L1 Neu: Schleswig-Holstein für Zukunftsaufgaben handlungsfähig erhalten (2006)

Aus Beschlussdatenbank der SPD Schleswig-Holstein
Version vom 17. Juni 2014, 13:51 Uhr von Julia (Diskussion | Beiträge)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Kiel 2006
Bezeichnung: Leitantrag L1 Neu
Antragsteller: Landesvorstand und Kreisverband Rendsburg-Eckernförde


Beschluss: Angenommen


I.

  1. Der Landesparteitag bekräftigt das im Koalitionsvertrag formulierte Ziel der Haushaltskonsolidierung. Der Landesparteitag verkennt nicht die schwierige Finanzlage des Landes und der Kommunen. Er anerkennt die notwendigen Konsolidierungsbemühungen, mit dem Ziel, politische Entscheidungsspielräume zurück zu gewinnen, um Politik für die Zukunft gestalten zu können.
  2. Der Landesparteitag stimmt den im Entwurf der Landesregierung für den Doppelhaushalt 2007/2008 vorgeschlagenen Kürzungen (ab 2007 jährlich 120 Millionen Euro im Kommunalen Finanzausgleich, 100 Millionen Euro im Personalbereich und 80 Millionen Euro im übrigen Landeshaushalt) zur Senkung der Nettoneuverschuldung und zur Abwendung einer drohenden Haushaltsnotlage zu; hinsichtlich der Auswirkungen auf den kommunalen Finanzausgleich nur unter Berücksichtigung der nachfolgend aufgeführten Bedingungen.
    Der Landesparteitag stellt fest, dass die vorgesehenen Kürzungen bei den Einkommen der Beamtinnen und Beamten sowie beim Kommunalen Finanzausgleich – trotz des allgemeinen Haushaltsvorbehaltes – im Widerspruch zum Koalitionsvertrag stehen.
  3. Der Landesparteitag hält die geplante soziale Staffelung bei den Personalkostenkürzungen mit einer Familienkomponente für akzeptabel.
  4. Die SPD lehnt folgende vom CDU-Landesausschuss beschlossenen Ausgleichsmaßnahmen ab:
    - Die Absenkung der KITA-Standards
    - Die Einschränkung von Mitbestimmungsrechten
    - Die vollständige Streichung der Übernahme der Schülerbeförderungskosten
    - Substanzielle Veränderungen des Naturschutzes
    - Die Einschränkung der Beteiligungsrechte junger Menschen
    - Weitere Einschränkungen der kommunalen Gleichstellungsarbeit
    - Die Abschaffung des Berufsbildungs- und qualifizierungsgesetzes
    Eine Vollkompensation der Eingriffe in die kommunale Finanzausstattung ist unter Wahrung dieser und anderer zentralen Positionen der SPD nicht realisierbar.
  5. An den Steuermehreinnahmen, die den Kommunen durch die bevorstehenden Steuerrechtsänderungen des Bundes ab dem 1. Januar 2007 zusätzlich zukommen sollen (lt. Steuerschätzung rund 57 Mio. Euro), werden die Kommunen in einer Höhe von 40 Mio. Euro nicht beteiligt. Sollten die obigen Steuermehreinnahmen geringer als 40 Mio. Euro ausfallen, trägt das Land das Risiko.
  6. Der Landesparteitag stimmt der vom Innenminister vorgelegten Konkretisierung von Entlastungsmaßnahmen ab 2007 in Höhe von mindestens 50 Mio. € zu.
    Sollten mit Ablauf des Doppelhaushaltes 2007/ 2008 die Entlastungsmaßnahmen in einer Höhe von mindestens 100 Mio. € nicht erreicht worden sein, werden die KFA-Mittel im Doppelhaushalt 2009/ 2010 um den entsprechenden Fehlbetrag aufgestockt.
  7. Weitere Eingriffe in die kommunale Finanzausstattung in Höhe von 30 Mio. € dürfen nur bei finanziellem Ausgleich für die Kommunen erfolgen. Als Ausgleichsmaßnahmen kommen in Betracht:
    - Entlastung der Kommunen durch die unter Federführung des Finanzministeriums geleitete Aufgabenkritik,
    - Entlastung der Kommunen durch eine konsequente Verwaltungsstrukturreform,
