EU5: Sozialdemokratische Friedenspolitik in einer unsicheren Welt (2019)

Aus Beschlussdatenbank der SPD Schleswig-Holstein
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Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Norderstedt 2019
Bezeichnung: Soz1
Antragsteller: Landesvorstand


Beschluss: Angenommen


Die SPD hat mit ihrer Positionierung „Friedenspolitik heute“ im Jahr 2014 Maßstäbe für sozialdemokratische Positionen im Bereich der zivilen Krisenprävention, Diplomatie und Friedenspolitik gesetzt. Noch heute gibt uns dieser Beschluss Orientierung. Die Herausforderungen, die sich an eine sozialdemokratische Friedenspolitik stellen, sind allerdings vielfältiger geworden:

Die Welt hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend zu einer globalen Schicksalsgemeinschaft entwickelt. Uns betrifft immer stärker, was außerhalb unserer Staatsgrenzen geschieht. Und das, was wir tun, hat immer stärkere Auswirkungen auf andere Länder und Regionen. Klimawandel, internationaler Terrorismus oder das Wettrüsten von Staaten sind Herausforderungen, denen wir nicht alleine begegnen können.

Für eine Stärkung der internationalen Institutionen

Gemeinsame Sicherheit und die Wahrung von Frieden sind weiterhin wegweisend für sozialdemokratische Politik. Das Ziel, global das Recht des Stärkeren durch die Stärke des Rechts zu ersetzen, erreichen wir nur durch eine Reform der Vereinten Nationen (UN), für die wir uns weiter mit aller Kraft einsetzen werden. Nur, wenn wir die UN demokratisieren, das Gewicht der Vollversammlung, des Völkerrechts und die internationale Gerichtsbarkeit stärken, erreichen wir, dass sich Macht dem Recht unterordnet. Denn derzeit ist das größte Problem der UN die mangelnde Durchsetzbarkeit ihrer Beschlüsse. Es bedarf wirksamer Mechanismen, die den UN-Beschlüssen der Generalversammlung starke Autorität und Verbindlichkeit verschaffen.

Das bisherige Vetorecht einiger weniger UN-Mitglieder ist unbefriedigend. Leider sind andere Modelle, wie das Prinzip der Mehrheitsentscheidung im Sicherheitsrat, aktuell jedoch kaum durchsetzbar. Eine Änderung des Vetorechts bleibt langfristig dennoch unser Ziel.

In einer multipolaren Welt kann Deutschland seinen Vorstellungen und Interessen nur als Teil einer starken Europäischen Union wirksam Gewicht verleihen. Wir wollen, dass Europa mit einer Stimme spricht und fordern daher einen gemeinsamen Sitz der Europäischen Union im UN-Sicherheitsrat.

Für einen neuen Anlauf zur Rüstungskontrolle und Abrüstung

Die Europäische Union ist eine Erfolgsgeschichte An Stelle der Konfrontation ist die Zusammenarbeit getreten Nun bedrohen neu aufgeflammte Konflikte zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und Russland diesen europäischen Frieden. Es droht ein Rückfall in überwunden geglaubte Zeiten des Kalten Kriegs. Die USA und Russland haben den Vertrag über das Verbot landgestützter atomarer Mittelstreckenraketen in Europa (INF-Vertrag) gekündigt. Das ist ein schwerer Schlag gegen jene Architektur internationaler Rüstungskontrolle, die über Jahrzehnte ganz wesentlich zum Frieden in Deutschland und Europa beigetragen hat. Das ist eine besondere Herausforderung für diplomatische Initiativen.

Unser Ziel muss sein, die „Null-Lösung“ trotz der Konflikte der Vertragspartner zu erhalten und auch in Zukunft landgestützte atomare Mittelstreckenraketen in Europa zu verbieten. Das gilt im Weiteren auch für Gespräche mit China, Pakistan und anderen Staaten. Schnell könnten auch andere atomare Abrüstungsverträge (z.B. der START-Vertrag) infrage gestellt werden. Ein neues globales Wettrüsten gilt es nachhaltig zu verhindern. Die sozialdemokratische Idee der gemeinsamen Sicherheit ist heute aktueller denn je.

Um diese gefährlichen Entwicklungen aufzuhalten, braucht es jetzt entschlossene Maßnahmen:

Gegenseitige Rüstungskontrolle ist von großer Bedeutung, um neues Vertrauen zu schaffen. Wir stehen für strikte Rüstungskontrollen - insbesondere beim Waffenexport in Staaten außerhalb der Nato und EU.

Außerdem fordern wir ein Verbot von Waffenlieferungen in Krisengebiete und Diktaturen sowie die Kontrolle des internationalen Waffenhandels, um bewaffnete Konflikte zu vermeiden.

