Politische Leitsätze der SPD Schleswig-Holstein - eine Diskussionsplattform (1982)

Aus Beschlussdatenbank der SPD Schleswig-Holstein
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Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Husum 1982
Bezeichnung: Leitantrag
Antragsteller: Nicht aufgeführt


Beschluss: Angenommen


(Veröffentlicht in: „Zur Sache“ Nr. 20, Oktober 1982 - Herausgeber: SPD-Landesverband Schleswig-Holstein)


Vorwort

Die deutsche Sozialdemokratie hat in ihrer über 100jährigen Geschichte Deutschland verändert. Sie hat erfolgreich mehr Demokratie und soziale Gerechtigkeit durchgesetzt. Und sie hat ihren Beitrag dazu geleistet, den Frieden sicherer zu machen. Auf diese Leistungen sind wir Sozialdemokraten stolz.

Heute geht es darum, die Friedenspolitik und die Politik der sozialen Gerechtigkeit der SPD unter veränderten außenpolitischen und wirtschaftlichen Bedingungen fortzusetzen. Damit beschäftigen sich die politischen Leitsätze.

Diese "Politischen Leitsätze der SPD Schleswig-Holstein" enthalten nicht für jedes Problem eine Lösung. Sie sind auch kein Beitrag zu aktuellen Tagesthemen. Aber sie wollen Antworten auf einige große Fragen dieser Zeit geben: Wir wollen dem Rüstungswettlauf eine aktive Friedens— und Abrüstungspolitik entgegensetzen. Und wir wollen den Auswirkungen der internationalen Wirtschaftskrisen mit offensiver sozialer Reformpolitik begegnen.

Unsere politischen Forderungen stehen in der Tradition der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung. Sie bauen auf dem "Godesberger Grundsatzprogramm" und auf dem "Orientierungsrahmen '85" der SPD auf.

Diese "Politischen Leitsätze" werden ergänzt durch die aktuellen Parteitagsbeschlüsse der SPD Schleswig-Holstein zu einzelnen Themen. Sie sind Bestandteil unserer Aktionsprogramme für Landtags- und Kommunalwahlen. Sie sind ein Angebot zur Diskussion.

Ziele und Grundwerte

1.

"So wie bisher kann es nicht weitergehen!" Das ist eine Meinung, die sich immer mehr verbreitet. Wie soll es aber weitergehen? Viele haben Angst vor der Zukunft. Droht ein alles Vernichtender Atomkrieg? Bricht die Weltwirtschaft, von der wir so abhängig sind, zusammen? Sind unsere Arbeitsplätze noch mehr gefährdet? Werden sich die Umweltbedingungen weiter verschlechtern? Wird das Zusammenleben der Menschen noch mehr durch Rücksichtslosigkeit, Kälte, Isolierung und Sprachlosigkeit belastet werden?

Die politische Rechte verspricht, das Heil im Gestern und Vorgestern zu finden. Doch mit den Rezepten der Vergangenheit sind die vor uns liegenden Probleme nicht zu meistern.

Wir Sozialdemokraten haben keine Patentlösungen. Aber wir weichen vor den Aufgaben der Gegenwart und Zukunft nicht zurück.

Wir geben die Hoffnung nicht auf, dass es uns Menschen möglich ist, unser Zusammenleben friedlicher, freier, gerechter, menschlicher zu gestalten. Wir wollen mit den Bürgern zusammen die Wege finden, die zu einer humaneren Gesellschaft führen.

Wir richten unsere Vorschläge für eine gemeinsame Politik an unseren Zielen und Prinzipien aus. Davon sind uns besonders wichtig:

Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität, Demokratie, Arbeit und die Erhaltung der natürlichen Umwelt.


2.

Frieden ist das Fundament jeder menschenwürdigen Gesellschaft.

Eine Welt in Frieden setzt das Selbstbestimmungsrecht aller Völker voraus.

Eine Welt in Frieden erfordert eine gerechte Verteilung der Reichtümer unserer Erde.

Eine Welt in Frieden braucht politische Entspannung, militärische Abrüstung und internationale Zusammenarbeit.


3.

Freiheit bedeutet die freie Entfaltung der Persönlichkeit des einzelnen in Verantwortung für die Rechte anderer.

Eine freie Gesellschaft muss jede Bevormundung der Menschen durch den Staat, durch die Massenmedien oder durch unkontrollierte wirtschaftliche Macht abwehren.

Eine freie Gesellschaft muss die Einengung der politischen Entscheidungsfreiheit durch sogenannte "Sachzwänge" soweit wie möglich einschränken, indem sie die technische Entwicklung, insbesondere die Großtechnik, demokratischer Entscheidung unterwirft.

Eine freie Gesellschaft erfordert den aktiven Einsatz für alle staatsbürgerlichen Rechte und Freiheiten, die in der Vergangenheit gegen zäh verteidigte Privilegien errungen worden sind.

Eine freie Gesellschaft muss die Fremdbestimmung des Menschen durch eine hemmungslose Kommerzialisierung aller Lebensbereiche abwehren.

Eine freie Gesellschaft duldet weder Gewalt noch Abhängigkeit zwischen den Geschlechtern und bemüht sich deshalb um die Aufhebung festgefügter Rollenvorstellungen über die Aufgaben von Männern und Frauen.

Eine selbstbewusste freie Gesellschaft öffnet sich den kulturellen Einflüssen, wie sie von den ausländischen Mitbürgern in unserem Lande ausgehen. Sie ist bestrebt, diesen zu gleichen Rechten zu verhelfen, wie sie den eigenen Landsleuten zustehen.


4.

Gerechtigkeit bedeutet die Verwirklichung gleicher Freiheit, aber auch gleicher Rechte und gleichwertiger Lebenschancen für alle Bürgerinnen und Bürger.

Eine gerechte Gesellschaft beseitigt Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts und eröffnet Männern und Frauen die gleichen Chancen für Ausbildung und Berufstätigkeit.

Eine gerechte Gesellschaft setzt die Beseitigung aller Arten von Klassenunterschieden voraus.

Eine gerechte Gesellschaft erfordert mehr Gleichheit in der Verteilung von Arbeit, Eigentum, Einkommen und Macht, aber auch beim Zugang zu Bildung und Kultur und bei der Durchsetzung von Rechten einzelner und gesellschaftlicher Gruppen.

Eine gerechte Gesellschaft ermöglicht Männern und Frauen gleichermaßen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen und für Kindererziehung und Hausarbeit verantwortlich zu sein.


5.

Solidarität bedeutet Verantwortung gegenüber den Mitmenschen und gegenüber der Gesellschaft.

Eine solidarische Gesellschaft verlangt den Abbau diskriminierender Vorurteile und aktiven Schutz der Schwachen vor den Stärkeren.

Eine solidarische Gesellschaft fordert von den Menschen, sich füreinander verantwortlich zu fühlen, einander zu helfen und als Gleiche unter Gleichen miteinander zu leben.

Eine solidarische Gesellschaft verlangt den gemeinsamen Kampf für die Verwirklichung von Freiheit und Gerechtigkeit für alle.

Eine solidarische Gesellschaft engagiert sich für Freiheit und Gerechtigkeit auch jenseits ihrer nationalen Grenzen.


6.

Demokratie bedeutet die gleichberechtigte Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger an der Volksherrschaft.

Eine demokratische Gesellschaft fordert von ihren Bürgern, dass sie sich gegen jede Form von Machtmissbrauch und Diktatur aktiv zur Wehr setzen.

Für eine demokratische Gesellschaft ist Demokratie eine Lebensform, die in allen gesellschaftlichen Bereichen Gültigkeit hat. Sie braucht deshalb wirtschaftliche Demokratie genauso wie politische Demokratie.

Eine demokratische Gesellschaft muss die Konzentration von wirtschaftlicher und publizistischer Macht in den Händen weniger verhindern.


7.

Arbeit‚ ist eine wichtige Grundlage des persönlichen und des gesellschaftlichen Lebens.

Durch Arbeit sichert der einzelne für sich und seine Angehörigen den Lebensunterhalt. Durch gemeinsame Arbeit der Bürger werden die Grundlagen des gesellschaftlichen Wohlstandes geschaffen.

Jeder hat das Recht auf eine Arbeit, die als sinnvoll erlebt werden kann. Die Arbeit ist sinnvoll, wenn sich in ihr die Fähigkeiten und Neigungen des Arbeitenden entfalten können und ihre Ergebnisse seinen Werten und Zielen entsprechen.

Sinnvolle Arbeit erfordert die Verwirklichung von Selbstbestimmung und Mitbestimmung. Sinnvolle Arbeit setzt humane Arbeitsbedingungen voraus.

Sinnvolle Arbeit schließt auch unbezahlte Tätigkeiten ein, die der Befriedigung des eigenen Bedarfs dienen oder solidarische Leistungen für die Familie, in Parteien und Verbänden, in Bürgerinitiativen und anderen gemeinnützigen Organisationen darstellen.

Die Möglichkeiten dieser Art von Arbeit werden mit wachsender Freizeit größer.


8.

Die Erhaltung der natürlichen Umwelt bedeutet die Sicherung der Lebensgrundlagen jetziger und zukünftiger Generationen.

Aktive Umweltpolitik muss dem Raubbau an der Natur ein Ende setzen, die Verschwendung von Energie und Rohstoffen unterbinden und die negativen Auswirkungen (Abgase, Abwässer, Abfall, Lärm, Abwärme und gefährliche Strahlung) bei der Nutzung von Rohstoffen und Produkten auf ein ökologisch vertretbares Maß reduzieren.

Die Probleme wachsen

9. Die deutsche Sozialdemokratie hat auf ihrem Weg vie1 erreicht. Sie hat erfolgreich mehr Demokratie und soziale Gerechtigkeit durchgesetzt. Ihre aktive Entspannungspolitik hat den Frieden sicherer gemacht.

Und doch sind wir weit entfernt von gesichertem Frieden und wirklicher Demokratie, von einem Leben, in dem menschenwürdige Arbeit, Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität und die Erhaltung der natürlichen Umwelt für alle Menschen verwirklicht sind.


10.

Im Gegenteil: Die Probleme in unserer Gesellschaft und im Zusammenleben der Völker drohen schneller zu wachsen als die politischen Möglichkeiten, sie zu lösen. Der innere Friede, weltweite Entspannungspolitik auf allen Ebenen in Ost und West sowie die Durchsetzung einer neuen sozialen Weltwirtschaftsordnung müssen deshalb vordringliche Ziele aller Staaten sein.


11.

Die SPD hat wichtige friedenspolitische Zeichen gesetzt. Der Frieden auf der Welt ist aber dennoch in Gefahr. Das Risiko eines neuen Weltkrieges steigt.

Es steigt mit der Automatik des rüstungstechnischen Fortschritts und der Ausweitung des militärisch-industriellen Komplexes in Ost und West.

Es steigt, weil die Industrieländer in immer größerem Umfang Rüstungsgüter exportieren. Mit den exportierten Waffen werden in der Dritten und Vierten Welt ständig Kriege geführt.

Es steigt, weil die technischen Möglichkeiten zum Bau atomarer Waffen weltweit verbreitet werden.

Es steigt, weil durch die ständig steigenden Rüstungsausgaben die Mittel zu wirksamer Hilfe in der Dritten und Vierten Welt fehlen und so die arme Mehrheit der Menschen durch die Schuld der reichen Minderheit immer tiefer ins Elend gerät.

