Soz1: Miteinander und Füreinander Unser Sozialstaat - Chancen, Schutz und Verlässlichkeit (2019)

Aus Beschlussdatenbank der SPD Schleswig-Holstein
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Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Norderstedt 2019
Bezeichnung: Soz1
Antragsteller: Landesvorstand


Beschluss: Angenommen


Wir wollen die Talente aller bestmöglich fördern – egal ob Eltern reich oder arm sind. Wir wollen, dass Menschen mutig durchs Leben gehen können, egal welche Voraussetzungen sie mitbringen Sie können sicher sein, dass die Gemeinschaft hilft, wenn Hilfe und Unterstützung benötigt wird. Diesem Recht muss niemand hinterherlaufen. Der Staat verpflichtet sich rechtzeitig und verständlich zu informieren. Das ist unser Verständnis von Sozialstaat.

Die SPD Schleswig-Holstein begrüßt ausdrücklich das Papier „Arbeit – Solidarität – Menschlichkeit Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit Teil I: Arbeit“ des SPD-Parteivorstand vom 10. Feb. 2019 und unterstützt dieses. Die SPD Schleswig-Holstein erkennt in diesem Konzept Reformvorschläge aus ihrem Beschluss „Mehr Gerechtigkeit wagen!“.

Kindheit

Jedes Kind ist uns gleich wichtig. Deswegen wollen wir, dass der Staat sicherstellt, dass alle Kinder einen guten Start ins Leben haben. Wir schlagen eine Kindergrundsicherung vor. Sie fasst alle bisherigen Kindbezogene Leistungen zusammen. Jedem Kind steht dieser Betrag zu. Wir setzen uns für eine Kindergrundsicherung in Höhe von 600,- Euro/Monat für jedes Kind bis zum Lebensalter von 18 Jahren (bis zur Jahreseinkommensgrenze von 125.000,- Euro der Erziehungsberechtigten) - ansonsten einkommensunabhängig ein. Für Alleinerziehende Eltern wollen wir passgenaue Programme entwickeln, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sicherzustellen und den Kindern beste Entwicklungsmöglichkeiten zu eröffnen.

Krippe und Kita

Die Grundlagen für ein gutes Leben werden in frühester Kindheit gelegt. Daher sind wir überzeugt, dass neben der elterlichen Fürsorge ein professionelles Bildungsangebot auch schon für kleinste Kinder gebührenfrei sein muss. Das ermöglicht es auch, beiden Elternteilen zumindest einen Fuß in der Arbeitswelt zu behalten. Hohe Qualität und Beitragsfreiheit sind kein Widerspruch. Gute Bildungseinrichtungen für alle stärken den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sozialer Ausgleich findet über das Steuersystem statt. Dort tragen starke Schultern mehr.

Schulen

Wir lernen in der Schule den Umgang mit Menschen, die anders als wir sind weil wir später im Leben mit vielen verschiedenen Menschen zu tun haben werden. Es geht deswegen nicht nur darum in möglichst spezialisierten Einheiten Fakten zu pauken.

Wir wollen eine Schule, die für alle gut ist. Eine Schule, die nicht nach dem Alter der Kinder organisiert ist, sondern nach ihren Fähigkeiten und Potentialen. Eine Schule, die Leistung und eine freie Persönlichkeitsentwicklung individuell fördert. Eine Schule, die erst zum Ende gezielt vorbereitet auf die unterschiedlichen weiteren Bildungswege: Auf eine Ausbildung oder in ein Studium.

Für uns ist es wichtig, die 2007 in der Sekundarstufe I als zweite Säule neben dem Gymnasium im Schulgesetz verankerte Gemeinschaftsschule zu einer gleichwertigen weiterführenden Schulart auszubauen – und deren Konzept und Praxis sodann mit der Perspektive auf ein inklusives Schulsystem, das für eine demokratische und solidarische Gesellschaft unabdingbar ist, die „eine Schule für alle“, weiter zu entwickeln.

