten,
  • die Entwicklung von demokratischen Strukturen durch geeignete Maßnahmen unterstützen.

Wir müssen den ökologischen Umbau einleiten

Die SPD wird sich dafür einsetzen, daß die Bundesrepublik Deutschland im Innern und mit entsprechenden Initiativen in der Europäischen Gemeinschaft den notwendigen ökologischen Umbau der Industriegesellschaft einleitet. Dazu gehören insbesondere

  • die entschlossene Umsetzung der in Rio zugesagten Reduzierung der C02-Emissionen um 25 bis 30 Prozent bis zum Jahr 2005,
  • die drastische Reduzierung des Energieverbrauches und durchgreifende Maßnahmen zur Verkehrsvermeidung,
  • der Übergang zu einer ökologischen Kreislaufwirtschaft,
  • die konsequente Anwendung des Vorsorgeprinzips,
  • die Erhöhung der öffentlichen Entwicklungshilfe auf einen Anteil von 0,7 Prozent (1993: 0,34 Prozent) des Bruttosozialprodukts bis 1996 und ein Prozent bis zum Jahr 2000,
  • der Ausbau der institutionellen Kooperation mit Ländern der Dritten Welt, mit dem Ziel, ihre dauerhafte Entwicklung zu sichern,
  • energische Schritte zu weiteren Schuldenerleichterungen für Länder der Dritten Welt,
  • ein ausreichender Beitrag zu den zivilen Hilfsprogrammen und Organisationen der UNO wie UNICEF, UNESCO, WHO, FAO und UNDP.

Wir brauchen einen neuen Sicherheitsbegriff

Wir verstehen Frieden als gewaltfreie Austragung von Konflikten. Wo dieser Frieden stabil ist, gibt es weder Anwendung noch Androhung von Gewalt. Zwischen den Mitgliedstaaten der EG haben wir das erreicht: Sie sichern Frieden durch wirtschaftliche Verflechtung und politische Zusammenarbeit und nicht durch Streitkräfte.

Sozialdemokratischer Friedenspolitik liegt ein umfassender Sicherheitsbegriff zugrunde. Über militärische Sicherheit hinaus schließt er ein: die ökologische und ökonomische Stabilität, soziale Gerechtigkeit, eine dauerhafte Entwicklung, friedliche Beilegung sozialer, nationaler, ethnischer und religiöser Konflikte, Eindämmung von Wanderungsbewegungen durch Bekämpfung von Fluchtursachen, Schutz vor international organisierter Kriminalität.

Wir sind mehr denn je überzeugt, daß Sicherheit nur auf der Grundlage politischer, wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Zusammenarbeit, d. h. als kooperative Sicherheit im Wege umfassender, nichtmilitärischer Verhütung und Beilegung von Konflikten entsteht. Wir wollen, daß die militärische Dimension der Sicherheit weiter an Bedeutung verliert. Dazu muß Deutschland mit seiner historischen Erfahrungen einen besonderen Beitrag leisten.

Die Verhütung von Konflikten, ihre Beilegung und die Anwendung nichtmilitärischer Zwangsmaßnahmen haben absolute Priorität vor militärischen Einsätzen. Nichtmilitärische Mittel sind grundsätzlich besser geeignet, friedenserhaltend und konfliktmindernd Menschenleben zu retten, elementare Menschenrechte zu wahren und

Konflikte dauerhaft zu lösen:

Der atomare und konventionelle Abrüstungsprozeß sowie die Reduzierung von Rüstungsexporten müssen fortgesetzt werden. Die Kontrolle von Rüstungsexporten ist zu verschärfen.

Wir müssen die Rüstungswirtschaft reduzieren

Der Export von Kriegswaffen und Teilen von Kriegswaffen in Länder außerhalb der NATO muß gesetzlich verboten werden. Ziel ist es, die Kapazitäten der deutschen Rüstungswirtschaft auf den eigenen Bedarf Deutschlands zu reduzieren.

Wir müssen die UNO reformieren

Die Bundesrepublik Deutschland ist aufgefordert, folgende Initiativen zur Reform der UNO zu ergreifen:

  • Aufnahme von Ländern der Dritten Welt als ständige Mitglieder in den Sicherheitsrat, um die Vorherrschaft der Industrieländer abzubauen, Entwicklung von politischen Kriterien für die Mitgliedschaft,
  • Schaffung eines UN-Umweltrats nach dem Muster des Sicherheitsrats‚
  • Vereinbarung einer Abrüstungskonvention nach dem Muster der KSE, in der für alle Länder quantitative und qualitative (defensive Orientierung) Rüstungsobergrenzen festgelegt werden, Vereinbarung entsprechender Stufenpläne und Schaffung von Kontrollinstitutionen,
  • Konvention über die Bindung von Entwicklungshilfe-Leistungen an die Erfüllung der vereinbarten Stufenpläne und demokratische, rechtsstaatliche sowie soziale Fortschritte,
  • Schaffung einer Konvention über die Entsendung nichtmilitärischer Hilfskräfte im Auftrag der UNO bei Naturkatastrophen, Umweltkatastrophen und Hungersnöten,
  • Aufbau einer UNO-Medieneinheit zum Einsatz zu Zwecken der Deeskalation in Krisengebieten.