Insbesondere muss verhindert werden, dass das Verbot durch die Lieferung von Kriegswaffen auf dem Umweg über mehrere Länder umgangen wird bzw. dass durch die Zerlegung von Waffen in Einzelteile, die dann in Spannungsgebieten wieder zusammengesetzt werden, die Lieferung verheimlicht wird.

Das Exportverbot muss auch Länder betreffen, die mittelbar an kriegerischen Auseinandersetzungen und Bürgerkriegen beteiligt sind, so wie sich zur Zeit Saudi-Arabien am Krieg im Jemen beteiligt.

Neue Initiativen zur atomaren – und konventionellen – Abrüstung statt Forderungen nach immer größeren Militärausgaben.

Wir lehnen das 2%-Ziel der NATO ebenso wie die Erhöhung des deutschen Rüstungsetats ab. Eine pauschale Erhöhung der Wehretats auf 2% ist nicht notwendig. Viel sinnvoller ist eine Verbesserung der Ausstattung der Bundeswehr über die Nutzung von Synergien mittels einer gemeinsamen europäischen Beschaffungspolitik. So können Finanzmittel eingespart, abgerüstet und zugleich effektiv für Sicherheit gesorgt werden. Mit der im Koalitionsvertrag bereits vereinbarten Anhebung des Wehretats soll zudem eine engere Zusammenarbeit mit Bündnispartnern und Maßnahmen für Seenotrettungen verfolgt werden.

Bestrebungen zur Schaffung einer gemeinsamen europäischen Rüstungsindustrie unter Aufweichung nationaler Exportrichtlinien lehnen wir hingegen ab. Dafür setzen wir auch hier auf europäische Synergie durch den Aufbau einer gemeinsamen Beschaffungspolitik. Dafür führen wir auch eine gemeinsame restriktive Kontrolle von Rüstungsexporten ein, die durch ein parlamentarisches Kontrollgremium mit überwacht wird und Verstöße hart sanktioniert.

Nationale Armeen sollen in eine gemeinsame vom Europäischen Parlament kontrollierte Armee überführt werden. Diese wird insgesamt einen kleineren Umfang als die bisherigen nationalen europäischen Armeen haben. Damit eröffnen sich Möglichkeiten für konventionelle Abrüstung und einen effizienteren Ressourceneinsatz. Eine Ausrichtung der Bundeswehr auf eine stärkere Verschränkung mit Armeen anderer EU-Mitgliedstaaten, wäre dabei ein erster bedeutender Schritt.

Wir müssen die Automatisierung von Kriegsführung durch künstliche Intelligenz dringend regeln und begrenzen. Dazu gehört z.B. ein Verbot von bewaffneten Drohnen, erst recht für vollautomatisierte Waffensysteme. Um Technologien zum Wohle der Menschen zu entwickeln, bedarf es ethischer Richtlinien. Denn jedes autonome Waffensystem funktioniert mit derselben mechanischen Konsequenz wie beispielsweise Tretminen. Diese sind aus guten Gründen völkerrechtlich längst verboten. Deshalb ist es dringend geboten, die technische Entwicklung politisch zu begleiten.

Europa bleibt ein Friedensprojekt: Unser Ziel bleibt eine gemeinsame vertraglich geregelte Außen- und Sicherheitspolitik der EU, die vom Europäischen Parlament kontrolliert wird.

Eine humane Flüchtlingspolitik auf europäischer Ebene und weltweit.

Noch nie wie zuvor waren so viele Menschen vor Gewalt auf der Flucht wie heute. Mitte 2018 waren weltweit etwa 68 Millionen Menschen auf der Flucht. Weltweit lebten etwa 85 Prozent der Flüchtlinge Ende 2017 in Staaten mit niedrigen oder mittleren Einkommen. Diese Staaten benötigen die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft. Die UN-Flüchtlingshilfe muss für ihre Arbeit in den Konfliktregionen adäquat ausgestattet sein. Dafür müssen die UN-Staaten ihren finanziellen Verpflichtungen nachkommen. Die Europäische Union kann hier Vorreiter humanitärer Hilfe sein.

Innerhalb der EU soll es das Ziel sein, ein auf Freiwilligkeit basierendes Anreizsystem zu etablieren, welches die Infrastrukturen von Kommunen, die Geflüchtete aufnehmen, über einen ‘Kommunalen Entwicklungs- und Investitionsfonds’ gezielt fördert. Entscheidet eine Kommune, dass sie Kapazitäten für die Aufnahme von Geflüchteten hat, so soll sie diese auf europäischer Ebene anmelden können. In entsprechenden Institutionen der europäischen Mitgliedsländer sollen Asylsuchende drei Kommunen aus der Liste von Bewerber-Kommunen auswählen und priorisieren. Danach erfolgt eine Zuweisung. Der Fonds soll, entsprechend ihrer Wirtschaftskraft, von allen europäischen Ländern getragen werden. So werden Geflüchtete in der politischen und öffentlichen Debatte endlich zu einer Chance, statt als Belastung gesehen zu werden.

