EU03: Europa entwickeln - Europa schützen (2023)

Aus Beschlussdatenbank der SPD Schleswig-Holstein
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Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Lübeck 2023
Bezeichnung: EU03
Antragsteller: Kreisverband Pinneberg


Beschluss: Angenommen

Die Europäische Union ist ein einmaliges politisches und wirtschaftliches Projekt, das sich seit über siebzig Jahren für Frieden, Freiheit, Stabilität und Wohlstand auf unserem Kontinent einsetzt. Die Europäische Union bietet uns Chancen für eine bessere Zukunft für den gesamten Kontinent im Großen wie auch für den Kreis Pinneberg im Kleinen. Die EU hat gezeigt, dass die Konflikte zwischen den Nationalstaaten friedlich gelöst werden können und dass der Weg zu allgemeinem Wohlstand über die Zusammenarbeit aller Mitglieder gelingen kann. Jedoch zweifeln heute viele Menschen an dieser europäischen Idee. Nationalismus und Populismus greifen in Europa um sich und Parteien erstarken, die diese Europäische Union bis zur Unkenntlichkeit verändern oder zerstören wollen. Rechtspopulistische, antidemokratische Parteien und Bewegungen haben das Ziel der Sicherung hergebrachter Privilegien, welche strukturellen Rassismus und das Patriarchat bestimmter Gruppen bis heute gewährleisten. Sie fordern und praktizieren eine Politik der Abgrenzung benachteiligter Gruppen und finden fruchtbaren Boden in einer zunehmenden Verunsicherung in der Bevölkerung. Letztere wird bestärkt durch Faktoren wie Globalisierung, den wirtschaftlichen Aufstieg anderer Weltregionen, zunehmende Migrationsbewegungen, die Notwendigkeit der Priorisierung von Klimapolitik und die Forderung benachteiligter Gruppen nach Gleichstellung. Rechtspopulismus können wir nur entgegen treten, wenn wir deren Ursachen in unseren eigenen gesellschaftlichen Strukturen erkennen und aufarbeiten.

Die Antwort auf diese Herausforderungen kann nicht weniger Europa sein, sondern muss mehr Europa sein: Mit einem konsequenten Schutz von Grundwerten und Grundrechten in allen Ländern der Europäischen Gemeinschaft, mit der finanziellen Fähigkeit zum solidarischen Ausgleich zwischen reichen und armen Ländern und Regionen und mit dem Respekt vor Vielfalt und Minderheiten. Ein starkes, nachhaltiges und vor allem sozialdemokratisch geprägtes Europa kann diese Herausforderungen lösen. Dafür gilt: Die EU muss demokratische Strukturen haben, die stark und effektiv sind. Deshalb setzen wir uns für eine weitere Stärkung des europäischen Parlaments mit eigenen Initiativrechten und die Ausweitung des Prinzips von Mehrheitsentscheidungen in den europäischen Räten ein. Wir unterstützen außerdem eine bessere Profilierung der politischen Parteienfamilien bei den europäischen Wahlen durch gemeinsame Programme und Personalangebote.

Wir wollen uns für ein Europa der guten Arbeit und der starken Wirtschaft einsetzen. Für ein Europa, dass den Klimawandel ernst nimmt. Für ein Europa, dass sich für Frieden einsetzt und die Sicherheit auf dem Kontinent garantiert und dabei die Bürgerinnen und Bürger vom Kreis über das Land bis zur gesamten Union im Blick hat. Dafür stellen wir als besonders wichtige Handlungsfelde heraus:

Für ein Europa der guten Arbeit und der starken Wirtschaft

Die EU gehört mit ihrem Binnenmarkt neben den USA und China zu den größten Wirtschaftsräumen der Welt. Der Klimawandel und der damit notwendige Umbau der europäischen Wirtschaft ist eine historische Herausforderung. Dabei muss sich die Europäische Union als Schutzmacht der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen erweisen. Dazu gehören humane Arbeitsbedingungen und faire Arbeitsplätze in Europa, die gemeinsam mit einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft den Wohlstand der nächsten Jahrzehnte sichern. Deshalb bedarf es folgender Leitlinien:

  • Umsetzung der staatlichen Verpflichtung zur Erhöhung der Tarifbindung, um das von der EU geforderte
  • Niveau von 80 Prozent Tarifabdeckung in den Mitgliedsstaaten zu erreichen. Angemessene gesetzliche Mindestlöhne, wo keine Tarifverträge gelten.
  • Absicherung von Arbeitnehmerrechten und Ausbau der Mitbestimmung.
  • Eine gemeinsame europäische Förderkulisse als Grundlage für industriepolitische Zukunftsprojekte, z.B. in Bereichen der Batteriezellenfertigung, der Wasserstofftechnologie, der Mikrochip-Herstellung und der Gesundheitswirtschaft.
  • Zahlung von staatlichen Beihilfen künftig nur an Unternehmen, die neben innovativen Konzepten zur Wettbewerbsfähigkeit und Klimaneutralität die Rechte der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen achten und in der EU Steuern zahlen, die mindestens über den geforderten globalen Mindeststeuersätzen liegen. Für diese Steuersätze muss sich die EU weiterhin einsetzen.
  • Partnerschaft mit anderen Wirtschaftsräumen und ihrer Wertschöpfung auf der Grundlage von qualifizierten Lieferketten, von Vielfalt in den Im- und Exportpartnern und Sicherung der wirtschaftlichen Souveränität von Europa.
  • Sicherstellung der Energieversorgung für die wirtschaftliche Tätigkeit und Produktion durch konsequenten Ausbau der Energienetze für erneuerbare Energien und Ausbau eben dieser sowie einem Hochlauf der Wasserstoffproduktion.

