I1: Für eine andere Welthandelspolitik (2003)

Aus Beschlussdatenbank der SPD Schleswig-Holstein
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Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Kiel 2003
Bezeichnung: I1
Antragsteller: Jusos Schleswig-Holstein


Beschluss: Überwiesen an Landesparteirat, Europaforum

Der Landesparteitag möge beschließen:


Für eine andere Welthandelspolitik

Allgemeine Einordnung

In der EU dominiert schon länger ein Hang zu Deregulierungen, Liberalisierungen und Privatisierungen. Die Arbeitsmärkte wurden dereguliert, die Energiemärkte wurden liberalisiert und große Staatsunternehmen wie in Deutschland die Deutsche Bundesbahn oder die Deutsche Bundespost wurden privatisiert und zu Aktiengesellschaften umgewandelt.

Vor allem bei den Privatisierungen gab es katastrophale Misserfolge in Europa: Der Börsencrash der Deutschen Telekomaktie und das Desaster mit den Umstrukturierungen bei der Deutschen Bahn sind in Deutschland keinem verborgen geblieben. In Großbritannien brach durch eine Grippewelle im vorletzten Winter die Gesundheitsversorgung zusammen. Und das in den achtziger Jahren privatisierte britische Eisenbahnwesen wurde wieder verstaatlicht.

Sozialdemokratische Politik hat es immer ausgezeichnet, aus der Vergangenheit für die Zukunft zu Lernen. Deshalb müssen auch die gerade beschriebenen Erfahrungen in der EU-Handelspolitik berücksichtigt werden.


Das GATS in der WTO

Im Rahmen der laufenden Verhandlungen im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) gilt dies besonders für das Abkommen zum Dienstleistungshandel (GATS – General Agreement on Trade in Services). Es wurde 1995 ins Leben gerufen und bildet neben dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT) und dem Abkommen über Urheberschutzrechte (TRIPS) eine der drei wesentlichen Säulen des WTO-Vertragswerks.

Ziel des GATS ist die „fortschreitende Liberalisierung“ sämtlicher Dienstleistungssektoren der WTO-Mitgliedsstaaten (zurzeit 146, 26 weitere Staaten –darunter Russland- haben sich um einen Beitritt beworben).

Diese Zielsetzung geht einher mit der Aufgabe der WTO, den weltweiten Handel mit möglichst wenigen Hindernissen zu ermöglichen. Diese Aufgabe entspricht der neoklassischen Aussenhandelstheorie, wonach der weltweite Abbau von Handelshemmnissen zu mehr Wachstum und damit zu mehr Wohlstand führen würde.


Struktur des GATS

Das GATS erfasst alle den Handel mit Dienstleistungen betreffenden Maßnahmen der Mitglieder. Diese Mitglieder sind zum einen die zentralen, regionalen und lokalen Regierungen und Behörden und zum anderen nichtstaatliche Stellen, die mit der Ausübung öffentlicher Aufgaben betreut sind.

Das GATS gliedert die Dienstleistungen nach dem Standortkriterium der Erbringung und Nutzung dieser Dienstleistungen. Dabei wird zwischen vier wirtschaftlich relevanten Erbringungseinheiten („modes of supply“) von Dienstleistungen unterschieden:

  • Mode 1: Erbringung einer Dienstleistung durch eine Person oder ein Unternehmen im Land A für einen Kunden im Land B d.h. grenzüberschreitende Dienstleistung, z.B. Ferndiagnosen, Internethandel mit Medikamenten
  • Mode 2: Erbringung einer Dienstleistung im Land A bei gleichzeitiger Nutzung durch einen Dienstleistungsnachfrager aus dem Land B z.B. Konsum im Ausland, Zahnersatz in Polen
  • Mode 3: Erbringung einer Dienstleistung durch einen Anbieter des Landes A im Land B über eine kommerzielle Präsenz z.B. Auslandsnierlassungen von Banken, private Krankenhäuser, Versicherungen
  • Mode 4: Erbringung einer Dienstleistung durch einen Anbieter des Landes A im Land B über die Präsenz natürlicher Personen im Land B z.B. Arbeitsmigration, Pflegerinnen aus Polen

Alle im Rahmen des GATS Abkommens festgelegten Übereinkommen, gelten gleichermaßen, für alle Mitgliedsstaaten der WTO und für sämtliche GATS-Sektoren. Dies nennt man das Meistbegünstigungsprinzip: Handelsvergünstigungen für ein Land müssen allen anderen WTO-Mitgliedern ebenfalls zugestanden werden.

