F2: Diskussionspapier der SPD Schleswig-Holstein: Für eine neue sozialdemokratische Friedenspolitik (1997)

Aus Beschlussdatenbank der SPD Schleswig-Holstein
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Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Husum 1997
Bezeichnung: F2
Antragsteller: Landesvorstand


Beschluss: Überwiesen an Landesvorstand

(Beschluss: Überwiesen an Landesvorstand mit Ziel der Diskussion auf gesonderter Konferenz)


Der Landesvorstand der SPD Schleswig-Holstein legt dem Landesparteitag folgendes Diskussionspapier vor. Für am Rand markierte Absätze [fett markierte Absätze] besteht Entscheidungsbedarf.

Nach intensiver Beratung in der Partei soll der Landesvorstand dem Bundesparteitag einen Antrag in dieser Angelegenheit vorlegen.


Veränderte Sicherheitslage - neue Antworten

Die konkrete Sicherheitslage Deutschlands hat sich mit der dauerhaften Überwindung des Ost-West-Konflikts grundlegend verbessert. Deutschland ist nicht mehr Frontstaat, sondern weiträumig von Verbündeten und Partnern umgeben. Eine konventionelle Bedrohung der territorialen Integrität gibt es nicht mehr. Restrisiken wie internationaler Terrorismus oder Atomwaffen in Drittländern sind keine Begründung für große stehende Streitkräfte oder eine hohe Mobilmachungsfähigkeit.

Weder in Deutschland noch in Europa sind die Chancen für eine neue Friedenspolitik nach dem Ende des Ost-West-Konflikts ausreichend genutzt worden. Statt eines klaren Konzepts für ein künftiges System kollektiver Sicherheit gibt es ein Gewirr konkurrierender Organisationen mit Doppel­strukturen, Kompetenzüberschneidungen und wechselseitigen Lähmungen. Statt weiterer Abrüstungsvereinbarungen mit einer Reduzierung der Präsenz­stärke der Streitkräfte der NATO-Länder werden neue Aufgaben für die Bundeswehr gesucht. Statt der Entwicklung und Stärkung nicht-militärischer Instrumente der Konfliktbearbeitung und Gewaltverhütung werden die Militärbündnisse ausgebaut.

Die deutsche Sozialdemokratie muß ihre Möglichkeiten international und national nutzen, um eine neue Friedens- und Sicherheitspolitik zu fördern, die ein System gemeinsamer Sicherheit anstrebt, Streitkräfte und Ausrüstung auf das notwendige Minimum reduziert, die Institutionen und Instrumente zur zivilen Konfliktverhütung stärkt und die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Ursachen von Konflikten bekämpft.

Ziele und Instrumente einer neuer Friedenspolitik

Eine sozialdemokratische Friedenspolitik, an deren Formulierung und Umsetzung wir gemeinsam mit unseren Schwesterparteien von der Soziali­stischen Internationale arbeiten wollen, sollte sich an folgenden Zielen orientieren:

  • der Förderung von Menschenrechten und Demokratie,
  • der Errichtung einer gerechten Weltwirtschaftsordnung unter Reform der Welthandelsorganisation (WTO), des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank und dem Abschluß von weiteren internationalen Sozialabkommen,
  • der Entwicklung und Umsetzung einer Politik der Gewaltverhütung unter Einbeziehung sozialer und wirtschaftlicher Konfliktursachen.

Um diese Ziele zu erreichen, sind

  • eine entschlossene Stärkung und Demokratisierung der Vereinten Nationen,
  • die Errichtung einer Neuen Europäischen Friedensordnung, aufbauend auf der Stärkung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), der schrittweisen Ersetzung der NATO durch die OSZE als Regionalorganisation der VN und der Vertiefung und Erweiterung der Europäischen Union.
  • eine dem Konzept einer "Zivilmacht" verpflichtete deutsche Außenpolitik und
  • die Beschleunigung des Abrüstungs- und Rüstungskontrollprozesses sowie strengere Kontrollen der Rüstungsexporte dringend geboten.

