I1: Weiterentwicklung der Teilhabe behinderter Menschen (2009)

Aus Beschlussdatenbank der SPD Schleswig-Holstein
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Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Elmshorn 2009
Bezeichnung: I1
Antragsteller: Landesvorstand


Beschluss: Angenommen


„Eine solidarische Bürgergesellschaft zeichnet sich auch dadurch aus, dass sie Menschen mit Behinderungen Chancengleichheit und gleichberechtigte Teilhabe ermöglicht. Auf dem Weg dahin ist noch viel zu tun, damit Barrierefreiheit erreicht wird, also Menschen mit Behinderungen Zugang zu bestmöglicher Bildung, existenzsichernder Erwerbsarbeit und ungehinderter Teilhabe am politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Leben ermöglicht werden. Wir wollen den Belangen von Menschen mit Behinderungen gerecht werden und ihnen eine umfassende gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen.“ [Hamburger Programm Seite 37]


Von Anfang an gemeinsam - Politik mit und für Menschen mit Teilhabebedarf

In unserer Gesellschaft werden Menschen mit und ohne Behinderungen von Geburt an noch zu oft getrennt. Dies gilt zum Beispiel für den, Kindergarten, Schulen und Förderschulen, die duale Berufsausbildung und die im Berufsbildungswerk, und den allgemeinen Arbeitsmarkt sowie die Werkstatt für behinderte Menschen. Auch im Privatleben setzt sich die Trennung bis ins Alter fort. Die einen wohnen in eigenen bzw. gemieteten Wohnungen oder Häusern, die anderen leben in gewerbsmäßig organisierten Heimen, vor allem, wenn sie pflegebedürftig sind.

Die finanziellen und organisatorischen Aufwendungen für die Sondereinrichtungen sind hoch und bauen häufig neue Barrieren auf. So besuchen nur rund 13 Prozent der behinderten Kinder eine integrative Klasse. Kinder an Förderschulen erreichen zu fast 80 Prozent nicht einmal den Hauptschulabschluss. Sie haben es damit besonders schwer, anschließend in Ausbildung und Beruf auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.

Es gibt auch integrative Kindergärten, integrative Schulen, verzahnte Berufsausbildung, Integrationsbetriebe, bezuschusste und unterstützte Beschäftigung, ambulante Wohngruppen und gemischte Senioreneinrichtungen. Doch wir brauchen grundlegende Änderungen. Inklusion ist unsere Richtschnur.


Inklusion aller Menschen

Alle Menschen sind verschieden. Das macht den Reichtum unserer Gesellschaft aus! Menschen mit Behinderung sind nicht krank. Behindert ist man nicht, behindert wird man – und zwar durch Bedingungen, von denen viele veränderbar sind. Zentrale Aufgabe eines demokratischen Sozialstaates ist es, Nachteile auszugleichen und Chancengleichheit für alle zu organisieren und Barrieren abzubauen. Allen muss die volle Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und Arbeitsleben möglich sein. Die Politik muss Rahmenbedingungen schaffen, die allen Menschen in allen gesellschaftlichen Bereichen von Anfang an gemeinsames Leben ermöglichen und niemand ausgegrenzt wird. Wir müssen auch lernen die Menschen mit Behinderungen zu achten und ihren Wunsch, ihre eigene Kultur zu leben, etwa durch Kommunikation in Gebärdensprache, zu respektieren.


Von Anfang an gemeinsam

Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen hat für die Herstellung gleicher Lebenschancen behinderter Menschen weltweit neue Impulse gegeben. Hier knüpfen wir an. Die rechtliche Neuausrichtung der Behindertenpolitik in Deutschland durch das Sozialgesetzbuch IX im Jahr 2001 und das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) von 2002 und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz von 2006 von der umfassenden staatlichen Fürsorge hin zu mehr Selbstbestimmung und Teilhabe behinderter Menschen am Leben in der Gesellschaft war ein erster wichtiger Schritt. Jetzt muss der nächste, entscheidende Schritt kommen - die Umsetzung in der Lebenswirklichkeit. Behinderte Menschen müssen in allen Lebensbereichen selbstverständlicher Teil unserer Gesellschaft werden – und zwar so, wie sie es wollen. Dazu müssen sie das Wunsch- und Wahlrecht für ein Leben auch außerhalb von Sondereinrichtungen tatsächlich nutzen können. Ein barrierefreies Lebensumfeld und mehr ambulante Wohnmöglichkeiten sowie Dienste für Wohnen und Arbeiten sind erforderlich. Umsetzungsdefizite des SGB IX und BGG sind auszugleichen und das Recht ist weiterzuentwickeln und zu modernisieren. Dabei greifen wir die internationalen und europäischen Impulse auf. Der Aktionsplan des Europarats (2006-2015) zur Förderung der Rechte und vollen Teilhabe behinderter Menschen an der Gesellschaft wird in unsere Politik eingehen. Auf die von der EU-Kommission vorgeschlagene Richtlinie zur Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung werden wir - basierend auf unseren sozialdemokratischen Positionen - Einfluss nehmen und sie nach Verabschiedung in Bund und Ländern umsetzen.

