EU01: Damit es besser anders wird - Schwerpunkte der SPD Schleswig-Holstein für die Europawahl 2024 (2023)

Aus Beschlussdatenbank der SPD Schleswig-Holstein
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Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Lübeck 2023
Bezeichnung: EU01
Antragsteller: Landesvorstand


Beschluss: Angenommen


Ob Pandemie, der russische Angriffskrieg in der Ukraine, steigende Preise und die immer stärker spürbaren Auswirkungen der Klimakrise: Wo stünden wir inmitten all dieser Krisen ohne die Europäische Union und ohne die Sozialdemokratie? Wir haben uns für die gemeinsame Beschaffung von Impfstoffen entschieden und das Wiederaufbauprogramm Next Generation EU gestartet, um Investitionen gegen die Wirtschaftskrise möglich zu machen, mit dem Green Deal ein gigantisches Klimapaket Realität werden lassen und nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine stand die Europäische Union stärker und geeinter da, als es viele gedacht hatten. Im Rekordtempo konnte sich die EU auf Sanktionspakete einigen, Millionen ukrainischer Geflüchteter unbürokratisch aufnehmen sowie humanitäre und militärische Unterstützung mobilisieren.

Diese Einheit bröckelt - das Jahr 2024 wird entscheidend dafür sein, wie es mit der Europäischen Union weitergeht – und nie vorher stand die Zukunft der europäischen Einigung so sehr auf dem Spiel, denn es droht eine gewaltige Machtverschiebung nach rechts. Nicht nur durch ein Erstarken rechtspopulistischer und autokratisch orientierter Parteien in allen Mitgliedstaaten, sondern auch durch die christdemokratische EVP. Ob in Italien, Schweden, Finnland, Spanien oder im Europaparlament selbst – statt Mehrheiten mit den demokratischen Fraktionen, sucht sie die Zusammenarbeit mit der radikalen Rechten. Nicht, weil es ihnen darum geht, Probleme der Menschen in Europa zu lösen, sondern einzig allein um ihren Machterhalt. Denn: Wo Rechte und Konservative paktieren, werden Reiche noch reicher, soziale Rechte abgebaut, Klimaschutz verwässert und Minderheiten entrechtet.

Dieser Rechtspakt droht die EU in einer besonders kritischen Zeit ernsthaft zu schwächen und zu spalten. Das werden wir Sozialdemokrat*innen in Europa, Deutschland und Schleswig-Holstein nicht zulassen. Wir setzen den Ewig-Gestrigen unsere Vision eines sozialen und nachhaltigen Europas entgegen. Die Wahlergebnisse in Polen machen Mut, für und mit Europa in den Wahlkampf zu ziehen. Wir wollen keine EU, in der sich die Mitgliedsstaaten in die nationalen Schneckenhäuser zurückziehen und behaupten können, dass alles so bleiben kann, wie es nie war. Nicht Festhalten am Alten ist das Ziel, sondern soziale Sicherheit im Wandel. Damit es besser anders wird!

Ein soziales Europa!

Mit einer starken Arbeits- und Sozialpolitik muss die EU zum Vorbild für ein Wohlstandsmodell werden, das nicht Profit, sondern Menschen in den Mittelpunkt stellt. Europa ist ein reicher Kontinent, doch jeder und jede Fünfte in Europa hat so wenig Geld, dass er oder sie vom gesellschaftlichen Leben abgeschnitten ist. Als Sozialdemokratie haben wir den europäischen Mindestlohn durchgesetzt - davon werden auch die deutschen Arbeitnehmer*innen profitieren.

Die stark steigenden Kosten in allen Lebensbereichen zeigen einmal mehr, wie wichtig soziale Auffangnetze im Kampf gegen Armut sind. Wir wollen die Grundsicherung in den Mitgliedstaaten so stärken, dass sie allen Europäer*innen ein Leben in Würde ermöglicht. Dafür werden wir europäische Mindeststandards für Grundsicherung schaffen. Das Absenken von Sozialstandards darf nicht zum Wettbewerbsvorteil in der EU werden.

Es ist an der Zeit, das Lieferkettengesetz auf die nächste Stufe zu bringen. Wir brauchen ein europäisches Lieferkettengesetz, dass Unternehmen in der ganzen EU dazu verpflichtet, ihre Zulieferer weltweit auf die Einhaltung von Menschenrechten, Sozialstandards und Umweltschutz zu überprüfen. Damit wir als Käufer*innen nicht erst am Regal im Supermarkt überlegen müssen, ob wir durch das Produkt der Umwelt oder anderen Menschen schaden. Darum muss sich die EU kümmern - denn wir werden keine Profite auf Kosten von Mensch und Natur auf unserem Binnenmarkt zulassen!

