B3: Forever young (1996): Unterschied zwischen den Versionen

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==News von den Urenkeln==
==News von den Urenkeln==
Mit Beginn der 80er Jahre schloß sich die SPD für anderthalb Jahrzehnte gegen Nachwuchs ab, das heißt gegen die Integration jüngerer Parteimitglieder in den Kreis der höheren Funktions- und Mandatsträger.
===Die SPD hat ein Generationenproblem===
===Die SPD hat ein Generationenproblem===
===Das Verhältnis der SPD zu ihrer Jugend(organisation) ist gestört===
===Das Verhältnis der SPD zu ihrer Jugend(organisation) ist gestört===
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===Die SPD verfügt über keine jugendgemäßen Veranstaltungsformen===
===Die SPD verfügt über keine jugendgemäßen Veranstaltungsformen===
===Jugendpolitische Themen spielen in der SPD keine Rolle===
===Jugendpolitische Themen spielen in der SPD keine Rolle===
==Was tun?==
==Was tun?==

Version vom 26. Juli 2013, 16:23 Uhr

Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Kiel 1996
Bezeichnung: B3
Antragsteller: Kreisverband Kiel


Beschluss: Überwiesen an Bundesparteitag

(Beschluss/Verfahren: Antrag an den außerordentlichen Bundesparteitag der SPD am 25. November 1996, Antragssteller: SPD Landesverband Schleswig-Holstein)


Jugend ist anders

Jugend ist anders — anders als das romantische Rebellen-Klischee, dem sozialdemokratische Jugendkrawallsachverständige immer noch nachhängen‚ anders als unsere vorbildlichen ewigjungen "Enkel"-Berufspolitiker, anders als die fiktive Zielgruppe parteioffizieller "Dialog-mit-der-Jugend"-Einladungen.

Wie ist die Jugend denn? Jedenfalls kein geschlossen handelndes "politisches Subjekt". Und was ist eigentlich Jugend? Man könnte Jugend definieren als die mehr oder weniger lange Lebensphase des individuellen Übergangs von der elternabhängigen Kindheit in die gesellschaftliche Erwachsenenexistenz mit eigener Wohnung, eigenem Beruf und eigener Familie, meist als Phase einer speziellen Berufsorientierung organisiert (Lehre, Studienstufe, Berufsschule, Studium). Jugend kann ein Experimentierfeld sein: für einzelne und für die ganze Gesellschaft. Jugend kann jene flüchtige Zeit der mehr oder weniger großen Freiheit bedeuten, Lebensstile, andere Menschen als Lebenspartner und biographische Chancen jeder Art "auszuprobieren".

Seit Jahrzehnten wird nun für immer mehr junge Menschen - auch infolge der großen Bildungsreform in den 70ern - die Jugendphase immer länger. Gleichzeitig verlieren die hier getroffenen Lebensentscheidungen an Verbindlichkeit: berufliche Flexibilität und lebenslanges Lernen, geographische Mobilität, und die Lösbarkeit sozialer (auch: Familien-)Bindungen gelten als Zeichen der Zeit. Damit verliert die eigentliche Jugendphase schleichend ihre soziale Funktion. Sie wird auf die ganze Gesellschaft ausgedehnt: Alle sollen so frei sein (das heißt, jederzeit so viele Wahlmöglichkeiten haben) wie "die Jugend"! Es scheint allerdings zweifelhaft, ob "forever young" wirklich die beste Maxime für ein schönes Leben ist. Von dem nächsten Schritt jedenfalls, einer durchgreifenden Infantilisierung des öffentlichen Lebens wäre wohl eher abzuraten.

Jugend ist inzwischen nur noch mittelbar nach dem Alter zu identifizieren. Es gibt den 33jährigen WG-Studenten, der hartnäckig auf die Unterstützung seiner Eltern zurückgreift, und die 24jährige Einzelhandelsverkäuferin, die alleinerziehend für ihren vierjährigen Sohn verantwortlich ist. Es gibt Motorsportcliquen, denen das trinkfeste Nicht-erwachsen-werden-Wollen zur Lebensphilosophie geworden ist, und "Jung"—Unternehmer‚ die noch 15 Jahre von der Juso-Altersgrenze entfernt sind. 20, 25, 30, 35 - welche Altersgrenze auch immer man wählt, man findet "Erwachsene", die jünger, und "Jugendliche", die älter sind.