Für ein Europa der Umweltvorsorge und des Klimaschutzes

Extremwetterereignisse, insbesondere in den südeuropäischen Mitgliedstaaten, gefährden die Agrarproduktion sowie den Tourismus und damit den Wohlstand. Sie führen vor allem zu Katastrophenlagen in Europa und darüber hinaus. Der Klimawandel kennt keine Grenzen. Es ist eine notwendige Aufgabe der europäischen Gemeinschaft, dazu beizutragen, dass unsere Lebensgrundlagen erhalten werden und Schutz gegenüber Katastrophen aufgebaut wird. Dazu gehören:

  • Konsequenter Aufbau des Kreislaufprinzips in Produktionsprozessen.
  • Maßnahmen zur Verbesserung der Haltbarkeit, Wiederverwendbarkeit, Nachrüstbarkeit und Reparierbarkeit von Produkten.
  • Die schrittweise Einführung einer Einschränkung der Vernichtung unverkaufter, nicht verderblicher Waren.
  • Maßnahmen zur Reduzierung von Kunststoffabfällen und zur Verwendung von recycelten Kunststoffen, um dem anwachsenden Verbrauch von Kunststoffen zu begegnen.
  • Die bessere Ausrichtung der Förderinstrumente für den ländlichen Raum, um die zu erwartende Unwucht z.B. bei der Mobilitäts- oder Wärmewende zwischen dem ländlichen Raum und den Städten auszugleichen.
  • Die Verbesserung der Verbrauchertransparenz und des fairen Wettbewerbs durch eine europäische Tierhaltungskennzeichnungspflicht, sowie eine Verbesserung der Gesetzgebung im Hinblick auf das Tierwohl und auf Klima- und Umweltstandards in der Tierhaltung.
  • Konsequente Umsetzung der EU-Biodiversitätsstrategie für 2030. Dazu gehören u.a.:
  • Der gesetzliche Schutz von mindestens 30 Prozent der Landfläche und 30 Prozent der Meeresgebiete der EU.
  • Die Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme, auch durch rechtlich verbindliche Ziele zur Wiederherstellung der Natur.
  • Die Reduzierung des Einsatzes von Pestiziden um 50 Prozent.
  • Die Ausweitung der Landschaftselemente mit großer biologischer Vielfalt auf mindestens 10 Prozent der
  • landwirtschaftlichen Fläche.
  • Die Ausweitung der Ökologischen Landwirtschaft auf mindestens 25 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche.
  • Die Wiederherstellung von mindestens 25.000 Flusskilometern in der EU als frei fließende Flüsse. Bekämpfung von Beifängen und Schädigungen des Meeresbodens.

Für eine neue europäische Friedenspolitik: wertegeleitet, realitätsbezogen und in globaler Partnerschaft

2012 ist die EU mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. Heute – mehr als zehn Jahre danach – muss sich die EU friedenspolitisch neu aufstellen: Die Errungenschaften und Ziele eines friedens- und dialogorientierten Europas müssen in der Zeit von militärischer Aggression und dem völkerrechtswidrigen Überfall von Putins Russland auf die Ukraine verteidigt und weiterentwickelt werden. Wir brauchen eine Europäisierung der Außen- und Sicherheitspolitik, in der auch klar ist, dass das Verschieben von Grenzen durch Gewalt schwerste Konsequenzen hat.

Die EU steht zu ihrer Verantwortung, die angegriffene Ukraine bei ihrer Verteidigung zu unterstützen: humanitär, wirtschaftlich, militärisch und durch eine Perspektive für die Aufnahme in die Gemeinschaft. Frieden ist auch in und für Europa Voraussetzung für Stabilität und Wohlstand. Die EU muss sich einer Militarisierung des politischen Denkens und Handelns entgegenstellen: Grundlagen internationalen und globalen Handelns sind die Internationale Menschenrechtscharta, die UN-

Nachhaltigkeitsziele, die Pariser Klimaziele, die Abkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und die Rüstungskontrollverträge. Friedliche Kooperation ist hierfür die Voraussetzung. Europa braucht mehr „Völkerverständigung“ auch im Inneren: mehr Zusammenarbeit, Austausch und europäische Integration. Die EU bleibt außerdem Wertegemeinschaft. Sie muss als positives Modell auch im Systemvergleich lebendig gestaltet und entwickelt werden. Die Außenpolitik der EU muss dabei auch feministischer werden und die Stärkung der Rechte, Ressourcen und Repräsentanz von Frauen und Mädchen und die Förderung gesellschaftlicher Diversität mehr in den Fokus nehmen.