Und es steigt, weil die Supermächte alle Veränderungen in der Welt nur an ihrem eigenen Machtstreben messen, gleich ob sie sich in ihrem eigenen Interessenbereich, in dem des Gegners oder bei den paktungebundenen Staaten vollziehen.

In Europa stehen sich zwei weltanschauliche Systeme und militärische Machtblöcke unmittelbar gegenüber.

Hier ist so viel Kriegsmaterial konzentriert wie sonst nirgendwo auf der Erde. Hier wächst mit der Einführung neuer atomarer Mittelstreckenraketen in Ost und West die Kriegsgefahr, und sie wächst weiter, wenn die Supermächte sich der Illusion hingeben, eine kriegerische Konfrontation zwischen ihnen lasse sich auf Mitteleuropa begrenzen .

Deswegen ist das Streben der Supermächte nach militärischer Überlegenheit für uns so gefährlich. Deswegen sind die Drehungen der Rüstungsspirale, die sich hinter der Vokabel "Gleichgewicht des Schreckens" verbergen, ein Verhängnis für den Frieden.

Als ein geteiltes Volk, das in zwei Staaten lebt, von denen jeder der wichtigste Bündnispartner einer der beiden Supermächte ist, sind wir besonders gefährdet. Angesichts dieser Gefährdung haben wir eine besonders große Verantwortung für den Frieden. Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen.

Das weltweite Wettrüsten ist der Wahnwitz unserer Zeit:

Wir beklagen den wachsenden Hunger in der Welt, aber wir geben viele hundert Milliarden DM für Rüstungsgüter aus. Und diese Ausgaben steigen von Jahr zu Jahr.

Wir beklagen die Knappheit von Energie und Rohstoffen, aber wir verschwenden beides in der Rüstungsproduktion und im Krieg.

Wir reden von Frieden, aber wir haben genug Atomwaffen, um jedes menschliche Leben auf unserem Planeten auszulöschen - nicht nur einmal, sondern vielmals. Und die Vernichtungskraft wird ständig weiter vergrößert.

Die Menschheit ist dabei, sich zu Tode zu rüsten. Es ist höchste Zeit, dass diese Entwicklung endlich gestoppt wird.


12.

Die SPD hat immer für Freiheit und Demokratie gestritten. Das ist auch in Zukunft notwendig.

Wir nennen unsere Gesellschaft demokratisch, aber wir haben bisher weder eine breite öffentliche Beteiligung an kommunalen und staatlichen Entscheidungen noch eine umfassende Mit- und Selbstbestimmung der Menschen in der Wirtschaft, in den Schulen, im Wohnbereich, in den Sozialeinrichtungen und in den Verwaltungen verwirklicht.

Wir sind eine parlamentarische Demokratie, aber immer mehr wird politische Macht von großen Interessengruppen, nichtlegitimierten Institutionen und unkontrollierbaren‚ Bürokratien usurpiert. Immer mehr Entscheidungen werden den Gerichten überlassen oder zentralisiert und damit dem Einblick und der Mitwirkung der Bürger entzogen.

Wir treten ein für die freie Entfaltung der Persönlichkeit, aber wir setzen sie neuen Gefahren aus durch die elektronische Speicherung und den Austausch von persönlichen Daten durch staatliche Behörden.

Wir wollen Toleranz und Meinungsfreiheit‚ aber wir sehen immer neue Versuche der Einschränkung von Liberalität und Rechtsstaatlichkeit.

Wir fordern Meinungsvielfalt, aber die Meinungsbildung überlassen wir zum Beispiel in der Presse wenigen finanzstarken Verlagen, die auch bei den neuen elektronischen Medien Information als Ware verkaufen wollen.

Wir wollten auf den Trümmern des Nazi-Reiches eine antifaschistische Demokratie aufbauen, aber der gewaltsame Extremismus von rechts und von links stellt dieses Ziel aufs neue in Frage.


13.

Die SPD hat in ihrer Geschichte in vielen Bereichen unserer Gesellschaft Ungerechtigkeiten beseitigt. Gerechtigkeit für alle Bürger liegt aber noch in weiter Ferne.

Wir bekennen uns zur Gleichberechtigung der Geschlechter, aber wir dulden vielfältige Benachteiligungen der Frauen aufgrund ihres Geschlechts.

Wir wollen eine sozial gerechte Ordnung, aber wir lassen zu, dass die Kluft zwischen Vermögenden und Nichtvermögenden, zwischen großen und kleinen Einkommen sich vergrößert und damit die gesellschaftspolitische Macht weniger über viele wächst.

Wir sprechen von einer sozialen Gesellschaftsordnung, aber Millionen von Menschen leben als Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger und Kleinrentner am Rande des Existenzminimums, während andere ein Leben im Überfluss führen.

Wir sind stolz auf das Netz unserer sozialen Errungenschaften, aber die Wirksamkeit unserer sozialen Leistungssysteme wird beeinträchtigt, weil wir Schäden reparieren, ohne ihre Ursachen zu beseitigen, und weil einige Gruppen mit der Krankheit und der Not der Menschen ein Geschäft machen.

Wir bekämpfen alle Arten von Klassenunterschieden, aber immer noch bestimmen Herkunft, Bildung und Vermögen den gesellschaftlichen Einfluss.


14.

Die SPD war immer der Solidarität verpflichtet. Der Kampf gegen die "Ellenbogengesellschaft" ist aber noch lange nicht gewonnen.

Wir wollen für den Mitmenschen eintreten, aber immer mehr Menschen werden ins soziale Abseits gedrängt: alte Menschen, Alleinerziehende, kinderreiche Familien, ausländische Arbeitnehmer, Arbeitslose und Behinderte.

Wir fordern eine solidarische Gemeinschaft, aber die Menschen werden vor allem daran gemessen, wie sie als Arbeitnehmer und Konsumenten verwertbar sind: Egoismus und Konkurrenz ist immer noch weitgehend unser Wirtschafts- und Lebensprinzip. Wer seine Ellbogen nicht benutzen kann oder will, hat wenig Aussichten auf öffentliche Anerkennung und sozialen Aufstieg.

Wir bejahen internationale Solidarität, aber die Entwicklungshilfe der Bundesrepublik bleibt weit hinter unseren Verpflichtungen zurück.


15.

Die SPD hat viel für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Menschen erreicht. Das Recht auf eine sinnvolle Arbeit ist aber längst noch nicht für alle durchgesetzt.

Wir wollen menschliche Arbeitsbedingungen, aber wir dulden eine wachsende Belastung der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz durch Schmutz, Lärm, Unfallgefahren, durch Monotonie und Stress, durch Schichtdienst und Nachtarbeit.

Wir wollen mehr Selbstentfaltung, Selbständigkeit und Zusammenarbeit am Arbeitsplatz. Stattdessen nehmen aber Monotonie und Hierarchie in der Arbeit zu.

Wir beklagen die wachsende Arbeitslosigkeit, aber uns fehlen Hunderttausende von Arbeitskräften in den Schulen, Krankenhäusern und Sozialeinrichtungen zur Schaffung menschenwürdiger Wohnbedingungen, zur Einführung wirksamer Energiesparmaßnahmen, zum Bau und Betrieb attraktiver öffentlicher Verkehrsmittel.

Immer noch müssen sich die Menschen an die vorgegebenen Bedingungen der Arbeitswelt anpassen, statt dass-diese Bedingungen den Bedürfnissen der Menschen angepasst werden. Immer noch gilt das Eigentumsrecht an Produktionsmitteln mehr als das Recht auf Arbeit. Und mehr noch als früher führt die ungesteuerte Entwicklung der Technik heute und zukünftig zur Vernichtung zahlloser Arbeitsplätze.


16.

Wir fordern wirksamen Umweltschutz, aber wir erleben eine wachsende Belastung von Natur und Umwelt, an der wir selbst tagtäglich mitwirken. Wir setzen nicht genügend Mittel für die aktive Umweltpolitik ein, weil die Verursacher von Umweltschäden nur teilweise herangezogen werden.

Wir wollen humane Arbeitsbedingungen, aber immer mehr Arbeitnehmer sind gezwungen, gesundheitliche Schäden bei der Produktion gefährlicher Stoffe hinzunehmen.

Wir haben nicht genügend Mittel für eine aktive Umweltpolitik, aber die Verursacher von Umweltschäden überwälzen die Reparaturkosten in immer noch wachsendem Umfang auf die Allgemeinheit.

Ohne Umdenken keine Lösungen

17.

Ohne Umdenken gibt es keine Lösungen dieser Probleme. Denn mit den Vorstellungen von gestern sind die Aufgaben von heute und morgen nicht zu meistern. Die Rezepte der Nachkriegszeit versagen angesichts der Fragen, vor denen wir stehen.


17a.

Die Vorstellung ist überholt, man könne durch militärische Rüstung gegen einen möglichen Gegner Sicherheit schaffen.

Im nuklearen Zeitalter gibt es nicht mehr Gewinner und Verlierer, sondern nur den gemeinsamen Untergang. Sicherheit lässt sich nur noch mit dem Gegner erreichen, sie muss mit ihm gemeinsam organisiert werden. Das Ziel für Europa ist die Sicherheitspartnerschaft zwischen Ost und West.


18.

Wir müssen die Vorstellung überwinden, eine grenzenlos wachsende Industriegesellschaft führe automatisch zu wachsenden Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung und der Lösung sozialer Probleme.

Mögen die Prognosen über unsere Zukunft auch umstritten sein, unbestritten ist: Auf einem endlichen Planeten können Produktion, Bevölkerung, Energie- und Rohstoffverbrauch nicht endlos wachsen.

Wir haben uns auf die Grenzen des Wachstums einzustellen. Deswegen müssen wir über unseren zukünftigen politischen Weg neu entscheiden. Die sozialen und ökologischen Folgen eines unkontrollierten Wachstums drohen uns sonst zu überrollen.


19.

Wir müssen ein Fortschrittsdenken überwinden, das in der profitorientierten Naturausbeutung und einer schrankenlosen Technisierung die Voraussetzung für ein wachsendes Glück der Menschen sah.

Der Hang zur rücksichtslosen Ausbeutung und Zerstörung der Natur sowie zur bedenkenlosen Ökonomischen Verwertung jeglicher Ressourcen ohne ökologische Rücksichtnahme sind die Schattenseiten eines Siegeszuges von Wissenschaft und Technik, der von der Wirtschaft zur Gewinnmaximierung ausgenutzt wird. Zu einem korrigierten Maßstab des Fortschritts muss die ökologische Vertretbarkeit als unverzichtbares Kriterium gehören.

Heute muss jedes Denken als einseitig und unvollkommen gelten, das die ökologischen Zusammenhänge nicht berücksichtigt. Fortschritt kann künftig nur eine Entwicklung heißen, die den ökologischen Erfordernissen genügt.


20.

Wir müssen den kollektiven Egoismus der Industrieländer überwinden.

Der Wohlstand der reichen Länder ist nach dem Zweiten Weltkrieg beschleunigt gestiegen. Gestiegen ist aber auch der Preis, den die armen Länder der Welt dafür zahlen. Die Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen Nord und Süd ist größer geworden.

Immer drängender werden die Umweltprobleme der Dritten und Vierten Welt, aber immer noch betreiben internationale Unternehmen Raubbau an der Natur dieser Länder.

Immer weiter haben die Industrieländer ihren Rohstoffverbrauch gesteigert, und immer geringer wurden die Chancen der armen Länder der Welt, einen gerechten Anteil an den Weltrohstoffvorkommen zu erhalten.