Die gesellschaftliche Trennung in nichtbehinderte und behinderte Menschen entspricht nicht unserem Bild einer humanen, solidarischen Gesellschaft. Vielmehr sollten alle Kinder bereits von der frühkindlichen Förderung, dem Kindergarten und der Schule an gemeinsam leben und lernen. Sie alle benötigen individuelle Förderung – jedes Kind ist verschieden. Ebenso müssen die Voraussetzungen in Berufsausbildung, Studium und Erwerbsleben geschaffen werden, damit Menschen mit und ohne Behinderungen keine Barrieren für ihre Teilhabe am Leben der Gesellschaft vorfinden.

Aufgrund der über Jahrzehnte gewachsenen Strukturen in Deutschland wird die Umsetzung dieses Leitbildes in die Alltagsrealität längere Zeit benötigen. Wir wollen jetzt aber damit anfangen und auch widersprüchliche Orientierungen und Anreizsysteme abschaffen und ändern, damit dieses Ziel so bald als möglich verwirklicht werden kann. Ermutigend ist hierbei der mit der Leitorientierung Inklusion ausgelöste Änderungsprozess in Schleswig-Holstein mit der gleichberechtigten Einbeziehung behinderter Menschen in die Gesellschaft.

Politik für behinderte Menschen mit Teilhabebedarf ist eine Querschnittsaufgabe, die zum Selbstverständnis sozialdemokratischer Politik gehört. Dies bedeutet, dass die Anliegen dieser Menschen müssen konsequent in allen Politikfeldern mitgedacht werden.


Für die Kindheit gilt:

Eine inklusive Bildungspolitik ist in Schleswig-Holstein bereits weiter entwickelt als in vielen anderen Bundesländern. Wir schaffen nun die Voraussetzungen für eine inklusive Bildung für alle von der Frühförderung im Baby- und Kleinkindalter über den Kindergarten bis zum Hochschulstudium – barrierefrei und inklusiv in allen Phasen.

  • Die Zukunft gehört inklusiven Kindergärten; alle Kinder sollen im nächstgelegenen Kindergarten ihres Wohnortes entsprechend ihrer Anlagen, Fähigkeiten und Kompetenzen unabhängig vom Ausmaß einer möglichen Beeinträchtigung das Höchstmaß an Förderung erhalten. Dafür sind die Voraussetzungen zu schaffen. Im gemeinsamen Alltag können Kinder mit und ohne Behinderungen das Leben und den Umgang miteinander lernen und dies damit zur Selbstverständlichkeit werden lassen.
  • In der Schule wollen wir gemeinsames Lernen von Beginn an. So können im Unterricht und im Schulleben behinderte und nichtbehinderte Kinder ihre individuellen Fähigkeiten entwickeln, können Lebenserfahrungen austauschen und das selbstverständliche Zusammenleben lernen. Das prägt fürs Leben.
  • Für die Berufsausbildung stehen sowohl Ausbildungsplätze in der Wirtschaft, wie in außerbetrieblichen Ausbildungszentren oder bei den Berufsbildungswerken zur Verfügung. Aufbauend auf den guten Erfahrungen der Modellprojekte zur verzahnten Berufsausbildung wollen wir auch hier mehr gemeinsame Ausbildungsphasen aller Jugendlichen organisieren. Ziel ist die gemeinsame Berufsausbildung mit gezielter Hilfe und Förderung für alle. Gleiches gilt für die Hochschulausbildung. Wer für Schule und Hochschule Hilfsmittel braucht, soll dazu in Zukunft nicht mehr auf Sozialhilfe angewiesen sein.