Resolution: Gegen Ausländerfeindlichkeit - für das Grundrecht auf Asyl und ein verantwortungsbewußte europäische Zuwanderungspolitik! (1991)

Aus Beschlussdatenbank der SPD Schleswig-Holstein
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Harrislee 1991
Bezeichnung: Nicht aufgeführt
Antragsteller: Landesvorstand


Beschluss: Angenommen


Die SPD in Schleswig-Holstein ist entsetzt über die nicht abreißende Kette gewalttätiger Übergriffe auf Ausländerinnen und Ausländer in der gesamten Bundesrepublik. Neben den zahlreichen Gegenzeichen demokratischer und mitmenschlicher Solidarität müssen auf allen Ebenen staatlicher Verantwortung alle rechtsstaatlichen Mittel eingesetzt werden, um den Schutz der Gefährdeten zu gewährleisten und die Angreifer in ihre Schranken zu verweisen. Unterlassungen und Fehleinschätzungen wie in Hoyerswerda und Greifswald dürfen nicht weiter dazu führen, daß Ausländerinnen und Ausländer innerhalb der Bundesrepublik vor Gewalt und vor Mangel an Schutz fliehen.

Die Delegierten des Landesparteitages unterstützen die Landesregierung in ihrer Haltung, daß die Verantwortung für Sicherheit, Menschenwürde und faire Asylverfahren allen Flüchtlingen gegenüber gleich ist, daß Verantwortung und Menschlichkeit nicht teilbar sind. Sie appellieren deshalb an die einzelnen Flüchtlinge in der Norderstedter Schalom Gemeinde, sich nicht länger dem Druck und der Gefährdung in einer exponierten Gruppe auszusetzen, sondern ihren Anspruch auf Sicherheit, menschenwürdige Unterbringung und ein geordnetes Asylverfahren in Mecklenburg-Vorpommern geltend zu machen und die vielfältigen Hilfs- und Betreuungsangebote der Kirchen anzunehmen.

Gewalt gegen Ausländer und offene Ausländerfeindlichkeit sind nur die Spitze eines Eisbergs. Es gilt deshalb auch, die Ursachen zu bekämpfen und den gesellschaftlichen Nährboden soweit wie möglich zu beseitigen. Menschen, die in unser Land kommen – aus welchen Gründen auch immer – dürfen nicht Zielscheibe von Schuldzuweisungen, Angst, Haß und Gewalt sein. Sie dürfen nicht zu Sündenböcken für tatsächliche und psychologische Schwierigkeiten und Probleme gemacht werden, die ihre Ursachen ganz woanders haben. Gerade dies aber geschieht zur Zeit durch eine emotional geführte Asyldebatte.

Die Rede vom „massenhaften Mißbrauch“ des Asylrechts schürt Aggressionen und den Hang zur Selbstjustiz anstelle eines angeblich nicht handlungsfähigen Staates. Vergessen wird dabei auch, daß durch eine restriktive Entscheidungspraxis des Bundesamtes und der Gerichte viele Menschen aus dem Asylrecht herausdefiniert worden sind. Etwas 40% der Asylsuchenden steht ein Bleiberecht nach dem Ausländergesetzt oder der Genfer Konvention zu. Das Beharren auf einer Änderung des Grundgesetzartikels 16 stellt eine Scheinlösung dar, die wesentliche Problemzusammenhänge in unverantwortlicher Weise verdeckt.

Auch vor dem Hintergrund einer von allen Fraktionen des Schleswig-Holsteinischen Landtags verabschiedeten Entschließung zur Asylpolitik appelliert der Landesparteitag an alle demokratischen Kräfte und Bürgerinnen und Bürger im Lande, das Asylthema nicht emotional und isoliert zu betrachten, sondern es als Teil des weltweiten Flüchtlings- und Wanderungsproblems zu begreifen.

Westeuropa und die Bundesrepublik tragen durch ihre enge Verflechtung in eine ungerechte Weltwirtschaftsordnung Mitverantwortung für die Flucht- und Wanderungsursachen wie Armut, Hunger, Menschrechtsverletzungen, Kriege und Bürgerkriege. Sie haben deshalb nicht das Recht und auch mittelfristig keine Chance, sich als Wohlstandsfestung zu verbarrikadieren.

Die Bekämpfung der Fluchtursachen erfordert grundlegende Umstellungen der Entwicklungshilfeinstrumente und vor allem grundlegendes Umdenken in der Wirtschaftspolitik gegenüber den Staaten jenseits der Wohlstandsgrenzen in Süd und Ost. Der Zuwanderungsdruck auf die Bundesrepublik und Westeuropa wird daher vorerst anhalten. Das Konzept der grenzenlosen Aufnahme ist allerdings genauso unrealistisch wie das der Wohlstandsfestung.

Bisher haben die europäischen Gremien für eine materielle Vereinheitlichung des Asylrechts keine Grundlage gelegt. Deshalb fordert die SPD die Bundesregierung auf entsprechende Initiativen auf der Grundlage von Art. 16 und der Genfer Flüchtlingskonvention zu ergreifen und einen nationalen Beitrag zur Lösung des Flüchtlings- und Wanderungsproblems zu leisten.

Die Berufung auf Europa darf kein Alibi für Untätigkeit und Handlungsunfähigkeit sein. Der Vorschlag, Asylsuchenden, die über sog. sichere Drittländer einreisen, an der Grenze abzuweisen bzw. sie nicht zum Asylverfahren zuzulassen, ist nicht nur mit Art. 16 unvereinbar, sondern bedeutet für ein Land in der Mitte Europas eine Absage an jede verantwortliche Flüchtlingspolitik.

Da sich Armutszuwanderung jetzt notgedrungen über Artikel 16 vollzieht, ist die zwischen den Parteien verabredete Beschleunigung der Asylverfahren bei voller Wahrung der Rechtswegegarantie nach Artikel 19 GG ein wichtiger Beitrag zur Rechtsklarheit und zur Rettung der Akzeptanz des Asylrechts.

Wenn sich die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien nicht dem Vorwurf der absichtlichen Eskalation in einem äußerst sensiblen Thema aussetzen wollen, müssen die im sog. Kanzlergespräch abgesprochenen rechtlichen und administrativen Maßnahmen sofort umgesetzt werden. Der Landesparteitag begrüßt, daß Schleswig-Holstein auf diesem Weg behutsam vorangegangen ist. Beschleunigte Verfahren müssen die rechtlichen und die sozialen Belange des Asylsuchenden wahren. Die SPD wird die hierfür notwendige Einrichtung von zentralen Unterkünften vor Ort unterstützen. Nur so sind die Unterbringungsprobleme in allen Gemeinden wirksam zu entschärfen. Die Landesregierung hat gezeigt, daß dies möglich ist.