T1: Gerechte Transformation braucht einen starken Staat: Die sozialdemokratische Klima-Strategie für Schleswig-Holstein (2023)

Aus Beschlussdatenbank der SPD Schleswig-Holstein
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Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Husum 2023
Bezeichnung: T1
Antragsteller: Landesvorstand


Beschluss: Angenommen

250 Jahre lang gründete sich der Wohlstand unserer Industriegesellschaft auf dem Verbrennen von Kohle, Öl und Gas. Das führt zur Erderwärmung und bedroht unsere Lebensgrundlagen. Das hat uns abhängig von autoritären Regimen und deren fossilen Energiequellen gemacht. Zuletzt hat der Ukrainekrieg deutlich gezeigt, dass es beim schnellen Ausstieg aus den fossilen Energien nicht nur um Klimaschutz, sondern auch um Fragen der Energiesicherheit und Energieunabhängigkeit geht. Die in Folge des Krieges steigenden Gas- und Ölpreise führen gerade zu großen sozialen und wirtschaftlichen Belastungen.

Wir sind der festen Überzeugung, dass am Ende der Energie- und Klimatransformation mehr Wohlstand und ein besseres Leben für alle möglich sind. Uns stehen die finanziellen Ressourcen, das Wissen, die Technologien und die sozialen sowie wirtschaftlichen Fertigkeiten dafür zur Verfügung. Deshalb wollen wir in Schleswig-Holstein bis zum Jahr 2040 aus dem fossilen Zeitalter aussteigen.

Aber der Umbau muss gestaltet werden. Wir wollen verhindern, dass bezahlbare erneuerbare Energie, ein warmes Zuhause, nachhaltige Mobilität oder klimaneutrale Produkte ein Luxus werden, den sich nur wenige leisten können. Alle Menschen müssen gleichberechtigt an der klimaneutralen Zukunft teilhaben können und sichere, gute Arbeitsplätze haben. Das zu garantieren ist für uns als Sozialdemokratie die wichtigste Aufgabe von Politik. Und wir haben einen konkreten Plan für die Umsetzung.

Die Klimatransformation dem Markt zu überlassen gefährdet den sozialen Zusammenhalt

Deutschland hat sich gesetzlich dazu verpflichtet, bis 2045 klimaneutral zu werden. Als SPD wollen wir dieses Ziel in Schleswig-Holstein schon 2040 erreichen. Dafür ist bis 2030 eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um 65 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 notwendig. Für dieses Zwischenziel müssen wir den Treibhausgasausstoß in Schleswig-Holstein in den nächsten acht Jahren von heute 24 Millionen Tonnen auf 12 Millionen Tonnen halbieren. Das ist das Sechsfache der Einsparungen, die wir in den letzten acht Jahren geschafft haben.

Das belegt, immer neue Ziele reichen nicht aus. Wir müssen sie auch konkret erreichen und dabei die Voraussetzungen dafür schaffen, dass alle Menschen klimaneutral werden können. Zwar haben wir die notwendigen Technologien und wissen, wie wir mit Windkraft, Solarenergie, Wärmenetzen, Wasserstoff, Wärmepumpen und Speichern klimaneutral und unabhängig von fossilen Brennstoffen werden können. Wenn wir aber nur die Klimagesetze immer schärfer machen und den Rest dem Markt überlassen, spalten wir die Gesellschaft.

Klimaschutz kostet Geld. Das eigene Haus zu dämmen und eine Wärmepumpe einzubauen ist eine große Investition. Hinzu kommen Ausgaben für die Solaranlage auf dem Dach und den Speicher im Keller. Auch das neue E-Auto kostet in der Anschaffung mehr als der alte Benziner. Die Verantwortung darf deshalb nicht allein auf einzelne Haushalte abgeladen werden.

Aktuell gilt in vielen Bereichen die Logik, dass die Menschen das notwendige Geld dafür schon zusammensparen. Zusätzlich helfen Länder oder Bund mit etwas Förderung. Dieser Ansatz ist aber keine echte Antwort auf die drohende gesellschaftliche Spaltung. Angesichts der Tatsache, dass das Medianeinkommen in Deutschland bei 15.000 Euro liegt, werden sich viele niemals aus eigener Kraft klimaneutral machen können. Ein Förderprogramm scheitert, wenn der Eigenanteil nicht finanziert werden kann.

