L1: Sozialdemokratie als Motor im Ostseeraum - Von der Ostseekooperation zur Ostseepolitik (2001): Unterschied zwischen den Versionen

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|Kategorien    =Europa, EU, Europäische Union, Ostseekooperation
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Aktuelle Version vom 28. Juni 2013, 18:15 Uhr

Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Lübeck 2001
Bezeichnung: Leitantrag L1
Antragsteller: Landesvorstand


Beschluss: Angenommen und Überwiesen an Landtagsfraktion, Bundestagsfraktion

I.

Im neuen Europa ist Schleswig-Holstein ökonomisch und geopolitisch in die Mitte gerückt. Wir sind eine europäische Region mit besonderen Chancen der Verbindung zu den nordischen Staaten und zu den östlichen Anrainern. Deshalb wollen und werden wir Wegbereiter von Vereinbarungen und Verbindungen mit unseren Freunden in Dänemark, in Norwegen, in Schweden,in Finnland, den baltischen Staaten und Polen sein und uns in besonderem Maße für eine zügige Integration der russischen Regionen an der Ostsee einsetzen. "Das Mare Balticum, die Ostsee, als Region einer aufblühenden wirtschaftlichen und kulturellen Begegnung - das ist eine unserer großen Visionen. Unser Land Schleswig-Holstein steht als Partner dafür bereit."(Björn Engholm, Regierungserklärung 1988).

Die Idee der Zusammenarbeit im Ostseeraum als Region mit eigener Identität hat sich seitdem durchgesetzt und etabliert: Ostseekooperation steht heute auf den politischen Tagesordnungen der EU, der nationalen Regierungen, zahlreicher lokaler und regionaler Gebietskörperschaften und Nicht-Regierungsorganisationen; aus der 1988 in Schleswig-Holstein entwickelten Vision ist ein vielfältiges Netz praktischer Zusammenarbeit geworden,der Binnenhandel im Ostseeraum ist enorm gewachsen.Ostseekooperation gilt heute als beispielhaftes Modell regionaler Eigeninitiative in einem zusammenwachsenden Europa, das künftig stärker als bisher auf die eigenen Entwicklungskräfte seiner Regionen setzen muss.

Die Ostseekooperation fußt auf gemeinsamen kulturellen Wurzeln. Sie ist schon heute eine faszinierende Erfolgsgeschichte: Wo vor knapp 60 Jahren Krieg und Zerstörung herrschten und noch vor zehn Jahren verfeindete Blöcke aufeinander stießen, hat sich in heute ein Klima des Vertrauens, der Zusammenarbeit und Verständigung entwickelt. Heute trennt die Ostsee nicht mehr, sondern ist zu einer Identitätsstifterin geworden, einem Meer, das auch kulturell verbindet. Die SPD Schleswig-Holstein und die von ihr geführten Landesregierungen haben an dieser Entwicklung einen wesentlichen Anteil und sehen sich auch in Zukunft als aktiven Partner einer sich entwickelnden Wachstumsregion Ostsee.


II.

Grundlage dieses Erfolges ist die zunehmende Besinnung auf das gemeinsame Potential dieser Region: die Gemeinsamkeiten in Kultur und Geschichte, die den Ostseeanrainern das Gefühl der Zusammengehörigkeit geben; der gemeinsame Markt mit mehr als 50 Millionen Menschen. Handel und Verkehr sind auf Wachstumskurs.Der Handel Deutschlands mit den Ostseeanrainern hat mittlerweile fast den Umfang des Handels mit den USA und Japan erreicht. Polen und die baltischen Staaten haben sich gesellschaftlich, politisch und wirtschaftlich gewaltig entwickelt und sind auf dem Weg in die EU. Mit den russischen Regionen an der Ostsee gibt es inzwischen Kooperationen bis hin zu offiziellen und gesellschaftlichen Partnerschaften. Hier haben wir die einmalige Chance, eine Zukunftsregion mit zu gestalten und gleichzeitig junge Demokratien in ihrem Aufbau zu unterstützen. Auch das Nachbarland Polens,Litauens und Russlands ohne direkten Zugang zur Ostsee,die Republik Belarus, gehört in diese Zusammenarbeit hinein, wenn wir eine friedliche und stabile europäische Region rund um die Ostsee errichten wollen.Ohne Zweifel gehört der Ostseeraum zu den Zukunftsregionen Europas. Dies gilt in besonderem Maße auch für unsere Sozialdemokratische Partei als "Partei der Internationalen Solidarität" im Sinne Willy Brandts, die eine ihrer vorrangigen Aufgaben darin sieht, die Zusammenarbeit mit ihren Schwesterparteien im nordischen Raum zu vertiefen und in den neuen Demokratien zu unterstützen, um eine starke Sozialdemokratie im Ostseeraum zu schaffen. Deren Schwerpunkte liegen — neben dem Aufbau demokratischer Strukturen — in der Aus- und Fortbildung über Grenzen hinweg, im Aufbau der Wirtschaft als sozialer Marktwirtschaft und der Nutzung der vorhandenen Kapazitäten zum Wohle der gesamten Region.