Solange es keine durch die EU geregelte Seenotrettung im Mittelmeer gibt, müssen NGOs und Flüchtlingshelfer*innen bei ihrer Arbeit unterstützt werden.

Für eine gerechte Welt

Die gegenwärtige Weltwirtschaftsordnung wird den Bedürfnissen der Weltbevölkerung nicht gerecht. Während in den vergangenen Jahrzehnten die absolute Armut gesenkt werden konnte, verschärft sich die Ungleichheit innerhalb der Staaten. Eine nachhaltige Reduktion von Armut ist nicht in Aussicht. Wir sehen die internationalen Organisationen der Sozialdemokratie wie die Sozialistische Internationale und die Progressive Alliance in der Pflicht, Alternativen zur kapitalistischen Globalisierung zu formulieren und durchzusetzen. Kernpunkt bleibt dabei für uns, das Jahrzehnte alte Versprechen der Industrieländer, 0,7% ihres Bruttosozialproduktes in die Entwicklungszusammenarbeit zu investieren, endlich einzulösen. Für den EU-Haushalt wollen wir sogar ein Prozent des Haushaltes für diese Aufgaben verwenden.

Ein weiterer Kernpunkt ist die Frage des Freihandels. Für uns ist klar, dass die Welthandelsorganisation (WTO) - bei all ihren Schwächen - das Gremium ist, das am ehesten einen Dialog auf Augenhöhe ermöglicht. Gegenüber bilateralen Freihandelsabkommen präferieren wir multilaterale Abkommen. Durch sie kann ein freier und fairer internationaler Handel sichergestellt werden. Zudem bieten uns multilaterale Abkommen die Chance, soziale und ökologische Mindeststandards zu vereinbaren – wie die ILO-Kernarbeitsnorm, ein Verbot von Kinderarbeit oder Wasser- und Ressourcenschutz. Um die WTO zu stärken, müssen wir sie unabhängiger gestalten – auch wenn eine Reform zu Lasten der westlichen Industrienationen gehen könnte. Für mehr Transparenz sollen nach Vorbild der UN künftig alle Dokumente veröffentlicht werden.

Wir wollen einen Handelskrieg mit den USA verhindern. Die Ankündigung von Donald Trump, Strafzölle auf Autos und Autoteile aus der EU zu erheben, ist genau der falsche Weg. Protektionismus ist keine Lösung!

Dazu gehört aber auch die Einsicht, dass die EU in vielen Bereichen höhere Zölle hat als die USA. Die EU sollte hier Verhandlungen über wechselseitige Reduzierung des Zollniveaus anstreben. Zur Wahrheit gehört auch, dass die Außenhandelsungleichgewichte innerhalb der EU auch weltweit zum Problem geworden sind. Die EU und insbesondere Deutschland hat die Verantwortung eine Wirtschaftspolitik zu führen, welche den Binnenmarkt vor den Export setzt, damit andere Staaten keine Gegenmaßnahmen ergreifen müssen. Insbesondere Zölle auf verschiedene Veredelungsstufen diskriminieren Länder der Dritten Welt. Wer eine nachhaltige und gerechte Weltwirtschaft will, darf keine Strukturen dulden, die den Export von Primärprodukten erleichtert, aber Produkte mit höherer Wertschöpfung bestraft. Diesen Missbrauch europäischer Marktmacht zu Lasten von Entwicklungs- und

Schwellenländern lehnen wir ab! Die EU darf keine Strafzölle mehr verhängen, um Handelsverträge oder Vertragsbestandteile durchzusetzen. Subventionierte Produkte dürfen in Freihandelsabkommen nicht mehr als “sensible Produkte” aus den Verträgen herausgehalten werden. Damit die EU in Zukunft als verantwortungsvoller Partner auftreten kann und einzelne Mitgliedstaaten den Abschluss von Handelsabkommen nicht mehr blockieren können, sollen auch umfassende Freihandelsabkommen durch ein Mehrheitsvotum des Europäischen Parlaments und des Rates zustande kommen. Für die Abstimmung im Rat sind wiederum die Regierungen an die Zustimmung der nationalen Parlamente zu binden. Es darf in solchen Verträgen allerdings keine Investoren-Schutzabkommen und keine Zulassung von Schiedsgerichten geben. Die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sind in den Programmen und Verträgen für alle Freihandelsverträge der WTO verbindlich zu verankern.

