F3: Internationale Umverteilung anstatt militärischer Intervention - für eine friedliche Außenpolitik! (1997)
Gremium: Landesparteitag |
Sitzung: Landesparteitag Husum 1997 |
Bezeichnung: F3 |
Antragsteller: Jusos Schleswig-Holstein und Ortsverein Lübeck-Moisling
|
Beschluss: Überwiesen an Landesvorstand |
(Beschluss: Überwiesen an Landesvorstand mit Ziel der Diskussion auf gesonderter Konferenz)
Die neue Weltordnung
Nach dem Wegfall des Ost-West-Gegensatzes bildet sich eine neue Weltordnung heraus. Statt der bipolaren, militärischen Situation des Kalten Krieges haben wir heute eine von der Triade (EU, Nordamerika, Ostasien) bestimmte Welt. Die Triadenzentren dominieren den gesamten Welthandel. Ihr Kampf um Märkte, ihr Bedarf an Ressourcen und ihr Desinteresse an den Märkten des Südens entscheiden über die Stellung der Ökonomien in der Peripherie. Einige sogenannte "Schwellenländer" haben es geschafft, eine eigene Industrie aufzubauen, die es ihnen ermöglicht, eigene Märkte zu erschließen.
Da mit dem Ende der fordistischen Produktionsweise das Rohstoffrecycling und die Nutzung eigener Rohstoffquellen zunehmend interessanter wird, verliert der Süden als Rohstofflieferant an Bedeutung. Dies hat zur Folge, daß die Länder des Südens, die u.a. auf den Rohstoffexport setzen, mittlerweile völlig vom Welthandel abgekoppelt sind. Sie versinken in Armut, Hunger und Kriegen. Der gesamte afrikanische Kontinent trägt weniger als drei Prozent zum Welthandel bei. Entsprechend werden Verteilungskämpfe immer häufiger kriegerisch ausgetragen. Dies führt zur Destabilisierung der herrschenden Schichten, die reagieren mit härteren Repressionen gegen das eigene Volk.
Anders ergeht es Ländern, denen es gelang, eine eigene industrielle Basis aufzubauen. Den ostasiatischen Staaten gelang dies durch eine aggressive Zollpolitik und offensive Exportorientierung.
In Lateinamerika erreichte man in den 80ern eine industrielle Entwicklung durch völlige Überschuldung. Eine neoliberale Wirtschaftspolitik mit einer ungekannten Privatisierungswelle und Sozialabbau herrscht vor. Mit dieser Politik folgen sie den Vorgaben von IWF und Weltbank. Ziel ist die Teilnahme am NAFTA-Markt.
Neben dem Zugriff auf fossile Energieträger ist das Interesse des Nordens am Süden hauptsächlich auf die Herstellung von Ruhe und Odnung begrenzt. Unter Militärs herrscht die Sorge, daß Widerstand in den Ländern des Südens gegen die ungerechte Verteilung des Reichtums entstehen könnte. Daher werden in den Ländern des Südens potentielle militärische Gegner gesehen. Dazu paßt, daß versucht wird, Migrationsbewegungen aufgrund der sozialen Deklassierung militärisch von der Triade fernzuhalten. Die Grenzen der Triade werden militärisch gezogen.
Innerhalb der Triadenzentren gibt es keine Versuche mehr, eine gerechte Weltwirtschaftspolitik zu installieren. Höhepunkt ist die Verabschiedung des GATT-Abkommens. Damit ist es den Industrieländern gelungen, jegliche Möglichkeit einer gezielten Marktabschottung zu unterbinden. In den Ländern des Südens werden ganze Industriezweige zusammenbrechen. Zudem bleibt die Frage bestehen, ob die Länder des Nordens ihre Märkte öffnen werden, um die Absatzmärkte des Südens zu sichern.