III.

Trotz bereits erzielter Erfolge bleiben noch genügend Aufgaben für die an der Ostseekooperation beteiligten Staaten und Regierungen:

  • Das 1996 in Kalmar beschlossene gemeinsame Aktionsprogramm des Ostseerats kommt nur schleppend voran.
  • Gemeinsame Osteepolitik findet in Brüssel noch zu wenig statt. Hier gilt es, das Bewusstsein für die Bedeutung des Ostseeraumes zu stärken.
  • In Brüssel hat das große Thema der Ost-Erweiterung der EU die Verwirklichung der ostseepolitisch bedeutenden EU-Vorhaben der "Nördlichen Dimension" und der Nachbarschafts-/Partnerschafts-Strategie mit Russland verdrängt.


Die politische und wirtschaftliche Bedeutung des Ostseeraums in Deutschland wird immer noch unterschätzt. Insgesamt bedarf es besserer,zielgerichteter Abstimmung in und für die Ostseeregion. Dazu zählen:

  • In der nordischen Staatenfamilie gibt es auch kritische bis ablehnende europapolitische Haltungen einiger Partner, die den Einfluss des Nordens in Brüssel beeinträchtigten.
  • In den baltischen Staaten und in Warschau wird Ostsee-Kooperation häufig vor allem als Mittel zum EU- und NATO-Beitritt missverstanden.
  • Und Russland befindet sich immer noch in einer Phase der politischen Orientierung; dies gilt auch für seine Haltung zur EU. Gerade deshalb ist die verstärkte Einbeziehung der russischen Anrainerregionen in die Ostseekooperation besonders wichtig und bietet eine gute Chance der Unterstützung einer friedlichen Zusammenarbeit und eines friedlichen Zusammenlebens.


IV.

Die Osterweiterung der EU ist eine große Chance für ganz Europa. Sie birgt aber auch Risiken: Die Interessen werden vielfältiger. Die Konkurrenz wird größer, und neue regionale Entwicklungszentren werden entstehen; die Entscheidungsverfahren werden komplizierter. Doch kommt auch neues, gemeinsames hinzu. Die Europäische Union wird in den nächsten 20Jahren ihren Charakter und ihre Struktur stärker verändern als in den 20 Jahren zuvor.

In dieser historischen Situation gilt es, durch das Setzen von Prioritäten und gemeinsamen Zielen die Ostseekooperation ständig fortzuentwickeln und zu vertiefen. Wir müssen den Schritt von der Ostseekooperation zu einer gemeinsamen Ostseepolitikwagen.


V.

Ostseepolitik wird in einer erweiterten EU immer wichtiger: Je größer die EU wird, desto nötiger ist eine gemeinsame Entwicklungspolitik der Ostseeanrainer für die Region und ihr gemeinsames Auftreten in Brüssel. Nur so kann sie im Wettbewerb mit anderen Großregionen in Europa bestehen. Die Alternative heißt:entweder behauptet sich der Nord-Osten Europas gemeinsam in der größeren EU, oder er wird politisch und ökonomisch an den Rand gedrängt werden. Diese Richtungsentscheidung hat auch für Schleswig-Holstein Konsequenzen: wenn die Ostseeregion als Ganzes voran kommt, wird auch unser Land besser vorankommen.


VI.

Die Wachstums- und Zukunftsregion Ostsee birgt hervorragende Chancen im Europa von Morgen. Sie muss diese Chancen allerdings auch aktiv nutzen. Dabei kann der Ostseerat eine führende Rolle übernehmen.

