Entschließung zur Europapolitik (1988)

Aus Beschlussdatenbank der SPD Schleswig-Holstein
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Die druckbare Version wird nicht mehr unterstützt und kann Darstellungsfehler aufweisen. Bitte aktualisiere deine Browser-Lesezeichen und verwende stattdessen die Standard-Druckfunktion des Browsers.
Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Travemünde 1988
Bezeichnung:
Antragsteller: Nicht aufgeführt


Beschluss: Angenommen


I.

Enge Zusammenarbeit der Staaten Europas ist das Gebot der Stunde:

  • Sie dient der politischen und wirtschaftlichen Selbstbestimmung der Europäer.
  • Sie ist ein Beitrag zur Festigung des Friedens, zur Beendigung der Vorherrschaft der militärischen Supermächte und zur Überwindung der Teilung Europas.
  • Sie erleichtert grenzüberschreitende Zusammenarbeit bei der Lösung ökologischer Probleme.
  • Sie trägt dazu bei, politischen Handlungsspielraum zurückzugewinnen, den der einzelne europäische Nationalstaat angesichts grenzüberschreitender Probleme und weltweiter Wirtschaftsverflechtung in dramatischer Weise einbüßt.

Wir Sozialdemokraten wissen: Wichtige politische Ziele können heute im nationalen Maßstab nicht mehr erreicht werden. Nationale Politik muss deshalb um eine europapolitische Kraftanstrengung ergänzt werden.

Die EG ist nicht Europa. Aber sie kann und muss im Interesse des ganzen Europa wirken.

Das Europäische Parlament, das im Jahre 1989 zum dritten Mal direkt gewählt wird, hat sich als Motor europäischer Zusammenarbeit erwiesen. Seine Macht und sein Einfluss sind gewachsen. Die Fortschritte, die die Europäische Gemeinschaft in den vergangenen Jahren gemacht hat, sind zum großen Teil sein Verdienst.


Im Interesse des ganzen Europas wollen wir die Gemeinschaft und das Europäische Parlament stärken und Fehlentwicklungen der Europapolitik beseitigen.

  • Wir wollen den gemeinsamen europäischen Markt. Er ist eine Voraussetzung für die politische und ökonomische Selbstbehauptung Europas. Er gehört zu den bedeutenden politischen Veränderungen in der europäischen Geschichte. Diese Entwicklung muss insbesondere von Gewerkschaften und von der Sozialdemokratie aktiv beeinflusst werden. Die Vollendung des Binnenmarktes muss als Chance zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit genutzt werden. Sie muss außerdem dazu führen, Umweltschutz, Verbraucherschutz und die sozialen Rechte der Beschäftigten durch gemeinsame EG-weite rechtlich verbindliche Anstrengungen aus dem Sog des „Weltmarktes“ herauszuhalten. Errungene soziale Rechte und Umweltschutzstandards dürfen nicht durch die Hintertür des Binnenmarktes beseitigt werden.
  • Wir wollen eine EG, die einen Beitrag zu einer Friedensordnung für ganz Europa leistet. Die Rahmenvereinbarungen EG - COMECON hat den Weg freigemacht, im Zeichen der Sicherheitspartnerschaft ein enges Vertrags- und Kooperationsnetz der EG mit Staaten Osteuropas auf verschiedenen politischen Gebieten zu knüpfen.
  • Wir wollen eine EG, die der Welt ein Beispiel gibt für eine Kooperation zwischen Nord und Süd, die auf Gewalt verzichtet, nationale Souveränität anerkennt und das Recht auf eigene Entwicklung garantiert. Die ehemaligen europäischen Kolonialmächte haben eine besondere historische Verantwortung für die Überwindung des Nord-Süd-Konflikts. Das Lomé-Abkommen, das Mittelamerika-Abkommen unter Einschluss Nicaraguas, und die Hilfen für Nicht-Regierungsorganisationen in der Entwicklungspolitik sind Schritte in die richtige Richtung, die die Gemeinschaft verstärken muss.
  • Wir wollen eine EG, die ihr handelspolitisches Gewicht für die Menschenrechte einsetzt. Wir fordern deshalb, endlich mit entschlossenen politischen und wirtschaftlichen Sanktionen der EG zur Überwindung der Apartheid beizutragen.
  • Wir wollen eine EG, die die Bezeichnung demokratisch verdient. Angesichts der wachsenden Bedeutung der Europapolitik darf es nicht sein, dass Vorstände von Wirtschaftsunternehmen, Ministerräte, Regierungen und Bürokratien immer mehr und die von den Bürgern gewählten Parlamente immer weniger Macht bekommen. Die Europawahl muss deshalb zu einer Demonstration für die Demokratisierung der Gemeinschaft und die Stärkung des Europäischen Parlamentes werden.


