C4: Resolution „Kieler Erklärung“ (1984)
Gremium: Landesparteitag |
Sitzung: Landesparteitag Kiel 1984 |
Bezeichnung: C4 |
Antragsteller: Nicht aufgeführt
|
Beschluss: Angenommen |
(Einbringung der Resolution durch Björn Engholm.)
Sozialdemokraten in Schleswig-Holstein für eine Wirtschaftspolitik, die Arbeitsplätze schafft und Umwelt schützt
Schleswig-Holsteins Sozialdemokraten halten ein grundsätzliches Umdenken in der Wirtschaftspolitik für erforderlich. Auf ihrem Landesparteitag in Kiel haben sie sich nach gründlicher Vorbereitung für ein Umdenken in der Wirtschaftspolitik ausgesprochen. Nur eine Wirtschaftspolitik, die die Sicherung von Beschäftigung und Schaffung neuer Arbeitsplätze an den sorgsamsten Umgang mit den Ressourcen von Umwelt und Natur bindet, ist in der Lage, die Lebensgrundlagen der Gesellschaft langfristig zu erhalten. Die Schleswig-holsteinischen Sozialdemokraten sind sich bewußt‚ daß die Sicherung von Arbeit und Umwelt langfristig nur in der grundlegenden Umgestaltung der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik in Richtung auf den demokratischen Sozialismus gewährleistet werden kann. Dabei geht die schleswig-holsteinische SPD davon aus, daß ein grundsätzliches Umdenken in der Wirtschaftspolitik mit konkreten Angeboten und Vorschlägen Hand in Hand gehen muß, die praktisch und auf die Gegenwart bezogen zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen in Schleswig-Holstein führen.
Schleswig-Holsteins Sozialdemokraten wollen
- Schaffung und Sicherung von Arbeit und Schutz der Umwelt zur Grundlage ihrer Wirtschaftspolitik machen;
- eine Gewöhnung an Dauerarbeitslosigkeit verhindern und sich nicht mit Schreckensmeldungen über die Arbeitslosigkeit in Schleswig-Holstein abfinden;
- den technischen Wandel gesellschaftlich verpflichten;
- besonders Benachteiligten - Jugendliche, Frauen, Behinderte, ältere Arbeitnehmer - gezielt helfen;
- das regionale Gefälle zwischen den Bundesländern und zwischen den Landesteilen in Schleswig-Holstein wirksam abbauen;
- das Recht auf Arbeit für Frauen verwirklichen.
Aus der Erkenntnis‚ daß neue Wachstumsfelder zur Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze weder in der industriellen Land- und Forstwirtschaft noch in der industriellen Großproduktion liegen, erklären die Sozialdemokraten in Schleswig-Holstein:
Wir Sozialdemokraten wollen Arbeitsplätze schaffen für Frauen und Männer
Wir wenden uns entschieden gegen die Tendenz, bei dieser schlechten Arbeitsmarktlage Frauen aus dem Erwerbsleben herauszudrängen‚ um Arbeitsplätze für Männer zu schaffen. Wir wollen, daß Frauen und Männer unabhängig vom Geschlecht, wie es das Grundgesetz garantiert, die Möglichkeit haben, sich die gesellschaftlichen Aufgaben Kindererziehung, Hausarbeit und Erwerbsarbeit zu teilen.
Wir Sozialdemokraten wollen ein umweltverträgliches Beschäftigungsprogramm
- durch konsequente Durchsetzung von Umweltschutz, wobei grundsätzlich gilt:
- der sparsame Umgang mit Ressourcen,
- die dezentrale Produktion und Verteilung von Energie, Waren und Gütern,
- die Vermeidung von Abfall- und Schadstoffen bei der Produktion‚
- die Rückführung von Abfallstoffen zur wirtschaftlichen Verwertung‚
- die Belastung von umweltschädlichen Verfahren und Produkten mit Abgaben,
- die Produktionsverbote für umweltschädliche Stoffe, die nicht zu beseitigen sind,
- Maßnahmen zur Stadtsanierung und Dorferneuerung.
