W1: Freihandel mit Augenmaß - Verhandlungen über TTIP aussetzen (November 2014)

Aus Beschlussdatenbank der SPD Schleswig-Holstein
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Gremium: Landesparteirat
Sitzung: Landesparteiratssitzung, November 2014
Bezeichnung: W1
Antragsteller: Landesverband Schleswig-Holstein


Beschluss: Überwiesen an Landesparteirat

(Beschluss: Antragsberatung wird auf Parteiratssitzung im Januar 2015 verschoben)


Die Mitgliedsstaaten der EU haben der Kommission im Sommer 2013 ein Mandat erteilt, um eine transatlantische Freihandelszone (TTIP – Transatlantic Trade and Investment Partnership) zu verhandeln. Das Mandat ist sehr weit gefasst und enthält u.a. Leitlinien zu: Fragen des Marktzugangs, insbesondere Warenhandel, Dienstleistungshandel, öffentliches Beschaffungswesen und Niederlassung, Regulierungsfragen und nichttarifäre Handelshemmnisse, Regeln betreffend geistigen Eigentums, nachhaltige Entwicklung, Zoll und Handelserleichterung, Energie und Rohstoffe, kleine und mittlere Unternehmen und Kapitalverkehr und Zahlungen.

Besonders umstritten sind die geplanten Regelungen zu Investitionsschutz. Dabei ist beabsichtigt, ein Verfahren zur Streitschlichtung zwischen Investoren und Staaten (ISDS) zu installieren, mit einem dreiköpfigen Schiedsgericht, das an den nationalen Justizsystemen vorbei, über gewaltige Entschädigungssummen entscheiden kann, wenn z. B. ein Investor seine Profite durch nationale Gesetzesänderungen geschmälert sieht. Ein Anfechtungsrecht soll nicht gegeben sein.

Solche Regelungen schränken die legitimen Handlungsmöglichkeiten von Staaten ein und gefährden die Demokratie. Eine Sondergerichtsbarkeit für Investoren ist nicht zu akzeptieren und darüber hinaus zwischen Demokratien wie der EU und den USA schlicht unnötig. Beide Wirtschaftsräume verfügen über entwickelte Rechtssysteme, die Investoren ausreichend schützen.


Demokratiekonformer Markt statt marktkonforme Demokratie

Wirtschaft und Handel müssen sich den demokratischen Spielregeln unterwerfen. Diesen Grundsatz verteidigt die SPD seit 150 Jahren. Die Idee einer „wirtschaftskonformen Demokratie“, die von neoliberalen Kreisen im Zusammenhang mit dem Freihandelsabkommen geäußert wird, gefährdet die in langen politischen Kämpfen erworbenen Grundrechte.

Die Befürchtung durch Erfahrung mit bisherigen Freihandelsabkommen lautet, dass es zu einer Nivellierung von Standards kommt. Insbesondere die Erfahrungen mit dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA) zeigen, dass es anstatt zu einem Wachstum von Beschäftigung zu massiven Arbeitsplatzverlusten gekommen ist.


Verhandlungsauftrag für TTIP neubestimmen

Viele gesellschaftliche Akteure fordern vor diesem Hintergrund einen Stopp der Verhandlungen. Ihre Sorgen nehmen wir sehr ernst. Die SPD Schleswig-Holstein unterstützt die Forderung des DGB-Bundeskongresses und fordert die bisherigen TTIP-Verhandlungen auszusetzen, alle bisherigen Verhandlungsergebnisse und Protokolle zu veröffentlichen und einen transparenten Verhandlungsauftrag der EU zu bestimmen. Er soll folgende Bedingungen erfüllen:

1. Keine Sondergerichtsbarkeit für Investoren
Ein Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus (ISDS) zwischen Staaten mit zuverlässigen und entwickelten Rechtssystemen wie im Falle von TTIP ist abzulehnen. Wir erwarten von der Bundesregierung und insbesondere ihren sozialdemokratischen Mitgliedern, dass sie bei ihrer kritischen Haltung zur Aufnahme von Investitionsschutzvorschriften in das TTIP bleibt; das von der EU beschlossene Verhandlungsmoratorium muss dazu genutzt werden, diesen Punkt ganz aus dem Verhandlungsmandat zu streichen. Ein Freihandelsabkommen, das solche Vorschriften oder eine Sondergerichtsbarkeit für Wirtschaftsstreitigkeiten beinhaltet, lehnen wir ab.
2. Rückholbarkeit von Entscheidungen sicherstellen
Die Reversibilität von Entscheidungen ist ein Grundpfeiler jeder Demokratie. Daher fordern wir eine grundlegende Evaluation des Abkommens nach zehn Jahren und eine Klärung, wie Bestimmungen in dem Abkommen zurückgenommen werden können.
3. Transparenz der Verhandlungen
Alle Positionspapiere der Europäischen Kommission sind dem Europäische Parlament (EP) zugänglich und werden zu einem Teil auch ins Internet gestellt. Auf Initiative des EP hat die Europäische Kommission den Dialog im Rahmen der TTIP-Verhandlungen durch eine permanente Beratungsgruppe mit Experten von Gewerkschaften, Umwelt- und Verbraucherverbänden institutionalisiert, diese Gruppe hat Zugang zu den Verhandlungsdokumenten. Somit sind Vorwürfe, TTIP sei ein Geheimabkommen, in der Totalität nicht zutreffend. Nichtsdestotrotz besteht hier, insbesondere in Bezug auf die Information der breiteren Öffentlichkeit, erheblicher Nachbesserungsbedarf.
Insbesondere müssen vor jeder Verhandlungsrunde die jeweiligen Verhandlungspunkte veröffentlicht werden. Dabei ist sicherzustellen, dass auch Akteurinnen und Akteuren, die nicht Mitglied der ständigen Beratergruppe sind, ausreichend Zeit zur Stellungnahme bleibt. Ebenso ist die Öffentlichkeit über die Ergebnisse der jeweiligen Verhandlungsrunde zeitnah zu informieren.
In Zwischenschritten müssen die Mitgliedsstaaten und die nationalen Parlamente vollumfänglich informiert werden und Beiräte auf nationaler Ebene die beratende Task Force auf europäischer Ebene spiegeln.
4. Keine Einschränkung von Arbeitnehmerrechten, keine Absenkung von Schutzstandards. Erhalt staatlicher Handlungsfähigkeit.
Die in der EU gültigen Regeln des Sozial-, Umwelt-, Natur- und Tierschutzes, des Verbraucher-, Lebensmittel- und Gesundheitsschutzes müssen gewahrt bleiben und dürfen nicht als „Handelshemmnis“ in Frage gestellt werden.
Jede Seite muss das Recht haben, diese Regeln aus Gründen des Gemeinwohls auch in Zukunft weiterzuentwickeln. Die vorgesehene „regulatorische Kooperation“ zwischen den Vertragsparteien darf dieses Recht nicht beschneiden, sondern allein eine gemeinsame Weiterentwicklung von Standards erleichtern.
So sollten schon die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen dazu genutzt werden, eine wirksame Umsetzung der Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) durch beide Vertragsparteien zu erreichen.
Die Unterschiede im Agrar- und Lebensmittelbereich zwischen den USA und der EU müssen besonders berücksichtigt werden; es darf nicht zu einem zusätzlichen Druck der Agrarindustrie auf die bäuerlichen Strukturen in Europa kommen.
Insbesondere dürfen folgende Punkte nicht verhandelbar sein.
  • die Sicherung von Arbeitnehmerrechten und der Verbraucherschutz,
  • der Arbeitsschutz und die Datenschutzstandards,
  • gesundheits- und umweltpolitische Standards,
  • die für die Landwirtschaft festgelegten Standards einschließlich der Subventionspraktiken sowie
  • alle die Kulturpolitik der einzelnen Mitgliedsstaaten der EU betreffende Standards.
  • Die Entscheidung darüber welche Dienstleistungen öffentlich erbracht werden.
5. Finanzmärkte und Vermögensbesteuerung
Im Handelsraum EU/USA konzentrieren sich große Geldvermögen und Finanzaktivitäten. Deshalb wollen wir mit einem Handelsabkommen auch Fortschritte zu einer verbindlichen Finanzmarktregulierung mit einer Abtrennung von Investmentgeschäften sowie einer Finanztransaktionssteuer erreichen. Hierzu gehört ein automatischer Informationsaustausch über Finanztransaktionen sowie eine Vereinheitlichung der Kapital- und Vermögensbesteuerung.