I2: Internationale Friedenspolitik (2002)

Aus Beschlussdatenbank der SPD Schleswig-Holstein
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Kiel 2002
Bezeichnung: I2
Antragsteller: Kreisverband Storman


Beschluss: Angenommen und Überwiesen an Bundesparteitag, Landesvorstand

(Beschluss: Beschluss: Annahme – Weiterleitung an den Bundesparteitag und Überweisung an den Landesvorstand mit Auftrag, eine innerparteiliche Diskussion zu initiieren.)


Zur Situation der SPD nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 und dem Bundesparteitag in Nürnberg


1. Die Rolle Deutschlands in einer internationalen Friedenspolitik

Die größte Bedrohung für eine friedliche Welt sind nämlich Armut, Naturzerstörung sowie das Gefühl von Ohnmacht und Perspektivlosigkeit. Von daher ist ein breites Reformbündnis zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern sowie der Akteure der Zivilgesellschaften für einen globalen New Deal notwendig.

Forum Demokratische Linke 21

‘Gegen die Privatisierung der Welt - Für die Stärkung der Demokratie’

  • In der Folge dieser Erkenntnis meinen wir, dass eine sozialdemokratische Politik soziale, ökonomische und ökologischen Ursachen in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen zur Abwehr terroristischer Gefahren stellen muss.
  • Im Zusammenhang hiermit sind an erster Stelle, einhergehend mit tief greifenden Reformen der Weltwirtschaft, eine Stärkung der Vereinten Nationen, eine Weltordnungspolitik (global governance), die Fortentwicklung der Europäischen Union zu einem demokratischen Bundesstaat und die Sicherung und Stärkung einer internationalen Rechtsordnung mit einem internationalen Gewaltmonopol zu nennen.
  • Wir anerkennen das Recht eines jeden Staates, sich gegen Angriffe auf sein Territorium und seine Bürger zu verteidigen. Internationaler Terror und Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden nicht geduldet. Sozialdemokratische Politik unterstützt internationale polizeiliche, ggf. militärische Maßnahmen dagegen.
  • Alle Gewaltanwendung muss völkerrechtlich legitimiert sein und kontrolliert werden, i.d.R. durch die UNO, darf sich nur gegen verbrecherische Gewalt richten und muss angemessen ausgeübt werden. Insbesondere müssen dabei die Opfer der verbrecherischen Gewalt sowie unbeteiligte Dritte geschützt werden.
  • Unilaterale Kriegseinsätze sind als Mittel gegen den internationalen Terrorismus ungeeignet. Sie sind nicht nur nicht geeignet, die Urheber gewalttätiger Terrorakte gefangen zu nehmen und ihre Stützpunkte auszuschalten, sie laufen allen Bemühungen für ein friedliches Miteinander der Völker zuwider, da sie die Spirale der Gewalt nur mehr weiterdrehen.
  • Wir fordern Bundesregierung und Bundestag auf, sich an nicht von der UNO legitimierten Militäroperationen im Kampf gegen den Terror – z. B. gegen den Irak oder gegen Somalia – nicht zu beteiligen. Wir lehnen jeden Waffenexport in Länder, die nicht der NATO angehören, ab.
  • Es ist ein internationaler Gerichtshof zu schaffen, die USA müssen dazu gedrängt werden, diesen anzuerkennen. Wir erwarten von den USA die Bereitschaft zum Abschluss internationaler Übereinkommen zum Verbot von chemischen und biologischen Waffen und zur Kontrolle der Umsetzung solcher Verträge. Wir lehnen das von den USA geplante Raketenabwehrsystem ab.
  • Zu einer Stärkung weltstaatlicher Institutionen gehört, dass alle Regionen dieser Welt in ihnen gleichberechtigt vertreten sind, dass in Einrichtungen wie Weltbank und Internationaler Währungsfond ein fairer Nord-Süd-Ausgleich gilt. Es müssen international anerkannte, demokratisch gebildete, politische Steuerungsmechanismen geschaffen werden, um die Weltwirtschaftsordnung neu zu gestalten. Politik muss wieder über die Grenzen hinweg ein starkes und wirksames Instrument sein, um die Zukunft nicht allein den Gesetzen von Markt und Kapital zu überlassen. Nur wenn soziale und ökologische Gesichtspunkte stärker berücksichtigt werden, können Verteilungskämpfe und weiter sich ausbreitende Armut und Verelendung vermieden werden. Zu den unabdingbaren Voraussetzungen für ein dauerhaftes friedliches Miteinander gehören politische Teilhabe, Bewahrung der verschiedenen kulturellen Identitäten, die gerechte Chance auf wirtschaftlichen Erfolg und ein Mindestmaß an sozialer Sicherheit.
  • Wir fordern, sich wieder mehr den Fragen der Armutsbekämpfung, und der Notwendigkeit einer starken Entwicklungspolitik als friedens- und sicherheitspolitischem Ansatz für eine sichere Zukunftsgestaltung zuzuwenden. Es wird zu viel Wert auf militärische und sicherheitspolitische Aspekte gelegt. Wir glauben, dass die Partei, wenn sie ihrer Verantwortung für die Zukunft gerecht werden will, wieder mehr die Fragen der Gerechtigkeit und Solidarität in den Vordergrund rücken muss. Wir meinen, dass Deutschlands zukünftige Rolle in der Welt angesichts unserer Geschichte im 20. Jahrhundert vielmehr die ‘soziale, ökologische und europäische Gestaltung der Globalisierung’ (Michael Müller), als die der militärischen Kraftentfaltung sein sollte. Wir halten für dringlich, dass den zivilen Maßnahmen zur Friedenssicherung eine deutlich höhere Priorität eingeräumt wird und dass neue zivilgesellschaftliche Instrumente wie der Zivile Friedensdienst weiter ausgebaut und finanziell erheblich stärker ausgestattet werden als bisher.