Für eine Stärkung der Vereinten Nationen

Die Vereinten Nationen sind das einzige legitimierte Forum für weltweite Gewaltverhütung und Friedenssicherung. Sie müssen gestärkt, demokrati­siert und reformiert werden. Die wichtigsten Schritte sind:

  • eine solidere finanzielle Basis. Aus einer einprozentigen Abgabe auf die nationalen Verteidigungshaushalte, Steuern auf den internationalen Kapitaltransfer sowie Abgaben auf den Luftverkehr soll sie Eigenmittel erhalten.
  • ein Umdenken in der Friedenssicherung. Die VN können Frieden nicht erzwingen. Blauhelmeinsätze müssen strikt auf friedenserhaltende Maßnahmen beschränkt und in der Ausrüstung den Anforderungen aus innergesellschaftlichen Konflikten angepaßt werden. In Blauhelmmissio­nen sollen mehr internationale, in ziviler Konfliktbeilegung ausgebildete und auf Abruf verfügbare Polizeieinheiten und Zivilisten mitarbeiten.
  • eine demokratische Reform des Sicherheitsrates, die die Legitimation der VN erhöht. Vordringlich ist die Aufnahme von Staaten aus bislang nicht ständig vertretenen Regionen der Welt; Deutschland sollte sich für einen gemeinsamen ständigen Sitz der EU-Staaten einsetzen.
  • eine effektivere Nutzung von Wirtschaftssanktionen durch die Einrichtung eines Kompensationsfonds für geschädigte Drittstaaten.
  • die Bildung eines Sozialrates, eines Wirtschaftsrates und eines Umwelt­rates zusätzlich zum Sicherheitsrat. Der Sozialrat hat die Abkommen über Sozialstandards, Lohnfindung und Arbeitsrechte zu überwachen. Der Wirtschaftsrat beaufsichtigt IWF, Weltbank und WTO. Der Umweltrat achtet auf die Einhaltung von Umweltabkommen.
  • die Ernennung von Hohen Kommissaren für Entwicklung und für Rüstungskontrolle sowie Abrüstung, die als Frühwarnorgane und Berater für Generalsekretär und Sicherheitsrat dienen.
  • der Aufbau von VN-eigenen Medien, die Konzepte zur Gewaltverhütung verbreiten sollen.

Für eine neue europäische Friedensordnung

"Unser Ziel ist es, die Militärbündnisse durch eine europäische Friedens­ordnung abzulösen", heißt es im Berliner Grundsatzprogramm der SPD. Wir brauchen eine gesamteuropäische Ordnung, die neue Bruchlinien verhindert und bestehende Gefälle abbaut, damit die Sicherheit aller Staaten erhöht wird.

Für eine Stärkung der OSZE

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sollte Kern einer neuen Friedensordnung werden. Sie hat sich als Forum der Vertrauensbildung und Gewaltverhütung bewährt. Sie muß durch eine Erhöhung des Budgets, durch Verbesserung ihrer Strukturen und durch den Abschluß eines völkerrechtlichen Vertrags als Grundlage gestärkt werden. Wichtig ist die Einrichtung einer verbindlichen Schiedsgerichtsbarkeit, die Aufstellung national gemischter Polizeiverbände und die Ausbildung von Spezialisten für Gewaltverhütung in Kooperation mit den VN. Aus diesen Spezialisten soll ein ständig abrufbares OSZE-Friedenskorps gebildet werden.

Für eine Überwindung der NATO

Die sicherheitspolitischen Prioritäten Europas liegen nicht mehr in der militärischen, sondern in der sozialen und wirtschaftlichen Sicherheits­vorsorge. Die Aufrechterhaltung und Erweiterung von Militärbündnissen bindet dazu benötigte Ressourcen, die dringend für die Erweiterung der EU benötigt werden. Die SPD sollte sich deshalb für die schrittweise Überfüh­rung der NATO in die Strukturen der OSZE einsetzen.