Die sozialen, ökologischen und ökonomischen Verteilungsfragen innerhalb der deklassierten Regionen und die Ordnungsvorstellung der Triade bestimmen die momentanen kriegerischen Konflikte. Während historische Konflikte in Friedenskonferenzen gelöst werden, brechen noch zahlreichere andere Kriege aus. Die deklassierten Regionen kämpfen um die Teilhabe am Welthandel, um die Wiederherstellung der alten Ausbeutungsstrukturen und gegen die Abschottung vom Weltmarkt. Diese Kriege werden durch innerstaatliche Verteilungskämpfe in diesen Regionen ergänzt. Wie gezeigt, sind die weltweiten Disparitäten die entscheidende Ursache für bestehende Konflikte. Die ethnischen, religiösen und rassistischen Ausprägungen der Konflikte stellen im wesentlichen den Versuch dar, Leitbilder für die Konfliktparteien zu entwerfen. In allen internationalen Organisationen spiegeln sich die realen Machtverhältnisse der neuen Weltordnung (NWO) wider.
Drohpotential des Nordens zurückdrängen!
"Aufrechterhaltung des freien Welthandels und der ungehinderte Zugang zu Märkten und Rohstoffen im Rahmen einer gerechten Weltwirtschaftsordnung" ist nach den "Verteidigungspolitischen Richtlinien" der neue und zentrale Auftrag der Bundeswehr nach dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts geworden. Diese "Verteidungspolitischen Richtlinien" benennen die eigentlichen Antriebsfedern für Einsätze der Bundeswehr und anderer Armeen des Nordens: militärische Absicherung ökonomischer Interessen der führenden Industrienationen und Konfliktregionen gewaltsam zu stabilisieren und die Migrationsbewegungen so gering wie möglich zu halten.
Die bestehenden Konflikte haben jenseits ihrer militärischen Eruption tieferliegende ökonomische, ökologische, soziale und politische Ursachen, die durch militärische Interventionen nie gelöst, sondern allenfalls gewaltsam unterdrückt werden können. Sämtliche militärische Interventionen haben allenfalls gewaltverursachende Herrschaftsstrukturen auszutauschen vermocht, aber nie Frieden bringen können.
Wir Sozialdemokraten lehnen deshalb "out-of-area"-Einsätze als "Feuerwehraktionen" entschieden ab. Internationale Konflikte müssen politisch gelöst werden, nicht militärisch. Dazu bedarf es einer internationalen Konfliktprävention mit dem Ziel, Konflikte rechtzeitig zu erkennen, ihre Ursachen zu benennen und zu lösen. Hierzu müssen wir das militärische Drohpotential des Nordens zurückdrängen und den sozialökologischen Umbau in den Triadenmächten in einer internationalen Reformperspektive verankern. Um unseren Vorstellungen einer gerechten Weltordnung Durchsetzungskraft zu geben, müssen wir den Bruch mit der zunehmenden Militarisierung der Politik vollziehen und statt dessen alternative Entwicklngsmodelle aufzeigen.
Konfliktfrühwarnsystem
Die UNO ist heute zum Spielball für die Politik der USA und der US-Verbündeten geworden. Zum einen liefert die UNO die Legitimation für Interventionen im Süden, wenn dort die politische Situation oder die ökonomischen Rahmenbedingungen dem Norden nicht mehr genehm sind, ist andererseits die UNO bei der Einmischung in die Angelegenheiten der USA unerwünscht. Die UNO ist somit zur interventionistischen Konfliktmanagementbehörde für Interessen des Nordens geworden und nicht mehr in der Lage, als neutrale Instanz mit Mittlerfunktion Position in Konflikten einzunehmen. Darüber hinaus hat die UNO es nicht geschafft, entstehende Konflikte frühzeitig zu erkennen, und griff im Vorfeld zu zögerlich ein. Erst viel zu spät nach der kriegerischen Eskalation war ihr ein Engagement möglich. Die unzureichende regionale Verteilung und die Anpassung an die internationale Machtstruktur zeigen die Grenzen für die Demokratisierung der UNO und ihre mangelnde Eignung für ein regional ausgerichtetes Netz vorbeugender Diplomatie.