Die EU braucht ausreichend finanzielle Mittel, damit sie für sozialen Ausgleich sorgen und Zukunftsaufgaben finanzieren kann. Ob mit der Ansiedlung klimaneutraler Industrie, Förderung des ländlichen Raums, Finanzierung von Bildungs- und Beschäftigungsprogrammen. Auch in Schleswig-Holstein ermöglichen Förderprogramme der Europäischen Union Zukunft. Die Einnahmenseite muss durch eine stärker koordinierte Steuerpolitik und neue europäische Eigenmittel gestärkt werden. Als EU können wir nicht weiter zuschauen, wie internationale Konzerne ihre Mitgliedsstaaten bei der Jagd nach niedrigen Steuersätzen gegeneinander ausspielen und ihren gerechten Anteil bei der Finanzierung unseres Gemeinwesens schuldig bleiben.

Ein souveränes Europa!

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die Verbrechen der Terrororganisation Hamas gegen Israel haben die Dringlichkeit einer Zeitenwende auch in der Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik aufgezeigt. Für uns ist klar: Wir stehen an der Seite der Ukraine im Kampf gegen den russischen Überfall und die daraus resultierenden Kriegsverbrechen. Wir setzen uns für einen gerechten Frieden ein, der den Prinzipien des Völkerrechts entspricht und künftige Aggressionen verhindert. Bis dieses Ziel Realität wird, unterstützen wir die Ukraine nach Kräften - das beinhaltet auch die militärische Unterstützung. Die Sanktionen gegen Russland und seine Verbündeten wollen wir aufrechterhalten, verschärfen und vorhandene Lücken, vor allem bei der Durchsetzung der Sanktionen, schließen. Auch am Wiederaufbau der Ukraine wollen wir uns beteiligen. Als Europäische Union wollen wir gemeinsam einen Marshall-Plan für die Ukraine aufsetzen.

Wir stehen ebenfalls an der Seite Israels und seinem Recht, sich gegen die Terrorangriffe zur Wehr zu setzen.

Die Europäische Union hat sich für eine Lösung in Nahost einzusetzen, die allen Völkern, insbesondere dem israelischen und dem palästinensischen Volk, eine Zukunft in Frieden und Sicherheit gewährleistet. Die Zeitenwende zeigt aber auch, wie dringend es ist, unsere europäischen Strukturen der Außen- und Sicherheitspolitik auf die Höhe der Zeit zu bringen. Unser langfristiges Ziel ist die Vertiefung der europäischen Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich mit gemeinsamen Kapazitäten. Als SPD steht für uns am Ende dieses Weges noch heute die alte Idee der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft mit einer gemeinsamen Europäischen Armee. Wichtig dabei ist, dass eine solche Armee nur unter Vorbehalt der Zustimmung des Europäischen Parlaments in Einsätze ausgesendet werden darf. Das Amt des Hohen Vertreters der EU für Außen- und Sicherheitspolitik soll zu einem echten Außenminister weiterentwickelt werden.

Ein nachhaltiges Europa!

Damit es besser anders wird, muss europäische Politik garantieren, dass eine klimaneutrale Gesellschaft das Leben für alle Menschen besser macht - und uns gleichzeitig unabhängig von autokratischen Regimen macht. Dafür wollen wir den Green Deal fortsetzen und um eine soziale Säule ergänzen. Europa muss internationaler Vorreiter im Klimaschutz bleiben und internationaler Vorreiter im Artenschutz werden. Die Klima- und Artenvielfaltskrisen machen keine Pause, nur weil gerade andere Krisen und Kriege die Nachrichten dominieren. Wir wollen, dass die EU noch vor 2050 klimaneutral wird und neue Klimaschutzgesetze auf den Weg bringt, die alle Mitgliedsstaaten zu Treibhausgasreduktionen in allen Wirtschaftssektoren verpflichten. Wir fordern, Gesetze zum Schutz und zur Wiederherstellung der Natur auf den Weg zu bringen.