Allen Kindern an unseren Schulen muss es möglich sein, an allen Aktivitäten der Schulen teilzunehmen. Wir wollen die Lehrmittelfreiheit auch faktisch herstellen. Deshalb sind für uns gute Ganztagsschulen gebundene Ganztagschulen. Sie stellen an mindestens vier Wochentagen einen achtstündigen Schultag für alle Schülerinnen und Schüler sicher. Auch das Sicherstellen, dass der Weg zur Schule nicht zu einer Frage des Geldbeutels wird, ist eine Frage der Gerechtigkeit. Daher werden wir für eine kostenfreie Schüler*innenbeförderung für alle Klassenstufen sowie Berufschüler*innen sorgen.

Jedes Kind soll einen Abschluss erreichen und im Anschluss eine Ausbildung oder ein Studium machen können. Alle erhalten ein Angebot. Für uns gilt: Kein Kind ohne Abschluss, kein Abschluss ohne Anschluss. Das gilt für alle Kinder – mit und ohne Behinderung.

Alle Schulen müssen 10 Jahre nach der von Deutschland ratifizierten UN-Behindertenrechtskonvention als inklusive Schulen arbeiten und Inklusion als Chance begreifen. Vor allem müssen sie personell und sächlich besser ausgestattet werden, damit die Teilhabe gelingen kann. Menschen mit Behinderung gehören von Anfang an mitten in die Gesellschaft. Damit das gelingt benötigen zukünftige und aktuelle Pädagog*innen konkrete Fort- und Weiterbildungsangebote.

Ausbildung

Wir wollen, dass auch Azubis auf eigenen Beinen stehen können. Deswegen wollen wir eine Mindestausbildungsvergütung, die mit 635€ im 1. Ausbildungsjahr bei 80 Prozent der durchschnittlichen tariflichen Ausbildungsvergütungen liegt. Wir brauchen all die Dinge, mit denen wir Studierende an den Hochschulen unterstützen, auch für Auszubildende: Ein landesweites Semesterticket für die Fahrten zur Arbeit und zur Schule für alle Auszubildenden und Schüler*innen sowie Wohnheime für Auszubildende – am besten nach dem Vorbild des Angebots des Studentenwerks.

In einer Reihe Berufe brauchen wir dringend mehr engagierte Menschen, die dort arbeiten – Erzieherinnen und Erzieher, Pflegekräfte und Therapeuten in allen möglichen Bereichen. Hier wollen wir dafür sorgen, dass man nicht auch noch Geld mitbringen muss, wenn man einen sozialen Beruf erlernen will. Deshalb haben wir bereits dafür gesorgt, dass die Ausbildung der Gesundheitsfachberufe gebührenfrei ist und werden das Schulgeld für alle Berufe abschaffen, für die eine gesetzliche Grundlage existiert. Wir bauen die Ausbildung zu betrieblichen Ausbildungen um, in denen die Auszubildenden auch schon Geld verdienen.

Meister

Wer seinen Meister machen will ist uns genauso wichtig, wie jemand, der seinen Master an der Hochschule macht. Das BAFöG für angehende Meister haben wir bereits eingeführt. Das ist gut und fördert all jene, die sich im Handwerk selbständig machen und es fördert den Mittelstand. Weiterhin fordern wir analog zum kostenfreien Master-Studium auch die Kostenfreiheit der Meister-Ausbildung.

Studium

Wir haben es geschafft, dass heute nicht mehr nur die Kinder von Akademikern studieren. Doch noch immer können nicht alle studieren, die das eigentlich wollen. Daran müssen wir weiter arbeiten. Dazu gehört auch ein elternunabhängiges BAFöG von dem man leben kann und mit dem man sich auf das Studium konzentrieren kann. Wir brauchen günstige Wohnungen und Wohnheime und lohnende Semestertickets. Die Studierendenschaft entscheidet selbst über ein landesweites Semesterticket. Uns ist aber wichtig, dass die finanziellen Hürden nicht zu hoch werden und dadurch Menschen vom Studium ausgeschlossen werden. Deshalb muss das Semesterticket vom Land dauerhaft bezuschusst werden.