Ein Ausweg aus den festgefahrenen UNO-Strukturen ist der Aufbau regional arbeitender Organisationen für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZ). Diese OSZ müssen mit der dem Norden vorschwebenden Organisationsarbeitsteilung brechen, bei der derzeit die UN für "friedenspolitische" Interventionen und soziale Belange zuständig ist, der IWF hingegen für Finanzen und makroökonomisches Management, die Weltbank für die Entwicklungsprojekte und die GATT für Handelsstrategien und in einem Gesamtkonzept für ökonomischen Ausgleich zur Konfliktvermeidung eingebunden sein. Die OSZ sind anhand folgender Strukturelemente zu organisieren:
- Zentrum für Konfliktprävention und friedliche Streitbeilegung und Friedensforschung
- Abrüstungs- und Konversionsinstitut (mit Überwachung geschlossener Abrüstungsverträge)
- Büro für freie Wahlen und Demokratie
- Büro für nationale Minderheiten
- Büro für Frauenrechte und Gleichstellung
- Büro für Umwelt
- Büro für Entwicklung und Handelsstrategien.
Die OSZ sind weltweit regional aufzubauen und schon jetzt im Mittelmeerraum, Mittelasien, Zentralafrika, Nahen Osten und Mittelamerika zu entwickeln.
NGOs und Neue Soziale Bewegungen beteiligen!
Wir werden bei der Umsetzung einer solchen Perspektive immer weniger von den staatlichen Akteuren allein erwarten können. Vielmehr wird die Einbeziehung des "zivilgesellschaftlichen Sektors" und aus Neuen Sozialen Bewegungen (NSBs) und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) an Bedeutung gewinnen. Auch wenn der Aufbau von NGOs und NSBs als handlungsfähiges Subjekt noch ganz am Anfang stehen, bieten sie mittelfristig die Chance, die Gegenmachtbildung zur herrschenden Weltordnung mit alternativen Visionen zu organisieren.
Europäisches Sicherheitskonzept statt NATO!
Die NATO ist in den Auseinandersetzungen der Systeme als westliches Militärbündnis geschaffen worden und heute ein Relikt des Kalten Krieges ohne weitere Existenzberechtigung. Die überstürzte NATO-Osterweiterung lehnen wir ab und wollen die Auflösung der NATO. Der Angst der kleineren NATO-Länder, die zum Teil wiederholt Opfer deutscher Aggression geworden waren, ist Rechnung zu tragen. Wir wollen deshalb für ein europäisches Sicherheitskonzept die Stärkung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) vorwärts bringen und die Kooperation mit den osteuropäischen Staaten verstärken.
Ziviles Peace-Keeping statt militärischer Intervention!
Zur Durchführung des beschriebenen globalen Frühwarnsystems können zur Konfliktprävention und zur Beilegung von Auseinandersetzungen zivile Kräfte mit leichter Bewaffnung zur Selbstverteidigung eingesetzt werden, die aber nichts mit den herkömmlichen Blauhelmeinsätzen zu tun haben. Ein eventueller Waffeneinsatz muß immer rechtsstaatlich überprüfbar sein. Der Einsatz der zivilen Peace-Keeper muß an die Zustimmung der Konfliktparteien, der Unparteilichkeit und an die Leitung der UN (später OSZ) gebunden sein. Ziviles Peace-Keeping hat präventiv anzusetzen und keinen militärischen Auftrag, sondern ist verbunden mit technischer Aufbauhilfe, Wahlbeobachtung, Aufgaben der medizinischen und sozialen Grundversorgung, der Überwachung von Abkommen, der Entwaffnung der Konfliktparteien und dem ständigen zu allen Konfliktgruppen Kontakthalten (kommunikativer Auftrag). Diese Aufgabenstellung erfordert speziell ausgebildetes und qualifiziertes Personal. Die Peace-Keeping-Aktionen müssen multinational ausgerichtet sein, um nationale Eigeninteressen zu reduzieren. Deshalb sollen auch deutsche Zivilkräfte beim nicht-behelmten Peace-Keeping eingesetzt werden.
Ziviles Peace-Keeping ist im Gegensatz zu militärischen Blauhelm-Einsätzen friedenserhaltend und konfliktvermittelnd. Die heutigen Blauhelmmissionen sind eingebunden in das Konzept der permanenten Eskalation; entweder der ausgesuchte Gegner gibt bei den "humanitären" Blauhelmsoldaten auf, oder er legt es auf eine Verschärfung des Konflikts durch gezielte Luftangriffe oder den Einsatz der Schnellen Eingreiftruppen aus US- oder NATO-Verbänden an. Die Beteiligung der Bundeswehr an Blauhelmeinsätzen ist somit unsinnig und als nicht dem Frieden dienend abzulehnen.