Teilweise Ausnahmen hiervon bilden„Marktzugang“ [Keine quantitativen Handelsbeschränkungen (d.h. keine Beschränkungen der Zahl der Anbieter, des Umsatzes, der Stückzahlen etc.)] und „Inländerbehandlung“ [In- und ausländische Anbieter müssen gleich behandelt werden; es darf keine Vorzugsbehandlung von inländischen Anbietern geben].

Diese beiden spezifischen Verpflichtungen sind nicht allgemein verbindlich, sondern sind Folge von länder- und fallweisen Zugeständnissen. Diese Zugeständnisse sind in den sog. Listen der spezifischen Verpflichtungen („schedules of specific commitments“) zusammengefasst. Wird eine Dienstleistung nicht in diese Liste aufgenommen, dann bleiben die Vertragspartner frei, bestehende Handelshemmnisse beizubehalten oder neu einzuführen. Aber auch hierbei müssen allgemeine Prinzipien und Regeln der WTO und des GATS eingehalten werden.

Im Hinblick auf das Meistbegünstigungsprinzip enthält das GATS allerdings wichtige Ausnahmen für regionale Integrationsabkommen. Insbesondere für die Europäische Union hat diese Ausnahmeregelung des GATS eine wichtige Bedeutung, da sie verhindert, dass Vorteile des hohen Liberalisierungsniveaus innerhalb des Europäischen Binnenmarktes bedingungslos auch Drittstaaten außerhalb des EU gewährt werden müssten.


Verpflichtung zu weiteren Verhandlungen

Das GATS verpflichtet darüberhinaus zu weiteren Verhandlungen und besitzt damit einen eingebauten Zwangsmechanismus, der zu einem völlig freien, unkontrollierten Welthandel führen wird.

Festgelegt ist diese Verpflichtung in Artikel XIX Abs.1 GATS. Dort heißt es: „Entsprechend den Zielen dieses Übereinkommens treten die Mitglieder in aufeinander folgende Verhandlungsrunden ein, die spätestens fünf Jahre nach Inkrafttreten des WTO Übereinkommens beginnen und danach regelmäßig stattfinden, um schrittweise einen höheren Stand der Liberalisierung zu erreichen.“

Es muss darauf hingewiesen werden, dass durch diese Einbahnstraßen-Verhandlungen unvorhergesehene Schwierigkeiten und Probleme in den Mitgliedsstaaten entstehen können. Deshalb muss die Möglichkeit geschaffen werden, Liberalisierungsschritte unter Berücksichtigung vernünftiger Fristen zurückzunehmen.


Änderung oder Rücknahme von Verpflichtungen

Bei einer Rücknahme von Verpflichtungen, die frühestens nach drei Jahren möglich ist, muß eine gleichwertige Kompensation in Form anderer Privatisierungen und/oder Liberalisierungen erfolgen. Auf einen solchen Ausgleich müssen sich die betroffenen Staaten einigen. Gibt es keine Einigung, wird ein Streitschlichtungsverfahren eingeleitet, dessen Ergebnisse verbindlich sind.

Diese Regelung führt dazu, dass der erreichte Verhandlungsstand im GATS de facto unumkehrbar sind, weil Rücknahmen der Liberalisierung und Privatisierung gleichwertig kompensiert werden müssen. Insbesondere – aber nicht nur – für Entwicklungsländer entstehen Probleme dadurch, dass bestimmte Maßnahmen für die Bevölkerung Nachteile bedeuten.

Entscheidungen über die Erbringung öffentlicher Güter müssen sowohl weltweit als auch überall in Deutschland im Rahmen demokratischer Kontrolle getroffen werden. So dass jedes Land und jede Kommune autonom und immer wieder neu für ihre BürgerInnen entscheiden kann, wie sie die Erbringung regeln will.

