A5: „Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts“ – Osteuropapolitik im Zeichen der Ukraine-Krise (2014)
Gremium: Landesparteitag |
Sitzung: Landesparteitag Lübeck 2014 |
Bezeichnung: A5 |
Antragsteller: Jusos Schleswig-Holstein
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Beschluss: Angenommen |
Eine tiefgreifende Erfassung mit der Situation in Europa erfordert zunächst eine Analyse der vergangenen Ereignisse. In diesem Jahr jährt sich der Beginn des ersten Weltkrieges zum 100. Mal. Die Welt erinnert sich an die Zerstörungskraft der Kriegsjahre und beteuert, aus der Vergangenheit gelernt zu haben – die Geschichte soll sich nicht wiederholen. Und doch ist dies ein Jahr der Krisen und Konflikte. Einer davon ereignet sich auf unserem Kontinent, in unserer Nachbarschaft – die Ukraine ist ein Land Europas und bedarf jetzt unserer Unterstützung. Denn was im September 2013 mit friedlichen Protesten gegen die prorussische Regierung in Kiew begann, verläuft sich nun in einem Bürgerkrieg.
Der Konflikt in der Ukraine wurde durch die Polarisierung zwischen der EU und Russland geschürt. Die Ukraine ist seit jeher ein gespaltenes Land, das gleichzeitig nach Westen und Ost strebt. Der Spagat zwischen Russland und Europa wird durch die wirtschaftlichen Verflechtungen zu beiden Regionen flankiert. Retrospektiv hätten beim Aufbau der östlichen Partnerschaft russische Befindlichkeiten stärker berücksichtigt werden müssen. Zwar hat Russland keinen legitimen Anspruch die Politiken souveräner Nationalstaaten zu beeinflussen, doch muss hinlänglich klar sein, dass Stabilität in Osteuropa nur im Dialog mit Russland möglich ist. Dies hätte die EU als Friedensmacht in ihrem Vorgehen besser antizipieren müssen.
Der Auslöser für die proeuropäische Protestbewegung auf dem Maidan und in anderen Städten der Ukraine war die Weigerung des damaligen Präsidenten Janukowitsch, das Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen. In einer Stellungnahme haben wir bereits bei der ordentlichen Landekonferenz im März die demokratischen, proeuropäischen Demonstrationen unterstützt und die Bereitschaft zahlreicher Ukrainerinnen und Ukrainer ihr Leben für europäische Ideale von Freiheit und Demokratie zu riskieren, gewürdigt.
Wir bedauern, dass das von den Außenministern Steinmeier, Fabius und Sikorski im Februar vermittelte Kompromisspapier an der innenpolitischen Dynamik gescheitert ist. Die Übereinkunft sah vorgezogene Präsidentenwahlen mit einem veränderten Wahlgesetz und die Rückkehr zur Verfassung aus dem Jahre 2004 vor. Die Umsetzung wurde durch Janukowitschs Flucht leider verhindert.
Nach seiner Flucht aus der Hauptstadt wurde Präsident Janukowitsch vom Parlament abgesetzt. Die neugebildete Regierung hat nicht zu einer Stabilisierung der Situation beigetragen, da ihre einseitige Solidarisierung mit der Maidan-Bewegung die Fronten zu Russland zusätzlich verhärtet hat.
Die Annexion der Krim sowie das abgehaltene Referendum zur Abspaltung der Halbinsel sind eindeutig völkerrechtswidrig. In einer Stellungnahme auf der Juso-Landeskonferenz haben wir die Besetzung als völkerrechtswidrig verurteilt und darauf hingewiesen, dass eine Lösung des Konfliktes nur im Dialog mit Russland möglich ist. Russlands Verstöße gegen das Gewaltverbot und das Annexionsverbot der UN-Charta und der Schlussakte von Helsinki stellen zugleich Verstöße gegen die eigene Verfassung dar.
Im Laufe der vergangenen Monate haben sich die Konflikte in der Ostukraine zu einem Bürgerkrieg ausgeweitet. Die Separatisten haben mehrere Regionen unter ihre Kontrolle gebracht. Sie fordern Eigenständigkeit für diese Teilregionen, bis hin zu einem Anschluss an Russland. Die wachsende Zahl schwerer Waffen, die von den Separatisten in der Ostukraine genutzt werden, und die zunehmende Komplexität dieser Waffensysteme sind besorgniserregend. Ihre Bewaffnung und Organisation deuten auf Militärhilfe aus Russland hin. Wir verurteilen alle aus Russland stammenden Waffenlieferungen aufs schärfste und fordern eine sofortige Einstellung.
Trotz zahlreicher Probleme im Osten des Landes ist es der Ukraine gelungen, am 25. Mai 2014 eine gut organisierte und legitime Präsidentschaftswahl abzuhalten. Die hohe Wahlbeteiligung und das eindeutige Ergebnis bedeuten eine Stärkung der Demokratie in der Ukraine.
Am 20. Juni 2014 stellte der neugewählte Präsident Petro Poroschenko einen Friedensplans vor, der unter anderem die Entwaffnung aller illegalen Gruppen, einen Fluchtkorridor, die Dezentralisierung des Landes, Sicherheitsgarantien für alle Gruppen, die sich am konstruktiven Dialog beteiligen wollen und eine Pufferzone von zehn Kilometern Breite an der russisch-ukrainischen Grenze vorsah. Zur Umsetzung dieser Maßnahme wurde eine siebentägige Waffenpause angeboten. Bedauerlicher Weise waren die Separatisten nicht bereit, die Waffenruhe einzuhalten.
