G49: Reflexionen zum Bremer Entwurf des Hamburger Grundsatzprogramms - Bekämpfung von Armut: Führt Chancengleichheit zu Ergebnisgerechtigkeit? (2007)

Aus Beschlussdatenbank der SPD Schleswig-Holstein
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Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Kiel 2007
Bezeichnung: G49
Antragsteller: Jusos Schleswig-Holstein


Beschluss: Überwiesen an Delegation zum Bundesparteitag

„Reicher Mann und armer Mann standen da und sahn sich an

und der Arme sagte bleich: Wär ich nicht arm, wärst Du nicht reich.“ (Brecht)


Für Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist die Kritik des Gegenwärtigen schon immer Voraussetzung um das Zukünftige zu entwickeln. Die Kritik an der gegenwärtigen politischen Ökonomie, dem kapitalistischen Wirtschaftssystem war und ist der Motor zur Veränderung. Der Kapitalismus aber, wie wir ihn in Deutschland zweifelsfrei vorfinden, wird immer Bedingungen produzieren, die es für einen Teil der Gesellschaft nicht möglich macht, am erwirtschafteten Wohlstand zu partizipieren. Auch durch den rheinischen Kapitalismus und die Soziale Marktwirtschaft hat sich an diesem Grundsatz nichts geändert. Wenn die SPD in ihrem Entwurf für ein neues Grundsatzprogramm schon nicht das System an sich in Frage stellt (und das kann ganz ohne Zweifel festgestellt werden; so systemunkritische Thesen wie im Bremer Entwurf gab es noch nie), muss sie sich wenigstens knallhart und ehrlich mit den bestehenden gesellschaftlichen Realitäten auseinandersetzen und dazu Verbesserungsvorschläge aufzeigen, in Richtung einer Gesellschaft, wie sie im Grundsatz den Prinzipien eines Demokratischen Sozialismus entsprechen würde.

Die Analyse der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse im Bremer Entwurf findet ausschließlich aus der Sicht des „normalen“ Arbeitnehmers statt. Probleme werden nur in Bezug auf die Veränderung des Normalarbeitsverhältnisses und die Arbeitsplatzverlagerung ins Ausland betrachtet. Das ist leider ein altes Paradigma der SPD, welches offensichtlich nicht aufgelöst werden soll. Weiter ist von der Befürchtung vieler Menschen, abgehängt zu werden, die Rede. Dass viele Menschen bereits sowohl materiell als auch partizipatorisch abgehängt sind, und in der Perspektivlosigkeit untergehen, wird an keiner Stelle erwähnt.

Hier stoßen wir auf ein Grundproblem des Bremer Entwurfes: In Euphemismen wie gefühlte Unsicherheit oder Befürchtung, abgehängt zu werden, werden bestehende Realitäten verschleiert. Diese Formulierungen implizieren, dass ja eigentlich alles in Ordnung ist, und das ist objektiv gesehen nicht der Fall. Als Beispiele können die aktuelle Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung „Gesellschaft im Reformprozess“ und dem Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung herangezogen werden.

Wenn man sich mit den Bekämpfungsmöglichkeiten von Armut auseinandersetzen will, muss der Begriff „Armut“ zwangsläufig auch innerhalb der Sozialdemokratie zunächst einmal definiert werden. Untersucht man den Bremer Entwurf nach der Verwendung des Begriffes „Armut“, so springt vor allem eine Textstelle ins Auge. Nach einer allgemeinen Lobeshymne auf die sozialen Errungenschaften im marktwirtschaftlichen System heißt es:

„…Einige dieser Erfolge sind jedoch gefährdet. Der Abstand zwischen Armen und Reichen vergrößert sich wieder. Und Menschen mit geringen Qualifikationen oder mit besonderen Schwierigkeiten, einen Arbeitsplatz zu finden, drohen von den Chancen der Zukunft abgekoppelt zu werden. Die Erfüllung des Versprechens, durch Arbeit für sein eigenes Leben zu sorgen, erscheint vielen gefährdet. Dies betrifft besonders viele Menschen in den neuen Bundesländern. Die meisten Einwandererfamilien oder allein erziehende Mütter und Väter kämpfen hart für ihren Lebensunterhalt und für eine gute Entwicklung ihrer Kinder. Aber manche leben schon in dritter Generation von Sozialtransfers. Armut vererbt sich häufig, weil viel zu viele Eltern keine Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt haben und Kinder nicht ausreichend gefördert werden. Die Chancen auf eine gute Bildung hängen in Deutschland stärker als anderswo von der Herkunft der Eltern ab. Die Leiter zum sozialen Aufstieg ist für viele nicht aufgestellt.