Zentrale Aufgabe der UN (OSZ) ist es, ökonomische Perspektiven für Konfliktregionen aufzuzeigen und auf politische Veränderungen von innen durch die Unterstützung von demokratischen Massenmedien und demokratisch-emanzipatorischer Bewegungen zu setzen. Darüber hinaus kann der Bedrohung des Friedens durch wirtschaftliche und politische Sanktionen durch einen UN-Beschluß wie z. B. durch Embargos entgegengewirkt werden. Diese Embargos müssen auf Waffen, High-Tech-Güter und andere kriegswichtige Güter beschränkt werden, sie dürfen sich durch eine Ausweitung des Embargos auf Lebensmittel, Medikamente etc. nicht gegen die Bevölkerung richten. Embargobrechende Unternehmen müssen zukünftig bei öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen sein und mit Strafgeldern belegt werden. Um ein Embargo auch tatsächlich durchsetzen zu können, müssen Staaten, die durch das Embargo wirtschaftliche Nachteile hinnehmen, aus einem Sanktionsfonds einen Ausgleich erhalten (z. B. Griechenland im Jugoslawienkonflikt). Nach Abzug der Peace-Keeping-Kräfte muß sichergestellt werden, daß für die zerstörten Gebiete Wiederaufbauhilfen und Förderungsmaßnahmen zur Verfügung stehen.
Nord-Süd-Allianzen für Umverteilung zwischen Arm und Reich!
Auch die bisherige offiziell-staatliche Entwicklungspolitik des Nordens und insbesondere die der BRD ist in der Tendenz stark mit militärisch-strategischen Überlegungen verbunden und an ökonomischen (Macht)-Interessen orientiert. Der in den 60er und 70er Jahren erweiterte wirtschaftliche Spielraum der Entwicklungsländer ist wieder eingeschränkt worden, und die Mehrzahl der Länder der Erde ist heute vom Weltmarkt abgekoppelt, trotzdem durch die hohe Schuldenlast vom Norden und dem Diktat der Weltbank abhängig. Jedoch kann keine Weltregion sich auf Dauer von den weltumspannenden Sicherheitsrisiken wie Umweltzerstörung, Klimagefährdung und Massenelend abschotten.
Wir wollen den sozial-ökologischen Umbau des Nordens und die Entwicklung des Südens miteinander durch Nord-Süd-Allianzen verbinden und als effektives Konfliktpräventionsmodell etablieren. Bedingungen für eine ökologisch und ökonomisch zukunftsfähige Entwicklung sind: Streichung der Schulden, partnerschaftlicher Transfer von Know-how, Strukturinvestitionen und faire Handelsbeziehungen zwischen den Regionen.
Einzelne Staaten schließen sich zu regionalen Wirtschaftsräumen zusammen und streben dort faire Handelsbeziehungen an, um die Notwendigkeit am Weltmarkthandel zu verringern und sich zumindest in eine verstärkte Verhandlungsposition gegenüber der beherrschenden Triade zu bringen.
Die durch den Nord-Süd-Handel entstehenden Profite im Norden müssen dem Süden durch Finanztransfers zurückerstattet werden. Die Förderung des internationalen solaren Umbaus ist eine strategische Schnittstelle und kann den Energiemangel der Entwicklungsländer überwinden helfen und damit die Basis für die Verbesserung der Lebensqualität der Menschen sein. Der solare Umbau darf kein erneuter Technologietransfer der Industrienationen sein, sondern an die jeweiligen regionalen Möglichkeiten angepaßt sein und in Kooperation umgesetzt werden.
Bundesrepublik ohne Armee statt Militarisierung der Gesellschaft!
