Zusammenhalt stärken – Zeit, Chancen und Geld gerecht verteilen. Für eine soziale Zeitenwende

Aus Beschlussdatenbank der SPD Schleswig-Holstein
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EINLEITUNG

Unsere Welt wird sich mit der ökologischen Transformation verändern. Nur mit einer echten Klimawende werden wir unsere Ziele zur Klimaneutralität bis 2045 erreichen und die Zukunft zukünftiger Generationen sichern. Für uns als SPD steht unumstößlich fest: Wir müssen diesen Wandel in Deutschland aktiv gestalten – mit Mut, Lust auf Fortschritt und Zuversicht. Dabei setzen wir auf alle Erkenntnisse und Zukunftsideen, die wir für eine gerechte Klima-Transformation haben: bei Technologie, Digitalisierung und dem Wandel der Arbeitswelt. Dafür haben wir bereits die Einrichtung eines Transformationsfonds vorgeschlagen.

Dieses feste Ziel der Klimaneutralität steht aber nicht ohne Kontext im Raum. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie und die damit verbundenen Lebenserfahrungen und Auswirkungen auf die Lebenswege prägen unsere Zeit genauso wie die Zeitenwende, in der vermeintlich sicher geglaubte internationale Stabilitäten ins Wanken geraten sind. Klimawandel, Pandemie, Zeitenwende: In unserer Zeit treffen sich mehrere Schicksalslinien, die in unserem politischen Handeln nicht mehr voneinander losgelöst betrachtet werden können.

Die Angst vor einer ungewissen, einer unsicheren Zukunft ist groß. Aus Sorge davor, dass man nicht mehr zurechtkommt. Während man gleichzeitig sieht, wie die Welt aus den Fugen geraten ist. Das gilt auch vor der eigenen Haustür: Der Wohlstand in Deutschland nimmt zu, aber bei zu vielen Menschen in unserem Land kommt das nicht an.

Obwohl ganz viele Maßnahmen konkret zur Entlastung derjenigen beigetragen haben, die es gerade nicht leicht haben, fühlt es sich nicht nach Entlastung an. In den aktuellen Krisen erleben wir eine Aushöhlung der Sicherheit unserer Grundbedürfnisse: Wohnen, Lebensmittel und Energieversorgung werden immer teurer. Gleichzeitig nimmt die Erschöpfung und der Stress angesichts der aktuellen Lage zu. Die Haut der Menschen wird spürbar dünner.

Wir wollen Menschen wieder die Kraft geben, aktiv Entscheidungen für den eigenen Lebensweg zu treffen und ihr Potential in die Gemeinschaft einzubringen. Wir wollen Mut machen, selbst mutig sein. Denn für uns ist klar: Niemand ist allein mit seinen Sorgen und Ängsten. Wir kämpfen für das Wohlergehen der Menschen. Dafür legen wir uns auch mit denen an, die diesem Ziel im Weg stehen. Wir können und wollen es nicht allen recht machen, sondern machen uns für alle stark, die auf Zusammenhalt und Solidarität in unserer Gesellschaft setzen und darauf angewiesen sind. Damit niemand zurückgelassen wird. Dabei ist es unsere Aufgabe, mit einer verlässlichen Politik für soziale Sicherheit und Vertrauen zu sorgen. Dafür brauchen wir auch eine soziale Zeitenwende.

Die wichtigste Botschaft für uns als SPD in all dem ist: Wir sehen dich. Wir sehen deine Lebenslage, deine Bedürfnisse und Belastungen. Und: Wir fühlen das auch.