Eine erstklassige Bildung für alle wird zur Grundlage, um gesellschaftliche Spaltungen zu verhindern und Armut zu überwinden.“

(Bremer Entwurf, S.7, Zeilen 22-46)

Die nähere Beschäftigung mit dem Armutsbegriff reduziert sich also auf die Kritik an den ungleichen Bildungschancen. Laut Bremer Entwurf sind diejenigen, die über eine gute Bildung verfügen, also nicht armutsgefährdet. Die Frage nach Armut wird vor allem an die Möglichkeit gekoppelt, einen Arbeitsplatz zu finden.

Man kann unterscheiden zwischen soziokultureller Armut (Armut an gesellschaftlicher Teilhabe, Bildung, usw.) und materieller Armut (Armut an Mitteln zur Befriedigung existenzieller Grundbedürfnisse). Der Bremer Entwurf impliziert, dass die Bekämpfung von soziokultureller Armut automatisch zur Reduzierung materieller Armut führt. Dies wird vor allem daran deutlich, dass er einen Schwerpunkt auf den so genannten „Vorsorgenden Sozialstaat“ legt, der durch die Generierung von gleichen Chancen für alle (vor allem im Bildungsbereich) gesellschaftliche und ökonomische Teilhabe ermöglichen und so Armut bekämpfen soll. Leider beschränkt sich diese Chancengleichheit nur auf den Anfang des Lebens, so dass man eher von einer „Startchancen-Gerechtigkeit“ sprechen sollte. Das ist ungefähr so, als wenn ein Fußballtrainer gleich nach dem Anpfiff des Spiels nach Hause geht.

Ohne Zweifel ist es richtig, der Ermöglichung der Chancengleichheit im Bildungsbereich als eines der wichtigsten politischen Ziele der Sozialdemokratie im Grundsatzprogramm einen hohen Stellenwert einzuräumen. Das haben wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in Schleswig-Holstein schon lange begriffen und uns in der Vergangenheit maßgeblich an der Entwicklung eines gerechten Schulmodells beteiligt. Menschen mit einem hohen Bildungsgrad haben in diesem System statistisch gesehen zwar eine größere Chance auf materielle und gesellschaftliche Teilhabe, aber ob das in der Realität auch so eintritt, ist offen.

Der Sozialstaatsentwurf im Bremer Entwurf wird nicht zu Ende gedacht. Es wird außer Acht gelassen, dass auch ein gutes Bildungssystem, in dem die Generierung von Chancengleichheit umgesetzt ist, kaum eine Gesellschaft von Menschen hervorbringen wird, in dem sich alle frei entwickeln und emanzipieren können (mit gleicher Würde, gleichen Rechten, usw.).

Zwar wird im Hinblick auf den Arbeitsmarkt durch ein gerechtes Bildungssystem das Problem der Übermenge an Geringqualifizierten abgeschwächt, wobei es fraglich ist, dass höhere Qualifizierung dann auch automatisch zu einem gut bezahlten Arbeitsverhältnis führt. Jedoch wird es auch in einem solchen Bildungssystem immer Menschen geben, die zurückgelassen werden und für die auf dem Arbeitsmarkt kein Platz ist. Das Problem von ungerechter Wohlstandsverteilung bleibt also im Kern bestehen.