2. Die gesetzlichen Bestimmungen zur inneren Sicherheit

Die Sicherheitspolitik der SPD muss folgenden Grundsätzen genügen:

  • Unser demokratischer Staat ist und bleibt auf den Schutz der Menschenrechte und der Freiheitsrechte unseres Grundgesetzes verpflichtet. Das gilt jedoch auch für jeden Bürger. Wenn Einzelne oder Gruppen den Rechtsstaat beschädigen, verwirken sie den Schutz des Staates. Dieser ist dann zum Schutz der anderen Bürger zu Gegenmaßnahmen verpflichtet.
  • Die Internationalisierung des Verbrechens und des Terrors sowie die anschwellenden Migrationströme machen es verstärkt notwendig, drohende schwere Rechtsverletzungen frühzeitig zu erkennen und möglichst zu verhindern sowie begangene Verletzungen wirksam zu ahnden. Dafür können Eingriffe z.B. in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das Einwanderungs- und Aufenthaltsrecht erforderlich werden.
  • Solche Einschränkungen der Freiheitsrechte müssen jedoch auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt werden. Jede Einschränkung muss der Freiheit mehr nutzen als schaden. Und die Anwendung der Einschränkungen muss ständig und wirksam kontrolliert werden.

Auf diesem Hintergrund kritisieren wir an den verabschiedeten Gesetzesänderungen (Sicherheitspaket 2):