    - Finanzielle Entlastung der Kommunen durch Umstrukturierungen des Schleswig-Holstein-Fonds und vorrangige Unterstützung kommunaler Projekte, die in Schleswig-Holstein Wachstum, Innovation und Beschäftigung fördern,
    - weitere Entlastungen durch laufende Gesetzgebungsverfahren des Landes: z.B. Senkung der Schulträgerkosten durch Optimierung der Schulstrukturen, Ermöglichung von Tagespflege auch in Kindertagesstätten und Flexibilisierung altersgemischter Gruppen im Rahmen des Ausbaus von Betreuungsmöglichkeiten für Kinder unter drei Jahren,
    - weitere Entlastungen auch durch Einwirkung auf Bundesrecht: z.B. Novellierung des Unterhaltsvorschussgesetzes, Vereinfachung der Verpflichtungen zur Jugendhilfestatistik, Vermeidung des Rückzugs des Bundes aus der Finanzierung des Katastrophenschutzes.
    Der Landesparteitag erwartet, dass auch der Koalitionspartner diese Maßnahmen, insbesondere eine konsequente Verwaltungsstrukturreform, gleichermaßen unterstützt.
  8. Die von der Landesregierung bereits beschlossenen und geplanten Maßnahmen zur Entlastung der kommunalen Haushalte (durch Aufgabenwegfall, konsequente Verwaltungsstrukturreform, Entbürokratisierung, landes- und bundesgesetzliche Regelungen) sind im Laufe des Haushaltsaufstellungsverfahrens unter Einbeziehung der kommunalen Landesverbände weiter zu konkretisieren und zu quantifizieren. Entscheidungen über Art und Höhe einer vorübergehenden Umschichtung von Mitteln aus dem Kommunalen Investitionsfond zur Aufstockung der Finanzausgleichsmasse sollen im Benehmen mit den Kommunen erfolgen.
  9. Vor Abschluss des Haushaltsaufstellungsverfahrens wird im Landesparteirat durch die SPD-Landtagsfraktion und die sozialdemokratischen Ministerinnen und Minister über die konkreten Maßnahmen zur Konsolidierung des Landeshaushaltes und zur Entlastung der kommunalen Haushalte berichtet. Dabei ist auch die unterschiedliche Be- und Entlastungswirkung für Gemeinden, Städte, Landkreise und kreisfreien Städte darzustellen und erste Vorschläge für den im Koalitionsvertrag beschlossenen einfachen, gerechten und aufgabebezogenen Finanzausgleich bei Wahrung der Ausgleichsfunktion zwischen strukturstarken und –schwachen Regionen zu machen.
    Eine Arbeitsgruppe bestehend aus Mitgliedern des Landesvorstands, des Landesparteirates, des Fraktionsvorstand, der Regierung und der SGK wird den Prozess bis zur Sitzung des Landesparteirats begleiten. Anfang 2008 ist erstmalig über die tatsächlich eingetretene Entlastungswirkung bis zum 31.12.2007 zu berichten.
  10. Wir werden sicherstellen, dass den Kommunen ab 2007 mehr Mittel zur Verfügung stehen als 2006.
  11. Der auf dem Landesparteitag am 16. April 2005 beschlossene Koalitionsvertrag bleibt Grundlage für die Arbeit der Großen Koalition. Der Landesparteitag lehnt deshalb u. a. folgende Vorstellungen der CDU ab:
    - weitere strukturelle Einschnitte im Personalbereich
    - Einführung von Studiengebühren
    - Einschränkung oder Abschaffung der Lehr- und Lernmittelfreiheit
    - Vollprivatisierung der Universitätsklinika und des Staatsforstes
    - Verlängerung der Restlaufzeit der Atomkraftwerke
  12. Der Landesparteitag fordert die Landesregierung auf, die im Koalitionsvertrag vereinbarten Initiativen für mehr Nachhaltigkeit in der Finanzpolitik zügig durch Bundesratsinitiativen umzusetzen (Ausnahmetatbestände, Finanzhilfen und steuerliche Subventionen zu verringern oder abzuschaffen und Mehreinnahmen zu generieren).
    Der Landesparteitag erwartet von der Landesregierung, dass sie nach weiteren eigenen Einsparmöglichkeiten sucht. Darüber ist der unter Ziffer 9 genannten Arbeitsgruppe zu berichten.

