U1: 3 Prozent Wildnis sind das Minimum für eine wilde Welt (2023)

Aus Beschlussdatenbank der SPD Schleswig-Holstein
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Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Husum 2023
Bezeichnung: U1
Antragsteller: Jusos Schleswig-Holstein‏‎


Beschluss: Überwiesen an Landesvorstand

Der Landesparteitag möge beschließen: Versiegendes Grundwasser, immer heißere Sommer – es ist ganz klar: regional sind die direkten Folgen des Klimawandels hier in Deutschland längst angekommen. Zum Abwenden der Langzeitwirkungen der Umweltbelastungen laufen unter dem Schlagwort Biodiversität, also dem Erhalt der Artenvielfalt, in Schleswig Holstein zwar einige Maßnahmen. Doch sie sind in ihrem jetzigen Umfang nicht ausreichend. Auch werden die selbstgesetzten Vorgaben nicht zuverlässig erreicht. Und so ist auch das 2%-Wildnis-Ziel aus dem Landesnaturschutzgesetz 2016 krachend verfehlt worden.

Wildnis wurde in der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt (NBS) folgendermaßen definiert: „Wildnisgebiete i. S. der NBS sind ausreichend große, (weitgehend) unzerschnittene, nutzungsfreie Gebiete, die dazu dienen, einen vom Menschen unbeeinflussten Ablauf natürlicher Prozesse dauerhaft zu gewährleisten.“ Die Mindestgröße eines unzerschnittenen Gebietes ist dabei 1.000 Hektar. Erst dann gilt es als „Wildnis“. Im Jahr 2020 kam die Bundesrepublik Deutschland somit gerade einmal auf 0,6 Prozent Wildnis, d.h. Fläche, auf der sich Wildnis entwickeln kann. Der Anteil an Wildnisgebieten in Schleswig-Holstein lag 2020 unter dem Bundesschnitt.

Auch sind Wildnisgebiete nicht einfach mit Naturschutzgebieten oder anderen Schutzkategorien gleichzusetzen. Es gibt für Wildnisräume, in denen die Natur sich selbst überlassen wird, keine klassifizierte Schutzkategorie. Dabei gibt es in Schleswig-Holstein ca. 200 Potenzialflächen, die sich als Wildnis eignen, beispielsweise der Barkauer See, das Dellstedter Birkenwildmoor oder das Moorgebiet Kranika.

Wildnisgebiete sind ein wichtiger Beitrag zur Biodiversität der längst überfällig ist. Denn mit dem Sterben der Arten wird die Balance des Ökosystems ins Mark getroffen. Nach zwei Jahrhunderten der industriellen Ausbeutung von Menschen und Natur, benötigt die Natur ein Minimum an Rückzugsraum, um sich endlich zu erholen. Von einem großen Paket Biodiversitätsmaßnahmen ist Wildnis ein vergleichbar kleiner Teil, doch gleichzeitig ein unglaublich wichtiger und nicht verzichtbarer Teil. Wildnis ist Biodiversität in ihrer pursten Form. Wenn ein Gebiet zu Wildnis erklärt wird, muss zuerst eine Analyse dieses Gebiets erfolgen. Menschliche Einflüsse, wie das Ansiedeln von Neophyten oder enorm nährstoffbeanspruchenden Pflanzen, müssen entfernt werden, bevor das Gebiet sich selbst überlassen wird, um die Entwicklung einer ursprünglichen, biodiversen Fläche zu fördern. Wegen des Artensterbens schwindet Jahr für Jahr die Lebensgrundlage auf unserem Planeten. Für uns in Schleswig Holstein ist es wichtig, Wildnisgebieten ausreichend Platz einzuräumen. Erstens um regional ganz praktisch und konkret für klimatische Verbesserung zu sorgen. Und zweitens, weil nur so die notwendige Reputation für die aktuell stagnierenden internationalen Verhandlungen aufgebaut werden kann, ohne die die weltweit zum Klima- und Umweltschutz entscheidenden Vorstöße, etwa zum Erhalt von Regenwäldern und anderen Naturschutzgebieten, nicht gelingen können.