Die SPD bekräftigt ihre Vorschläge zur Aufstellung internationaler Friedenskräfte, die bei der Bewältigung von Katastrophen, ökologischen Krisen und Versorgungsproblemen helfen sollen.

Instrumentarien zur rechtzeitigen Konflikterkennung, zur Vorbeugung von Konflikten und zur nicht-militärischen Konfliktbegrenzung und -lösung müssen, auch wissenschaftlich begleitet, fortentwickelt werden, vorhandene Instrumentarien dieser Art müssen intensiver und schneller genutzt werden.

Die SPD wird sich dafür einsetzen, daß bei der Bundesregierung eine Arbeitsgruppe eingerichtet wird, die dafür Konzepte entwickelt. Der Bundestag sollte einen seiner Ausschüsse mit der gleichen Aufgabenstellung betrauen.

Maßnahmen zur Vermeidung der Eskalation von Konflikten müssen rechtzeitig und abgestuft angewendet werden. Dazu gehören: Verhandlungen, Entsendung nichtmilitärischer Beobachter, Einsatz von Schlichtern mit internationalem Mandat, Hilfs-, Schieds- und Friedenskräfte, Hilfe beim Aufbau von Verwaltung, Justiz und Polizei bis hin zur befristeten Übernahme von Verwaltungsaufgaben und Regierungsverantwortung durch die UNO.

Moderne und unabhängige Kommunikationsmittel müssen genutzt werden, um die einseitige Information durch die Medien der herrschenden Konfliktpartei zu relativieren. An einer friedlichen Lösung arbeitende Gruppen müssen unterstützt werden und Deserteure aus Aggressionsarmeen und aus Bürgerkriegsgebieten vorübergehend sichere Aufnahme in anderen Ländern erhalten.

Die Bereitschaft einzelner Konfliktparteien, von der UNO unterbreitete Vorschläge anzunehmen, ist durch Hilfe zum Aufbau und zur Entwicklung zu honorieren. Die Verweigerung einzelner Konfliktparteien, konstruktiv an einer Lösung mitzuarbeiten, soll weitere Sanktionsmaßnahmen auslösen.

Dazu gehören auch Embargomaßnahmen unterschiedlichen Umfangs. Die Wirtschaftssanktionen sind mit angemessenen Embargomaßnahmen, notfalls mit Blockaden, durchzusetzen, um Konflikte zu verhindern oder zu beenden. Auch Staaten, die Boykottmaßnahmen unterlaufen, müssen mit abgestuften Sanktionen, wie z. B. der Einstellung des Flugverkehrs, rechnen.

Sowohl an den Grenzen zu Konfkliktgebieten als auch an Hauptverkehrswegen können Zoll- und Polizeikräfte im Auftrag der UNO zur Kontrolle eingesetzt werden. Bisher militärisch genutzte Satelliten sind dafür ebenfalls einsetzbar. Moderne Technik macht die Überwachung solcher Embargobeschlüsse auch ohne direkte militärische Beteiligung möglich. Staaten, die Embargomaßnahmen unterlaufen oder sich Kontrollmaßnahmen verweigern, müssen damit rechnen, daß die Embargomaßnahmen auf sie ausgedehnt werden. Nicht am Konflikt beteiligte Staaten, die durch diese Eingriffe Nachteile erleiden, sind angemessen zu entschädigen. Dazu muß ein UN-Fonds eingerichtet werden.

Beteiligung Deutscher an internationalen Hilfskräften der UNO

Wir lehnen eine Beteiligung deutscher Soldaten an Militäreinsätzen der UNO ab. Eine klare Definition und Eingrenzung der "Blauhelm-Einsätze" existiert nicht. Unter diesem Begriff sind bisher Militäreinsätze unterschiedlichen Charakters gefaßt worden. Durch den Somalia-Einsatz ist deutlich geworden, daß die von der SPD in bisherigen Beschlüssen vorausgesetzte "Blauhelm"—Definition nicht mit der heutigen Wirklichkeit übereinstimmt.

Wir wollen, daß die UNO kein Instument von Militärinterventionen wird, sondern Frieden mit nichtmilitärischen Mitteln schafft und sichern hilft. Die Einbidung von "Blauhelm"-Soldaten in nationale Streitkräfte und das Fehlen einer nichtmilitärischen Ausbildung dieser Streitkräfte stehen dem entgegen.