Durch die Energie- und Klimatransformation zu neuer wirtschaftlicher Stärke

Für Schleswig-Holstein liegen riesige wirtschaftlichen Chancen in der Energie- und Klimatransformation. Die große Verfügbarkeit von Windkraft und anderen erneuerbaren Energien in Kombination mit bestehenden industriellen Strukturen sind einmalig in Deutschland. Schleswig-Holstein ist attraktiv für Neuansiedlungen und kann Vorbild für die Transformation bestehender Industrie sein.

Aber der internationale Wettbewerb um Technologieführerschaft und die Führungsrolle in der industriellen Transformation hat volle Fahrt aufgenommen. Schleswig-Holstein ist auf dem Weg, das erste grüne Industrieland zu werden, in Konkurrenz mit vielen anderen Orten in der Welt. Die Investitionsbedarfe für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft und die Ansiedlung neuer Produktionsstätten sind enorm. Deshalb brauchen wir eine aktive Industriepolitik, die durch gemeinsame Investitionen mit der Wirtschaft gute Arbeitsplätze sichert und neue schafft.

Wir brauchen den Staat als Garant für sozialen Ausgleich in der Energie- und Klimatransformation

Die soziale und die industrielle Dimension der Energie- und Klimatransformation zeigen: Beides wird nur gelingen, wenn der Staat in die Verantwortung geht. Er darf diese Aufgabe nicht auf den Einzelnen abwälzen. Der Staat muss die erforderlichen Veränderungen sozial gerecht organisieren. Das bedeutet, für den Bau neuer gemeinschaftlicher Infrastrukturen zu sorgen: Leistungsstärkere und intelligente Stromleitungen. Wärmenetze, die klimaneutral erwärmtes Wasser über Leitungen in Häuser bringen. Ladesäulen für E-Autos überall im Land und nicht nur da, wo sie sich lohnen. Neue Bahnschienen und Busse, die mit Strom oder Wasserstoff fahren. Saubere Fabriken, die über moderne Verbundsysteme neue Kreislaufprozesse zur Energieeinsparung nutzen. Das Land muss den Bau dieser Infrastrukturen in enger Kooperation mit Bund und Kommunen angehen.

Die Voraussetzung für die Nutzung all dieser Infrastrukturen ist der Ausbau Erneuerbarer Energien. Je weniger erneuerbarer Strom, desto höhere Rechnung. Je weniger erneuerbarer Strom, desto weniger Industriearbeitsplätze. Je weniger erneuerbarer Strom, desto kostspieliger wird die Mobilität der Zukunft. Je weniger erneuerbarer Strom, desto teurer werden Wärme und Kälte. Deshalb ist der Ausbau von Windenergie an Land und auf der See, Solarenergie auf Dächern und in der Fläche für die SPD ein zentraler Hebel einer sozial gerechten Transformation.

Welche Ziele wir für eine gerechte Energie- und Klimatransformation bis 2030 erreichen wollen

• Wir werden die Treibhausgasemissionen um 65 Prozent gegenüber dem Vergleichsjahr 1990 senken.

• Wir werden 40 Prozent aller Haushalte in Schleswig-Holstein an ein Wärmenetz anschließen.

• Wir sorgen für den Bau von 30.000 Ladesäulen für E-Autos, die eine flächendeckende Versorgung im Land sicherstellen.

Wir werden aber auch immer mehr Menschen von der Nutzung individueller motorisierter Verkehrsmittel unabhängig machen. Dazu gehört, die fehlgeschlagene Privatisierung von Eisenbahnbetreibergesellschaften rückgängig zu machen und wieder öffentliche Verantwortung für die Mobilitätsbedürfnisse der Bevölkerung zu übernehmen.

• Wir sorgen für die energetische Sanierung aller Schulen und von einem Viertel der Landesliegenschaften.

• Wir ermöglichen die Umstellung der großen Kraftwerke im Land auf eine klimaneutrale Wärmeerzeugung.

• Wir werden alle Projekte im Landesnahverkehrsplan ausfinanzieren und umsetzen.

• Wir werden die Stromnetze in Städten und Gemeinden für die dezentrale Energiewende ertüchtigen.

Wir werden in ausreichendem Maße Speicherkapazitäten schaffen, um die Energieproduktion aus erneuerbaren Quellen im Lande optimal und nachhaltig auszunutzen.

• Wir vernässen 8000 ha an Moorflächen.

• Wir finanzieren das Katastrophenschutzkonzept des Landes aus und setzen es um.

• Wir schaffen 2,4 Gigawatt an Elektrolyse-Kapazität für Wasserstoff in Schleswig-Holstein.