Mit dem Wegfall der Blockkonfrontation und der dadurch veränderten sicherheitspolitischen Lage steht die Bundeswehr unter einem immer stärker werdenden Legitimationsdruck, und ihre Sinnlosigkeit wird in der öffentlichen Debatte immer offensichtlicher. Die stetig steigende Zahl der Kriegsdienstverweigerer macht deutlich, daß damit auch die Sinnhaftigkeit der Wehrpflicht mehr und mehr in Frage gestellt wird.
Als 1989 der originäre Verteidigungsauftrag der Bundeswehr quasi über Nacht verlorenging, wurde selbst in der Bundeswehr über eine Abschaffung der Armee nachgedacht. Statt dessen wurde dann jedoch die Umstrukturierung der Bundeswehr in Hauptverteidigungskräfte (HVK) und Krisenreaktionskräfte (KRK), die als Interventionstruppen internationale Konflikte militärisch lösen sollen, vorgenommen. Die Bundeswehr hatte endlich wieder einen Auftrag, der ihre Legitimation begründen sollte. Folge dieser Entwicklung ist, daß im Zuge der Umstrukturierung die der reinen Landesverteidigung zugedachten HVK zugunsten der KRK immer mehr in den Hintergrund gerückt sind und ein Abbau der KRK massiv vorangetrieben wird. Die wehrpflichtigen Soldaten in der Bundeswehr verlieren also immer mehr an Bedeutung - die Bundeswehr setzt nun auf geschulte Spezialisten, um überall auf der Welt eingreifen zu können.
Statt die Wehrpflicht abzuschaffen und sich von der sinnlosen Bundeswehr endlich zu trennen, wird der Zivildienst als Grund für die Beibehaltung der Wehrpflicht ins Feld geführt. Ohne den Zivildienst sei der Sozialstaat in Gefahr, heißt es - hier wird nicht nur der sozialpolitische Bankrott der Regierung Kohl deutlich. Ohne Zivildienstleistende würde der ohnehin schon zu teure Pflegebereich zusammenbrechen und die öffentlichen Kassen in noch größere Finanznot treiben. Dabei ist der Zivildienst keineswegs billiger, sondern volkswirtschaftlich völlig unsinnig. Jahr für Jahr werden 2,5 Mrd. DM für die Zwangsrekrutierung der Wehrdienstverweigerer aufgewandt; die volkswirtschaftlichen Kosten durch Produktionsausfall aufgrund der Dienstverpflichtung kommen noch hinzu.
Völlig ungelernte Zivildienstleistende werden mit Aufgaben betraut, für die Fachleute benötigt würden. Inoffiziell verrichten viele Zivildienstleistende gerade im Pflegebereich Tätigkeiten, für die examinierte Kräfte benötigt werden, aus Kostengründen jedoch die Zivis herhalten müssen. Der beschäftigungspolitische Irrsinn wird um so deutlicher, wenn man bedenkt, daß nach einer Studie der ÖTV drei Zivildienstleistende eine gelernte Kraft ersetzen. Die Zivildienstleistenden drängen so qualifizierte Pflegekräfte aus ihren Berufen - in der Regel Frauen. Zudem stehen die vordergründig billiger arbeitenden Zivildienstleistenden einer gerechten Lohnentwicklung im Pflegebereich im Wege; auch hier sind die Leidtragenden meistenteils Frauen.
Pflegebereich aufwerten - gegen die allgemeine Dienstpflicht und soziales Pflichtjahr
Dieser Irrsinn wird noch von denen weitergetrieben, die eine allgemeine Dienstpflicht oder ein sogenanntes "Soziales Pflichtjahr" auch für Frauen fordern. Solche Überlegungen erinnern stark an Pflichtjahr und Reichsarbeitsdienst im Dritten Reich und werden von Jusos generell abgelehnt. Um endlich völlige "Wehrgerechtigkeit" und die Gleichberechtigung von Frauen und Männern herzustellen, sollen auch Frauen zu einem Dienstjahr verpflichtet werden - dem Versuch, emanzipatorische Errungenschaften vor den Karren der Armee und der Zwangsdienste zu spannen, muß entschlossen entgegengetreten werden. Die Jugendlichen sollten durch das Pflichtjahr Verantwortung und soziale Kompetenz erlangen, so die landläufige Begründung für die Einführung eines solchen Zwangsdienstes. Dabei ist stark anzuzweifeln, daß dieser Effekt durch einen Arbeitszwang im sozialen Bereich überhaupt erreicht werden kann.