Es gibt große Aufgaben für die Zukunft:

  • Wir wollen das Konzept des Europa der Regionen aktiv umsetzen und damit die Wettbewerbsfähigkeit der Ostseeregion im größeren Europa weiter entwickeln. Damit leisten wir zugleich einen Beitrag zum Erfolg der EU-Erweiterung im Ostseeraum. In den vom Ostseerat 1996 in Kalmar beschlossenen Aktionsprogrammen, (Förderung menschlicher Begegnungen und Sicherheit der Bürger, wirtschaftliche Entwicklung und Integration, Schutz der Umwelt und ökologische Erneuerung) sind alle wichtigen Forderungen für die Entwicklung der Ostseeregion enthalten. Dies gilt es, Schritt für Schritt, unter Einbeziehung aller Akteure, zu verwirklichen.
  • Ostseepolitik ist eine gesamteuropäische Aufgabe, die zum Erfolg der beiden großen EU-Projekte beiträgt, die für die Region von Bedeutung sind: Die Initiative für eine "Nördliche Dimension" der Politik der Europäischen Union, die die gesamte Region - unter Einschluss der russischen Ostseeregionen und der Barentsee-Region - als integralen Bestandteil der EU-Politik betrachtet. Die "Russland-Strategie" des Kölner EU-Gipfels als Testfall für die neue GASP. In diesem Zusammenhang befürworten wir eine Gemeinschaftsaktion der Ostseeanlieger für Kaliningrad/Königsberg mit dem Ziel, diese russische Enklave zum Beispiel für gute Nachbarschaft mit Russland zu machen. Wir begrüßen dabei die Absicht der russischen Regierung, den Oblast Kaliningrad/Königsberg zu einen Pilotprojekt zu machen.
  • Wir wollen die gemeinsame Interessenvertretung der Ostseepartner in Brüssel stärken.
  • Unterstützung der EU-Mitgliedschaft sowohl Polens und Estlands als auch Lettlands und Litauens ;
  • Unterstützung des Aufbaus in den neuen Staaten an der Ostsee. Hier werden in den nächsten Jahren die Weichen für den Aufbau demokratischer Strukturen in allen Bereichen gelegt, von der sozialen Marktwirtschaft bis zur Gerichtsorganisation. An einer positiven Entwicklung auf diesen Gebieten müssen wir in ganz Europa Interesse haben.
  • forcierte Entwicklung der Transeuropäischen Netze in den Bereichen Verkehr, Energie und Kommunikation im Ostseeraum; * den zielgerichteten Einsatz der im Ostseeraum verfügbaren EU-Förderprogramme.
  • Wir wollen mit den Staaten rund um die Ostsee darüber sprechen, ob wir die Ostsee-Parlamentarierkonferenz (Baltic Sea Parliamentary Conference) zu einer Parlamentarischen Versammlung entwickeln. Fernziel könnte ein Parlament der Ostsee-Anrainer-Staaten sein. Dies würde auch die Akzeptanz gegenüber den Regierungen der Mitgliedstaaten im Sinne der Stärkung des Parlamentarismus erhöhen und die regionale Identitätsfindung vorantreiben.
  • Wir wollen die gemeinsame Identität des Ostseeraums durch kulturelle Kooperation voranbringen.
  • Wir wollen für Fragen der gemeinsamen Sicherheit im Ostseeraum einen "Runden Tisch" im Rahmen der OSZE.
  • Wir wollen die Umsetzung des BALTIC-21-Prozesses forcieren, um zu einer nachhaltigen Entwicklung im Ostseeraum und zur Lösung von Umweltproblemen beizutragen. Dazu werden wir ein Arbeitsgremium ins Leben rufen, das sich unter anderem um die Realisierung konkreter Projekte bemüht.
  • Wir fordern die Gründung einer Ostsee-Jugendstiftung, um den Austausch von Jugendlichen und die Zusammenarbeit von Jugendorganisationen zu verbessern und auszuweiten. Dabei kann an die bisherigen Aktivitäten des Baltic-Sea-Youth-Sekretariats in Kiel angeknüpft werden. Da in diese Konzeption auch die Bundesregierung eingebunden ist, fordern wir den Landesvorstand auf, sich mit der SPD-Bundestagsfraktion über das weitere Vorgehen zu verständigen.
  • Wir unterstützen die Herausbildung und Weiterentwicklung der Zivilgesellschaften im Ostseeraum. Insbesondere die Verwirklichung der Menschen- und Minderheitenrechte gehört auf die politische Tagesordnung.
  • Wir werden das langjährige ostseepolitische Engagement der SPD-geführten Landesregierung fortsetzen und konstruktiv begleiten. Die Ostseepolitik braucht den Motor Schleswig-Holsteins, und das Land muss sich für den Wettbewerb in der Ostseeregion weiter fit machen. Das gilt für die großen Verkehrsprojekte wie die A20 und die Fehmarn-Belt-Querung, für die grenzüberschreitende Vernetzung der Hochschulen, die Europäisierung von Bildung und Ausbildung. Dies gilt auch für die Kulturprojekte "Ars Baltica" und "Jazz Baltica".
  • Die bisher sehr erfolgreiche Kooperation der Partner aus Südschweden, Dänemark und Schleswig-Holstein im Projekt der "südlichen Ostsee" (STRING) wollen wir fortsetzen und vertiefen. Dieses Projekt muss auch unser Grenzland einbeziehen und bietet damit für Schleswig-Holstein und seine Nachbarn eine große regionale Chance.