EIN GUTER LOHN IST DAS BESTE MITTEL GEGEN ARMUT

Armut ist eine massive Hürde für gesellschaftliche Teilhabe. Die Armutslücke ist in den letzten zehn Jahren nochmal deutlich größer geworden. Menschen in ostdeutschen Bundesländern, Frauen, Menschen mit Migrationsgeschichte, Singles und Alleinerziehende sind besonders betroffen. Unter anderem diese Diskriminierungen führen zu großen Ungleichheiten bei den Möglichkeiten einen guten Job zu finden und damit guten Lohn zu erhalten. Wenn das Einkommen nicht reicht, führt das zu weitreichenden Auswirkungen. Zugänge zu Bildung, zu gut bezahlter Arbeit, zu qualitativem Wohnraum und zu guter Gesundheit sind dann blockiert. Das schafft Frust und Resignation bei den Betroffenen, die um ihre Lage sehr gut Bescheid wissen. Dadurch gerät auch das Vertrauen in den Staat und die Demokratie in Gefahr. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie und des Kriegs in der Ukraine verschärfen dieses grundsätzliche Problem weiterhin. Wer über weniger Einkommen verfügt, ist eher armutsgefährdet. Deshalb ist und bleibt ein guter Lohn das beste Mittel gegen Armut.

Der Mindestlohn hat seit seiner Einführung im Jahr 2015 Lohndumping einen Riegel vorgeschoben und garantiert als absolute Lohnuntergrenze ein Mindestmaß an Respekt für jede Arbeitsleistung. Die Erhöhung auf 12 Euro ist ein Verdienst der SPD in der Ampelkoalition und hat die Belastung der Kostensteigerungen in den letzten Monaten abgemildert.

Fakt ist aber auch, dass die aktuelle Höhe immer noch nicht ausreicht, um armutsfest zu sein – vor allem für die Rentenzeit. Die geplante Erhöhung auf 12,41 Euro gegen die Stimmen der Arbeitnehmerseite in der Mindestlohnkommission wird dem ebenfalls nicht gerecht. Dass die Arbeitgeberseite der Kommission die eigentliche, an den Tarifndex angepasste Erhöhung nicht auf den geltenden Satz von 12 Euro anrechnet, ist ein echtes Foul in der Zusammenarbeit der Kommission. Ansonsten hätte der neue Mindestlohn bereits zum 1.1.2024 bei fast 14 Euro gelegen.

Wir bleiben dabei: Der Mindestlohn muss ein gutes Einkommen ermöglichen und im Alter vor Armut schützen. Deshalb wollen wir die Forderung eines Mindestlohns von 15 Euro zu einer Kernforderung zur kommenden Bundestagswahl erheben. Gute Löhne entstehen aber letztlich nur durch starke Gewerkschaften und Tarifbindung. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass der Staat seinen Beitrag dadurch leistet, dass öffentliche Aufträge nur noch an tarifgebundene Unternehmen erteilt werden.

Eine soziale Arbeitsmarktpolitik ist zugleich ein zentraler Baustein für die Bewältigung des Fach- und Arbeitskräftemangels. Dazu gehören deshalb auch verbesserte Perspektiven im Übergang von Schule und Beruf mit besonderem Fokus auf die Stärkung der Berufsaus- und der Erwachsenenbildung sowie eine Ausweitung der Migrations- und Integrationsberatung. Auch so können wir in sozialen Schlüsselberufen von Kinderbetreuung über Pfege bis hin zur sozialen Arbeit bessere Voraussetzung für die Fachkräfte von Morgen schaffen.


EINE ECHTE KINDERGRUNDSICHERUNG MUSS KOMMEN – AUCH MIT HÖHEREN STEUERN FÜR REICHE

Mit der Einführung des Bürgergelds wurde ein wichtiger Schritt in der Regierung getan. Aber wir müssen ernsthaft darüber sprechen, wie unsere sozialen Sicherungssysteme den soziokulturellen Mindeststandard für alle ermöglichen können – nicht nur im Erwerbsleben, sondern insbesondere für Kinder und Jugendliche. Unsere Idee der Kindergrundsicherung wird dabei einen echten Beitrag leisten, nicht nur die gestiegenen Lebenskosten auszugleichen, sondern Kinder und Jugendliche spürbar vor den Folgen von Armut zu schützen – auch durch Investitionen in Bildung und soziale Hilfen. Deshalb muss die Kindergrundsicherung mehr als das soziokulturelle Existenzminimum sichern. Es reicht nicht aus, nur vorhandene Leistungen zu bündeln. Sie ist ein zentrales Versprechen der Koalition, um Kinderarmut in Deutschland zu bekämpfen. Das müssen wir einlösen. Dafür reicht der bisherige Kompromiss nicht aus.