Die Energie- und Klimatransformation muss gerecht finanziert werden

Die Erreichung dieser Ziele wird Geld kosten. Allein in Schleswig-Holstein werden bis zum Jahr 2030 zusätzliche Milliarden an öffentlichen Investitionen notwendig sein, um die Transformation des Gebäudesektors, der Mobilität, der Wärmeversorgung und der Industrie sowie die Anpassungen an die Herausforderungen des Klimawandels entschieden voranzutreiben.

Die Investitionen müssen überwiegend von den Kommunen und vom Land getätigt werden. Ein Teil dieser Bedarfe kann aber durch zusätzliche Mittel des Bundes oder der EU finanziert werden. Zusätzlich soll eine Landesinfrastrukturgesellschaft Investitionen durch eigenständige Fremdkapitalmobilisierung sichern und so die Finanzierungsbedarfe des Landes und mittelbar der Kommunen reduzieren. Die Investitionen in die Versorgungsinfrastruktur werden sich zudem mittel- und langfristig durch den Betrieb refinanzieren lassen. Das gilt insbesondere für Wärmenetze, Stromnetze und die Wasserstoffinfrastruktur.

Die Vorlaufzeit für die Planung und den Bau der benötigten Infrastrukturen und die Absicherung privatwirtschaftlicher Investitionen erfordert die Bereitschaft des Landes, heute aktiv zu werden und die Investitionen anzustoßen. Für die Energie- und Klimatransformation braucht es Investitions- und Planungssicherheit.

Den Klimawandel aufzuhalten sowie Kohle, Gas und Öl zu ersetzen, ist eine riesige Herausforderung. Wer behauptet, dass diese Menschheitsaufgabe nebenbei aus den Haushalten von Bund, Ländern und Kommunen finanziert werden kann, will entweder den Sozialstaat schleifen oder sagt die Unwahrheit. Gleichzeitig sind wir der Auffassung, dass weder die Folgen des Klimawandels noch die finanziellen Lasten der Transformation nur von kommenden Generationen getragen werden sollen.

Die Organisation der Klimatransformation - auf einem sozial und industriepolitisch abgesicherten Pfad - ist in den finanziellen Dimensionen mit dem Kraftakt der deutschen Einheit vergleichbar. Auch diesmal geht es darum, große zusätzliche Investitionen für Staat und Gesellschaft in einem begrenzten Zeitraum zu bewältigen. Einen Teil der Kosten wollen wir deshalb mit einem Transformations-Solidaritätszuschlag finanzieren, der bis zum Jahr 2045 als Aufschlag auf die Einkommens-, Körperschaft- und Kapitalertragsteuer erhoben wird. Der Transformations-Soli soll vor allem die Finanzkraft von Kommunen und Ländern als Träger und Betreiber der entscheidenden Infrastrukturen im Bereich Mobilität, Wärme und Industrie stärken.

Allerdings braucht es zur Umsetzung andere Mehrheiten im Bund. Wir können aber angesichts der notwendigen Geschwindigkeit nicht warten, bis wir neue Instrumente der Finanzierung entwickelt haben. Die einzige kurzfristige Alternative ist deshalb die Aufnahme zusätzlicher Kredite für die gerechte Klimatransformation, die auch innerhalb der Schuldenbremse möglich sind.

Schleswig-Holstein braucht einen Transformationsfonds (TraFo.SH)

Wir wollen einen Transformationsfond (TraFo.SH) einrichten, der die erforderlichen öffentlichen Investitionen durch Land und Kommunen absichert. Als Sondervermögen wird das Geld langfristig zur Finanzierung neuer Infrastrukturen zur Verfügung stehen. Aus diesen Mitteln wird auch eine Landesinfrastrukturgesellschaft kapitalisiert, die privatwirtschaftlich lohnende Investitionen finanziert und eigene Fremdfinanzierung mobilisieren kann.

Der Fonds schafft über Jahre Investitionssicherheit und garantiert, dass Fördermittel der EU und des Bundes konfinanziert werden können. Als Ergebnis holen wir mehr Geld in den Norden und stärken unsere Wirtschaftskraft. Zudem haben wir mit den zusätzlichen Mitteln eine realistische Chance, unsere Klimaziele wirklich einzuhalten. Aktuell reißen wir sie jedes Jahr. Und wir sorgen mit dem Fonds für gesellschaftlichen Zusammenhalt, weil so wirklich alle Menschen unabhängig vom Geldbeutel klimaneutral werden können. Der Wandel wird dadurch sozial gestaltet.

Mit Blick auf das Klima-Urteil des Bundesverfassungsgerichts und angesichts der Energiekrise in Folge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine sind im Rahmen der in der Landesverfassung festgelegten Notfallklausel Kredite außerhalb der Schuldenbremse möglich.