VII.

Die SPD Schleswig-Holstein wird den Dialog mit ihren Schwesterparteien im Ostseeraum führen mit den Zielen:

  • den Kerngedanken gemeinsamer Zusammenarbeit und Regionsbildung als Voraussetzung für das Gewicht der Ostseeregion in größeren Europa weiter zu verankern und zu vertiefen;
  • die Durchsetzungsfähigkeit Nord-Osteuropas durch eine intensivere gemeinsame Willensbildung auf Parteiebene zu verbessern;
  • eine gemeinsame Positionsbestimmung in der Europäischen Sozialdemokratie aus der Sicht Nord-Osteuropas zu erarbeiten;
  • den Aufbau und die Stärkung sozialdemokratischer Parteien in den jungen Demokratien im Ostseeraum zu fördern. Zu diesem Zweck unterstützen wir insbesondere konkrete Partnerschaften zwischen sozialdemokratischen Ortsvereinen und Kreisverbänden
  • die Kontakte und den Diskurs der Parteigliederungen innerhalb der Ostsee-Region über gemeinsam interessierende Themen wiederzubeleben, den Erfahrungsaustausch und gemeinsame Aktivitäten zu organisieren;
  • die bestehenden Kontakte von Parteigliederungen, Gewerkschaften und einzelnen Genossinnen und Genossen zur nordischen Sozialdemokratie in Schleswig- Holstein zu vernetzen.

Ostseekooperation braucht als starken Motor das Engagement und die Zusammenarbeit der sozialdemokratischen Parteien rund um die Ostsee.


VIII.

Die politische Union Europa ist nicht nur Kern und Garant künftiger Stabilität auf dem Kontinent, sondern auch die europäische Antwort auf die Globalisierung und auf die Frage nach der künftigen geistigen und politischen Identität der europäischen Völker und Staaten. In die Beantwortung dieser Frage muss sich die europäische Sozialdemokratie aktiv einbringen.

Die Prinzipien der Aufklärung, die Tradition des Sozialstaates, die Achtung der Menschenrechte, die Gleichstellung der Geschlechter, die Bereitschaft zu ökologischer Verantwortung und internationaler Solidarität ist — vor allem im Norden - in Europa stärker ausgeprägt als in anderen Teilen der Welt.Europa ist für Sozialdemokraten nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft, sondern vor allem eine politische und kulturelle Wertegemeinschaft. Die Seele Europas ist die soziale Demokratie.

Ziel eines verstärkten ostseepolitischen Engagements des Landesvorstandes ist es, im Dialog mit den sozialdemokratischen Schwesterparteien rund um die Ostsee Antworten auf gemeinsame Fragen zu suchen. Es gibt gute Gründe, das Projekt der Sozialen Demokratie fortzuentwickeln, insbesondere auch im Zusammenhang mit der beginnenden Grundsatzprogramm-Diskussion in der SPD- dazu können und wollen wir mit unseren besonderen Erfahrungen einen Beitrag leisten.