Dabei gruppieren sich die Jugendlichen heute zu sehr unterschiedlichen "Lifestyle"-Milieus, deren Extreme etwa unter folgenden Labels bekannt sind: "Raver", "Girlies"‚ "Skins", "Corpsstudenten", "Autonome", "Junkies", "Computer-Olme" ... dazu die oft abgeschlossenen Jugend- oder besser Jungmännermilieus verschiedener Immigrantengruppen. Jedes Jahr kommen neue Moden, neue Codes hinzu.

Die unterschiedlichen Jugendidentitäten existieren weitgehend unabhängig voneinander, keine ist Avantgarde. Nicht das Gemeinsame, das Trennende scheint das Wesentliche am heutigen Jugendleben zu sein. Man unterscheidet sich zuallererst untereinander und viel weniger dringend von den älteren Generationen (was ja auch zunehmend schwieriger wird gegenüber graumelierten Roller-Skatern oder 50jährigen Rolling Stones). Wie schon gesagt: Jugend ist allgemein anders - und speziell sehr verschieden.

Im Wartesaal

Durch die rosarote Brille des Alters gesehen erscheint vielen Menschen die Jugend als eine Zeit, in der einem die Welt noch offen stand, jederzeit noch alles möglich war, in der man Träume und Visionen hatte. Ob das immer so gestimmt hat, mag dahingestellt bleiben. Heute fällt es jedenfalls en meisten Jugendlichen schwer, sich eine Zukunft vorzustellen, die nicht in dunkle bis düstere Farben getaucht ist. Von einem "Die-ganze-Welt- steht-mir-offen"—Gefühl ist wenig zu merken. Auch das zauberhaft dröhnende Unternehmen "Love Parade" hat ja weniger mit Zukunft als mit taubstummer Gegenwart zu tun.

Der naive Glaube an den Segen des industriellen Fortschritts hat sich spätestens mit Tschernobyl erledigt. Aus Fortschrittsgläubigkeit wurde Fortschrittsangst, und aus Träumen wurden Alpträume. Auch das Vertrauen in die boomende Wirtschaft unseres Wunderlandes ist verlorengegangen. Der Trend zur Globalisierung scheint Deutschland - und Europa - vielmehr in eine unaufhaltsame Abwärtsspirale zu ziehen. lm Zuge der Internationalisierung worden Arbeitsplätze abgebaut, Löhne gesenkt, soziale Leistungen gekürzt, und erreichte Umweltstandards stehen wieder zur Disposition.

Die neuen Maximen heißen "Einschränkung" und "Abbau" und nicht länger "Boom" und "Fortschritt". Die Botschaft der Gesellschaft an die meisten Jugendlichen lautet: "Alles wird weniger". In Zukunft wird es weniger Aufschwung, weniger Investitionen, weniger Wachstum und damit auch weniger Arbeitsplätze geben. Für den einzelnen Jugendlichen bedeutet dies weniger Chancen, einen Arbeitsplatz für sich zu ergattern. Selbst bei guter oder sehr guter Qualifikation wird dies schwierig, denn die freien Stellen sind überall dünn gesät, auch in den gehobenen Positionen, Karrierechancen, wie es sie für die vorherige Generation gab, sind heute selten geworden. Vorhandene Posten sind entweder noch besetzt oder werden nach ihrem Freiwerden nicht wiederbesetzt.

Gleichzeitig scheinen nach Abschluß der großen Bildungsreform (Vervielfachung der höheren Bildungsabschlüsse, Schritte zur Chancengerechtigkeit durch Gesamtschulen und zweiten Bildungsweg) und mit dem Hinüberwachsen in eine Erbengesellschaft die sozialen Differenzierungen nach Herkunft und materiellem Vermögen wieder größer zu werden. Bildung hat sich jedenfalls nicht als allmächtiger Generalschlüssel für den gesellschaftlichen Aufstieg der Tüchtigen aus den "sozial schwachen" Bevölkerungsschichten erwiesen. Die Bildungsreform hat die soziale Frage nicht gelöst, sondern nur verschoben.