Öffentliche Güter müssen also grundsätzlich von internationalen Liberalisierungsabkommen wie dem GATS ausgenommen werden. In allen anderen Bereichen muss eine sogenannte Schutz-Klausel eingeführt werden, die eine kurzfristige, zeitlich befristete Rücknahme von Zusagen unter bestimmten Umständen ohne Kompensation ermöglicht.


Die GATS-Verhandlungen

Im Februar 2000 begannen die Dienstleistungsverhandlungen im Rahmen der WTO. Seit März 2001 gab es eine intensive Sachdiskussion der WTO-Mitgliedstaaten über generelle Verhandlungsziele für einzelne Dienstleistungssektoren und Formen der Dienstleistungserbringung.

Vom 09. bis 14.11.2001 fand in Doha/Quatar die 4. WTO-Ministerkonferenz statt. Dort wurden folgende Punkte auf die Tagesordnung für die nächste Verhandlungsrunde gesetzt:

  • umfassender Abbau von Industriezöllen
  • weitere Liberalisierung beim Handel mit Agrarprodukten
  • verstärkte Marktöffnung im öffentlichen Auftragswesen
  • Schutz des geistigen Eigentums (TRIPS)
  • Verstärkte Einbindung der Entwicklungsländer in den Welthandel
  • Schaffung eines multilateralen Regelwerks, um ausländische Direktinvestitionen weltweit den gleichen Mindeststandard beim Marktzugang und beim Investitionsschutz zu garantieren
  • Stärkere Berücksichtigung ökologischer Aspekte
  • Berücksichtigung von Arbeitsstandards


Darüber hinaus wurden weitere Verhandlungen im Rahmen des GATS vereinbart und ein Zeitplan hierfür festgelegt: Bis Juli 2002 sollten die WTO-Mitgliedstaaten ihre Forderungen an andere Mitgliedstaaten abgegeben, bis Ende März 2003 die Mitgliedstaaten ihre Angebote vorgelegt haben. Es ist geplant, die Verhandlungen bis zum 01.01.2005 zu Ende zu führen.


Bedeutung des Dienstleistungssektors

Dienstleistungen nehmen offiziellen Messungen zufolge rund ein Fünftel des Welthandelsvolumens ein. Dies ist gemessen an der Bedeutung des Dienstleistungssektors in den einzelnen Volkswirtschaften vergleichsweise gering. Dieser Sektor hat in den letzten Jahrzehnten an ökonomischer Bedeutung nicht nur in den Industrieländern, wo er knapp 2/3 des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausmacht, sondern auch in den Entwicklungsländern gewonnen (ca. 38% Anteil am BIP in den ärmsten Ländern, in den Ländern mit mittlerem Einkommen ca. 56%).

Wegen der aktuell hohen Handelsbeschränkungen von Dienstleistungen versprechen sich die Befürworter des Freihandels durch Liberalisierungsschritte ein beschleunigtes Wirtschaftswachstum und somit hohe Wohlfahrtsgewinne, die laut OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) überproportional den Entwicklungsländern zu Gute kommen werden.

Realistischer ist jedoch, dass eine bloße Liberalisierung die Arbeitsteilung zwischen hochwertiger Dienstleistungsproduktion im Norden und geringerwertiger Produktion im Süden langfristig zementiert.


Demokratisierung der Handelspolitik

Dank ihres effektiven Streitschlichtungsmechanismus (DSU – Dispute Settlement Understanding) ist die WTO sehr durchsetzungsfähig. Allerdings besitzen kleine und arme Staaten keine ausreichenden Kapazitäten, um die schwierigen Verhandlungen im Rahmen eines Streitschlichtungsverfahrens auf gleicher Augenhöhe führen zu können.

Die Komplexität des Verhandlungsprozesses verringert außerdem die Transparenz der Entscheidungsfindung und der demokratischen Pflicht zur Rechenschaft gegenüber den gewählten Volksvertretern der einzelnen Staaten kann meist nur schlecht nachgekommen werden. Dies trifft nicht nur für Verhandlungen im DSU sondern auch auf die üblichen Verhandlungsrunden des GATS zu.