Selbstständige Mobilität ist eine Voraussetzung für die Teilhabe an wesentlichen Bereichen des Lebens wie Bildung, Kultur, Sport und freundschaftliche Treffen. Nur durch den ÖPNV können alle Kinder und Jugendlichen über mittlere bis lange Strecken selbstständig mobil sein. Deshalb muss die kostenlose Benutzung von Bussen und Bahnen für sie als eine Mobilitätsgarantie Teil der Kindergrundsicherung sein. Dies ist zudem gerechter als eine Lösung, die von der kommunalen Finanzkraft an ihrem Wohnort abhängt.

Die dafür nötigen Finanzmittel müssen, wenn nicht aus dem Steueraufkommen zu leisten, durch die Steigerung der Staatseinnahmen erfolgen. Wir stehen bereit, um mit Einnahmen aus einer Besteuerung u.a. der Vermögen von Superreichen das nötige Geld zusammen zu bekommen, um den fast 3 Millionen Kindern, die in Deutschland unter der Armutsgrenze leben, endlich mehr Chancen für ihren Lebensweg zu geben.

Denn auch sonst führt kein Weg daran vorbei: Diejenigen, die in Deutschland am allermeisten haben, müssen konsequent mit ihrem Vermögen an den Kosten der Gemeinschaftsaufgaben in unserem Land beteiligt werden. Denn ihr Wohlstand ergibt sich erst aus den Arbeitsleistungen vieler. Dafür müssen sie in Zukunft einen Teil ihres Wohlstands abgeben.

Gleichzeitig müssen wir leistungsloses Einkommen endlich stärker besteuern. Wir leben in einer Erbengesellschaft. Es kommt heute mehr darauf an, ob man vermögende Eltern hat, als dass man für sein Einkommen durch eigene Arbeit sorgt. Das verschärft massiv das Auseinanderdriften der Vermögenden und derjenigen, die nicht in der Lage sind, Vermögen oder Rücklagen aufzubauen. Denn unter dieser Voraussetzung ist das Aufstiegsversprechen nur noch schwer einzulösen. Gleiches gilt für Kapitalerträge. Hier wollen wir klare Grenzen setzen. Dafür muss der Staat mit einer konsequenten Besteuerung von leistungslosen Einkommen durch eine wirksame Erbschaftssteuer und die Gleichsetzung von Kapitalerträgen mit der Einkommenssteuer gegensteuern.


FAMILIEN IN DEN MITTELPUNKT RÜCKEN

Zeit als Ressource ist in unserer Gesellschaft immer umkämpfter geworden. Sie ist gleichermaßen Zugang zu Macht und Geld. Dabei ist das Zeitbudget, über das wir frei verfügen können, objektiv größer geworden. Gleichzeitig steht diese „Zeitdividende“ nicht allen gleichermaßen zur Verfügung. Abstiegsängste befördern zudem, noch mehr der eigenen Zeit einsetzen zu müssen. Damit ist die Ressource Zeit zum wesentlichen Teil einer kapitalistischen Verwertungslogik geworden – und dies umso mehr, weil sich die eigene Zeit faktisch nicht vermehren lässt. Zeit erkaufen können sich nur die, die sich das leisten können.

Was das bedeutet, erleben viele Familien in der „Rush Hour des Lebens“. Die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit – meist beider Partner*innen –, von Erziehung und Pfege, Freizeit und Ehrenamt stellt das Leben vieler Familien auf den Kopf. Gerade für sie brauchen wir mehr Zeitgerechtigkeit und Chancengleichheit.