Als Alternative wollen wir uns einsetzen für die Schaffung internationaler nichtmilitärischer Hilfs-, Schieds— und Friedenskräfte zur Bewältigung von Katastrophen, ökologischen Krisen und Versorgungsproblemen. Solche Einheiten können auch Funktionen zur Wahlüberwachung und vorübergehenden Ausübung von Zoll- und polizeilichen Funktionen haben. Diese Einheiten dürfen nur mit polizeilicher Bewaffnung und nach polizeilichen Grundsätzen vorgehen.

Grundlagen des Einsatzes müssen sein:

  • die Zustimmung des betreffenden Staates oder der am Konflikt Beteiligten,
  • die Verhältnismäßigkeit der angewandten Mittel,
  • die klare Definition der Grenzen der Aktion, die Überwachung ihrer Einhaltung und die Ahndung ihrer Überschreitung,
  • die öffentliche Kontrolle der Aktionen.

Diese Grundsätze müssen durch internationale Vereinbarungen festgelegt werden und mindestens denen des nationalen Polizeirechts bürgerlich-parlamentarischer Staaten entsprechen.

Die internationalen Hilfs-, Schieds- und Friedenskräfte müssen eine gesonderte Ausbildung erhalten und dürfen nicht in die Streitkräfte integriert werden. Sie müssen durch Ausbildung auf die besonderen Bedingungen ihres Einsatzgebietes vorbereitet werden.

Die Bundesrepublik Deutschland bietet in Abstimmung mit anderen Staaten der UNO derartige Einheiten oder Untersützung beim Aufbau solcher Einheiten auf multinationaler Ebene an.

Hilfs-, Schieds- und Friedenskräfte werden nur unter Kommando und Kontrolle der UNO eingesetzt. Einsätze einzelner Staaten "im Auftrag" oder "mit Legitimation" der UNO darf es mit ihnen nicht geben.

Aufgaben der Bundeswehr

Die SPD bekräftigt, daß die Bundeswehr ausschließlich der Landesverteidigung und den Bündnisaufgaben dient. Notwendig bleibt die Diskussion der Stuktur und Reduzierung der Bundeswehr, die, je konsequenter sie wird, die Frage der allgemeinen Wehrpflicht stellt. Deutschland muß sich jedem Versuch widersetzen, aus den Bündnissen Instrumente regionaler Machtpolitik zu machen. Wer das will, müßte eine ratifizierungsbedürftige Vertragsverlängerung herbeiführen, die Deutschland ablehnen muß."

Wir müssen für den Frieden sparen

Die Truppenstärke der Bundeswehr muß mittelfristig deutlich weiter reduziert werden. Die freiwerdenden Mittel sollen in erster Linie für die Entwicklungszusammenarbeit, für die Finanzierung ziviler Organisationen und Hilfsprogramme der UNO genutzt werden. Soldaten und Zivil-Beschäftigte der Bundeswehr können im Rahmen ziviler Hilfsorganisationen und - nach entsprechender Ausbildung - in polizeilichen Einheiten im Auftrag der UNO eingesetzt werden. Ein Stufenplan sichert den sozialverträglichen Abbau der Bundeswehr und die teilweise Überführung in die für die UNO vorgehaltenen Einheiten.

Die betroffenen Standorte haben Anspruch auf einen fairen wirtschaftlichen Ausgleich im Rahmen eines Konversions-Programmes.

Wir brauchen eine globale Initiative

Die Bundesrepublik Deutschland ruft gemeinsam mit den Ländern der EG und den übrigen G 7-Staaten in partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit den Ländern der Dritten Welt zu einer globalen Initiative für Umwelt und Entwicklung auf. Mit dieser Initiative soll das 1992 in Rio verabredete UNCED—Programm verstärkt und erweitert werden.

Zu den wichtigsten Themen gehören:

  • Die Stabilisierung der Weltbevölkerung durch Alphabetisierung, Ausbildung, Senkung der Kindersterblichkeit und Maßnahmen einer wirksamen Empfängnisverhütung.
  • Die Aushandlung und Verabschiedung einer neuen Generation internationaler Abkommen über gesetzliche Rahmenbedingungen, Verbote, Vollzugsmechanismen, Kooperation, Anreize, Strafen und gegenseitige Verpflichtungen zur Umsetzung der globalen Initiative.
  • Den Aufbau eines kooperativen Bildungsplans für die Aufklärung der Bevölkerung und globale Umweltprobleme und Konzepte für eine dauerhafte Entwicklung.
  • Die schnelle Schaffung und Entwicklung ökologisch angepaßter Technologien und ihre Weitergabe insbesondere an die Länder der Dritten Welt.
  • Eine umfassende, allgemeingültige Veränderung der wirtschaftlichen Spielregeln, mit der Auswirkungen unserer Entscheidungen auf die Umwelt gemessen werden durch weltweite Übereinkünfte.