Immer besser ist die Nahrungsmittelversorgung der Menschen in den Industrieländern, und immer mehr Menschen in der Dritten und Vierten Welt leider an Hunger, Unter- und Fehlernährung.


21.

Wir müssen ein Denken überwinden, das die überregionalen und internationalen Folgen sowie die langfristigen Auswirkungen unseres Handelns vernachlässigt.

Viele Probleme stellen sich weltweit und lassen sich nur noch global lösen. Die Veränderung des Klimas, die Vergiftung der Meere und der Luft, der Raubbau an fossilen Rohstoffen, die Abholzung der Wälder, die Vernichtung von Tier- und Pflanzenarten — das alles hat Konsequenzen für unseren Planeten. wir müssen lernen, für das "Raumschiff Erde" eine gemeinsame Verantwortung zu tragen, von der sich keine Region und kein Land ausschließen kann. Die Industrieländer müssen durch besondere Anstrengungen ihrer besonderen Verantwortung für die Entstehung dieser Probleme gerecht werden.

Wenn wir weiter in Wahlperioden denken und größere Zeltdimensionen vernachlässigen, können wir die vor uns liegenden Probleme nicht meistern. wir verpassen die Chance, heute erkennbare, negative Trends der Entwicklung zu ändern, um der Katastrophe von morgen zu entgehen. Wie noch nie zuvor tragen die Politiker heute weltweite Verantwortung für die Zukunft der Lebensbedingungen und damit für die Zukunft der gesamten Menschheit.


22.

Wir müssen ein Denken überwinden, das unkritisch alles technisch Machbare für gut und jede Steigerung der Größenordnung für einen Fortschritt hält.

Die technische Leistungsfähigkeit unseres industriellen und politischen Systems ist zwar größer als je zuvor. Aber es wächst auch die Gefahr einer allumfassenden Fremdbestimmung des Bürgers durch anonyme Apparate.

Immer mehr Automatisierung und immer mehr internationale Kapitalkonzentration erlauben den arbeitenden Menschen immer weniger Mit- und Selbstbestimmung.

Immer kompliziertere staatliche und großgesellschaftliche Bürokratien sind für den Bürger immer weniger überschaubar und kontrollierbar: Nie wurden die Menschen in solchem Maße erfasst, observiert und gespeichert.

Immer neue und immer kompliziertere Waffentechnologien machen den Rüstungswettlauf immer weniger beherrschbar: Die Eigendynamik und das Eigeninteresse eines mächtigen militärisch-industriellen Komplexes treten an die Stelle demokratischer Kontrolle.

Immer mehr technologische Großprojekte legen die zukünftige Entwicklung unserer Gesellschaft auf Jahrzehnte fest, und immer geringer sind die Möglichkeiten der Bürger und ihrer gewählten Vertreter in den Parlamenten, darauf Einfluss zu nehmen: Sachzwange treten an die Stelle politischer Entscheidungen.


23.

Wir müssen ein Denken überwinden, das ökonomischen Werten den Vorrang vor allem anderen einräumt.

Eine Gesellschaft, die sich den Gesetzen einer kapitalistischen Marktordnung unterwirft, ist keine humane Gesellschaft. In ihr haben Mensch und Natur nur den Wert, der sich durch ihre ökonomische Verwertbarkeit bestimmt.

Die Krise der industriellen Wachstumsgesellschaft ist auch eine Krise der ihr zugrundeliegenden Werte:

Ein immer weiter wachsender Lebensstandard ist keine Garantie für eine immer weiter wachsende Zufriedenheit der Menschen: Ein Mehr an Wohlstand ist nicht immer ein Mehr an Glück.

Immer stärkere Leistungskonkurrenz und Disziplin erlauben immer weniger Mitmenschlichkeit und Selbstverwirklichung: Die Kultur des “Immer mehr" stellt sich selbst in Frage.

Immer mehr Prestigekonsum lässt die Frage nach den eigentlichen Lehensbedürfnissen der Menschen immer dringender erscheinen.

Immer mehr Menschen erkranken psychisch an dieser Gesellschaft, die ihnen keine Geborgenheit bietet, die sie durch Stress überfordert und durch Anonymität und Kälte der sozialen Beziehungen in die Einsamkeit treibt.

Viele Menschen sehen heute in unserer Gesellschaft keine sinnvolle Zukunftsperspektive und keine Möglichkeit zu persönlichem Engagement. Sie ziehen sich deshalb resigniert aus der Gesellschaft zurück oder lehnen sich gewaltsam gegen sie auf.


24.

Mächtige Gruppen in Wirtschaft und Gesellschaft leisten gegen das einsetzende Umdenken Widerstand und wollen stattdessen die Unsicherheit der Lage zu einer Gegenreform nutzen.

Sie verlangen Zurückhaltung der Gewerkschaften in der Tarifpolitik, richten Maßhalteappelle an die Arbeitnehmer, um die eigenen Privilegien abzusichern und auszubauen.

Sie fordern einen Abbau staatlicher Sozialleistungen und wollen damit die sozial Schwächsten sich selbst überlassen.

Sie reden von der Stärkung des Leistungswillens und wollen in Wahrheit mehr Ungleichheit in unserer Gesellschaft durchsetzen.

Sie fordern Steuersenkungen für die Wirtschaft und für die Bezieher hoher Einkommen und verweigern damit dem Staat die Mittel und die Möglichkeiten, mit den sozialen Folgen der Wachstumskrise fertig zu werden.

Sie schüren die Angst vor dem Verlust von Arbeitsplätzen und wollen damit den Umweltschutz und eine neue Energiepolitik unterlaufen.

Sie vertrösten auf das wiederkehrende Wachstum und leugnen damit die Notwendigkeit tiefgreifender gesellschaftlicher Reformen.

Sie werben für die Aufrüstung und sind unfähig zur Verteidigung der sozialen Lebensinteressen unserer Bevölkerung.


25.

Die Antwort der Sozialdemokraten auf die Krise der Industriegesellschaft ist eine Politik grundlegender Reformen.

Wir wollen nicht tatenlos zusehen, wie die wirtschaftliche Schwäche im Innern durch eine Politik der Stärke nach außen überspielt wird.

Wir wollen nicht abwarten, bis eine neue Hysterie des kalten Krieges und der Aufrüstung innenpolitischen Reformwillen blockiert.

Wir wollen nicht hinnehmen, dass weltweit mehr Geld für Rüstung und weniger Geld für die soziale Sicherung ausgegeben wird. Wir wollen verhindern, dass die Kosten der Wirtschaftskrise und die Folgen der damit verbundenen Strukturveränderungen von den ohnehin Schwachen und Benachteiligten getragen werden müssen. Wir wollen vermelden, dass unsere Systeme der sozialen Sicherheit ausgehöhlt werden, weil immer weniger Geld für immer mehr soziale Probleme vorhanden ist.

Wir wollen verhindern, dass die Angst vor wirtschaftlichen Problemen die Solidarität der Arbeitnehmer und aller wirtschaftlich und sozial Benachteiligten bei der Wahrnehmung ihrer Interessen zerstört.

Wir wollen uns wehren, wenn die Gefahr des "Klassenkampfes von oben" größer wird.

Wir wollen dagegen ankämpfen, dass Hoffnungslosigkeit und Zukunftsangst um sich greifen und viele Menschen sich resigniert von unserer Gesellschaft und ihren Institutionen abwenden.

Wir wollen dafür sorgen, dass wachsende Zukunftsangst, Einflusslosigkeit und politische Ohnmacht des Bürgers, Undurchschaubarkeit politischer und administrativer Entscheidungen nicht der Nährboden werden für neofaschistische oder neonnationalistische Ideologien und vorgebliche pseudoreligiöse Heilslehren.


26.

Unsere Probleme sind weder naturgegeben noch unvermeidbar. Die Menschen selbst tragen dafür die Verantwortung. Und sie haben es in der Hand, durch politische Entscheidungen für Abhilfe zu sorgen.

Im Godesberger Programm wird als "Widerspruch unserer Zeit" bezeichnet, dass der Mensch die Produktivkräfte aufs höchste entwickelt, aber gleichzeitig die natürlichen Bedingungen des Lebens zerstört habe. Dass der Mensch ungeheure Reichtümer angesammelt habe, ohne allen einen gerechten Anteil an der gemeinsamen Leistung zu verschaffen. Der Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung bestimmt noch immer die Gesellschaft in der Bundesrepublik: Viele beteiligten und beteiligen sich am Auf- und Ausbau von Wirtschaft und Gesellschaft, und nur ganz wenige bestimmen die Richtung ihrer Entwicklung. Das wollen wir durch Reformpolitik verändern.


27.

Wir fordern: Friedenspolitik, die Abrüstung verwirklicht!

Wirtschaftspolitik, die die Umwelt schont, Arbeit schafft und gleichmäßig verteilt!

Sozialpolitik, die die Ursachen sozialer Probleme bekämpft!

Bildungs- und Freizeitpolitik, die Selbstbestimmung und Mitverantwortung fördert!

Gleichstellungspolitik, die die Benachteiligung von Frauen beseitigt!

Wir kämpfen langfristig für eine sozialistische Gesellschaft.

Politik für eine bessere Zukunft

Sozialdemokraten für Frieden und Abrüstung

28.

Wir Sozialdemokraten haben uns stets für Frieden und Abrüstung eingesetzt. Die konsequente Fortsetzung unserer Friedens- und Entspannungsbemühungen ist für Europa lebenswichtig. Nur eine Politik echter Partnerschaft gegenüber allen Völkern kann die gemeinsame Sicherheit aller garantieren.

Die politische Zusammenarbeit der Staaten Westeuropas nach dem Zweiten Weltkrieg hat den Frieden gefestigt. Sie ist auch in Zukunft eine Voraussetzung für friedenspolitische Fortschritte in Europa. Die Bemühungen der Europäer um friedenssichernde Zusammenarbeit dürfen aber nicht an den Paktgrenzen haltmachen, die Europa heute teilen. Die Europäer in 0st und West haben ein gemeinsames Interesse daran, gegenüber den Supermächten den spezifisch europäischen Standpunkt zur Geltung zu bringen. Darum bleibt die Überwindung der Spaltung Europas und die Auflösung der Paktsysteme ein unverzichtbares politisches Ziel.

Solange aber dieses Europa in zwei große Machtblöcke gespalten ist, bleibt unsere Mitgliedschaft in der NATO ohne Alternative. Dabei muss freilich gesichert sein, dass die NATO ein reines Defensivbündnis ist.


29.

In der Überzeugung, dass die Sicherheit Europas gemeinsame Aufgabe aller europäischer Staaten ist, fordern wir die Einberufung einer Abrüstungskonferenz für Europa unter Beteiligung aller NATO-Mitgliedstaaten mit periodischen Folgekonferenzen zur Überprüfung und Weiterentwicklung getroffener Vereinbarungen.


30.

Ziel ist ein atomwaffenfreies Europa. Voraussetzung ist die Schaffung einer atomwaffenfreien Zone in Europa.

  1. Alle Atomwaffen werden aus jenen Staaten Europas abgezogen, die nicht selbst über sie verfügen.
  2. Auf dem Gebiete der konventionellen Streitkräfte ist zwischen NATO und Warschauer Pakt eine Verringerung zu vereinbaren, die einen militärischen Angriff undurchführbar werden lässt.
  3. Die beiden Bündnisse mit ihren Verpflichtungen und Garantien bleiben dabei im Kern unverändert.

