L4: Verbraucherschutz durch nachhaltige Landwirtschaftspolitik (2001)

Aus Beschlussdatenbank der SPD Schleswig-Holstein
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Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Lübeck 2001
Bezeichnung: Leitantrag L4
Antragsteller: Landesvorstand


Beschluss: Angenommen und Überwiesen an Landtagsfraktion, Bundestagsfraktion, Fraktion im Europäischen Parlament

Die BSE-Problematik hat in Politik und Gesellschaft den Anstoß gegeben, über die Nutzung der natürlichen Ressourcen durch den Menschen und über unsere Lebensweise neu nachzudenken. Unser Ernährungsverhalten, die Form der Erzeugung von Nahrungsmitteln und ihre Be- und Verarbeitung stehen auf dem Prüfstand. Die Erkenntnis, dass die Agrarproduktionsweise in dem von der EU gesteckten Rahmen keine Sicherheit für den Verbraucher garantiert, hat breite Kreise der Bevölkerung erreicht. Jetzt muss es darum gehen, auch für die Agrarpolitik ein Konzept der nachhaltigen Entwicklung zu erarbeiten und in die Praxis umzusetzen.

Frühere Bundesregierungen haben überfällige Reformen in der Agrarpolitik verschleppt. Die Ökologie wurde verteufelt, der Naturschutz wurde blockiert. Dafür ist nicht allein die Interessenpolitik der Bauernverbände verantwortlich. Der Reformstau ist auch im Gesamtsystem begründet. Dort hat sich eine fast unüberschaubare Arbeitsteilung zwischen Bauern, Tiermedizin, Chemieindustrie, Futtermittelindustrie, Vermarktung, Handel und Banken herausgebildet, die Innovationen erschwert. Das System der Beihilfen und Subventionen und die weltmarktorientierte Regulierung und Deregulierung haben gravierende Fehlentwicklungen verfestigt.

Die SPD Schleswig-Holstein hat sich seit vielen Jahren für eine ökologische Modernisierung der Wirtschaft eingesetzt. Dabei hat die Landwirtschaft als Nahrungsmittelproduzent und größter Flächennutzer eine besondere Bedeutung. Die SPD hat deshalb in der Agrarpolitik einen Modellfall für eine "nachhaltige Entwicklung" gesehen. Umweltgerechtes Wirtschaften, artgerechter Tierschutz und hohe Qualität der Lebensmittel waren für uns die Ziele. Die Entwicklung dazu hat - im engen Rahmen der Landesagrarpolitik - in Schleswig-Holstein in den letzten Jahren Fortschritte gemacht. Jetzt muss die Chance zu einer grundlegenden Neuorientierung der Agrarpolitik auf allen Ebenen genutzt werden. Ziel ist eine verbraucherfreundliche, naturnahe und sozialverträgliche Landwirtschaft. Dafür ist eine stärkere Integration von Verbraucher- und Umweltschutz in die gemeinsame europäische und in die nationale Agrarpolitik erforderlich. Notwendig sind außerdem klare Regelungen, was in der Landwirtschaft "gute fachliche Praxis" bedeutet.

Der Landesparteitag fordert die politisch Verantwortlichen im Land, im Bund und in der Europäischen Union auf, insbesondere in den folgenden Bereichen die notwendigen Schritte einzuleiten:

  1. Zum Schutz der Verbraucher darf von Nahrungsmitteln - unabhängig von Markenprogrammen und Qualitätssiegeln - kein Gesundheitsrisiko ausgehen. Ein Qualitätssiegel muss als Anforderungen eine umwelt- und naturverträgliche Produktionsweise, eine artgerechte und flächenbezogene Tierhaltung und den Verzicht auf Gentechnik enthalten. Alle Futtermittel müssen klaren und kontrollierten Standards entsprechen und in ihrer Zusammensetzung eindeutig gekennzeichnet und deklariert sein. Für erlaubte Futtermittel wird eine Positivliste eingeführt. Antibiotisch wirkende Leistungsförderungen und die prophylaktische Anwendung von Antibiotika sind zu verbieten. Für Nahrungsmittel brauchen wir eine lückenlose Herkunftskennzeichnung vom Stall bzw. Acker bis zur Ladentheke. Die Zuständigkeiten für den Verbraucherschutz müssen auch in Schleswig-Holstein gebündelt und effizienter gestaltet werden. Ein eigenes Ministerium ist dafür nicht erforderlich.
  2. Nahrungsmittelproduktion, Verarbeitung und Vermarktung sind umfassend zu kontrollieren, die Strafbestimmungen zu verschärfen. Die fachliche Kompetenz der Kontrolleure und Kontrolleurinnen muss gewährleistet sein.
  3. Für eine Ausweitung des ökologischen Landbaus in Schleswig-Holstein ist es von grundlegender Bedeutung, ein marktgerechtes Angebot an ökologisch erzeugten Nahrungsmitteln für alle Bürgerinnen und Bürger zu erreichen. Die Produzenten und Ökoverbände sind auch in Schleswig-Holstein gefordert, ihren Beitrag zu leisten. Aus einem Sonderrahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz (GAK) werden für die Förderung des Anbaus und der Vermarktung ökologischer Erzeugnisse Mittel zweckgebunden zur Verfügung gestellt. Außerdem verabreden Bund und Länder eine gemeinsame Informationskampagne für die Verbraucher.
  4. Die SPD sieht in der Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes einen wesentlichen Beitrag für eine natur- und umweltverträgliche Landbewirtschaftung. Regelungen zur guten fachlichen Praxis sind durch Bund und Länder unter Berücksichtigung regionaler Standortbedingungen zu konkretisieren und umzusetzen. Zur Förderung einer natur- und umweltverträglichen Landbewirtschaftung wird die Flächenbindung der Tierhaltung verstärkt. Tierhaltung ohne Futterbasis im Betrieb wird systematisch abgebaut. Ziel ist es, wieder natürliche Futterkreisläufe zu erreichen. Dafür ist die Einführung einer Grünlandprämie statt der geltenden Tierhaltungsprämien und der Silomaisprämie ein geeignetes Instrument. Prämien werden auf flächenbezogene Obergrenzen des jeweiligen Tierbestandes beschränkt. Alle produktionssteigernden Subventionen werden schrittweise abgebaut, steuerrechtliche und baurechtliche Privilegien für die gewerblich-industrielle Tierhaltung werden gestrichen.
  5. In der Europäischen Union muss der mit der Agenda 2000 begonnene Reformkurs fortgesetzt werden. Dazu gehören die Stärkung umweltbezogener Maßnahmen, die Umschichtung von EU-Mitteln in die Bereiche ländliche Entwicklung und Umwelt sowie eine stärkere Verknüpfung der Ausgleichszahlungen mit Kriterien der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit. Agrarsubventionen, die Umweltbelastungen zur Folge haben, werden abgeschafft. Tiertransporte werden auf eine Höchstdauer beschränkt, tierschutzrechtliche Bestimmungen im Sinne einer artgerechten Tierhaltung überprüft.
  6. Neben der Förderung der regionalen Vermarktung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen müssen Landwirte alternative Erwerbsmöglichkeiten erhalten. Dazu gehören die Honorierung von Leistungen für den Naturschutz, die Energieerzeugung aus Biogas und Biomasse und der sanfte Tourismus. Die Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz muss dafür neu orientiert werden. Bund und Länder müssen die für den Neuanfang erforderlichen Mittel zur Verfügung stellen.
  7. Das Prinzip einer nachhaltigen Landwirtschaft muss in weltweiten Mindeststandards verankert werden. Solange darüber kein internationaler Konsens erreicht ist, darf die WTO nicht einzelne Länder daran hindern, die Kriterien der Agenda 21 von Rio in einer nachhaltigen Landwirtschaftspolitik umzusetzen.