Weiterlernen

Heute haben wir viel mehr Menschen, die studieren als noch vor einigen Jahrzehnten. Bisher sprechen wir immer vom lebenslangen Lernen – das ist aber zum Teil unübersichtlich und oft dem Zufall überlassen: Wir müssen erst zur Fortbildung, wenn etwas schiefläuft. Wir wollen, mit der beruflichen Bildung und Fortbildung einen weiteren echten Baustein auf das bisherige Bildungssystem setzen. Die Menschen müssen sich bilden können, wenn sie sich selbst weiterentwickeln wollen. Die Kosten hierfür teilen wir solidarisch zwischen all jenen, denen es nützt: Arbeitgebern, dem Gemeinwohl und den Arbeitnehmern. Mit dem Recht auf Weiterbildung sorgen wir dafür, dass wirtschaftliche Veränderungen keine Angst machen müssen. Bildung ist keine Frage des Alters.

Bürgergeld und Teilhabe

Wir sind überzeugt, dass eine gute Arbeit wichtig für alle Menschen ist. Deswegen setzen wir uns dafür ein, dass jeder Mensch eine Tätigkeit bekommt, die zu ihm passt, und der er gerecht werden kann Dazu gehört auch, dass die Menschen sich darauf verlassen können, dass sie auskommen, auch wenn sie den Job verlieren. Existenzminimum ist Existenzminimum – davon gibt es nichts zu kürzen! Bei der Einführung des Bürgergeldes als neues Existenzminimum muss auch die Höhe neu berechnet werden. Deshalb fordern wir ein Bürgergeld ohne Sanktionen. Das Bürgergeld soll auch nicht mehr gekürzt werden, wenn Kinder selbst Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung oder Ausbildung haben. Der Transferentzug bei eigenem Einkommen aus Arbeit soll gegenüber den derzeitigen Regelungen reduziert werden. Wer selbst keinen regulären Job findet, bekommt vom Staat ein Angebot zur Teilhabe am Arbeitsleben: Eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst, die etwas für die Gesellschaft leistet oder Lohnzuschüsse an Arbeitgeber, die Menschen beschäftigen, die schon etwas länger arbeitslos sind. Es gibt genug Arbeit. Wir müssen sie nur bezahlen und zwar auf Basis von Tariflöhnen. Wir kommen so von einer Arbeitslosen- zu einer Arbeitsversicherung mit dem Ziel alle vor Arbeitslosigkeit zu schützen und Teilhabe für alle zu ermöglichen.

Die Fristen für das Arbeitslosengeldes werden verlängert, niemand der nach vielen Jahren Berufstätigkeit unverschuldet in Arbeitslosigkeit gerät, muss Angst haben, dass er nach einem Jahr alles verliert.

Gute, gesunde Arbeit

Es gibt heute noch zu viel Arbeit, die die Menschen ausbeutet – finanziell und körperlich. Die Digitalisierung kann uns helfen, diese Jobs den Maschinen zu überlassen. Menschen können weiterhin in den Bereichen arbeiten, die direkt mit dem Menschen zu tun haben.

Der Mindestlohn ist ein wichtiger Baustein in einem fairen Arbeitsmarkt. Er muss aber höher sein als der jetzige Mindestlohn, denn in vielen Städten reicht er heute nicht für ein Auskommen, das über dem von Arbeitslosigkeit liegt. Wir fordern deswegen einen sofortigen Mindestlohn von 12,63€ pro Stunde.. Ein Mindestlohn ist nur die festgelegte Untergrenze. Starke Gewerkschaften sorgen für faire Tarifverträge. Die Rechtsgrundlage muss dahingehend geändert werden, dass nach geschlossenen, erfolgreichen Tarifverhandlungen jeweils ein Tarifpartner die Prüfung beim BMAS auf Allgemeinverbindlichkeit beantragen kann. Der Widerspruch einer Seite findet keine Anwendung. Bei öffentlichen Aufträgen sollte ein Mindestlohn gelten, der an die öffentlichen Tarifverträge gekoppelt ist und mit ihnen steigt.

Das Leben ist eine Balance zwischen Familie, Arbeit und Freizeit. Wir wollen die Arbeitsbedingungen für alle neu justieren. Dort wo es sinnvoll ist, ermöglichen das Arbeiten von Zuhause oder unterwegs. Ständige Verfügbarkeit bedeutet für viele Beschäftigte eine neue Herausforderung. Wir wollen Arbeitszeitverkürzung überall dort erreichen, wo Verfügbarkeit und Arbeitsteilung ein Gewinn für alle bedeutet. Der 6-Stunden Tag kann ein großer gesellschaftlicher Gewinn werden, wenn wir Arbeit und Einkommen so verteilen, dass es für alle passt.