  • Es ist fraglich, ob die im Gesetzespaket beschlossenen Maßnahmen geeignet sind, künftige Anschläge wie die Attentate von New York und Washington zu verhindern.
  • Ohne eine solche Rechtfertigung werden dagegen durch die verabschiedeten Maßnahmen Grund- und Freiheitsrechte sowohl deutscher als auch nichtdeutscher Bürger eingeschränkt.
  • Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik bekommt der Verfassungsschutz polizeiähnliche Exekutivbefugnisse. Die aus gutem Grund seit der Zeit des Nationalsozialismus geltende Trennung zwischen Polizei und Geheimdiensten wird weiter aufgeweicht. Die Terroranschläge und deren Vorgeschichte müssen vielmehr zum Anlass genommen werden, das Wirken der Geheimdienste sehr kritisch zu überprüfen.
  • Durch die Einführung des §129b StGB wird die Möglichkeit eröffnet, die Mitgliedschaft und Unterstützung terroristischer Gruppierungen auch dann strafrechtlich zu verfolgen, wenn diese nicht über eine entsprechende Struktur in Deutschland verfügt. Die Definition solcher Begriffe wie “Unterstützung des internationalen Terrorismus“, und die Abgrenzung von “Terroristen“ und “Freiheitskämpfern“ ist problematisch und oftmals fragwürdig resp. willkürlich.
  • Zwar ist die nunmehr vorgesehene Befristung der Gesetzesvorhaben auf fünf Jahre mit dann erfolgender Überprüfung eine zumindest formale Verbesserung. Nicht vergessen werden darf jedoch, dass die neu geschaffenen Strukturen mit Sicherheit ein großes Interesse haben werden, “Erfolge“ vorzuweisen. Einmal festgelegte Überwachungsmaßnahmen werden erfahrungsgemäß nur im Ausnahmefall wieder aufgehoben. Auch wird die festgelegte unabhängige wissenschaftliche Überprüfung der vorgeschlagenen Maßnahmen infolge der strukturellen Beteiligung der Geheimdienste faktisch erschwert.


3. Die politische Verfahrensweise der SPD in der Bundesregierung

  • Die Politik der Bundesregierung nach den Terroranschlägen des 11. September hat unter den Mitgliedern der SPD starke, zum Teil leidenschaftliche und sehr unterschiedliche Reaktionen bis hin zu Austritten ausgelöst. Das war bei der ethischen Fundierung vieler Mitglieder, vor allem im Pazifismus, auch nicht anders zu erwarten.
  • Aber auch die Meinungen der jeweils anders Denkenden werden in der SPD stets respektiert und ernst genommen. Daher wird anerkannt, dass eine Partei in der Regierungsverantwortung vielfältige Bezüge und Zusammenhänge beachten muss.
  • Es wird auch anerkannt, dass eine Regierung unter Umständen zügig handeln muss. Eine solche Notwendigkeit ergab sich bei der Entscheidung für unsere Teilnahme an der sog. Allianz für den Frieden nach den Anschlägen vom 11. September. Aber dann muss die Regierung ihr Handeln hinterher verantworten, auch gegenüber den Mitgliedern der eigenen Partei. Und sie muss die eventuelle Kritik in ihr künftiges Handeln einbeziehen.
  • Die Verpflichtung auf eine “uneingeschränkte Solidarität“ war verfrüht und missverständlich und, wie sich zeigte, auch nicht zu halten. Einsame Entschlüsse sollten nicht zu vollmundig ausfallen, sonst verlieren die Entscheider ihre Basis.
  • Besondere Probleme bereitet die Verknüpfung der Entscheidung über den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan mit der Vertrauensfrage im Deutschen Bundestag. Das mag im Einzelfall zum Erhalt der Regierungsverantwortung hingenommen werden. Eine Wiederholung würde aber das Vertrauen der Basis erschüttern. Die Regierung muss sich bei der Formulierung ihrer Politik der Zustimmung der Fraktion auch ohne Pressionen versichern.
  • So tief greifende Entscheidungen wie die deutsche Beteiligung an Kriegseinsätzen oder auch die Verschärfung der Sicherheitsgesetze sollen zukünftig wieder ausführlich und offen sowohl im Bundestag als auch auf dem Bundesparteitag diskutiert werden. Es muss möglich sein, solche Fragen gut vorbereitet und kontrovers zu debattieren.