Die Möglichkeit der Beteiligung von nationalen Parlamenten (sowie des EU-Parlaments) ist stark ausbaufähig. Hohe Transparenz und eine stärkere Demokratisierung ist vor allem deswegen so wichtig, weil insbesondere durch das GATS in Handlungsrahmen und -spielräume auf nationaler und regionaler Ebene konstitutiv eingegriffen wird. So daß letztlich die gewählten Vertreter der Bürger vor Ort nicht mehr frei entscheiden können.

Die WTO-Verhandlungen müssen von Beginn an auf ein breiteres Fundament gestellt werden. Deshalb müssen nationale Parlamente entscheidend und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) beratend beteiligt werden. Für Deutschland würde dies zum Beispiel auch die Einführung eines Systems der Ländermitwirkung - in Anlehnung an das System der Mitwirkung der Bundesländer in Angelegenheiten der EU – bedeuten.

In diesem Zusammenhang ist der Parlamentsvorbehalt, den der Deutsche Bundestag bzgl. der WTO-Verhandlungen beschlossen hat, ausdrücklich zu begrüßen. Wir erwarten nunmehr, dass er auch wirkungsvoll wahrgenommen wird.

Wir halten es außerdem für sinnvoll die hohe Durchsetzungskraft des DSU der WTO zu nutzen, um auch nicht rein handelspolitische Themen wie Sozial- und Umweltstandards und Menschrechte in das WTO-System zu integrieren.


Vertretung der Mitgliedsstaaten durch die EU

Die Zuständigkeit für die Verhandlungen liegt bei der Europäischen Union. Die Verhandlungen werden von der Europäischen Kommission geführt. Sie hat anderen Mitgliedsstaaten Angebote (offers) und Forderungen (requests) unterbreitet:


Forderungen der EU an Drittländer

Die EU stellt an diverse Länder Liberalisierungsforderungen im Telekommunikations-,Finanz-, Transport- und Umweltsektor. Auch im öffentliche Sektor, für den die EU selbst an einer Schutzklausel festhält, stellt die EU Forderungen zur Liberalisierung in den Bereichen Kranken- und Pensionsversicherungen, Bildung, Trinkwasserversorgung, Abwasser, Müll, Verkehr, Post, Energie und Telekommunikation.


Angebote der EU an Drittländer

Die heiklen Bereiche Bildung, Gesundheit und Trinkwasserversorgung sind vorerst aus den Angeboten der EU verschwunden. Der einzige - auch nicht unproblematische – Bereich, in dem wesentliche Zugeständnisse gemacht werden, ist der Mode 4. Hier wird allen WTO Staaten eine quasi uneingeschränkte Arbeitsmigration für hochqualifizierte ArbeitnehmerInnen (Universitätsabschluss oder vergleichbares) in die EU Staaten angeboten.


Forderungen von Drittländern an die EU

Hier wird so gut wie alles in Frage gestellt. Angefangen bei der generellen Infragestellung der bisher noch existierenden Schutzklausel für öffentliche Dienstleistungen über Subventionen bis hin zu sehr expliziten Forderungen in den heiklen Bereichen Bildung, Gesundheit, Trinkwasser, Schienen- und Straßenverkehr, Energieversorgung, Post und audiovisuelle Dienstleistungen (Öffentlichrechtliches Fernsehen und Radio). Besonders interessant für den Fortgang der Verhandlungen sind die Forderungen der Entwicklungsländer im Mode 4 (Arbeitsmigration).


Es ist zu befürchten, dass die EU im Zuge der Verhandlungen bereit sein könnte, Zugeständnisse im Bereich der öffentlichen Daseinsfürsorge (Bildung, Gesundheit,Trinkwasser, u.a.) zu machen, um einige der eigenen Forderungen durchsetzen zu können. Solche Zugeständnisse lehnen wir grundsätzlich ab.

Das Angebot an Entwicklungsländer zur Migration hochqualifizierter ArbeitnehmerInnen in die EU ist grundsätzlich akzeptabel. Jedoch muss darauf geachtet werden, dass es hierdurch nicht zu einem „Brain-Drain“ in den Entwicklungsländern kommt. Durch die zeitliche Befristung der Migration, welche ein wesentliches Merkmal von Mode 4 ist, dürfte ein solcher jedoch verhindert werden. Aus entwicklungspolitischen Gesichtspunkten sollte sogar darüber nachgedacht werden, auch eine zeitlich begrenzte Arbeitsmigration von gering qualifizierten Arbeitskräften zuzulassen. Diese würden in der EU Fertigkeiten erwerben, die sie dann in ihrer Heimat zum Aufbau einer leistungsfähigen Wirtschaft einsetzen könnten.