- durch eine Neuorientierung der Land- und-Forstwirtschaft, die den ökologischen Erfordernissen entspricht und die die Ausweitung des Naturschutzes und der Landschaftspflege voraussetzt;
- durch einen Zuwachs von privaten wie öffentlichen Dienstleistungen. Das heißt zum Beispiel vorrangiger Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs unter Einschluß der Bundesbahn vor dem Individualverkehr, Verbesserung des Gewässerschutzes und der Wasserqualität, einen regionaltypischen Ausbau des Fremdenverkehrs, in dessen Mittelpunkt die aktive Freizeitgestaltung stehen muß.
Wir Sozialdemokraten wollen eine neue Wirtschaftsförderung.
Mit der Fortsetzung der Gießkannenförderung werden kaum neue Arbeitsplätze geschaffen. Industrielle Großprojekte erhalten heute riesige staatliche Zuschüsse, ohne daß die Gesellschaft in Form von Beschäftigung und gesellschaftlicher Teilhabe den entsprechenden Nutzen hat. Neue Prinzipien sind im Interesse der Arbeitnehmer erforderlich:
- Ziel der staatlichen Wirtschaftsförderung muß es sein, die Schaffung von Dauerarbeitsplätzen zu gewährleisten; dies bedeutet Abkehr von der bloßen Verstärkung des Sachkapitals hin zur direkten Förderung von Beschäftigung.
- Der technische Strukturwandel in der Wirtschaft darf nicht zu Lasten der Arbeitnehmer laufen, sondern muß - notfalls mit Hilfe von staatlichen Mitteln - sozialverträglich gestaltet werden; angesichts der Bedeutung der Werften für unser Land ist nach wie vor die Sicherung der Arbeitsplätze dort geboten. Dazu gehört auch die Bereitstellung von Mitteln zur Umstrukturierung der Produktion.
- Zielsetzung bei dem Anreiz von Wirtschaftsförderung muß es sein, durch den ökologisch orientierten Einsatz neuer Technologien sowohl im Inneren zur Rettung der Umwelt beizutragen als auch nach außen gerichtet neue Exportmärkte zu erschließen.
- Die Hilfe für kleine und mittlere Betriebe hat Vorrang bei Gründung, Existenzsicherung und Entwicklung, weil hier die meisten Arbeitsplätze geschaffen werden können.
- Die Erweiterung der Mitbestimmungs- und Mitbeteiligungsmöglichkeiten von Arbeitnehmern muß eine Zweckbindung staatlicher Wirtschaftsförderung sein. Nur so werden wir zu einer Wirtschaftsordnung gelangen, die den Grundprinzipien einer Demokratie entspricht. Unabhängig davon bleibt die paritätische Mitbestimmung Ziel sozialdemokratischer Politik.
Wir Sozialdemokraten wollen Arbeitszeitverkürzungen, die Arbeit schaffen und den Menschen helfen.
Ohne kontinuierliche und auf verschiedenen Ebenen, auf die verschiedenen Branchen und ihre unterschiedlichen Belastungen bezogenen Arbeitszeitverkürzungsstrategien werden wir nicht imstande sein, die Massenarbeitslosigkeit wesentlich abzubauen und auf den Weg zur Vollbeschäftigung zurückzukehren. Deshalb gilt: Wir brauchen eine Verkürzung der Arbeitszeit in allen Formen: Unser Hauptziel bleibt die 35-Stunden-Woche.
Darüber hinaus wollen wir
- eine tariflich geregelte Gestaltung von Heim- und Teilzeitarbeit,
- längeren Jahresurlaub‚
- längere, bessere Bildung, Ausbildung, Fort- und Weiterbildung.
Wir Sozialdemokraten wollen des Ausbau von Bildung, Aus- und Weiterbildung.
Unerläßlich ist der Ausbau des Bildungssystems mit verbesserten beruflichen Ausbildungsmöglichkeiten und-einem ständigen Qualifikationsprozeß in modernen Formen der Weiterbildung. So erreichen wir
- mehr Chancengleichheit statt neuer Elitenbildung, das heißt vor allem Ausbildungsplätze für alle und finanzielle Absicherung von längeren Bildungswegen für Kinder aus einkommensschwachen Familien;
- soziale Beherrschung der Technik statt Anpassung des Menschen an die technische Entwicklung;
- Entfaltung der Persönlichkeit statt geistiger Verarmung.