Schritte auf diesem Weg können sein

  • Verzicht auf den Ersteinsatz von Nuklearwaffen,
  • eine 300-km-Zone frei von atomaren Gefechtsfeldwaffen‚
  • eine schrittweise Verringerung der Atomwaffenbestände.

Wir sind gegen Forschung, Entwicklung und Produktion von neuen Nuklearwaffen, wir lehnen ihre Lagerung auf unserem Boden ab.

Im Rahmen einer möglichst weitgehenden Verringerung der konventionell-militärischen Rüstung fordern wir den Abschluss einer Gewaltverzichtskonvention.

Wir fordern ferner ein Verbot der Forschung, Entwicklung, Produktion und Lagerung von biologischen und chemischen Kampfstoffen und von Brandbomben sowie die Vernichtung aller vorhandenen Bestände.


31.

Wir wollen ein Sicherheitspolitisches Konzept, das der Bundeswehr eine eindeutig defensive Aufgabe zuweist. Wir wollen eine sicherheitspolitische Strategie, die nicht jede technologische Drehung der Rüstungsspirale mitvollzieht. Eine Vervielfachung der Fähigkeit der Abschreckung macht diese nicht wirksamer. Es ist deshalb unsinnig und gefährlich, Frieden auf immer höheren Stufen nuklearer Zerstörungsfähigkeit bewahren zu wollen.

Wir fordern, dass die Doktrin der Abschreckung durch eine Doktrin der gemeinsamen Sicherheit ersetzt wird. Eine Abschreckungs-Strategie, die das Volk des Verteidigers stärker erschreckt als den Angreifer, wäre widersinnig. Im demokratischen Staat müssen auch Verteidigungsstrategien von der Mehrheit der Bevölkerung verstanden und getragen werden. Wir brauchen mehr offene Information und Diskussion und eine stärkere Berücksichtigung der Wertvorstellungen, der Gefühle und Bedenken der Bevölkerung. Konzepte der sozialen Verteidigung müssen rational und ohne Tabus diskutiert werden.


31a.

Einseitige Abrüstungsschritte führen nicht automatisch zu einem Verlust an eigener Sicherheit. Sie sind vielmehr eine Alternative zum sogenannten Gleichgewicht des Schreckens auf immer höherem Niveau, das zu einem lebensbedrohenden Rüstungswettlauf geführt hat und weiter führt.

Solche Schritte sind unter anderen

  • die Nichtstationierung neuentwickelter Atomwaffen im Kurz— und Mittelstreckenbereich, die Sicherheitssysteme destabilisieren, Rüstungskontrollen unterlaufen und damit die Kriegsgefahr auf europäischem Boden erhöhen;
  • das Verbot der Lagerung und des Einsatzes von Neutronenwaffen auf dem Gebiet der Bundesrepublik;
  • das sofortige Einfrieren des Verteidigungshaushaltes als ersten Schritt einer Verringerung der Rüstungsausgaben.


32.

Wir wollen keine Exporte von Rüstungsgütern an Nicht-Nato-Länder.

Wir lehnen den Einsatz von Nato-Einheiten außerhalb des eigentlichen Nato-Bereichs ab.

Nato-Mitgliedsländer, die den Weg der Demokratie Verlassen, verlieren den Anspruch auf wirtschaftliche, finanzielle und rüstungstechnische Unterstützung durch ihre Bündnispartner.


32a.

Wir fordern Maßnahmen, die die Umstellung von Rüstungs- auf Zivilproduktion ermöglichen und fördern. Abrüstung darf keine Angst vor Arbeitslosigkeit auslösen. Auch wenn die Sicherung des Friedens und damit Abrüstung eine höhere Priorität haben als Vollbeschäftigung, ist es für Sozialdemokraten eine moralische Verpflichtung, sowohl einen Beitrag zur weltweiten Abrüstung zu leisten als auch parallel dazu für die zurzeit in der deutschen Rüstungsindustrie Beschäftigten neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Wir werden-zusammen mit den Gewerkschaften und mit den Belegschaften der betroffenen Betriebe uns dafür einsetzen, dass konkrete Vorschläge für notwendige Produktionsumstellungen erarbeitet werden. Das muss zunächst in den Betrieben geschehen, die zur Zeit vom Rüstungsexport in Entwicklungsländer abhängig sind.


33.

Wir wollen ein Abrüstungsamt der Bundesregierung und einen Abrüstungsbeauftragten des Bundestages.


34.

Abrüstung wird erleichtert durch eine Politik der Zusammenarbeit und der guten Nachbarschaft zwischen Ost und West — trotz unterschiedlicher Gesellschaftssysteme und trotz der Teilung Deutschlands. Das setzt sowohl Vertrauen in die gute Absicht des Partners wie die Anerkennung dessen voraus, was er als seine lebenswichtigen Interessen ansieht: seine Sicherheit, seine Souveränität, die Nichteinmischung von außen, die Entwicklung der eigenen Wirtschaft und Kultur. Dem können vertrauensbildende Maßnahmen auch von unserer Seite dienlich sein.


35.

Das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und der DDR sollte dafür beispielhaft sein. Das gilt nicht nur für die Beachtung abgeschlossener Verträge und Vereinbarungen, sondern ebenso für ständige ernsthafte Bemühungen zur Zusammenarbeit, insbesondere in Fragen des Umweltschutzes, der Energieversorgung, des Verkehrswesens, auf wirtschaftlichem Gebiet, beim Kultur- und Sportaustausch, im rein humanitären Bereich.

Eine solche Zusammenarbeit kann nur erfolgreich sein, wenn wir die DDR als einen souveränen Staat betrachten und jede Form der Bevormundung oder Inanspruchnahme ihrer Bürger auf politischem oder juristischem Gebiet vermeiden.

In Fragen der Rüstungskontrolle und der Rüstungsbegrenzung sollten die beiden deutschen Staaten durch eigene Verhandlungen dem Auftrag des Grundlagenvertrages gerecht werden.

Es wäre schon viel gewonnen, könnte die exponierte Puffersituation beider deutscher Staaten in ihren jeweiligen Bündnissen entfallen oder zumindest abgemildert werden. Aus der gemeinsamen deutschen Geschichte und aus der gemeinsamen Verantwortung erwächst für beide deutschen Staaten vielmehr die besondere Verpflichtung eines eigenständigen, konkreten Beitrages zur Sicherung des Friedens in Europa.


36.

Ohne Erziehung zum Frieden gibt es kein dauerhaftes friedliches Zusammenleben. Sie ist eine vorrangige Aufgabe der Familien, der Schulen und Hochschulen, der Massenmedien und der gesellschaftlichen Organisationen. Dazu gehört das Wissen um die ethischen Fragen des Wehrdienstes und des Zivildienstes. Dazu gehören Respekt vor pazifistischer Gesinnung, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen, die Unterrichtung der Soldaten und Zivildienstleistenden über die Grundwerte menschlichen Zusammenlebens und die Erziehung der Kinder im Geiste der Völkerverständigung und des Friedens.


37.

Der Nord-Süd-Gegensatz ist eine ständige Gefahr für den Frieden. Für diese und die nächste Generation wird die Suche nach einer gerechteren Weltwirtschaftsordnung zu einer Überlebensfrage. Die Staaten Europas können es sich nicht länger leisten, auf einer Insel des Wohlstandes zu leben, umgeben von Hunger, Armut und Krankheit. Deshalb wollen wir den armen Ländern bei ihrer wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung helfen: durch Öffnung unserer Märkte für die Produkte aus diesen Ländern, durch Verlagerung und Ansiedlung von Produktion und durch Vermittlung technischen Wissens bei der Entwicklung arbeitsintensiver und angepasster Technologien in der Produktion und in der sozialen Infrastruktur, die den jeweiligen Bedingungen dieser Länder entsprechen. Wir wol1en zunächst wenigstens 0,7 Prozent unseres Sozialprodukts für solche Entwicklungspolitik aufwenden und diesen Betrag dann schrittweise steigern.

Frieden entsteht nicht nur durch den Abbau von Waffenarsenalen und eine Politik internationaler Verständigung. Notwendige Ergänzung und Voraussetzung für das Gelingen einer solchen Friedenspolitik ist die Stärkung des inneren Friedens, zum Beispiel durch

  • Abbau von Hass, Diskriminierung und Vorurteilen,
  • Abbau sozialer Gegensätze,
  • Förderung solidarischen Verhaltens und
  • Integration von Randgruppen.

Sozialdemokraten für Solidarität

38.

Die sozialdemokratische Partei und die Gewerkschaften haben in den letzten 100 Jahren deutscher Geschichte große sozialpolitische Erfolge errungen. Das sozialdemokratische Engagement der Arbeiterbewegung war die richtige Antwort auf das Elend der Industriearbeiterschaft. Wir Sozialdemokraten nehmen den Sozialstaatsauftrag des Grundgesetzes auch weiterhin als Auftrag, soziale Benachteiligung, wo immer möglich auszugleichen oder vorbeugend zu verhindern.


39.

Heute steht Sozialpolitik vor großen Herausforderungen. Abgesehen davon ,dass die Finanzierung wachsender Sozialleistungen durch die Krise der Industriegesellschaft an Grenzen stößt - denn weniger Wachstum bedeutet weniger staatliche Mittel für steigende soziale Probleme — wollen wir kein grenzenloses‚ undifferenziertes Wachstum der Leistungen. Sie fördern die Bevormundung des Bürgers und mindern seine Eigeninitiative. Grenzenloses Wachstum der Sozialleistungen birgt außerdem die Gefahr der Anonymität und der Bürokratisierung der Hilfen und verringert die Fähigkeit zur solidarischen Mithilfe.

Heute müssen staatliche Sozialleistungen immer stärker für die Folgen gesellschaftlicher Probleme aufkommen, ohne dass deren Ursachen wirksam bekämpft werden. Dies führt dazu, dass der Umfang sozialstaatlicher Eingriffe ständig wächst, ohne dass sich der Druck der Probleme verringerte. Eine solche Entwicklung ist auf Dauer unter anderem wegen der damit verbundenen finanziellen Belastungen nicht annehmbar. Dies gilt erst recht, wenn die ökonomischen Wachstumsraten kleiner werden. Die erkennbaren Grenzen des Wachstums markieren aber keineswegs die Grenzen einer solidarischen Gesellschaftspolitik.

Sowohl in der Arbeitslosenversicherung, der Krankenversicherung als auch in der Renten- Versicherung ist Solidarität so weiterzuentwickeln, dass sich niemand der Pflicht zur Hilfe für die Schwächeren entziehen kann.

Gerechtigkeit in der Besteuerung der Einkommen erfordert außerdem, dass Kapitaleinkünfte genauso mit einer Quellensteuer erfasst werden wie die Arbeitslöhne mit der Lohnsteuer. Auch müssen Kapitaleinkünfte mit Sozialabgaben belegt werden.


40.

Wir wollen die Hilfe zur Selbsthilfe fördern und damit Hilfe, wo immer das möglich ist, so anlegen, dass diejenigen, die sie in Anspruch nehmen, dadurch mehr Unabhängigkeit gewinnen. Dies erfordert eine intensive Beteiligung und Mitbestimmung der Betroffenen an der Planung und Durchführung der Hilfsangebote. Sozialarbeit darf nicht zu einer Bevormundung der Menschen führen.


41.