Zeitgerechtigkeit bedeutet, Familien in unterschiedlichen Lebenslagen mehr Spielräume bei der Gestaltung der unterschiedlichen Phasen im Leben zu ermöglichen. Deshalb stehen wir für eine echte Reform des Elterngeldes ein, dass Eltern mehr Zeit mit ihren Kindern verschafft, ohne sich finanzielle Sorgen machen zu müssen. Gleichzeitig wollen wir mit einer Reform des Elterngelds als Instrument der Gleichstellung Paare in der gleichen Aufteilung von Erziehungszeiten unterstützen. Wer mehr Zeit und mehr Zeit alleine für das Kind aufbringt, soll durch höhere Leistungen gefördert werden. Das Modell des 6+6+6-Elterngelds befürworten wir daher ausdrücklich. Gleichzeitig müssen die geltenden Sätze, die seit der Einführung in 2007 nicht angepasst wurden, der Preisentwicklung der letzten 15 Jahre angepasst werden.

Wir wollen mittelfristig eine Familienagentur etablieren, die als zentrale Anlaufstelle für Familien in der Lage ist, alle Anliegen gebündelt zu bearbeiten, mögliche Leistungsansprüche zu gewähren und Hilfe im Alltag oder Konfliktlagen zu organisieren. Schon heute leisten die Familienzentren hier sehr viel, um Familien passgenaue Angebote und Hilfestellungen zu ermöglichen. Auch dort nimmt die Nachfrage deutlich zu. Doch mit der noch geltenden Finanzierung ist der Andrang nicht zu bewältigen, es bleiben zu viele Familien vor der Tür stehen - mittel- und langfristig kann das die Gesellschaft teuer zu stehen kommen.


DER STAAT MUSS SEINEN JOB MACHEN

Wir müssen die Handlungsfähigkeit unseres Staates stärken. Denn nur so sind wir in der Lage, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um für sozialen Ausgleich und Zusammenhalt zu sorgen. Aktuell können wir beobachten, dass die bürokratischen Anforderungen sowie die fehlende Digitalisierung die Aufgabenbewältigung des Staates zu stark behindern. Dies hemmt gleichzeitig das ‚System Verwaltung‘ - bei anhaltendem Fachkräftemangel - bei der vernünftigen Erledigung seiner Aufgaben. Die Jobcenter müssen auch über den 31.12.2024 hinaus die Aufgabe der Vermittlung, Betreuung für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen behalten.

Der starke, handlungsfähige Staat muss aber für jede und jeden in der ganz individuellen Lebenslage funktionieren. Denn die Erfahrung, die man mit dem ‚Organismus Verwaltung‘ macht, prägt auch den eigenen Blick auf den Staat und die demokratische Festigkeit der Gesellschaft. Dafür muss der Einklang von Bürokratieabbau, Digitalisierung und Automatisierung sowie Ausbildung, Rekrutierung und Bindung von Fachkräften funktionieren.

Gleichzeitig ist die Politik in der Verantwortung, für eine Ausfinanzierung der nötigen Unterstützungsund Hilfesysteme zu sorgen. Wenn bei Arbeitsvermittlung gekürzt wird, verhindert das den Weg zur selbstbestimmten Teilhabe. Wenn bei Beratungsangeboten trotz weiter steigender Nachfrage wegen fehlender staatlicher Zuwendungen Angebote eher noch gekürzt werden müssen statt ausgebaut zu werden, verkennt das den Ernst der Lage. Wir können und wollen auf niemanden verzichten. Wir erleben aber, dass Konflikte zu nehmen und die materiellen, aber auch psychischen Lasten, die viele zu tragen haben, zunehmen und komplexer werden. Die Überforderung der Menschen ballt sich. Hier hat der Staat eine zentrale Aufgabe, die soziale Frage in den Fokus zu nehmen und für die nötigen Voraussetzungen zur Hilfeleistung zu sorgen.

Deshalb brauchen wir eine strukturelle Verstetigung vieler Hilfsangebote, die verlässlich ist, statt eine „Jagd auf Projektförderungen“.  Denn die „schwarze Null“ gefährdet letztendlich die Funktionsfähigkeit der so wichtigen Unterstützungssysteme.