Als mögliche Lösung für dieses sich auf den ersten Blick als Dilemma darstellendes Problem böte sich oberflächlich betrachtet die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens zur Bekämpfung von materieller Armut an. Bei genauerem Hinsehen allerdings wird man feststellen, dass es sich hierbei eher um eine Stilllegungsprämie für diejenigen handelt, die derzeit auf dem Arbeitsmarkt keine Möglichkeit auf eine auskömmliche Beschäftigung haben.

Abgesehen davon, dass Arbeit als wichtiger Faktor für die Schaffung von Selbstwertgefühl und Respektabilität des eigenen Lebens bei vielen Menschen als Perspektive wegfallen würde, bedeutet auch die vielfach verwendete Argumentation, die Empfänger/innen des Grundeinkommens könnten sich relevanten Aufgaben wie Altenpflege oder Betreuung öffentlicher Einrichtungen widmen, nur eine Privatisierung und Individualisierung gesellschaftlicher Aufgaben. Zudem würde mit dem bedingungslosen Grundeinkommen ein wichtiger Gestaltungsanspruchs politischen Handelns jenseits von Marktmechanismen aufgegeben. Auch würde das Grundeinkommen dazu beitragen, dass geleistete Arbeit nicht mehr gerecht entlohnt würde, indem es den Arbeitgebern das Argument in den Mund legt, die Beschäftigten würden ihren Lohn lediglich zusätzlich zu ihrer ohnehin schon gesicherten Existenz anstreben. Darüber hinaus wird derzeit auch verschwiegen, dass eine mögliche Einführung des Grundeinkommens höchstwahrscheinlich mit massivem Sozialabbau verbunden wäre und individuelle Risiken privatisiert werden könnten.

Wenn man also ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht als die ideale Lösung zur Bekämpfung von Armut ansieht, stellt sich nun zwangsläufig die Frage nach Alternativen.

Prinzipiell ist zu sagen, dass die Schaffung gesellschaftlichen und individuellen Reichtums in der Vergangenheit wie heute zu einem maßgeblichen Teil durch Arbeit erfolgt. Nach wie vor definieren sich die Menschen vor allem über die Arbeit, die sie tun. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ist die Partei dieser arbeitenden Menschen, wobei hierzu auch die Menschen zählen, deren Arbeitskraft nicht genutzt wird, obwohl sie einen Beitrag zur gesellschaftlichen Reichtumsproduktion leisten möchten wie z.B. Arbeitslose, sozial schwache und kranke Menschen. Die SPD darf nicht nur Partei des Industriearbeiters sein.

In der Tat ist die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse rückläufig, was zur Frage nach der Erosion der Arbeitsgesellschaft führte. Auch die anhaltende Massenarbeitslosigkeit trug zu dieser Diskussion bei. Aber haben wir es tatsächlich mit einer Krise der Arbeitsgesellschaft zu tun und kann konstatiert werden, dass es einfach nicht genügend Arbeit für alle gibt? Wenn man die aktuelle Situation näher betrachtet, kommt man zu dem Schluss, dass dem nicht so ist. Denn in einer Gesellschaft, in der Überstunden und unbezahlte Mehrarbeit normal geworden sind, in der eigentlich rentable Produktionsstätten im Zuge von Unternehmensfusionen geschlossen werden und in der öffentliche Bauten und Einrichtungen sich in einem desaströsen Zustand befinden, ist nicht nachvollziehbar, warum es nicht genug Arbeitsplätze geben kann, um Massenarbeitslosigkeit erfolgreich zu bekämpfen. Deshalb ist es nach wie vor sinnvoll, am Ziel der Vollbeschäftigung festzuhalten, um eine Beschäftigungsperspektive für alle Menschen zu eröffnen und so im Zusammenhang mit guten Arbeitsbedingungen und gerechten Löhnen materielle Armut langfristig erfolgreich zu bekämpfen.