Der Arbeitsmarkt stellt sich in fast allen Bereichen als übersättigt dar. Die Folgen sind verlängerte Ausbildungs- und Studienzeiten und eine ganz neue "Jobber"-Kultur. Junge Menschen werden lieber kurze Zeit und projektgebunden beschäftigt als dauerhaft und langfristig eingestellt. Viele Jugendliche finden keine Perspektive, sie sitzen im Wartesaal und machen Lockerungsübungen. Aber die Gesellschaft braucht sie nicht, erwartet nichts von ihnen. Sie sind keine Hoffnung, sondern ein Problem. Jung und unnütz - an einem der erfolgreichsten Wirtschaftsstandorte der Welt.

Alte Tante SPD

Schaut man sich das Wahlverhalten der Jugendlichen an, so scheint auch die SPD den meisten Jugendlichen keine Perspektiven zu bieten. Ursächlich hierfür ist sicher nicht zuletzt die schlechte Außendarstellung der SPD, deren "Enkel" sich lieber in Hahnenkämpfen aufreiben als konsequent eine gemeinsame sozialdemokratische Alternative anzubieten.

Beispiel Landtagswahl Schleswig-Holstein 1996: Weniger als ein Drittel aller Wählerinnen und Wähler zwischen 18 und 24 Jahre wählten bei der letzten Landtagswahl SPD. Die SPD erzielte hier ihr schlechtestes Ergebnis, während die CDU ihren Anteil steigern konnte.

Noch verheerender waren die Verluste bei den Wählern zwischen 25 und 34 Jahren. Von rund 250.000 Wählerinnen und Wählern zwischen 25 und 34 wählten nur 40 Prozent SPD. Vor vier Jahren machten mit 54 Prozent immerhin noch über die Hälfte in dieser Altersgruppe ihr Kreuz bei der SPD. Bei einem Minus von 14 Prozentpunkten reicht bloßes Unverständnis und trauriges Schmollen nicht aus. Die SPD scheint sich zu einer Partei für ältere Menschen zu entwickeln. Prozentual gesehen wählen jedenfalls mehr über 60jährige die SPD als junge Leute.

Profitiert haben von diesen Verlusten sowohl CDU als auch Bündnis90/Die Grünen. Die älteren Jungwähler wählten dabei tendenziell eher konservativ, die jüngeren eher grün. Daß die Braunhemden keine Alternative zur SPD waren, vermag da wenig zu trösten. Mit fast sieben Prozent bei den männlichen Jungwählern unter 25 Jahren ist das Wahlergebnis der DVU außerdem immer noch zu hoch.

Fazit: Die SPD sieht alt aus. Junge Menschen fühlen sich offensichtlich immer weniger von der SPD repräsentiert, sonst würden sie nicht in Scharen zu den Grünen und zur CDU laufen.

Bedenklich ist auch die große Zahl der Nichtwähler. Von zehn Wahlberechtigten unter 35 gingen immerhin vier nicht zur Wahl. Über 230.000 junge Nichtwähler sind zwar nicht das alleinige Problem der SPD, können aber von ihr auch nicht ignoriert worden. Von fünf jungen Wahlberechtigten konnte die SPD nur einen dazu bewegen, sie zu wählen.

Nicht nur bei den jugendlichen Wählerinnen und Wählern erlebt die SPD Einbrüche, auch bei den Mitgliedern sind starke Rückgänge zu verzeichnen. Traten 1972 auf dem Höhepunkt einer auch von jungen Menschen getragenen SPD-Euphorie noch 150.000 Menschen in die SPD ein (davon 100.000 unter 35 Jahre), gab es l995 nur 19.000 Neuaufnahmen. Davon waren rund 8.000 im Juso-Alter.

Die Folge sind immer weniger Mitglieder im Juso-Verband. Die Mitglieder werden immer älter und wachsen schließlich aus dem Juso-Alter heraus. Und von unten kommt nicht genug nach, um den Verband stabil zu halten.

News von den Urenkeln

Mit Beginn der 80er Jahre schloß sich die SPD für anderthalb Jahrzehnte gegen Nachwuchs ab, das heißt gegen die Integration jüngerer Parteimitglieder in den Kreis der höheren Funktions- und Mandatsträger.

Die SPD hat ein Generationenproblem

Das Verhältnis der SPD zu ihrer Jugend(organisation) ist gestört

Die Jusos haben Probleme mit ihrem politischen Profil

Die SPD hat kein Konzept zum Umgang mit Jugendverbänden

Die SPD verfügt über keine jugendgemäßen Veranstaltungsformen

Jugendpolitische Themen spielen in der SPD keine Rolle

Was tun?