Die Unterzeichnung des wirtschaftlichen Teils des Assoziierungsabkommens durch Petro Poroschenko am 27. Juni 2014 ist ein historischer Moment für die Ukraine und ein bedeutender Tag für die Unabhängigkeit des Landes. Die Vereinbarungen sollen die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zu den 28 EU-Ländern stärken und u.a. die Zusammenarbeit in Bereichen Handel und Energie fördern, Kooperation in der Außenpolitik verstärken, Unabhängigkeit der Justiz sichern sowie den Kampf gegen Korruption vorantreiben.
Nicht zuletzt der Abschuss des Passagierflugzeugs MH17 zeigt, dass die Wiederherstellung des Gewaltmonopols in der Ukraine unabdingbar ist. Das Ziel muss die Entwaffnung der Separatisten und die Unterbindung von Waffenlieferungen über die russische Grenze sein. Noch immer erschweren die Aufständischen die Aufklärung des Absturzes und verhindern, dass OSZE-Beobachter_innen alle Verunglückten bergen können.
Die ehemaligen Oppositionsparteien Swoboda und Udar sind inzwischen aus der aktuellen Regierungskoalition ausgetreten, um dem Präsidenten die Möglichkeit zur Einleitung von vorgezogenen Parlamentswahlen zu geben. Die Auflösung des Parlamentes war daher eine logische Folge. Die Neuwahlen sind ein notwendiger Schritt um eine demokratisch legitimierte Regierung in der Ukraine zu ermöglichen – Voraussetzung dafür ist aber eine Wahl in der gesamten Ukraine, die auch den Osten des Landes umfasst.
Der erwiesene Einsatz regulärer russischer Truppen in der Ukraine stellt eine weitere Eskalation des Konfliktes dar.
Im Angesicht der unverändert prekären Situation in der Ostukraine müssen Maßnahmen umgesetzt werden, die zur Lösung des Ukraine-Konfliktes beitragen. Die politische Führung in Kiew hat das Recht, territoriale Integrität und verfassungsmäßige Ordnung in den umkämpften Gebieten wiederherzustellen – wobei die Wahrung aller Prinzipien des Völkerrechts und der Verhältnismäßigkeit von Gewalteinsatz an oberster Stelle stehen muss. Folgende Maßnahmen sind kurz- und mittelfristig zu ergreifen:
1. Unterstützung:
Es muss dringend humanitäre Hilfe geleistet werden, um die Versorgung der mittlerweile über 87 000 Binnenflüchtlinge, den Wiederaufbau zentraler Infrastruktur sowie der rückeroberten Gebiete und medizinische Behandlung Verwundeter gewährleisten zu können.
2. Grenzschutz:
Die Durchlässigkeit der ukrainisch-russischen Grenze ist ein gr0ßer Schwachpunkt im Sicherheitssystem der Ukraine. Die Situation kann nicht stabilisiert werden, solange die Grenze zu Russland für Waffen und Kämpfer geöffnet bleibt. Deutschland und die EU sollen den ukrainischen Grenzschutz mit Aufklärungsergebnissen sowie Informations- und Kommunikationstechnologie unterstützen. Auch Seitens Russlands muss die Grenzsicherung eingefordert werden. Jede weitere Eskalation des Konfliktes muss mit weiteren Sanktionen der internationalen Staatengemeinschaft beantwortet werden, um die Glaubwürdigkeit dieser Politik aufrecht zu erhalten. Des Weiteren muss überprüft werden, ob eine Kontrolle der Grenzen durch OSZE-Beobachter zum jetzigen Zeitpunkt möglich ist.
3. Waffenembargo:
Ein Waffenembargo gegenüber Russland ist in dieser Situation unerlässlich. Der Gedanke, dass die russische Armee einen politisch motivierten Krieg auf dem europäischen Boden
mit europäischen Waffen unterstützt, ist erschreckend! Wir begrüßen vor diesem Hintergrund die harte Haltung von Wirtschaftsminister Gabriel. Es ist umso bedauerlicher, dass bereits abgeschlossene Verträge über Waffenlieferungen mit Frankreich und Großbritannien nicht rückgängig gemacht wurden. Die Europäische Gemeinschaft muss in dieser Frage geschlossen sein und die übermäßige Belastung einzelner Mitglieder kompensieren. Primat europäischer Außenpolitik muss die Wahrung von Menschenrechten und weniger das ökonomische Interesse sein.
4. Verhandlungen:
Wir brauchen einen Runden Tisch aller dialogbereiten gesellschaftlichen Gruppen in der Ukraine. Nur so kann es dauerhafte Stabilität und einen darauf aufbauenden Frieden geben.
5. Bessere Aufklärung:
Leider herrscht immer noch eine große Ungewissheit über die genaue Situation in den Krisengebieten der Ukraine. Es ist notwendig die OSZE-Beobachtermissionen auszuweiten, um mehr über die Sachlage in Erfahrung bringen zu können.
6. Nach Sicherstellung das Friedens – Verfassungsprozess:
Sobald der Frieden in der Ukraine wiederhergestellt ist, muss der angesprochene Runde Tisch zu einem demokratisch legitimierten Verfassungskonvent weiterentwickelt werden. Dauerhafte Stabilität kann es nur geben, wenn Minderheitsrechte, Föderalismus und Demokratie deutlich gestärkt werden.