Vollbeschäftigung ist nicht automatisch Ergebnis marktwirtschaftlichen Wirkens, sondern muss der kapitalistischen Verwertungslogik in politischen Kämpfen abgerungen werden. Denn so lange der Kapitalismus besteht, gab es schon immer bestehende Widersprüche (wie z.B. Arbeitslosigkeit), ohne die der Kapitalismus auch nicht existieren könnte. Das sollte jedoch für die Sozialdemokratie kein Grund sein, sich das Ziel Vollbeschäftigung gar nicht erst zu stecken und so jegliche gestalterischen Ansprüche aufzugeben. Ihr Ziel war immer Überwindung von Entfremdung und Ausbeutung in der Erwerbsarbeit und der Gesellschaft (man denke nur an den quasi Arbeitszwang der 1-Euro-Jobs) und das muss auch weiterhin so bleiben.

Die Vollbeschäftigung kann allerdings nur als langfristiges Ziel gesetzt werden, denn denjenigen Menschen, die bereits unter materieller Armut leiden, kann damit in ihrer aktuellen Situation nicht geholfen werden.

Der Bremer Entwurf gibt auf die Frage nach der Bekämpfung von bestehender Ungleichheit und der weiter wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich leider keine ausreichende Antwort. Es wird vielmehr der Versuch gemacht, die bisherige Regierungspraxis, vor allem von Rot-Grün, zu rechtfertigen und mit neuer Sozialrhetorik zu verbinden. Dennoch heißt es im Bremer Entwurf auch weiterhin:

„(…)natürliche Ungleichheiten und soziale Herkunftsunterschiede dürfen nicht zum sozialen Schicksal werden. Lebenswege dürfen nicht von vorneherein festgelegt sein. Deshalb erfordert Gerechtigkeit mehr Gleichheit in der Verteilung von Einkommen, Eigentum und Macht.“

Die SPD sieht hier also noch einen engen Zusammenhang zwischen Gerechtigkeit und Gleichheit: Weil alle Menschen gleiche Würde besitzen, haben auch alle das Recht auf gleichberechtigte soziale, kulturelle und politische Teilhabe. Weil alles dies in einer kapitalistischen Warentausch- und Geldwirtschaft aber auf individuellen ökonomischen Möglichkeiten basiert, müssen diese, also v.a. das Einkommen, zumindest annähernd gleich verteilt sein. Die Würde des Menschen ist unabhängig von seiner Leistung und Nützlichkeit.

Nun heißt es im Bremer Entwurf aber weiter:

„Eine gerechte Politik garantiert gleiche Zugangsmöglichkeiten zu öffentlichen Gütern, Chancengleichheit und eine der Leistung angemessene Einkommens- und Vermögensverteilung.“

Der Knackpunkt liegt hier in der Formulierung „der Leistung angemessene Einkommens- und Vermögensverteilung“. Was „angemessen“ ist, bleibt offen. Hier wird also bewusst der Anspruch einer gleichen Verteilung von Einkommen und Vermögen im nächsten Satz gleich wieder relativiert. Dreht sich die SPD-Fahne hier im Wind? Anscheinend ja.

Aber die enorme ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen basiert nicht nur auf faktischen Leistungsfähigkeiten und -unterschieden, sondern auch auf kulturellen Zuschreibungen, sozialen Machtgefällen und Kräfteverhältnissen. Für das Einkommen spielt immer öfter das vorhandene, oft geerbte Vermögen eine größere Rolle als die tatsächliche Leistung. Viele Menschen machen darüber hinaus die Erfahrung, dass auch große Leistungen und großes „eigenverantwortliches“ Engagement nicht honoriert werden, wenn etwa trotz Fort- und Weiterbildung Arbeitslosigkeit am Ende nicht überwunden oder vermieden werden kann. Und wer einmal im „Keller“ war, dem haftet dieser Knick im Lebenslauf oft bleibend an, trotz Fleiß und Weiterbildung. Das „Fördern“ im Wahlspruch „Fördern und Fordern“ (wenn es denn langsam mal im Einklang mit Fordern stehen würde) klingt zwar gut, bleibt doch in der Realität nur ein Ideal und reicht nicht aus.