Joint Way Forward aussetzen - Abschiebungen nach Afghanistan stoppen.

Seit dem Abzug des größten Teils der ISAF Truppen Ende 2014 ist die Sicherheitslage in Afghanistan Jahr für Jahr volatiler geworden. Die Zahl der zivilen Opfer ist kontinuierlich gestiegen. (Quelle: UNAMA). Die Zahl der militärischen und zivilen Opfer zusammen betrug 2018 über 44.500 Menschen. Die Vereinten Nationen haben das Land im Herbst 2017 von einem “post conflict country” auf ein “country in conflict” degradiert. Dennoch behaupten europäische Politiker nachwievor, dass Afghanistan ein sicheres Land sei, in welches man Menschen ohne Bedenken abschieben könne, während selbst der afghanische Integrationsminister die europäischen Partner bittet, Abschiebungen auszusetzen. (25.03.2019 an die Niederlande)

Einige Mitgliedstaaten, wie z.B. Norwegen, die Niederlande und Schweden nutzen Joint Way Forward, um unter diesem Abkommen Familien mit minderjährigen Kindern, minderjährige Unbegleitete und Menschen mit geistiger Behinderung abzuschieben. Es ist nicht hinnehmbar, dass die Europäische Union in Hinblick auf die Sicherheitslage in Afghanistan solcherlei Praktiken ausübt.

Die Europäische Union muss das Rücknahmeabkommen aus 2016, Joint Way Forward, aussetzen, und aufhören auf Basis der Sicherheitslage zu argumentieren/begründen.

Einheitliche Asylverfahren Zeitgleich variieren die Anerkennungsquoten afghanischer Asylsuchender innerhalb der europäischen Länder. Während die Quote in Frankreich nachwievor bei etwa 86% Anerkennungen liegt, ist sie in Deutschland von 2014 mit 87% auf nunmehr 47% Zuerkennung Asyl oder Subsidiärer Schutz gesunken. Dies führt dazu, dass es eine innereuropäische Migrationsbewegung abgelehnter Asylbewerber gibt, welche versuchen, nach einer Ablehnung in einem anderen Mitgliedstaat Asyl/Schutz zu erhalten. Sie sind gezwungen über Jahre auf der Flucht zu sein.

Die Europäische Union muss dafür Sorge tragen, dass es ein einheitliches Anerkennungsverfahren gibt, welches eine faire, und nicht von innenpolitischen Interessen gelenkte, Behandlung des Schutzersuchens unabhängig von der Nationalität gewährleistet.

Frieden und Zusammenarbeit im Ostseeraum

Der Ostseeraum ist eine einzigartige Region der friedlichen Kooperation. Diese Region kann als Friedensvorbild weltweit gelten. Es ist wichtig mit allen Ostseeanrainerstaaten stets im Dialog zu stehen und niemanden auszuschließen. Zusammenarbeit ist der Kern des friedlichen Miteinanders.

Ostsee erfahren

Der Ostseeraum kann nur als solcher existieren, wenn sich die Menschen in der Region derer bewusst sind. Der Ostseeraum muss erfahrbarer werden. Beispielsweise können wir die Zusammenarbeit mit unseren Schwesterparteien in den Ostseestaaten intensivieren und somit einen Teil zum Erhalt des Friedens und Austausches leisten.

Kooperation

Die Kooperationsmöglichkeiten der Ostseestaaten sind vielfältig. Besonders auf der Hand liegen jedoch die Bereiche des Umweltschutzes, der Infrastrukturpolitik und des gemeinsamen Arbeitsmarktes. Umso enger die Staaten zusammenarbeiten, umso mehr wird der Frieden und das gegenseitige Verständnis gesichert.

Minderheiten

In den Ostseestaaten leben Minderheiten. Diese haben ein Anrecht auf Schutz. Daher fordern wir eine*n EU-Minderheitenkommissar*in it Standards zum Minderheitenschutz.

Russland

Es gibt eine grundlegende Wahrheit: Frieden in Europa ist nur mit und nicht gegen Russland möglich. Deshalb ist der Dialog mit Russland so wichtig. Wandel durch Annäherung funktioniert auch um 21. Jahrhundert. Dabei dürfen wir nicht naiv sein. Die EU und Russland müssen ihr gegenseitiges Verhältnis ordnen. Dafür brauchen wir eine ehrliche Diskussion innerhalb der europäischen Staaten, mit Russland und den Ländern der östlichen Partnerschaft. Rote Linien und gemeinsame Interessen müssen gegenseitig deutlich werden. Erst auf dieser Grundlage können wir weiter über ein gemeinsames europäisches Haus mit Russland und der EU nachdenken. Das ist für mich der entscheidende Teil europäischer Sicherheitsarchitektur.