Wir Sozialdemokraten wollen, daß auch der öffentliche Bereich seinen Beitrag zur offensiven Beschäftigungspolitik leistet.
In einer Zeit der Massenarbeitslosigkeit, der Zunahme gesellschaftlicher Ansprüche an den Umweltschutz muß der öffentliche Dienst eine aktive Funktion für die Gesellschaft wahrnehmen. Aktuell ist notwendig
- ein Stopp des Stellenabbaus auf Bundes-‚ Landes- und kommunaler Ebene;
- eine Ausweitung der Beschäftigung entsprechend dem gesellschaft lichen Bedarf, zu deren Finanzierung auch eine Umstrukturierung des Einkommensgefüges beitragen muß.
Wir Sozialdemokraten wollen die Chancen eines sozial gesicherten zweiten Arbeitsmarktes nutzen.
Wir fordern die Finanzierung arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen statt der Finanzierung der Arbeitslosigkeit. Das bedeutet auch eine vorübergehende Ausweitung der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Land Schleswig-Holstein, insbesondere im Einsatz für die Reparatur der geschädigten Umwelt sowie bei sozialen Diensten. Dabei müssen Langzeitarbeitslose vorrangig gefördert werden. Wir müssen Modelle anstreben, in denen Langzeitarbeitslose einen Rechtsanspruch auf eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme erreichen, um auf diese Art und Weise wieder zu neuer Arbeit und dauernder Beschäftigung zu gelangen. ABM-Stellen dürfen nicht zu Lasten fester Arbeitsplätze gehen.
Wir Sozialdemokraten wollen den technischen Wandel sozial verantwortlich steuern
Das Grundgesetz fordert die soziale Bindung des Eigentums. Dies muß verstärkt in einer Zeit gelten, in der immer mehr menschliche Arbeitskraft durch Maschinen ersetzt wird. Während die Arbeitnehmer Beiträge zur Arbeitslosen- und Sozialversicherung leisten, nimmt die Solidarität der Kapitaleigner dadurch ständig ab, daß die von ihnen aufzubringenden Anteile durch die neuen Einsatzmöglichkeiten von Maschinen immer geringer werden. Um diesem Prozeß, der die sozialen Sicherungssysteme gefährdet, entgegenzuwirken, ist es erforderlich, in Zukunft die sozialen Beiträge der Unternehmerseite nicht länger an die - sinkende - Lohnsumme zu knüpfen, sondern an deren Stelle die Wertschöpfung des Unternehmens zu setzen.
Wir Sozialdemokraten wollen wieder soziale Gerechtigkeit herstellen und gleichzeitig die Finanzierung der neuen Wirtschaftspolitik sichern.
Eine Finanzierung von sozialen Aufgaben und Investitionsprogrammen über Kredite ist auf Dauer problematisch. Deshalb wollen wir Änderungen des Steuer- und Abgabensystems und der Tarifgestaltung der Ver- und Entsorgung durchführen, die die erforderlichen Haushaltsmittel sichern, und im Rüstungshaushalt kräftig sparen.
Die Änderungen des Steuer- und Abgabensystems müssen das Ziel haben,
- die Bezieher höherer Einkommen stärker zu belasten, um damit gleichzeitig die Bezieher kleiner Einkommen zu entlasten und die Sozialleistungen wieder auszubauen;
- Vermögenseinkünfte gerecht mit Steuern und Sozialabgaben zu belasten;
- arbeitsintensive Produktion zu Lasten kapitalintensiver Produktion zu bevorzugen;
- Umweltaufgaben nach dem Vorsorge- und Verursacherprinzip zu finanzieren;
- beschäftigungspolitisch verfehlte Subventionen abzubauen;
- Ausbildungsplätze über eine gesetzliche Umlage zu finanzieren.
Nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten schließen wir eine begrenzte Erhöhung der Neuverschuldung nicht aus, wenn die soziale und wirtschaftliche Lage dies gebieten.