Zudem wären die Folgen für die Sozialen Dienste katastrophal: ca. 700.000 Dienstpflichtige wären nur unter noch massiveren Opfern auf dem Arbeitsmarkt zu beschäftigen, die Qualität der sozialen und gesundheitlichen Versorgung würde weiter leiden.
Eine allgemeine Dienstpflicht verstößt als Zwangsdienst gegen internationale Menschenrechtsverpflichtungen und wird von der SPD Schleswig-Holstein konsequent abgelehnt.
Die prinzipiell zu begrüßende Bereitschaft, sich im FDJ oder FÖJ zu engagieren, darf nicht dazu mißbraucht werden, den sozialen Sektor zu einem Lohndumpingbereich umzubauen. Gerade dieser Bereich braucht qualifizierte Kräfte, die durch sich selbst verpflichtende Jugendliche nicht in den Hintergrund gedrängt werden dürfen. Dienste wie FSJ oder FÖJ dürften allenfalls den Charakter längerer Praktika besitzen - keinesfalls sollten sie reguläre Arbeitsplätze ersetzen. Erforderlich ist eine Anrechnung der abgeleisteten Zeit auf die berufliche Entwicklung und angemessene Bezahlung für diesen gesellschaftlich wichtigen Sektor.
Bundeswehr abschaffen!
Die Wehrpflicht ist ein Relikt aus dem Kalten Krieg und heute erst recht nicht mehr zeitgemäß. Sie greift massiv in die Lebensplanung junger Männer ein und gehört abgeschafft. Sie ist keinesfalls "legitime Wehrform der Demokratie", sondern stammt aus gänzlich undemokratischen Epochen. Durch sie konnten riesige Massenheere entstehen und in Massenkriegen verheizt werden. Sie zivilisiert nicht das Militär, sondern führt eine Militarisierung der zivilen Gesellschaft herbei.
Durch die Abschaffung der Wehrpflicht kann die Perspektive einer Bundesrepublik Deutschland ohne Armee in greifbare Nähe rücken, ihre Beibehaltung stünde einer echten Abrüstung nur im Wege. Die Bundesrepublik ist effektiv in keinster Weise bedroht, eine potentielle Bedrohung ist auch längerfristig nicht zu erwarten. Es gibt also keinen nachvollziehbaren Grund, an der Beibehaltung der Wehrpflicht und vor allem der Bundeswehr selbst festzuhalten. Dabei ist klar, daß eine Abschaffung der Bundeswehr von heute auf morgen schon aus technischen Gründen nicht zu bewerkstelligen ist. Als Übergangslösung stellen wir uns bis zur endgültigen Abschaffung der Bundeswehr eine Freiwilligenarmee vor. Den nicht unberechtigten Bedenken gegen eine solche Wehrform ist dabei Rechnung zu tragen. Eine Berufs- oder Freiwilligenarmee birgt generell Gefahren, die nicht zu verharmlosen sind. Daß diese Gefahren jedoch in einer Wehrpflichtarmee auszuschließen sind, ist stark anzuzweifeln. Eine demokratische Kontrolle der Bundeswehr durch eine homogene Masse an gedrillten Wehrpflichtigen zu erreichen, scheint ebenfalls blauäugig. Jede Armee ist in jedem Fall ein Sicherheitsrisiko - und als solches besonders zu beschränken und zu kontrollieren.
Freiwilligenarmee als Übergangsmodell!
Als Übergangslösung bis zur endgültigen Abschaffung der Bundeswehr stellen wir uns folgendes Modell vor:
- sofortige Abschaffung der Wehrpflicht
- Errichtung einer Freiwilligenarmee mit kurzen Verpflichtungszeiten (denkbar wären Verpflichtungszeiten von zwei, vier oder im Höchstfalle acht Jahren), denn niemand soll seine Berufsperspektiven an die Bundeswehr binden.
- Die Bindung der sich verpflichtenden Soldaten an die Zivilgesellschaft muß unbedingt sichergestellt sein (z. B. mit Wiedereingliederungsgarantien in das Berufsleben).