Eine echte Entwicklungsrunde

Entgegen dem allgemeinen Titel, den die Doha-Verhandlungsrunde trägt („Entwicklungsrunde“), wurden an Entwicklungsländer ungleich mehr Forderungen gestellt als ihnen umgekehrt Angebote unterbreitet wurden. Dies, obwohl die Entwicklungsländer bereits große Probleme haben, bereits eingegangenen Verpflichtungen nachzukommen und Industrieländer ihrerseits Zusagen gegenüber den Entwicklungsländern nicht einhalten.

Eine Lösung dieser unter dem Oberbegriff „Implementierung“ zusammengefassten Probleme haben bei den Entwicklungsländern oberste Priorität. Auch das Prinzip des „Special and differential Treatment“, das Entwicklungsländern aufgrund der ökonomischen Ungleichgewichte zwischen Nord und Süd eine Sonderbehandlung zusichert, genießt bei den Entwicklungsländern hohe Priorität und wurde in der Praxis der WTO zunehmend vernachlässigt.

Damit die Doha-Runde auch wirklich eine Entwicklungsrunde wird, müssen im Sinne der Entwicklungsländer zunächst die Probleme mit der Implementierung älterer Verhandlungsergebenisse gelöst und das Prinzip des „Special and differential Treatment“ ernst genommen werden.

Desweiteren ist eine Öffnung der Agrarmärkte in Industrieländern für die Produkte aus Entwicklungsländern wünschenswert. Damit eine solche Öffnung auch faktisch und nicht nur formell stattfinden kann, muss zugleich ein Subventionsabbau bei Agrarprodukten in den Industrieländern stattfinden. Es kann nicht sein, daß die nördlichen Länder ihre Agrarprodukte, die in der Produktion teurer sind als die Produkte der Entwicklungsländer, mittels hoher Subventionen auf die Märkte der Entwicklungsländer drücken und die dortige Landwirtschaft kaputt machen.


Bildung und GATS

Im Rahmen des GATS hat die EU den Bildungsbereich bereits weitgehend liberalisiert. Jedoch mit der Ausnahme, daß jeder Staat Schulen, Kindergärten und Hochschulen nach eigenem Gutdünken subventionieren darf. Ausnahmeregelungen im Regelwerk der WTO laufen nach zehn Jahren ab, in diesem Falle 2005. Dann können alle Anbieter von Dienstleistungen in diesem Bereich einklagen, daß sie die gleichen Bedingungen wie die bestehenden Einrichtungen bekommen.

Damit bekämen z.B. private Schulen und Hochschulen die gleichen Rechte und Bedingungen wie staatliche Einrichtungen. Dies würde u.a. das Ende des gebührenfreien Studiums bedeuten, da dergleichen dann als Preisdumping und Verstoß gegen Freihandelsprinzipien gelten würde. Eine weitere Folge kann sein, daß Schulen als Werbeträger für Zuckerlimonade und Zigaretten auftreten müssen, da der Staat nicht genügend finanzielle Mittel haben wird, jeglichen Anbieter von Schuldienstleistungen in der heutigen Höhe zu finanzieren.

Es darf nicht sein, daß das GATS zum Einfallstor für Studiengebühren und Schulwerbepartnerschaften mit Unternehmen wird. Es darf nicht sein, daß private Schulsponsoren oder Schulträger über die Bildungsinhalte für unsere Kinder entscheiden, daß dann fast ausschließlich der Geldbeutel der Eltern, über die Bildungschancen der Kinder entscheidet.


Menschenrecht Wasser

Wasser ist der wichtigste Rohstoff der Zukunft. Laut den Aussagen der Weltbank wird es aufgrund der begrenzten Vorräte zum „Erdöl des 21. Jahrhunderts“ werden und könnte ähnliche Konflikte auslösen. Dabei stellt die Gewährleistung des Zugangs zu sauberem Trinkwasser in den Entwicklungsländern die Herausforderung der nächsten Jahre dar.