Arbeit soll Sicherheit für ein selbstbestimmtes Leben bieten. Daher wollen wir keine Befristungen ohne wirklich wichtigen Grund. Leiharbeit, Zeitarbeit oder Minijobs sollen die absolute Ausnahme werden. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit.

Bürgerversicherung

Schluss mit der Zwei-Klassen-Medizin! Wir wollen eine Kranken- und Pflege- und Rentenversicherung, in die alle Erwärbstätigen, d.h. Arbeitnehmer, Selbständige, Beamte und Abgeordnete gemeinsam einzahlen und aus der alle ihre Leistungen beziehen. Die heutige Unterteilung in gesetzlich und privat ist unfair.

Grundrente

Ein gutes Einkommen im Arbeitsleben sorgt auch dafür, dass es eine gute Rente im Alter gibt. Wer es nicht schafft, sich in vielen Jahren Arbeit eine auskömmliche Rente anzusparen, dem geben wir eine Grundrente, die deutlich über dem liegt, was jemand bekommt, der nie gearbeitet hat. Das ist für uns auch eine Anerkennung von Lebensleistung. Wer mehrere Jahrzehnte gearbeitet hat und solidarisch die gesetzliche Rentenversicherung gestärkt hat, soll profitieren. Dazu zählen auch Zeiten für Familienarbeit – Pflege von Angehörigen und Kinderbetreuung.

Rente

Es gibt Tätigkeiten, die kann man sehr lange machen und es gibt sehr anstrengende Tätigkeiten. Auch wenn wir dafür sorgen wollen, dass Arbeit immer so gesund ist, dass man damit gut bis zur Rente arbeiten kann – das werden wir nicht so schnell schaffen. Wir müssen unterscheiden und diejenigen länger arbeiten lassen, die das können und wollen. Auf der anderen Seite wollen wir auch denen eine ordentliche Rente geben, die nicht so lange arbeiten können. Die Rente mit 63 nach 45 Jahren Arbeit ist dafür ein Anfang gewesen.

Pflege

Unsere Seniorinnen und Senioren sind alt genug selber zu entscheiden wie sie leben wollen. Sie darin zu unterstützen ist unsere gesellschaftliche Aufgabe.

Dem Mangel an Fachkräften um alle versorgen zu können, begegnen wir mit anständigen und familienfreundlichen Arbeitsbedingungen. Pflegefachpersonen müssen ihre Tätigkeit so ausüben können, wie es ihre Fachlichkeit und nicht die wirtschaftlichen Interessen der Arbeitgeber es ihnen vorgibt. Mit einem gesetzlichen Personalbemessungsschlüssel in allen Bereichen der professionellen Pflege sorgen wir für mehr Arbeitszufriedenheit und damit auch mehr Qualität. Die Ausbildung der Pflegeberufe ist von der Assistenz bist zum Studium durchlässig. Ein flächendeckender Sozialtarifvertrag sorgt für gleiche Bedingungen.

Niedrigschwellige, aufsuchende Arbeit sorgt dafür, dass Pflegebedürftigkeit mindestens hinausgezögert wird. Nachbarschaftshilfe und ein fürsorgendes Management im Dorf und Quartier verzögert Pflegebedürftigkeit, verhindert Einsamkeit und bringt Alt und Jung zusammen. Wir nutzen die Kompetenzen aller Generationen.

Pflegebedürftigkeit darf nicht in die Armut führen. Sie darf auch nicht dazu führen, dass besonders Frauen ihren Beruf aufgeben müssen, weil der Eigenanteil an Pflegeinrichtungen nicht bezahlt werden kann.

Pflegende Angehörige werden wir durch die Anrechnung an die Rente besser „entlohnen“ und zusätzliche Entlastungsangebote etablieren.

Die Pflegeversicherung muss eine Vollversicherung werden. Kosten für Unterkunft und Verpflegung sind Privatsache, aber Grund - und Krankenpflege muss gemeinschaftliche Aufgabe sein.

Deshalb fordern wir neben der Bürgerversicherung einen weiteren Solidaritätsbeitrag.