Wir fordern deshalb:

  • Die Erhöhung des Anteils an Wildnisgebieten in Schleswig Holstein auf mindestens 3 % bis 2030 und auf mindestens 5% bis 2050.
  • Eine Strategie für die Flächen, die sich zu Wildnis (zurück-)entwickeln soll, um menschliche Einflüsse rückgängig zu machen.
  • Die Fortentwicklung der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt auf Landes und Bundesebene sowie eine einschlägige Definition von Wildnisgebieten als zusammenhängende Gebiete von mehr als 1.000 Hektar.
  • Klassifizierung von Wildnisgebieten als eigene Schutzkategorie mit dem Zweck, die Natur ohne menschliche Einflüsse sich selbst zu überlassen. Solche Gebiete können auch in anderen Schutzzonen identifiziert und weiterentwickelt werden. Außerdem muss klargestellt werden, dass solche Gebiete nicht nur dem Schutzwildlebender Tier-, Pilz- und Pflanzenarten, sondern auch dem Schutz natürlicher Prozesse dienen.
  • Für Wildnisgebiete sind rechtliche Verpflichtungen zur Bewirtschaftung sowie zur Jagd und Fischerei aufzuheben, außer diese sind zum Schutz vor Krankheiten, die eine massive Gefährdung für Pflanzen Tier und Pilzarten außerhalb des Wildnisgebiets sind.
  • Geltende Gesetze und Verordnungen über gebietsfremde Arten müssen so angewendet werden, dass eine aktive Eingriffsverpflichtung auf die Randzonen eines Wildnisgebiets beschränkt bleibt.
  • Die erneute Prüfung weiterer Potenzialflächen. Dabei sollen vorrangig Monokulturen in der Landwirtschaft als potentielle Flächen für die Ausweitung der Wildnis in Betracht gezogen werden, um einen weiteren Beitrag zur Biodiversität zu leisten.
  • Zukünftig soll sich ein bundesweit einheitliches Monitoring eingesetzt werden
  • Die Feststellung von Räumen unter 1.000 Hektar, die Wildnis aufweisen, und die Bewertung zur Entwicklung dieser Räume zu einschlägigen Wildnisgebieten durch das Land in Zusammenarbeit mit der kommunalen Kreisebene.
  • Einen dauerhaften Verzicht auf die Privatisierung von Potenzialflächen für Wildnisgebiete und die Identifizierung von für Wildnisentwicklung geeigneten Flächen in bestehenden Schutzräumen und im öffentlichen Raum. Diese Potenzialräume dürfen von Neuplanungen von Infrastrukturmaßnahmen nicht beeinträchtigt werden.
  • Private Flächen, die sich für Wildnisgebiete eignen sollen perspektivisch in staatliche Hand übergehen, um diese zu verbinden und erweitern zu können. Dadurch könnten wichtige Hürden genommen werden, um beispielsweise auf die Mindestgröße von 1.000 Hektar, die in der NBS definiert ist, zu kommen.
  • Für den Anteil der landeseigenen Wälder die Erhöhung der Festschreibung zur natürlichen Entwicklung von 20 % auf mindestens 50%.
  • Die Einrichtung und Einplanung von Querungshilfen, Korridoren und Trittsteinbiotopen zur Verbindung von Wildnisgebieten auch bei Biotopverbund- und Infrastrukturplanungen.
  • Einen konsequenteren Schutz von bestehenden Schutzgebieten durch Verzicht auf Nutzung wie Forst- und Landwirtschaft.
  • Die Erhöhung des Anteils an Wildnisgebiete und der Ausbau der Windenergie sollen einander nicht im Weg stehen.
  • Anzustreben sind außerdem Nullnutzungszonen in bereits geschützten Gebieten anderer Klassifizierung (z.B. Naturschutzgebiete) um auch diese besonders sensiblen Zonen zu schützen. Dazu sollen beispielsweise der Einsatz von Pestiziden, sowie der Abbau von Bodenschätzen, unterbunden werden.
  • Wir setzen uns explizit für die Renaturierung von beispielsweise Mooren und Auwäldern ein. Auch das Wattenmeer bedarf einen besonderen Schutz. Für Wildnisgebiete sollte der Fokus von Wäldern auch auf andere Gebiete gesetzt werden, denn Wildnis sind nicht nur der Hirsch und das Wildschwein, sondern auch der Wattwurm und der Sonnentau.
  • Ähnlich wie die Nationalpark-Häuser zum Wattenmeer sollen auch für Wildnisgebiete Einrichtungen geschaffen werden, die über das Wildnisgebiet informieren und schulen. Dabei soll es nach Möglichkeit auch Plätze für FÖJler*innen und Naturpädagog*innen geben. Diese können z.B. an Schulen über den mit dem Wildnisgebiet zusammenhängenden Naturschutz aufklären.