- Weitgehende Demokratisierung und bessere Kontrolle der Bundeswehr
- Klare Aufgabenbegrenzung der Bundeswehr, exterritoriale Einsätze der Bundeswehr dürfen nicht stattfinden.
Keine Berufsarmee!
In dieser Übergangslösung ist die klare Unterscheidung der Freiwilligenarmee zu einer Berufsarmee deutlich herauszustellen. Auch wir lehnen eine Berufsarmee konsequent ab, da wir die Gefahr sehen, daß sich diese Armee zu einem Auffangbecken für diejenigen entwickeln könnte, die im übrigen gesellschaftlichen Leben keine Perspektive sehen. Daher muß bei einer Freiwilligenarmee sichergestellt sein, daß die sich Verpflichtenden bereits über eine Ausbildung oder eine ausreichende Anbindung an das zivile Arbeitsleben verfügen.
Zudem muß die Bundeswehr effektiver kontrolliert und demokratisiert werden und Entscheidungsprozesse transparenter gemacht werden. Der Verteidigungshaushalt von derzeit ca. 50 Mrd. DM ist drastisch einzuschränken. Die freiwerdenden Mittel müssen zur Stärkung der Sozialhaushalte und des Nord-Süd-Ausgleichs verwendet werden.
Waffenlieferungen stoppen!
Derzeit steht die Bundeswehr weltweit auf dem dritten Platz der rüstungsexportierenden Nationen, und für die militärische Forschung und Entwicklung werden Jahr für Jahr 3 Mrd. DM ausgegeben. Die Friedensforschung erhält dagegen seit 1995 keine einzige Mark von der Regierung. Die BRD erweist sich damit auch durch den von ihr geförderten Rüstungsexport als dem Frieden wenig dienender Staat. Beispielsweise sei an den Zusammenhang von Rüstungsexporten und der Verfolgung des kurdischen Volkes hingewiesen: Durch den Kauf von deutschem Kriegsgerät (alte NVA-Bestände) durch türkisches Militär hat die Bundesrepublik direkten Anteil an der Verfolgung des kurdischen Volkes. Waffen und militärisches Gerät dürfen nicht mehr an die Türkei geliefert werden.
Wir wollen deshalb ein vollständiges Rüstungsexportverbot durchsetzen. Ein erster wichtiger Schritt hierfür ist die Durchsetzung von Non-Proliferation von allen Massenvernichtungswaffen, die Ächtung von Landminen und die vollständige Vernichtung aller ABC-Waffen. In der Bundesrepublik und in den weiteren europäischen Staaten ist die konventionelle Abrüstung engagiert umzusetzen. Eine restriktive Rüstungsexportpolitik ist weltweit umzusetzen. (Der Militärisch-Industrielle Komplex (MIK) ist zu einer Unterstürzungsabgabe für von Gewalt stark heimgesuchtenRegionen zwangszuverpflichten.) Die Endverbleibskontrolle der "dual-use"-Güter ist endlich durchzusetzen.
Konversionsprogramme
Die Umstellung der Rüstungsindustrie auf zivile Produktion ist schnellstmöglich voranzubringen. Regionen mit einer starken Rüstungsindustriedichte müssen durch Konversionsprogramme und Strukturpolitik besonders unterstützt werden. Die Schließung von Bundeswehrstandorten in Schleswig-Holstein ist zu begrüßen, für die betroffenen Regionen (Westküste u.a.) sind Förderungsprogramme umzusetzen, um die arbeitsmarktpolitischen Folgen in den Regionen auszugleichen.
- Beschluss Landesparteitag
- Beschluss
- Jusos Schleswig-Holstein
- Ortsverein Lübeck-Moisling
- Beschlüsse Landesverband Schleswig-Holstein
- Überwiesen
- Friedenspolitik
- Soziale Gerechtigkeit
- Außenpolitik
- Bundeswehr
- Konflikt
- Krisengebiete
- Krieg
- Frieden
- Gewalt
- Sicherheitspolitik
- Wehrpflicht
- Zivildienst
- Rüstungsexporte
- Überwiesen an Landesvorstand