Eine Unterstellung, die auch immer wieder genannt wird, ist, dass die SPD soziale Gerechtigkeit in der Vergangenheit nur als Verteilungsgerechtigkeit und damit nicht „umfassend“ genug verstanden habe. Diesen Vorwurf kann man schnell widerlegen: Zum einen hat sich die SPD in ihrer Praxis schon lange auch den eigentlich liberalen Grundsatz „Leistungsgerechtigkeit“ zu Eigen gemacht. Und zum anderen war die reale SPD-Politik durch einen umfassenden Dreiklang aus sozialer Sicherung, Bildungsexpansion und dem Ausbau für alle bezahlbarer öffentlicher Dienstleistungen gekennzeichnet. Diesen „Dreiklang“ gilt es auch heute weiter zu betreiben. “Chancengleichheit“ und damit auch der „Vorsorgende Sozialstaat“ gehört schon längst zum sozialdemokratischen Kernbestand.

Wenn sich aber die SPD in Zukunft zu sehr auf die Idee eines Vorsorgenden Sozialstaats beschränkt, kann man dies am ehesten als „Startchancengleichheit“ bezeichnen: Das neoliberale Leitbild einer Gesellschaft hingegen, in der die Individuen in scharfer Konkurrenz jedeR für sich und gegen (fast) alle anderen um ihren Anteil am Wohlstand, um Chancen für ein gutes Leben kämpfen, wird im Grunde akzeptiert. Die Geiz-ist-Geil-Mentalität ist hier nur ein Stichwort. Nur am Start, am Beginn des Lebens, sollen alle möglichst gleiche Chancen haben. Dass es unter entfesselten kapitalistischen Bedingungen dennoch zwangsläufig zu großer sozialer Ungleichheit kommt, dass es also zwangsläufig Verlierer gibt, wird als notwendiges Übel, als Preis für eine „dynamische“ und „freie“ Gesellschaft im Grundsatz akzeptiert. Ging es uns bisher um die Ermöglichung von annähernd gleichen Chancen auf individuelle Entfaltung und gesellschaftlich-kulturelle Teilhabe während des ganzen Lebens, so wird diese Gleichheit jetzt auf die vermeintliche Gleichheit am Start des Wettrennens und Wegboxens reduziert.

Demgegenüber zeigte und zeigt die SPD auch weiterhin Solidarität mit gewerkschaftlichen Tarifkämpfen. Das es hier noch einiges zu tun gibt, angesichts einer sinkenden Lohnquote in den letzten Jahren, ist unbestritten. Da diese oft ungenügende „Primärverteilung“ aber dennoch nicht ausreicht, gerade für die nicht-gewerkschaftlich organisierten ArbeitnehmerInnen und NiedriglohnempfängerInnen, versuchte die SPD deshalb bisher, diese Ungerechtigkeit durch steuer- und sozialpolitischen Ausgleich („Sekundärverteilung“) wenigstens ein wenig zu korrigieren. Sie versuchte also im Grundsatz, die soziale Ungleichheit „etwas gleicher“ zu machen. Das Ziel einer umfassenden Umverteilung sucht man im Bremer Entwurf allerdings vergeblich, vielmehr einen Bezug auf das Grundgesetz:

„Die Leistung eines jeden Menschen muss anerkannt und respektiert werden. Wer durch Einkommen und Vermögen Vorteile genießt, muss angemessen zum Wohl der Gesellschaft beitragen: Eigentum verpflichtet“

Auch hier kann wieder die Frage gestellt werden, was „angemessen“ bedeuten soll. Um wirkliche Verteilungsgerechtigkeit, und damit mehr Gleichheit in der Einkommens- und Vermögensverteilung zu erreichen, bedarf es deshalb größeren Anstrengungen. Ein Grundsatz, der auch für die skandinavischen Länder galt und gilt, die ja nicht selten als Beispiel moderner sozialdemokratischer Politik herangeführt werden. Wer also diesen Weg (den skandinavischen) gehen möchte, muss ihn auch ehrlich konsequent beschreiten. Das bedeutet in erster Linie eine Stärkung des Staates und seiner Einnahmen. Darüber hinaus aber auch ein Staatsverständnis, welches sich nicht nur auf Chancengleichheit und ein „Auffangnetz“ im Notfall beschränkt, sondern den Staat als handelnden Akteur und Partner für Wirtschaft und Gesellschaft begreift.