Europa ist wichtiger globaler Akteur. Es darf nicht erpressbar sein und muss aktiv die Vereinten Nationen stärken und weiterentwickeln;

  • an der Schaffung von Ernährungssicherheit, Gesundheit, Verteilungsgerechtigkeit, Klimaschutz und Bildung in der Welt arbeiten;
  • Transformations-Partner für die Länder Afrikas, Lateinamerikas und Asiens sein;
  • Demilitarisierung in der Welt durch Rüstungskontrolle und Abrüstung befördern (u.a. Nichtverbreitung und Verschrottung von nuklearen und geächteten Waffen);
  • Fluchtbewegungen durch internationale Partnerschaften für die Bekämpfung von Armut und Klimawandelfolgen gezielt vorbeugen.

Für eine differenzierte Migrationspolitik

Nach der Flüchtlingswelle des Jahres 2015 steht die Europäische Union aufgrund des anhaltenden Krieges in der Ukraine, der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan, der instabilen Lage in afrikanischen Ländern und auch den Auswirkungen des Klimawandels auf Migrationsbewegungen vor großen Herausforderungen. Der Migrationsdruck nach Deutschland ist besonders groß. Deswegen brauchen wir eine Migrationspolitik, die Akzeptanz für diejenigen schafft, die unseren Schutz brauchen, sich integrieren und hier arbeiten wollen.

Die Integration der Schutzsuchenden der Jahre um 2015 in Deutschland lässt sich als Erfolg auffassen und als enorme Leistung, an der zahllose Akteure – der Wirtschaft, der Politik, der Zivilgesellschaft und aus

der Gruppe der Schutzsuchenden selbst – bis heute teilhaben.

Reale Probleme im Bereich Zuwanderung dürfen darüber aber nicht ignoriert werden. Deswegen ist eine differenzierte Migrationspolitik von großer Bedeutung.

In den kommenden Jahren sind nach derzeitigen Erkenntnissen weiterhin hohe Zahlen im Bereich der Fluchtmigration zu erwarten. Parallel dazu benötigen wir gezielte Einwanderung in Arbeits- und Ausbildungsmärkte, um Bedarfe an Fachkräften zu decken.

Hierzu gehören im Bereich Asyl und Schutz:

  • Zügige Bearbeitung der Asylanträge und ausreichende Personalausstattung, sowohl für die Verfahren, die in Deutschland bearbeitet werden oder ggfs. auch an den im Asylkompromiss der EU beabsichtigten Verfahren an den EU-Außengrenzen.
  • Ausnahme von Familien mit Kindern von den beabsichtigten Asylverfahren an den EU-Außengrenzen.
  • Konsequente Verhinderung und Sanktionierung illegaler Pushbacks, an den EU- Außengrenzen durch Mitgliedsstaaten.
  • Beschleunigung von Klageverfahren.
  • Grundsätzliche Erlaubnis der Erwerbstätigkeit von Anfang an.
  • Zügige Integrationsförderung für anerkannte Flüchtlinge, darunter schnelle und praxistaugliche Anerkennung vorhandener Schul-, Universitäts- und Berufsausbildungen.
  • Die Anerkennungsverfahren vorhandener Schul-, Universitäts- und Berufsausbildungen müssen praxistauglicher werden.
  • Qualifizierung und Integration in Arbeit und Spracherwerb für diejenigen, die zwar abgelehnt wurden, aber vorhersehbar nicht kurzfristig in ihre Heimatländer zurückgebracht werden können.
  • Konsequente Rückführung straffälliger Gewalttäter.

Hierzu gehören im Bereich Solidarität in Europa:

  • Digitalisierung der zuständigen Behörden und Verfahren zum vereinfachten Datenabgleich- und Austausch, nicht nur in Deutschland und zwischen den Bundesländern, sondern auch zwischen den Mitgliedsstaaten.
  • Neue EU-Mindeststandards der Leistungen für Asylbewerber und Flüchtlinge und konsequente Überwachung durch die Mitgliedsstaaten und den Europäischen Gerichtshof, damit diese von allen Mitgliedsstaaten eingehalten werden.
  • Berücksichtigung familiärer Bindungen von Eltern und Kindern bei der Verteilung auf die Mitgliedsstaaten sowie gerechtere Verteilung unter den Mitgliedstaaten, aber auch innerhalb Deutschlands und in den Bundesländern.
  • Europaweite Einhaltung der Kinderrechte wie Recht auf Schule, Gewaltfreiheit und Leben an einem sicheren Ort.
  • Hierzu gehören im Bereich Fachkräfte-Akquise:
  • Verbesserung der Personalausstattung für effiziente Wege der gezielten Arbeit- Immigration.
  • Zügige Antragsverfahren. Schnellere Erteilung von Visa.
  • Aufbau von Strukturen für die Einwanderung junger Menschen zum Zweck der Ausbildung in Europa und insbesondere in Deutschland.