Die soziale Frage beim Klimaschutz darf nicht hintenangestellt werden, denn erfolgreiche Klimapolitik sorgt für mehr Teilhabe und Mitbestimmung. Mit einem Rahmengesetz für einen sozial gerechten Übergang soll die EU die Mitgliedsstaaten dazu verpflichten, ärmere Haushalte und die Mittelschicht bei der Transformation finanziell zu unterstützen und gute Jobs durch eine aktive Arbeitsmarktpolitik zu erhalten oder neue zu schaffen. Die negativen Folgen des Klimawandels werden - nicht nur im Küstenland Schleswig-Holstein - immer deutlicher und werden noch für viele Jahrzehnte die Menschheit begleiten. Dafür brauchen wir eine klimagerechte und robuste Infrastruktur. Darüber hinaus tritt die SPD für Klimagerechtigkeit ein, um Menschen und Betrieben, die durch den Klimawandel in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht sind, nachhaltig zu helfen.

Schleswig-Holstein ist nicht nur Energiewende-Land Nummer 1, sondern auch die Wiege der Energiewende in Deutschland. Dafür haben sozialdemokratisch geführte Landesregierungen seit 1988 das Fundament bereitet. Damit tragen wir als Bundeland eine große Verantwortung für die Energiesicherheit des gesamten Landes und können dadurch ein Vorbild für ganz Europa sein. Dafür braucht es eine kluge Industriepolitik. Denn Wärmepumpen, Solarmodule und Autobatterien, die wir für die Transformation brauchen, sollen aus Europa kommen. Damit die EU mit China und den USA im Rennen um die Zukunftstechnologien mithalten kann, müssen wir Europäer*innen zusammenrücken. Mit einer Europäischen Antwort auf den „Inflation Reduction Act“ werden wir alle EU-Mitgliedsstaaten mit Mitteln ausstatten. Mit den EU-Geldern soll die europäische Industrie unterstützt und die Ansiedelung von Schlüsseltechnologien, wie die Batterietechnologie, gefördert werden. Für Schleswig-Holstein liegen hier große Chancen, Herzkammer dieser nachhaltigen Industrie in Europa zu werden!

Ein demokratisches Europa!

Damit es besser anders wird, wollen wir eine EU, die für ihre Nachbarn ein Vorbild ist, eine EU, die wächst und neue Mitgliedstaaten in ihrer Mitte begrüßt. Wir müssen besser honorieren, wenn es in unserer Nachbarschaft Fortschritte bei Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gibt. Teile des westlichen Balkans haben dahingehend große Fortschritte gemacht und haben die EU-Beitrittsperspektive verdient. Die EU muss ihre Hand reichen und bei der Erfüllung unterstützen. Dabei bleibt aber klar, dass die bestehenden Kriterien für den Beitritt weiterhin erfüllt werden müssen. Die Annäherung ist jedoch keine Einbahnstraße. Nicht nur, damit die EU weiter wachsen kann, sind demokratische Reformen dringend notwendig. Wir stellen uns hinter die Forderungen der Konferenz zur Zukunft Europas: Wichtige Fragen wie die der Außenpolitik und gerechterer Steuern müssen nicht mehr einstimmig, sondern gemeinsam in qualifizierter Mehrheit entschieden werden. Das Europäische Parlament muss das Recht bekommen, Initiativen auf den Weg zu bringen und auch das Vorschlagsrecht für die Kommissionspräsidentschaft sowie Haushaltsrecht erhalten.

Die letzten Änderungen der Europäischen Verträge sind schon 15 Jahre her. Es wird Zeit für ein Update. Wir wollen einen Neustart für eine europäische Verfassung angehen und fordern die Einberufung eines Europäischen Konvents. Die Charta der Grundrechte muss dabei im Zentrum der Beratungen stehen. Auch in der EU werden Demokratie und Rechtsstaatlichkeit - so zeigen Beispiele in Polen und Ungarn - immer öfter ausgehöhlt, Presse- und Meinungsfreiheit, unabhängige Justiz und der Schutz von Minderheiten eingeschränkt. Im Jahr 2020 wurde in der EU der Konditionalitätsmechanismus für die Rechtsstaatlichkeit beschlossen und eingeführt: Wenn ein Mitgliedstaat die Rechtsstaatlichkeit nicht einhält, werden keine EU-Haushaltsmittel ausgeschüttet. Dieses Instrument muss endlich konsequent eingesetzt und weiter ausgebaut werden. Werden Europäische Fördermittel gekürzt, müssen diese direkt an Kommunen und die Zivilgesellschaft ausgezahlt werden können, um demokratische Strukturen in den Mitgliedsstaaten zu erhalten und zu stärken.