Wir wollen das Netz der sozialen Sicherung erhalten und ausbauen, aber wir wollen dafür sorgen, dass es weniger gebraucht wird. Deswegen setzen wir uns für eine vorbeugende Gesellschaftspolitik ein, die die Ursachen sozialer Probleme soweit wie möglich beseitigt.


42.

Wir fordern Arbeit für alle und Umverteilung von Arbeit und Einkommen.

Bessere und gesicherte Einkommen für die benachteiligten Gruppen der Bevölkerung ermöglichen es vielen Bürgern, auf die Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen zu Verzichten. Deshalb sind wir für das Recht auf Arbeit. Deshalb wollen wir die ungerechte Verteilung der Arbeitseinkommen und der Renten abbauen. Deshalb fordern wir staatlich garantierte Mindesteinkommen. Und deshalb streiten wir für die gleiche Bezahlung von Männern und Frauen.

Wir fordern menschliche Wohn- und Arbeitsbedingungen, die die Entstehung körperlicher und seelischer Krankheiten vermeiden helfen. Deshalb sind wir dafür, die Schichtarbeit auf ein unabdingbares Maß zu reduzieren, Lärm zu bekämpfen und der Verseuchung von Luft und Wasser entgegenzuwirken. Deshalb wollen wir die Wohnung des Menschen uneingeschränkt vor Spekulation und einseitigem wirtschaftlichem Rentabilitätsdenken schützen und eine Versorgung mit ausreichendem Wohnraum gewährleisten. Deshalb setzen wir uns im Wohnungsbau für Wohnformen ein, die das Wohlbefinden und das Zusammenleben der Bewohner fördern.


43.

Die Gewalt, die Tag für Tag gegen Frauen geübt wird, ist gesellschaftlich bedingt. Sie äußert sich unter anderem in der ökonomischen und sozialen Abhängigkeit vom Mann, in der Benachteiligung im Arbeitsleben, in den schlechteren Bildungschancen und in der offenen Gewalt in Form von Misshandlungen.

Unter Achtung der Individualität von Männern und Frauen wollen wir Formen des gleichberechtigten Zusammenlebens und -arbeitens fördern. Deshalb fördern wir eine Erziehung und Ausbildung, die Männer und Frauen zu Unabhängigkeit und Selbständigkeit befähigt und ihnen gleichzeitig eine gleiche und gemeinsame berufliche Orientierung vermittelt.

Wir wollen allen Frauen und Männern die gleichen Rechte und Chancen in der Arbeitswelt geben und ihnen ermöglichen, jeweils auf Zeit zu wählen zwischen ihrem beruflichen Fortkommen und der Erziehung ihrer Kinder.

Deswegen fördern wir familien- und kinderfreundliche Bedingungen im Wohn- und Nachbarschaftsbereich sowie in der Berufswelt, ein umfassendes Angebot an kostenlosen Kindergartenplätzen und Ganztagsschulen, einen geteilten Elternurlaub und betriebliche Arbeitsplatzsicherung. Nur so können Menschen frei über ihr Engagement in der Familie und ihre berufliche Entwicklung entscheiden.

Wir unterstützen die von Frauen in Selbstorganisation betriebenen Einrichtungen zum Schutze misshandelter Frauen und Kinder.


43a.

Die gesetzliche Herabsetzung des Rentenalters darf nicht das alleinige oder das vorrangige Mittel zur Verkürzung der Arbeitszeit sein. Auch ältere Menschen haben ein Recht auf Arbeit. Die Humanisierung des Arbeitslebens soll es gerade auch älteren Menschen ermöglichen, sich beruflich zu betätigen und weiterzuentwickeln. Darüber hinaus muss es auch alten Menschen, die nicht mehr im Beruf stehen, ermöglicht werden, gesellschaftlich notwendige und sinnvolle Tätigkeiten zu übernehmen.


44.

Wir wollen den älter werdenden und alten Menschen die Möglichkeit geben, mehr als bisher nach ihren eigenen Vorstellungen am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass sie solange wie möglich in ihrer gewohnten Wohnumwelt leben können. Hierzu ist es erforderlich, die ambulanten sozialen Dienste qualitativ und quantitativ auszubauen sowie neue Formen der stationären Altenhilfe als Alternativen zum herkömmlichen Alten- und Pflegeheim zu entwickeln (z. B. Servicehäuser / stadtteilbezogene ambulante Sozialdienste mit speziellen Notrufsystemen). Deshalb setzen wir uns für eine aktive Altenhilfe, für spezielle kulturelle Angebote und die Einrichtung von Werkstätten ein, die die Beziehung zu anderen Generationen stärken und die Selbsthilfe von Freunden, Nachbarn und Familienangehörigen fördern.


45.

Wir dürfen die soziale Abwertung von gesellschaftlichen Minderheiten als Randgruppen nicht länger dulden. Arme, Arbeitslose, Behinderte, Kranke und anderweitig Benachteiligte brauchen keine Mildtätigkeit, sondern eine menschenwürdige Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Wo Hilfe in der Not erforderlich ist, sollen öffentlich finanzierte bzw. geförderte soziale und humane Dienste zur Verfügung stehen.

Dabei ist es das Ziel unserer Politik, ein Ineinandergreifen von staatlichen Maßnahmen und privaten Initiativen zu ermöglichen.


45a.

Wir haben eine besondere Verantwortung gegenüber den Gesellschaftsgruppen, die vom Naziregime verfolgt worden sind.


45b.

Wir setzen uns für den Abbau ausländerfeindlicher Vorurteile ein. Ausländische Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen haben Anspruch auf soziale und politische Gleichberechtigung. Wir wollen ihre Integration fördern, ohne sie zur Aufgabe ihrer nationalen und kulturellen Identität zu zwingen.


46.

Wir wollen dem Bürger mehr Einfluss auf die Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens geben. Deshalb sind wir für Mitbestimmung auf allen Ebenen in den Betrieben und Verwaltungen. Alle Arbeitnehmer müssen bei politischer Kandidatur die gleichen sozialen und arbeitsrechtlichen Absicherungen wie Angehörige des öffentlichen Dienstes haben. Wir unterstützen Gemeinschaftsprojekte von Bürgern zur Lösung sozialer Probleme.

Wir sind gegen zu viel zentrale Lenkung gesellschaftlicher Einrichtungen und wollen mehr Raum für dezentrale Aktivitäten und Entscheidungen. Und wir wollen der unbezahlten solidarischen Arbeit von Bürgern in der Nachbarschaftshilfe, für Bürgerinitiativen oder für gemeinnützige Organisationen und Vereine die wünschenswerte gesellschaftliche Anerkennung verschaffen.

Sozialdemokraten für eine demokratische, ökologisch ausgerichtete Wirtschaftsordnung

47.

Im Mittelpunkt des politischen Wirkens der Arbeiterbewegung steht nach wie vor der Kampf gegen die Ausbeutung der Arbeiter, das Streiten für soziale Sicherheit und Gerechtigkeit. Dieser Kampf ist auch und gerade heute von besonderer Wichtigkeit. Hinzugetreten ist die Sorge um die verheerende Ausbeutung der Natur.

Es ist die Aufgabe der kommenden Jahrzehnte, die wirtschaftlichen und sozialen Erfordernisse und den Schutz der Umwelt miteinander in Einklang zu bringen.


47a.

Wir Sozialdemokraten wollen eine ökologisch ausgerichtete Wirtschaftsordnung verwirklichen. Das heißt: Die zerstörerische Ausbeutung der Natur muss überwunden werden. Die natürlichen Hilfsquellen dürfen nur in dem Maße eingesetzt werden, wie ihre Regeneration sichergestellt oder vollwertiger Ersatz vorhanden ist.

Wir sind uns dessen bewusst, dass es in einer Übergangsphase Konflikte zwischen ökologischen und ökonomischen Zielen geben wird. Sie ergeben sich aus schwierigen Anpassungs- und Umstellungsproblemen, sind jedoch nicht von prinzipieller Natur. Soweit sie durch die kapitalistische Wirtschaftsordnung selbst bedingt sind, liefern sie zusätzliche Argumente und Motive zur grundlegenden Veränderung des Wirtschaftssystems.


48.

Bin Wirtschaftswachstum, das nur quantitativ gemessen wird, ist ein in die Irre führender Maßstab wirtschaftlichen Erfolges. Als wirtschaftspolitische Leitvorstellung ist grenzenloses Wachstum eine gefährliche Illusion. Wer ganz auf Quantitäten fixiert ist, verliert leicht den Blick für die negativen Auswirkungen des Wachstumsprozesses auf Mensch und Natur, so dass es schließlich dahin kommen kann, dass die Schäden größer als der Nutzen sind.


49.

Eine Wirtschaftspolitik mit diesem Ziel bedingt notwendigerweise eine Abkehr von traditionellen Wachstumszielen. Die Sehnsucht vieler Wirtschaftspolitiker nach Wachstumsraten vergangener Jahrzehnte gründet sich zumeist auf einem Trugschluss: Es wird unterstellt, ein wachsendes Bruttosozialprodukt sei gleichbedeutend mit der Lösung der wirtschaftlichen und sozialen Probleme der Zukunft. Ein quantitatives Wachstum, allein gemessen an der Zunahme des Bruttosozialprodukts, ist jedoch ein in die Irre führender Maßstab. Auch führt ein quantitatives Wachstum allein weder zu einem gesellschaftlichen Wohlstandszuwachs noch automatisch zu einem Zuwachs an Arbeitsplätzen.

Ein bedingungsloser Verzicht auf jegliches quantitatives Wirtschaftswachstum führt ebenso in die Irre. Denn nutzbringende Investitionen, etwa für soziale Dienste oder für den Umweltschutz, führen zu einem Mehr an Lebensqualität, dazu jedoch auch immer zu einem quantitativen Wachstum. Ein erklärter Verzicht auf jegliches quantitatives Wachstum ist deshalb töricht und kann zu Blockaden sinnvoller Investitionen führen. Es liegt auf der Hand, dass in einer hochentwickelten Volkswirtschaft ein stagnierendes oder gar rückläufiges Wachstum weder zu Vollbeschäftigung noch zu mehr Lebensqualität führen wird. Uber eine globale Konjunktursteuerung traditioneller Prägung können angesichts der tiefen strukturellen Krise keine wirksamen Beschäftigungsimpulse gegeben werden; sie führt bestenfalls zu einem nicht wünschenswerten, weil undifferenzierten Wachstum. Deshalb muss sozialdemokratische Wirtschaftspolitik eine selektive Wachstums- und Arbeitsmarktpolitik sein.

Selektive Wachstumspolitik bedeutet: Es ist politisch zu entscheiden, was wachsen soll und was nicht. Selektive Wachstumspolitik ist eine der Voraussetzungen, um das vorrangige Ziel sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik, die Vollbeschäftigung, zu erreichen. Denn die Investitionen, die ein qualitatives Wachstum fördern, schaffen auch Arbeitsplätze.

Dazu gehören vor allem:

  • Investitionen zur Energieeinsparung und besseren Energienutzung sowie zur weiteren Entwicklung umweltfreundlicher Energiequellen,
  • Investitionen zur Beseitigung von Umweltschäden,
  • Investitionen in die Entwicklung und den weiteren Ausbau umweltfreundlicher Verkehrssysteme,
  • die Förderung der Herstellung dauerhafter, leicht reparierbarer Güter und die Entwicklung von Verfahren zur Rückgewinnung und Wiederverwendung von Rohstoffen aus gebrauchten Gütern,
  • Investitionen im Bildungsbereich und für soziale Dienste.