II.

Tragfähige und nachhaltig gesicherte öffentliche Finanzen sind Voraussetzung für eine freie, gerechte und solidarische Gesellschaft und für einen handlungsfähigen Staat. Tatsächlich erleben wir eine dramatische strukturelle Unterfinanzierung der öffentlichen Haushalte. Dies gilt nicht nur für den Bund. Elf von 16 Bundesländern haben 2005 keinen verfassungsmäßigen Haushalt beschlossen. Ebenso sind die kommunalen Haushalte unterfinanziert. Die nachhaltige Konsolidierung der öffentlichen Haushalte ist dabei nicht allein durch Kürzungen auf der Ausgabenseite zu erreichen. Insbesondere die Einnahmeseite muss dauerhaft stabilisiert werden.

Vornehmliches Ziel sozialdemokratischer Steuerpolitik muss es sein, dass der Staat auf allen seinen Ebenen genug finanzielle Mittel hat, um seine Aufgaben zu erfüllen. Vor diesem Hintergrund fordert der Landesparteitag der SPD Schleswig-Holstein die Verantwortlichen in Bund und Ländern auf, sich angesichts der jüngst bekannt gewordenen ersten Eckpunkte speziell zur Unternehmenssteuerreform für folgende Maßnahmen einzusetzen:

  1. Die Reichensteuer als Solidarbeitrag der absoluten Spitzeneinkommen für eine gerechte Finanzierung der öffentlichen Aufgaben muss das zugesagte Mehraufkommen von mindestens 1,3 Mrd. Euro auch tatsächlich erbringen. Andernfalls ist dieses Volumen durch andere Maßnahmen von derselben Personengruppe einzufordern.
  2. Das im Jahr 2009 durch den Zuschlag von 3 Prozentpunkten auf den Einkommensteuer-Spitzensatz für hohe Einkünfte erzielte Steuermehraufkommen von mindestens 1,3 Mrd. Euro darf nicht zur Finanzierung niedrigerer Unternehmensteuersätze, sondern muss voll als Solidarbeitrag verwendet werden. Neben der Reichensteuer ist auch die Steuerpflicht privater Veräußerungsgewinne bei vermieteten Immobilien und Wertpapieren als Solidarbeitrag umgehend zu realisieren.
  3. Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass ausdrückliches Ziel der für das Jahr 2008 vorgesehenen Reform der Unternehmenssteuern auch eine nachhaltige Sicherung der deutschen Steuerbasis ist. Deshalb müssen die im Rahmen dieser Reform angestrebten international wettbewerbsfähigen Steuersätze aufkommensneutral finanziert werden. Gegenfinanzierungsmaßnahmen müssen aus dem unternehmerischen Bereich stammen und dürfen nicht Privateinkommen belasten. Immer wieder spekulativ genannte Beträge von 5 bis 8 Milliarden und mehr sind weder in der Anfangsphase, noch in der dauerhaften Entlastung der Unternehmen hinnehmbar. Wer hier absichtlich oder unabsichtlich solche Erwartungen weckt, handelt verantwortungslos. Wir machen darauf aufmerksam, dass rund 8 Mrd. Euro einem Punkt Mehrwertsteuer entsprechen, was die Brisanz verdeutlicht.
  4. Eine Unternehmensteuerreform mit Qualität darf sich dabei nicht an erster Stelle auf nominelle Steuersätze und deren Höhe konzentrieren, sondern muss die Förderung der Eigenfinanzierung und der Reinvestition von Gewinnen in dem eigenen Unternehmen genauso mit einschließen wie einen Anreiz für Innovation, Forschung, Entwicklung, Bildung und Weiterbildung in den Unternehmen. Wir erwarten in diesem Zusammenhang, dass im Rahmen der Unternehmenssteuerreform der Beitrag der Wirtschaft zur Erreichung des Lissabon-Ziels von 3% BIP thematisiert und sicher gestellt wird. Dies ist wichtiger als das internationale Marketing mit niedrigen Nominalsteuersätzen.
  5. Die Gewerbesteuer muss in ihrer Struktur erhalten bleiben. Ihr Ertrag muss durch eine Einbeziehung der Freiberufler und der Land- und Forstwirte erhöht und stabilisiert werden, so wie es die SPD schon bei der letzten Reform der Gewerbesteuer gefordert hat. Ihre Bemessungsgrundlage muss ausgeweitet werden auf gewinnunabhängige Elemente wie Lizenzgebühren, Leasingkosten, Pachten und Zinsen.
  6. Die vollkommene Steuerfreiheit bei der Veräußerung von Unternehmensbeteiligungen in Deutschland ist keine sinnvolle Maßnahme gewesen. Eine Vielzahl von Fällen hat gezeigt, dass die veränderten steuerlichen Bedingungen vor allem den Aufkauf von Unternehmen aus rein spekulativen Beweggründen erleichtert haben, mit negativen Folgen bezogen auf den Erhalt dieser Unternehmen und der Arbeitsplätze, während die Sicherung und das Wachstum an Arbeitsplätzen nicht im versprochenen Maße eingetreten sind. Es ist deshalb wieder ein angemessener Steuersatz auf den Verkauf von Unternehmensbeteiligungen einzuführen.
  7. Die SPD steht für eine sachgerechte Einbeziehung von Erbschaftsvermögen in die Finanzierung der öffentlichen Aufgaben. Die nach dem Koalitionsvertrag zum 1. Januar 2007 unter Berücksichtigung des zu erwartenden Urteils des Bundesverfassungsgerichts beabsichtigte Reform der Erbschaftsteuer (Sicherung der Betriebsfortführung) muss deshalb auch die verfassungskonforme Änderung des Bewertungsgesetzes zum Zweck realitätsgerechter steuerlicher Ansätze für bebaute und unbebaute Immobilien aufgreifen und zur Realisierung höherer Ausgaben für Bildung und Kinderbetreuung eine stärkere Besteuerung großer Erbschaften vorsehen. Diese Steuer kann und sollte eine größere Rolle insbesondere bei der Finanzierung der Länderhaushalte spielen, als dies bisher der Fall war. Denn gerade die Länder haben besondere Verantwortung im Bereich von Betreuung und Bildung und benötigen weitere Finanzmittel angesichts ihrer Haushaltsdefizite.
  8. Im Koalitionsvertrag auf Bundesebene ist vereinbart worden, dass der Erhalt von Arbeitsplätzen bei Betriebsübergaben im Mittelstand nicht durch die Erbschaftsteuerbelastung verhindert wird. Bei der Lösung dieses – in der Diskussion allerdings stark überzeichneten – Problems ist sicherzustellen,
    dass
    - zusätzliche Vergünstigungen für die Weitergabe von Betriebsvermögen strikt an das Kriterium des Arbeitsplatzerhalts geknüpft werden,
    - die Regelung die Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung von vererbtem Privatvermögen nicht in Frage stellt und angemessene Obergrenzen für die Steuerbefreiung von Betriebsvermögen gesetzt werden (5 Mio Euro für kleine und mittlere Unternehmen).

III.

Der Landesparteitag begrüßt die Entscheidung des Landesvorstandes die Zukunft des Sozialstaates und seine Handlungsfähigkeit in den Mittelpunkt der schleswig-holsteinischen Diskussion über ein neues Grundsatzprogramm der SPD zu stellen.