Ein grenzüberschreitendes Europa!

Gerade für Schleswig-Holstein als Grenzland ist die Bedeutung von offenen Grenzen spürbar – ein funktionierender Schengen-Raum stärkt unsere Wirtschaft und unsere nachbarschaftlichen Beziehungen. Den unrechtmäßigen Grenzschließungen seitens Dänemark treten wir weiter entgegen und setzen uns weiter für ein Europa der offenen Grenzen ein. Dabei spielen die nationalen Minderheiten und Volksgruppen eine wichtige Rolle. Wir wollen die kulturelle Vielfalt bewahren und verstehen unsere Unterschiedlichkeiten als Stärke. Schleswig-holsteinische Fries*innen, die dänische Minderheit, Sinti*zze und Rom*nja und die deutsche Minderheit in Nordschleswig sind die Botschafter*innen unserer Vielfalt. Im deutsch-dänischen Grenzland sind die Minderheiten Mittler und wichtige Brückenbauer für das Zusammenleben und für die Entwicklung in der Region und damit Vorbild für andere europäische Regionen. Wir setzen uns weiterhin für die Umsetzung der Forderungen der Europäischen Bürgerinitiative „Minority Safepack“ ein, Minderheitenpolitik auf europäischer Ebene zu stärken, zu institutionalisieren und Minderheitenrechte und ihren Schutz stärker zu verankern.

Der Ostseeraum hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer wichtigen geopolitischen Region in Europa entwickelt. Wir sind davon überzeugt, dass eine enge und kooperative Zusammenarbeit im Ostseeraum von entscheidender Bedeutung ist, um gemeinsame Herausforderungen wie den gemeinsamen Meerzugang zu Russland oder den Einsatz für effektiven Meeresschutz zu meistern.

Wir wollen, dass multilaterale Sicherheitsdialoge im Ostseeraum etabliert werden und internationale Bemühungen zur Rüstungskontrolle und Abrüstung in der Region unternommen werden. Wir wollen, dass der Ausbau von staatenübergreifender Infrastruktur und Verkehrswegen im Ostseeraum intensiviert wird. Wir setzen uns dafür ein, dass innovative und klimafreundliche Projekte wie die Einrichtung des Wasserstoffkorridors im Südwesten des Ostseeraums gelingen. Wir verlangen, die Schaffung eines gemeinsamen Marktes für digitale Dienstleistungen in der Region und wollen die Förderung des Austauschs und die länderübergreifende Ansiedlung von Start-ups in der Region. Wir setzen uns für effektiven Umweltschutz, insbesondere Meeresschutz im Ostseeraum ein. Dafür müssen die Anstrengungen zur Reduzierung von Umweltverschmutzung und Plastikmüll sowie Nährstoffeinträge durch die Landwirtschaft in der Ostsee verstärkt werden. Darüber hinaus ist die Vielfalt der Kulturen und Sprachen im Ostseeraum eine Stärke, die es zu fördern gilt, denn internationaler Austausch ist immer auch Friedenspolitik. Dazu schaffen wir unter anderem ein gemeinsames Ostsee- Jugendprogramm zur Förderung des interkulturellen Dialogs.

Ein solidarisches Europa!

Viele Menschen außerhalb der EU überqueren europäische Grenzen, weil sie Schutz suchen vor Krieg und Verfolgung. Oder auch, weil sie für sich und ihren Familien eine bessere wirtschaftliche Zukunft erhoffen. Wir kämpfen für eine europäische Asyl- und Migrationspolitik, die diese Menschen nicht kriminalisiert. Wir müssen Fluchtursachen, nicht Geflüchtete bekämpfen. In der Praxis sind aber illegale Pushbacks und menschenunwürdige Massenlager an der Tagesordnung. Auch weil das derzeitige Asyl-Regime, das Dublin- System, die Verantwortung für Geflüchtete auf die Mitgliedstaaten an den Außengrenzen der EU abwälzt. Es ist wichtig, dass das Europäische Parlament nach jahrelanger Blockade im Rat nun endlich an einer Reform des Dublin-Systems verhandeln kann. Dabei darf es jedoch nicht zu einer bloßen Verbesserung von administrativer Kontrolle zu Lasten der Rechte von Asylbewerber*innen kommen. Ein intaktes europäisches Asyl- und Migrationssystem kann nur funktionieren, wenn die Verantwortung solidarisch unter allen EU-Mitgliedsstaaten aufgeteilt wird.