Solche Investitionen führen ebenfalls zu einer Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Sozialdemokraten sind keine Maschinenstürmer, sie wollen eine leistungsfähige Wirtschaft und werden sich deshalb auch der Anwendung neuer, ökonomisch und ökologisch sinnvoller, auch arbeitssparender Technologien nicht versperren.

Neue Technologien können ein Schritt auf dem Weg zu einer humaneren Arbeitswelt sein. Heute führt die Anwendung neuer Technologien in der Regel jedoch auch zu wachsender Monotonie an vielen Arbeitsplätzen und zu wachsender Arbeitslosigkeit. Sozialdemokraten werden es nicht hinnehmen, wenn die Lasten und die negativen Folgen eines durch neue Technologien verursachten Strukturwandels allein den Arbeitnehmern, den von ihren Arbeitsplätzen Verdrängten und deren Familien aufgebürdet werden. Wir dürfen die Menschen nicht der Unmenschlichkeit technologischer Sachzwänge ausliefern. Vor allem müssen die Arbeitseinsparungen durch neue Technologien in Arbeitszeitverkürzungen umgesetzt werden, um ein weiteres Ansteigen der Arbeitslosigkeit zu verhindern und Vollbeschäftigung wiederherzustellen.

Selektive Arbeitsmarktpolitik bedeutet:

  • Arbeitslosigkeit ist zunächst regional und sektoral vor allem dort zu bekämpfen, wo sie am größten ist,
  • die negativen Folgen des Strukturwandels sind vor allem dort aufzufangen, wo sie am härtesten sind,
  • eine solidarische Lohnpolitik als Element einer gerechten Einkommensverteilung, der Wohlfahrtsförderung und als Stabilisierungsfaktor am Arbeitsmarkt ist zu fördern.

Die aktuellen beschäftigungspolitischen Probleme können nur gelöst werden, wenn damit gleichzeitig langfristig soziale Probleme gelöst und die notwendigen strukturellen wirtschaftlichen Veränderungen erreicht werden. Eine selektive Arbeitsmarktpolitik bedarf deshalb der Ergänzung durch globale Maßnahmen. Dazu gehören:

  • die Änderung der Arbeitszeitordnung mit der stufenweisen Reduzierung der täglichen und der Wochenarbeitszeit.
  • die Unterstützung tarifvertraglicher Maßnahmen zur Arbeitszeitverkürzung,
  • der Abbau von Überstunden,
  • das Verbot der Leiharbeit,
  • die zehnjährige Schulpflicht, die Ausbildungspflicht sowie der Ausbau einer bedarfsgerechten Fort- und Weiterbildung.

Arbeitslosen werden gezielte Hilfen zur Bewältigung ihrer Lage gegeben; dabei kommt der Hilfe zur Erhaltung und Verbesserung der allgemeinen und beruflichen Qualifikation besondere Bedeutung zu.

Vollbeschäftigung ist nur zu erreichen, wenn wir

  • eine gesellschaftliche Umverteilung der Rationalisierungsgewinne erreichen,
  • aus Solidarität mit den Arbeitslosen zur Verkürzung der Arbeitszeit und damit zur gerechteren Verteilung der Arbeit bereit sind,
  • Freizeit und Kommunikation, sozialer Verantwortung und gesellschaftlicher Teilhabe einen größeren Stellenwert in unserer Gesellschaft geben.


49a.

Wir Sozialdemokraten wollen eine demokratische Wirtschaftsordnung verwirklichen. Das heißt: Die allgemeinen Ziele des Wirtschaftens werden von der Mehrheit der Bürger bestimmt, wobei Solidarität mit den Schwächeren und Schutz der Umwelt jedoch unabdingbar sind. Es darf keine unkontrollierte und letzten Endes keine demokratisch nicht legitimierte wirtschaftliche Macht mehr geben.


50.

Wir wollen umfassende Mitbestimmungsrechte für die Arbeitnehmer in den Unternehmen und Verwaltungen. Die paritätische Mitbestimmung soll in den Unternehmensverfassungen privater und öffentlicher Unternehmen verankert werden. Die Mitbestimmungsgesetze sowie die Betriebsverfassungs- und Personalvertretungsrechte müssen entsprechend Verändert und erweitert werden. Die Eigenverantwortlichkeit und Selbstbestimmung der Arbeitnehmer in den Betrieben muss entwickelt werden.


51.

Die Bewältigung der umfassenden gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Herausforderungen macht die Weiterentwicklung der Mitbestimmung über die betriebliche Ebene hinaus erforderlich. Deshalb wollen wir die gesamtwirtschaftliche Mitbestimmung durch die Einrichtung von Wirtschafts- und Sozialräten auf den Ebenen der Regionen, der Länder und des Bundes sicherstellen. Sie sollen zur Demokratisierung beitragen und einen entsprechenden Ausbau der gesamtwirtschaftlichen Planung ermöglichen. In Abstimmung mit allen Betroffenen erstellen sie Entwicklungspläne auf regionaler, Länder- und Bundesebene. Die Wirtschafts- und Sozialräte sind paritätisch zu besetzen.


52.

Wir wollen die weitere Zusammenballung unkontrollierter Wirtschaftsmacht verhindern. Dazu bedarf es einer wirkungsvollen Wettbewerbs- und Kartellgesetzgebung sowie gesetzlicher Maßnahmen zur Entflechtung wirtschaftlicher Konzentrationen.

Ferner werden wir durch eine gerechte Steuer- und Vermögenspolitik Kapitalzusammenballung beschränken.

Zu einer Wirtschaftspolitik der inneren Reformen gehört für die Sozialdemokraten nach wie vor die Vergesellschaftung von Schlüsselindustrien, etwa der Energieversorgungsunternehmen.

Da Subventionen und andere Mittel der Wirtschaftsförderung die Großunternehmen bevorzugen, wollen wir auch aus diesem Grunde die Subventionen abbauen und die Wirtschaftsförderung umstellen auf die Qualifizierung der Arbeitnehmer, die Humanisierung der Arbeitsplätze und die Stärkung der Entwicklungsmöglichkeiten von kleinen und mittleren Unternehmen und genossenschaftlichen Initiativen.


53.

Geringes Wirtschaftswachstum und beschleunigte Rationalisierung durch die Anwendung neuer Techniken (z. B. Mikroprozessoren) verstärken heute die Gefahr hoher und lang andauernder Arbeitslosigkeit. Deshalb ist Vollbeschäftigung das vorrangige Ziel unserer Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik. Sie ist jedoch mit den Instrumenten der Marktwirtschaft allein nicht zu erreichen, sondern erfordert eine aktive Beschäftigungspolitik der öffentlichen Hand in Bund, Ländern und Gemeinden und eine politische Rahmensetzung für Zukunftsinvestitionen und Arbeitsplatzsicherung.

Die wirtschaftspolitischen Maßnahmen zum Zwecke der Arbeitsplatzsicherung und Arbeitsbeschaffung sollten daher vorrangig auf folgende Vorhaben gerichtet sein:

  • Umweltschutz und Lebensqualität der Städte,
  • Energie- und Rohstoffeinsparung,
  • Modernisierung und Sanierung im Wohnungs- und Siedlungswesen,
  • bessere Versorgung und Integration benachteiligter Gruppen in die Gesellschaft,
  • Förderung der Klein- und Mittelbetriebe,
  • Ausweitung der Entwicklungshilfe.

Die Finanzierung eines solchen staatlichen Investitionsprogramms zur Modernisierung unserer Volkswirtschaft und zur Erhöhung der Lebensqualität bei gleichzeitiger Anpassung an die ökologischen Erfordernisse muss sozial gerecht und für die breite Masse der Bevölkerung vertretbar gestaltet werden. Eine Ergänzungsabgabe zur Einkommens- und Körperschaftssteuer wie auch eine Arbeitsmarktabgabe für Beamte und Selbständige sollten ebenso dazu gehören wie eine Anhebung der Spitzensteuersätze für Großverdiener, die Neuordnung von Abschreibungsmöglichkeiten‚ die Streichung ungerechtfertigter Subventionen sowie die Anpassung und Umverteilung von Akademikereinkommen entsprechend der gesellschaftlichen Bedarfslage.


55.

Arbeit und Arbeitsplätze müssen humanisiert werden. Dazu bedarf es insbesondere der Verstärkung der arbeitsmedizinischen Betreuung, des Ausbaus und der wirksamen Kontrolle des Arbeitsschutzes. Schicht- und Nachtarbeit sind auf ein unverzichtbares Maß zurückzuführen und durch erheblich verbesserte Freizeitregelungen auszugleichen. Für Schichtarbeit sollen gesetzliche Höchstgrenzen festgelegt werden können.


56.

Wir unterstützen eine solidarische Lohnpolitik, die die unteren Einkommensgruppen bevorzugt.


57.

Die Konzentration der Produktion in wenigen Großbetrieben und der damit verbundene Verteilungsaufwand hat viele Nachteile. Die Transportwege werden länger, die Trennung der Arbeits- und Wohnbereiche der Arbeitnehmer nimmt zu, Kontrolle und Mitbestimmung werden schwieriger.

Wir wollen deshalb eine Dezentralisierung der Wirtschaft. Aus diesem Grunde werden wir auch überschaubare Formen genossenschaftlicher Produktion und Verteilung zu fördern.


57a.

Wir unterstützen die Forderungen der Dritten Welt nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung.

Sozialdemokraten für Selbstentfaltung und Solidarität in Bildung, Kultur und Freizeit

58.

Wir wenden uns gegen ein Bildungssystem,

  • das Menschen frühzeitig auf einseitige Begabung festlegt,
  • das durch rigorose Auslese in unterschiedlichen Bildungsgängen die Lebenschancen der Bürger ungleich verteilt,
  • dessen Inhalte weithin von überholter Tradition und vom Gesichtspunkt der ökonomischen Verwertbarkeit geprägt sind und
  • das die Freude am Lernen und den Willen zur Bildung und Weiterbildung drosselt.

Wir wenden uns gegen ein Bildungssystem, das die Mehrheit der Menschen nicht dazu befähigt,

  • sich aktiv und kritisch an der Lösung der gesellschaftspolitischen Probleme zu beteiligen und die eigenen Rechte wahrzunehmen,
  • sich mit der Kultur der Vergangenheit und Gegenwart auseinanderzusetzen und die eigenen schöpferischen Fähigkeiten zu entfalten.

Wir wehren uns dagegen, dass die Menschen auch in ihrer Freizeit immer stärker fremdbestimmt werden. Besonders in der zunehmenden Vermarktung aller Lebensbereiche und in dem beherrschenden Einfluss der Medien sehen wir in dieser Hinsicht große Gefahren. Dieses Problem wird umso dringlicher, als auch in Zukunft die Freizeit weiter zunehmen wird, da Vollbeschäftigung nur auf dem Wege erheblicher Arbeitszeitverkürzung erreichbar sein wird.


59.

Wir fordern eine Erziehung, die zu Selbständigkeit und zu Mitbestimmung befähigt. Erziehung soll die Bereitschaft zu Frieden und Verständigung, zu Zusammenarbeit und Solidarität fördern. Sie soll die Herausforderungen der Gesellschaft aufgreifen und zur Auseinandersetzung mit ihnen im Denken und Handeln befähigen.