II.

Enge europäische Zusammenarbeit und eine wirksame Europäische Gemeinschaft liegen im besonderen Interesse Schleswig-Holsteins.

  • Schleswig-Holstein braucht grenzüberschreitend wirksamen Umweltschutz – nur so bekommen wir Nord- und Ostsee sauber. Wir fordern insbesondere eine rechtlich verbindliche Nordsee-Schutz-Konvention der EG.
  • Schleswig-Holstein braucht eine europäische Agrarpolitik, die seinen Fischern und Landwirten wieder Perspektiven gibt und dem Land mehr politischen Gestaltungsspielraum eröffnet. Die vorläufige Behebung der Finanzkrise der EG ist kein Ersatz für die nach wie vor notwendige Reform der bisherigen Agrarpolitik mit ihren alarmierenden ökonomischen und ökologischen Fehlentwicklungen. Wir wollen eine marktgerechtere Preispolitik, die durch Direktzahlung an die Landwirte ergänzt wird. Wir wollen für alle Mitgliedstaaten verbindliche Vereinbarungen zum Abbau der Überschüsse, die Raum für regional differenzierte nationale Ausgleichsmaßnahmen lassen und umweltfreundliche Produktionsweisen fördern.
  • Schleswig-Holstein braucht eine EG, die eine aktive, regionale Wirtschaftspolitik stützt und insbesondere bei der Bewältigung der Schiffbaukrise hilft. Die Richtlinien und Fonds der Sozial- und Regionalpolitik müssen die besonderen Interessen der norddeutschen Küstenregion und die Chancen grenzüberschreitender Regionalentwicklungen im Norden Schleswig-Holsteins berücksichtigen.
  • Schleswig-Holstein braucht eine EG, deren Außenhandelspolitik der besonderen Lage unseres Landes im Schnittpunkt von EG, COMECON und nordischen EFTA-Staaten gerecht wird. Der Abschluss von Kooperations- und Handelsverträgen zwischen der EG und osteuropäischen Staaten liegt im besonderen Interesse Schleswig-Holsteins. Die Verwirklichung des Binnenmarktes darf nicht zur Errichtung neuer Handelsbarrieren gegenüber den EFTA-Staaten Nordeuropas führen. Der Ausbau des europäischen Währungssystems sollte weitere nordische Staaten mit einbeziehen.
  • Schleswig-Holstein braut eine EG, deren Forschungs- und Energiepolitik den Ausstieg aus der Kernenergie fördert. Erforschung und Einführung regenerativer Energiequellen und rationeller Energieverbrauch müssen finanzielle Prioritäten erhalten. Der Versuch, Strom als beliebige Handelsware zu deklarieren und mit „Billigstrom“ aus Frankreich den Ausstieg aus der Kernenergie zu unterlaufen, gefährdet die Versorgungssicherheit und nimmt ein erhöhtes Sicherheitsrisiko der Bevölkerung in Kauf – wir werden ihm politisch offensiv entgegentreten.
  • Schleswig-Holstein braucht eine EG, deren Ausländerpolitik unserer besonderen Grenzland-Situation gerecht wird. Wir fordern die Einführung des kommunalen Ausländerwahlrechts in allen EG-Staaten.