Eine Osterweiterung der NATO würde einen solchen Prozeß erheblich stören und muß deshalb abgelehnt werden. Sie würde Rußland sicherheitspolitisch isolieren, andere MOE-Staaten ausgrenzen und eine neue Aufrüstungsrunde in Gang setzen. Alle politischen oder militärischen Konstruktionen für die Anbindung Rußlands würden das Wirrwarr der sicherheitspolitischen Strukturen in Europa weiter vergrößern.

Für eine Vertiefung und Erweiterung der EU

Das Bemühen um sozialen Ausgleich aller europäischen Regionen und die Bekämpfung der Armut in Europa müssen Vorrang haben. Anders als die NATO kann die EU dazu beitragen und so die OSZE auf dem Weg zu einem kollektiven Sicherheitssystem unterstützen. Die EU braucht kein besonderes militärisches Standbein. Die Westeuropäische Union kann im Zuge der euro­päischen Integration aufgelöst werden.

Eine völlige Integration der Außen- und Sicherheitspolitik ist nur langfristig zu erreichen. Zentrale Strategie der Gemeinsamen Außen- und Sicherheits­politik (GASP) muß die Gewaltverhütung werden.

Für eine "Zivilmacht" Deutschland

Deutschland soll als "Zivilmacht" eine Vorreiterrolle im internationalen System übernehmen. Eine Außen- und Sicherheitspolitik, die als ökologisch ausgerichtete und global orientierte Wirtschafts- und Sozialpolitik angelegt ist, leistet einen besseren Beitrag zu Sicherheit, Frieden und nachhaltiger Entwicklung als Großmachtpolitik. Dazu gehört der Ausbau der Entwick­lungszusammenarbeit und die Stärkung der VN und der europäischen Regionalorganisationen. Dazu gehört auch eine verbindliche Erklärung, daß sich die Bundesrepublik Deutschland der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs in sicherheitspolitischen Fragen unterwirft.

Für Kontrolle der Rüstungsexporte

Deutschland belegt noch immer einen Spitzenplatz unter den Rüstungs­exporteuren. Unser Ziel ist es, den Export von Waffen und Rüstungsgütern zu verhindern (Berliner Grundsatzprogramm). Rüstungsproduktion und -export ist auch nicht durch die Sorge um Arbeitsplätze zu begründen.

Wir wollen die Bundesregierung verpflichten, dem Bundestag jährlich einen Bericht mit detaillierten Auskünften über Art und Umfang aller exportierten Rüstungsgüter vorzulegen. Beim Export von dual-use-Gütern muß durch entsprechende Kontrollen die zivile Verwendung gewährleistet sein.

Wir fordern ein Ende der deutschen Minen-Forschungsprogramme und der Minenproduktion. Außerdem müssen die Mittel des Auswärtigen Amtes für humanitäre Minenräum-Aktionen erhöht werden.

Für eine verkleinerte Bundeswehr

Umfang und Präsenz der Bundeswehr können und müssen deutlich reduziert werden. Nahziel bleibt die Umsetzung der strukturellen Nichtangriffsfähig­keit. Das bedeutet den Verzicht auf die Neubeschaffung von Großwaffen­systemen. Wir brauchen weder Krisenreaktionskräfte noch ein Kommando Spezialkräfte.

Die primäre Aufgabe der Bundeswehr liegt auch künftig in der Landes- und Bündnisverteidigung. Die sekundäre Aufgabe der Bundeswehr liegt in der Unterstützung traditioneller Blauhelmeinsätze unter Führung der VN oder der OSZE. Dafür sollen in kleinem Umfang speziell ausgebildete und gut ausgerüstete Kräfte bereit gehalten werden, die auf Anfrage nach Zustim­mung durch den Bundestag im Einzelfall schnell verfügbar sind. Die detail­lierten Beschlüsse des Wiesbadener Parteitags der SPD, die klare Kriterien für eine deutsche Beteiligung an VN-Einsätzen liefern, haben nach wie vor Gültigkeit. Außerdem soll die Bundesregierung die Ausbildung von Kontin­genten für internationale Polizeieinsätze einleiten, die auf Anfrage und nach Einzelfall-Zustimmung durch den Bundestag schnell einsetzbar sind.