Wir fördern innere Schulreformen, die Kindern und Jugendlichen Gelegenheit geben, in der Schule vermehrt positive Grunderfahrungen zu machen. Kinder sollen in der Schule fröhlich sein dürfen, miteinander und gemeinsam Probleme lösen, Freude an der Arbeit haben, Verständnis füreinander aufbringen, Zuwendung erfahren.

Das Lernen in der Gemeinschaft, die Erfahrungen des Miteinanders, die Erziehung zur Selbständigkeit und Eigenverantwortung sowie die Vermittlung von Einsichten im Spiel und im sozialen Handeln sollen deshalb einen besonderen Schwerpunkt in der Schule bilden. Ausschließlich intellektuelle Vermittlung von Wissen lehnen wir ab. Die wirklichkeitsferne Auf-splitterung und Einengung der Erfahrung durch die Fächerabfolge im 45-Minuten-Rhythmus sollte möglichst vermieden werden.


60.

Wir wollen Schule und Hochschule entbürokratisieren und Schülern und Studierenden mehr Möglichkeiten zur Selbst- und Mitbestimmung einräumen. Die Verwaltung soll auf die Ausführung der Gesetze beschränkt werden. Die Schulaufsicht ist streng auf die Bereiche Rechtsaufsicht und Schulberatung zu reduzieren.

Wir Sozialdemokraten wollen schulische Reformen gemeinsam mit Eltern, Lehrern und Schülern erarbeiten. Nur wer Jugendlichen die notwendige Freiheit gewährt, kann zur Freiheit erziehen. Nur eine offene Form der Schule ermöglicht Eltern wirkliche Mitarbeit und Mitverantwortung. Schule und Hochschule können keine Freiheit gewähren, über die sie selbst nicht verfügen.


61.

Wir fordern ein Bildungswesen, das Gerechtigkeit für alle Lernenden verwirklicht. Dazu gehört eine zehnjährige allgemeine Bildung für alle und schulunabhängige Abschlüsse und Berechtigungen. Das bedeutet, dass während dieser Zeit grundsätzlich alle Kinder eine gemeinsame Förderung erfahren, weil nur auf diese Weise allen Schülern die Chance gegeben werden kann, alle Abschlüsse und Berechtigungen zu erlangen.

Diese Ziele lassen sich am besten in der integrierten Gesamtschule verwirklichen; deshalb bekennen wir Sozialdemokraten uns zur Gesamtschule als Ziel.

Wir wollen ein Bildungswesen, in dem allgemeine und berufliche Bildung gleichwertig sind. Zur beruflichen Bildung muss auch allgemeine Bildung gehören, und die allgemeine Bildung muss auch berufs- und praxisbezogen sein. Allgemeine und berufliche Bildung sollen zu gleichen allgemeinen Abschlüssen und Berechtigungen führen. Langfristig streben wir die Verschmelzung allgemeiner und beruflicher Bildung an.

Wir lehnen die Einrichtung unterschiedlicher Hochschulformen und Studiengänge ab, deren Unterscheidungsmerkmal allein in den unterschiedlichen Anteilen von Theorie und Praxis besteht.


62.

Dadurch dass der Prozess der Rationalisierung und Automation sich erheblich beschleunigt, werden die Arbeitsplatzanforderungen verändert und Arbeitsplätze gefährdet.

Je qualifizierter die allgemeine und berufliche Grundbildung, je intensiver die Fort- und Weiterbildung, desto größer ist im Allgemeinen die Chance, einen Arbeitsplatz zu finden, und desto geringer die Gefahr, innerbetrieblich abgruppiert oder entlassen zu werden.

Längere allgemeine und berufliche Bildung verringert zugleich auch die Lebensarbeitszeit und damit das Arbeitsvolumen und ist damit auch ein wichtiger Beitrag zum Abbau von Arbeitslosigkeit.

Wir müssen uns daher ein Bildungswesen leisten,

  • das es möglich macht, jedem Menschen die Bildungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten zu bieten, die seinem Bildungswillen entsprechen,
  • das jedem eine so breite berufliche Grundbildung vermittelt, dass er wechselnden Arbeitsplatzanforderungen gewachsen ist,
  • das den Zugang zu Fort- und Weiterbildung auf allen Ebenen und Stufen so großzügig wie möglich regelt und dabei auch berufliche Ausbildung und Erfahrung angemessen berücksichtigt.

Wir Sozialdemokraten fordern eine Berufsausbildung für alle Jugendlichen. Sie sollen wählen können zwischen betrieblicher und schulischer Berufsausbildung sowie zwischen unterschiedlichen Ausbildungsgängen. wir lehnen Zulassungsbeschränkungen zu beruflichen Vollzeitschulen wie zu Ausbildungsgängen im Hochschulbereich grundsätzlich ab.


63.

Wir fordern ein Bildungswesen, das Schwache‚ Benachteiligte und Behinderte nicht aussondert und abschiebt. Integration von Behinderten in unserer Gesellschaft kann nur gelingen, wenn sie im Kindergarten beginnt und sich in Schule und Hochschule fortsetzt. Insoweit ist Sonderpädagogik Aufgabe aller Schulen.

Behinderte und nichtbehinderte Kinder müssen soweit wie möglich gemeinsam unterrichtet und gefördert werden. Davon profitieren alle Kinder. Behinderte erhalten auf diese Weise endlich annähernd gleiche Bildungs- und Lebenschancen. Nichtbehinderte können so endlich lernen, unvoreingenommen und solidarisch mit den Schwachen unserer Gesellschaft umzugehen.


63a.

Die ständig steigende Zahl von Ausländerkindern in unseren Schulen erfordert eine Bildungspolitik, die ausländische Kinder so fördert, dass Benachteiligungen abgebaut und Isolation vermieden werden.

Dazu gehören ein ausreichendes Angebot von Kindergartenplätzen für ausländische Kinder, besondere Förderungsmaßnahmen in den Schulen, Abbau von Vorurteilen durch Aufnahme interkultureller Unterrichtseinheiten und intensivierte berufsvorbereitende Maßnahmen.


64.

Der technologische Wandel, die ständigen Veränderungen der Berufs- und Arbeitswelt, steigende Arbeitslosigkeit und die Tendenz zu mehr Freizeit stellen nicht nur Herausforderungen für eine aktive Beschäftigungspolitik dar, sondern auch für Bildung und Weiterbildung.

Mehr Bildung bedeutet mehr Chancen zur Selbstverwirklichung. Außerdem bewirkt die Ausweitung der Bildungsmöglichkelten eine Verkürzung der Lebensarbeitszeit, was auch zur Sicherung von Vollbeschäftigung beiträgt.

Deshalb wollen wir den Ausbau der Weiterbildung und die Öffnung der Hochschule auch für Berufstätige, unabhängig von ihrem Schulabschluss.

Ein Bildungsurlaubsgesetz muss den Berufstätigen die Fort- und Weiterbildung nach ihren Fähigkeiten und unabhängig vom erworbenen Schulabschluss gestatten.


65.

Ein Großteil der heutigen Jugend steht der Gesellschaft skeptisch und ablehnend gegenüber. Sie wenden sich gegen eine verwaltete, institutionalisierte Welt. Für sie wird der bürokratische Perfektionismus hochentwickelter Industriegesellschaften immer bedrängender. Sie finden kaum Raum für Kreativität und Spontaneität, ihre Freizeit wird zunehmend durch eine geschäftstüchtige Freizeitindustrie verplant. Spielhallen, Diskotheken, elektronische Automaten bestimmen weitgehend das Freizeitverhalten. Es fehlen Freiräume, in denen Jugendliche eigene Aktivitäten entwickeln können, wo sie experimentieren können und wo sie dem Zugriff der Erwachsenen welt- gehend entzogen sind. Wir werden uns dafür einsetzen, dass mehr Jugendzentren, Abenteuerspielplätze und mehr kind- und jugendgerechte Spielplätze eingerichtet werden. Wir lehnen auch hier Prunkbauten und Großprojekte ab. Anstelle großer zentraler Einrichtungen wollen wir kleinere dezentrale, die soziale Kommunikation fördernde Einrichtungen schaffen.

Sozialdemokratische Jugendpolitik wird sich dafür einsetzen, das Schwergewicht der Förderung auf die Vorbeugung zu verlagern. Lehrstellenmangel, Arbeitslosigkeit und Numerus Clausus vermitteln vielen Jugendlichen das Gefühl, dass diese Gesellschaft sie nicht braucht. Nur eine Politik‚ die Jugendlichen Freiräume schafft, in der sie in eigener Verantwortung gestalten und entscheiden können, nur eine Politik, die dafür sorgt, dass Jugendlichen wieder Zukunftsperspektiven vermittelt werden, schafft die Voraussetzungen für einen fruchtbaren Dialog zwischen Jugendlichen und Erwachsenen. Sozialdemokratische Politik wird alternative Gruppen und Kulturen nicht nur tolerieren, sondern sich aktiv dafür einsetzen, dass auch dafür die notwendigen Freiräume vorhanden sind.


66.

Das Bedürfnis der Menschen nach Spontaneität und Kreativität, Kontaktfähigkeit und Geselligkeit, Initiative und Mitwirkung wächst. Die "Alternativbewegung" und die vielfältigen Bürgerinitiativen sind eine Herausforderung für Gesellschaft und Staat. In der Alternativkultur steckt die Chance zu breiter kultureller Mitwirkung und Selbstbestätigung der Menschen. Wir werden Projekte dieser Art fördern.


67.

Wir Sozialdemokraten begrüßen das Engagement von Bürgern in Initiativen. Dieses Engagement ist ein wichtiger Bestandteil unserer Demokratie. Zugleich zeigt es auch Schwächen der repräsentativen Demokratie auf. Wir Sozialdemokraten setzen uns für bessere Beteiligungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten bei behördlichen Planungen und politischen Entscheidungen ein. Für das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren und für die Arbeit in den Kommunalvertretungen ist eine rechtzeitige Bürgerbeteiligung zu gewährleisten. Geheime Beratungen und Abstimmungen sind nur in besonders begründeten Ausnahmefällen zuzulassen.


68.

Unsere Gesellschaft ist auf das kritische Engagement der Intellektuellen und der Künstler angewiesen. Die SPD bekennt sich zur öffentlichen Förderung der Kultur und zur Sicherung ihres Freiraumes. Sie bejaht die gesellschaftliche Herausforderung durch die Intelligenz in Kultur und Wissenschaft. Wir wollen durch die Förderung neuer Formen der kulturellen Arbeit das Interesse und die Teilnahme am Kulturangebot steigern.


69.

Für uns haben die Medien neben dem unterhaltenden und informativen vor allem auch einen emanzipatorischen Auftrag. Im Geiste kritischer Aufklärung sollen sie dazu beitragen, Rollenklischees und Vorurteile abzubauen. Statt Gewalt zu verherrlichen, sollen sie für Solidarität mit den Schwachen und für rationale Methoden der Konfliktlösung werben.

Wir wenden uns gegen Tendenzen, gesellschaftskritische Beiträge aus den Medien zu verdrängen.

Wir setzen uns für eine Medienerziehung in der Aus- und Fortbildung ein, die zu einem bewussten, kritischen Umgang mit den Medien und zu kritischer Informationsaufnahme und —verarbeitung befähigt.

Möglichst gleiche Information und Teilhabe an der Meinungsbildung in der Gesellschaft sind Vorbedingungen für die gleichberechtigte Mit- und Selbstbestimmung des Bürgers. Die Kommerzialisierung der Medien führt zur Unterdrückung von Nachrichten und Meinungen und lässt gründliche Information zur käuflichen Ware für wenige Privilegierte werden. Privatrechtliche Medien, die sich durch Werbung finanzieren, darf es allenfalls im Bereich der Zeitungen und Zeitschriften geben. Dabei ist allerdings eine strikte Trennung von Geschäft und Redaktion zu gewährleisten.