„Täglich sterben 6000 Kinder an Krankheiten, die auf verschmutztes Trinkwasser zurückzuführen sind. 2,2 Millionen Kinder sterben jährlich, weil die Versorgung unzureichend ist. 1,2 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser.“ (Wieczorek-Zeul, Zugang zu sauberem Trinkwasser ist ein Menschenrecht, Frankfurter Rundschau, 02. Juni 2003)

Um dieses Problem zu lösen, sind große finanzielle Investitionen erforderlich. „Die Weltbank hat errechnet, dass jährlich 180 Milliarden Dollar investiert werden müssen, um das Millenniumsziel im Wassersektor zu erreichen. Tatsächlich werden jährlich etwa 80 Milliarden Dollar dafür aufgewendet. Das heißt, es existiert eine Investitionslücke von 100 Milliarden.“ (Wieczorek-Zeul, Zugang zu sauberem Trinkwasser ist ein Menschenrecht, Frankfurter Rundschau, 02. Juni 2003) Angesichts dieser Situation kommt dem Dienstleistungsbereich "Wasser" schon jetzt eine große Bedeutung zu.

Im Jahre 2002 forderte die EU von 72 Staaten, dass sie ihre Wasserversorgung liberalisieren, ausländischen Wasserkonzernen Zugang verschaffen und diese wie die lokalen Unternehmen behandeln. Diese Forderungen werden gestellt, obwohl die Aufnahme der Trinkwasserversorgung in die GATS-Klassifikation bisher keine Zustimmung der WTO-Mitglieder gefunden hat.

In der bisherigen Klassifikation des GATS tauchen Wasserdienstleistungen im Sektor "Umweltdienstleistungen" auf. Bislang waren darunter Abwasserbeseitigung und sanitäre Anlagen zu verstehen, der Trinkwasserbereich war nicht enthalten. Der Umweltsektor soll nun aber weiter differenziert werden durch den Teilsektor "Wasser für den menschlichen Gebrauch und Abwassermanagement". Dies ist ein Vorstoß, um eine Liberalisierung des Trinkwasserbereiches weitreichend voranzutreiben, deren Nutznießer auf deutscher Seite Wasserkonzerne wie RWE-Thames Water, AquaMundo, die E.ON-Tochter Gelsenwasser oder Berlinwasser International wären.

Sollte es im Zuge der Verhandlungen zu einer Liberalisierung der Wasserversorgung in den Entwicklungsländern kommen, ist sicherzustellen, dass in den betroffenen Ländern Regulierungen im Hinblick auf Ressourcenschutz, Preisobergrenzen, Qualitätsstandards, Mindestanforderungen für Instandhaltungsinvestitionen und den Anschluss der ländlichen Regionen geschaffen werden. Hierfür wird den betreffenden Staaten seitens der EU und ihren Mitgliedstaaten politische und administrative Unterstützung zur Verfügung gestellt.

Nach einer offiziellen Verlautbarung des Handelskommissars Pascal Lamy (SZ vom 10.03.03) hat die EU in der momentanen Verhandlungsrunde des GATS nicht nur ein Interesse an einer Liberalisierung der Trinkwasserversorgung in Entwicklungsländern, sondern auch an einer Öffnung des europäischen Binnenmarktes.

Einen Privatisierungsprozess in der Wasserversorgung gibt es schon heute. Private Energieversorgungsunternehmen und die Tochterunternehmen großer internationaler Konzerne bauen ihre wirtschaftliche Betätigung auf dem „deutschen Wassermarkt“ durch Aufkäufe oder Beteiligungen an kommunalen Unternehmen kontinuierlich aus. Die finanzielle Situation der Kommunen trägt dazu bei, dass diese sich von „ihrer“ Wasserversorgung trennen müssen, um dem Ziel einer Haushaltssanierung näher zu kommen.

Es muss aber daran festgehalten werden, dass die Kommunen auch zukünftig die Verantwortung für die Leistungen der Daseinsfürsorge tragen sollen. Und es ist sicherzustellen, dass der kommunale Einfluss erhalten bleibt.