Für große Zeitungen mit Monopolcharakter und für alle anderen publizistischen Medien befürwortet die SPD eine öffentlich-rechtliche Organisationsform, die von Staat und Wirtschaft gleichermaßen unabhängig ist und die eine wirksame gesellschaftliche Kontrolle garantiert.


70.

Ohne Teilnahme an der privaten und öffentlichen Kommunikation werden Menschen isoliert und ihre Beziehungen verarmen. Aber eine Überflutung mit Informationen und Unterhaltungsangeboten macht die Menschen zu passiven Konsumenten. Wir Sozialdemokraten treten deshalb ein für mehr aktive Beteiligung der Hörer und Zuschauer bei der Gestaltung der Rundfunk- und Fernsehprogramme. Eine Vielzahl neuer Programme lehnen wir ab. Ob neue technische Medienstrukturen über Kabel und Satellit gesellschaftlich sinnvoll und trotz hoher Kosten erstrebenswert sind, sollen nicht private Investoren oder Regierungen, sondern die Bürger selbst entscheiden. Die Medien sollten ihr Programm stärker dar- auf ausrichten, den Menschen zur aktiven und kreativen Betätigung anzuregen.


70a.

Für uns Sozialdemokraten gilt: Der Staat ist entgegen konservativer Auffassung kein Wert an sich. Er ist nur insofern schützenswert, als er den Menschen und ihren Bedürfnissen dient. Deshalb darf der interne Staatschutz nicht in Gesinnungsschnüffelei ausarten; Verfassungsschutz ist auf das unbedingt Notwendige zu beschränken.


70b.

Sozialdemokraten verstehen Polizei und Justiz als Dienstleistungsbetriebe und Institutionen, die für die Bürger geschaffen worden sind. Deshalb dürfen diese Organisationen sich nicht verselbständigen und den Bürgern gegenüber Barrieren errichten. Als Einrichtungen für die Bürger unterliegen sie selbstverständlich einer öffentlichen Rechenschaftspflicht. Es besteht ein gesellschaftlicher Informationsanspruch über ihre Tätigkeiten, wobei natürlich darauf zu achten ist, dass die Privatsphäre von Bürgern, auf die sich die Tätigkeit dieser Organisationen richtet, geschützt bleibt. Die polizeiliche und justizielle Ausbildung hat diese dienende Funktion gegenüber den Bürgern deutlich zu machen.


70c.

Kriminalität ist nach heutiger Erkenntnis vor allem ein gesellschaftspolitisches Problem. Das Strafrecht sollte nur das letzte Mittel zur Konfliktbewältigung sein. Sozial- und Gesellschaftspolitik haben Vorrang. Straffällige haben einen Anspruch auf Resozialisierung unter menschenwürdige" Bedingungen. Hierbei hat vor allem der öffentliche Arbeitgeber die Verpflichtung, durch die Bereitstellung von Arbeitsplätzen für Strafentlassene ein Zeichen zu setzen.

Unser Weg

71.

Demokratischer Sozialismus ist keine geschlossene Weltanschauung. Demokratischer Sozialismus ist auch kein perfektes Gesellschaftsmodell, sondern die ständige reformpolitische Aufgabe, die Gesellschaft nach den Interessen der Mehrheit der Bürger zu gestalten und zu verändern, ohne dabei die Lebenschancen für Minderheiten zu verbauen. Demokratischer Sozialismus respektiert die Rechte von Minderheiten, lehnt aber die Herrschaft einer Minderheit über die Mehrheit ab. Das betrifft den schrankenlosen Kapitalismus genauso wie den orthodoxen Kommunismus oder Vorstellungen von der Diktatur einer ökologisch bewussten Elite.


72.

Es gibt keinen nationalen Weg des Überlebens ohne die Übernahme internationaler Verantwortung. Eine Politik des demokratischen Sozialismus darf nicht an nationalen Grenzen haltmachen.

Viele internationale Übereinkommen und Verträge, die Politik der Europäischen Gemeinschaft, die internationale Konzentration privater ökonomischer Macht und die weltweite ökonomische Entwicklung entziehen sich weitgehend der demokratischen Kontrolle durch nationale Parlamente. Dadurch werden die nationalen Möglichkeiten politischer Gestaltung immer weiter eingeschränkt. Die Arbeiterbewegung muss sich dieser Entwicklung durch internationale Zusammenarbeit widersetzen.


73.

Sozialdemokratische Reformpolitik bejaht den demokratisch-parlamentarischen Weg. Wir wollen aber den Parlamenten als gewählten Vertretungen der ganzen Bevölkerung die Macht geben, die ihnen nach dem Grundgesetz zusteht. Deshalb bekämpfen wir Gruppen und Verbände, die die Macht der Parlamente an sich reißen. Und deshalb streiten wir vor allem gegen den unkontrollierten politischen Einfluss wirtschaftlicher Macht.


74.

Sozialdemokratische Reformpolitik setzt über die Beteiligung an Wahlen hinaus auf die Mit- und Selbstbestimmung der Bürger. Deswegen wollen wir die Demokratisierung der Wirtschaft. Deshalb fördern wir die Mitbestimmung am Arbeitsplatz, in Unternehmungen und Verwaltungen. Deshalb unterstützen wir das Engagement des einzelnen in Verbänden, Bürgerinitiativen und in der Nachbarschaftshilfe. Und deshalb weisen wir jeden Versuch zurück, freie Meinungsbildung, Liberalität und Rechtsstaatlichkeit zu Lasten der Bürger einzuschränken.


75.

Sozialdemokratische Reformpolitik ist unser wichtigster Beitrag zu einer friedlichen Lösung sozialer Konflikte. wir haben für die Bewältigung unserer Probleme nicht beliebig viel Zeit. Unterlassene Reformen verschärfen die sozialen Gegensätze und bergen die Gefahr, dass es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommt. Wenn das politische System der Demokratie seine Fähigkeit zur Reform einbüßt, wird daran schließlich auch die Demokratie zugrunde gehen.


76.

Sozialdemokratische Reformpolitik erfordert Umdenken. Das gilt auch für die SPD. Eine sozial gerechte Verteilung wirtschaftlicher Zuwächse - das war der wichtigste Hebel sozialdemokratischer Gesellschaftspolitik in der Vergangenheit. Die Grenzen des Wachstums und die Krise des Fortschrittsglaubens zeigen auch die Grenzen einer solchen Politik. Wer vom Bürger Umdenken verlangt, muss dazu auch selbst bereit sein.


77.

Sozialdemokratische Reformpolitik will verändern. Sie trifft dabei auf reformfeindliche Kräfte, die um ihren Besitzstand fürchten. Dieser Widerstand wird umso erbitterter sein, wenn in Zukunft die Möglichkeit, Verteilungsfragen durch die Beteiligung aller an den ökonomischen Zuwächsen zu entschärfen, nicht mehr oder nicht mehr im bisherigen Umfang gegeben ist.

In Zukunft wird sich soziale Gerechtigkeit nicht mehr aus einer Neuverteilung von Zuwächsen allein finanzieren lassen; eine Umverteilung von Besitzständen ist hier unumgänglich.


78.

Es geht darum, die drohende Selbstzerstörung einer hemmungslos industrialisierten Gesellschaft abzuwenden.

Es geht darum, Wirtshhaft und Produktion nach den Interessen der Mehrheit zu planen und zu lenken, damit Wirtschaftswachstum und technischer Fortschritt sich nicht gegen die Lebensbedürfnisse der Menschen auswirken.


79.

Demokratische Initiativen außerhalb des Parlaments und betriebliche Aktionen im Rahmen der Gewerkschaftsarbeit können dazu beitragen, Widerstände gegen notwendige Reformen zu überwinden.


80.

Sozialdemokratische Reformpolitik heißt umdenken und verändern. Sie ist angewiesen auf eine breite Übereinstimmung in der Bevölkerung über die Grundlagen einer neuen Politik. Sie sucht den Dialog. Die Mitglieder der Gewerkschaften, der Kirchen, die alternativen Bewegungen, die sozialen Verbände und Organisationen — sie alle sind aufgerufen, daran mitzuwirken. Die Frage heißt: Wie wollen wir in Zukunft leben?


81.

Sozialdemokratische Reformpolitik baut auf die gemeinsame Tradition von SPD und Gewerkschaften in der deutschen Arbeiterbewegung. Die Gewerkschaften und die sozialdemokratische Partei müssen die Selbständigkeit ihrer Organisation und Aufgabenstellung gegenseitig respektieren. Wir bejahen das Prinzip der Einheitsgewerkschaft. wir kämpfen gegen jeden Versuch, den Handlungsspielraum der Gewerkschaften einzuschränken. Wir verteidigen die Tarifautonomie und das Streikrecht.


82.

Umdenken und verändern setzt Glaubwürdigkeit voraus. Parteien sind nur dann glaubwürdig, wenn ihnen Macht und Machterhaltung nicht wichtiger sind als die Arbeit für die Bürger. Politiker sind nur dann glaubwürdig, wenn sie Wahlversprechen geben, um sie zu halten. Regierungen sind nur dann glaubwürdig, wenn sie der Jugend Zukunftschancen eröffnen. Der Staat ist nur dann glaubwürdig, wenn er seine Bürger nicht nur bürokratisch verwaltet. Glaubwürdigkeit verhindert Staatsverdrossenheit und wirkt dem Rückzug vieler Bürger aus der Gesellschaft entgegen.


83.

Wir Sozialdemokraten sind nicht frei von Fehlern und Versäumnissen. Aber wir haben den Willen und die Kraft zu einer Politik, die Antworten gibt auf neue gesellschaftliche Herausforderungen unter neuen wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen.

Wir wissen aber auch, dass wir uns sinnvoll erscheinende Reformen nicht gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung durchführen dürfen. Es gibt keinen kürzeren Weg zum demokratischen Sozialismus als den mühevollen Weg der Überzeugung und der Gewinnung von Mehrheiten in der Bevölkerung. Wir werden allen Versuchungen widerstehen, angesichts der Schwierigkeiten dieses Weges autoritäre Abkürzungen einzuschlagen.

Wir wissen auch, dass wir die Veränderung der Gesellschaft nach unseren Prinzipien nur glaubwürdig und wirksam vorantreiben können, wenn wir uns in unseren eigenen Reihen darum bemühen, das was wir für politisch richtig halten, auch selbst zu leben. Wir wollen versuchen, auch durch unsere eigene Lebensführung deutlich zu machen, was es heißt, demokratischer Sozialist zu sein. Wir sind uns dabei bewusst, dass dieser hohe Anspruch nicht einfach einzulösen sein wird. Beschlüsse von Gremien der Partei und kollektive Willensbekundungen können und sollen den einzelnen Mitgliedern der Partei nicht vorschreiben, wie sie sich jeweils zu verhalten haben. Vielmehr ist hier jeder Sozialdemokrat als Person gefordert. An ihm liegt es, die Programmatik der Partei so ernst zu nehmen, dass er sich auch in der täglichen Lebenspraxis nach ihren Prinzipien richtet. Die Aufgabe der Partei als einer Kampf- und Gesinnungsgemeinschaft sehen wir u. a. darin, ein solches Verhalten zu ermutigen.