B1: Bildungspolitik in schwieriger Zeit - Neue Herausforderungen im Spannungsfeld zwischen Erwartung und Machbarkeit (1995)

Aus Beschlussdatenbank der SPD Schleswig-Holstein
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Gremium: Landesparteitag
Sitzung: Landesparteitag Bad Segeberg 1995
Bezeichnung: Leitantrag 1
Antragsteller: Landesvorstand


Beschluss: Angenommen


(Die Punkte "Berufliche Erstausbildung" und "Weiterbildung für eine menschliche Zukunft" wurde erst auf dem Landesparteitag Damp 1995 als angenommen beschlossen)


Vorwort

1.

Wir brauchen eine zweite Bildungsreform in Deutschland.

  • Was Bildung an der Schwelle zum 3. Jahrtausend leisten soll,
  • welchen Wert Bildung im Zusammenwachsen Europas für den einzelnen und die Gesamtgesell­schaft haben soll,
  • wie die Anforderungen an Bildung in Schleswig-Holstein bewältigt werden können,
  • wie bei knappen öffentlichen Mitteln die notwendigen Finanzmittel aufgebracht werden können,

darüber will die SPD in Schleswig-Holstein eine breite öffentliche Diskussion führen. Dazu eingeladen sind alle: Lernende wie Lehrende, Eltern wie Ausbilder, Gewerkschaften und Unternehmer.

Bildungsfragen sind gesellschaftliche Fragen von hohem Stellenwert. Wie wir sie beantworten, wie wir ihre finanzpolitische Priorität durchsetzen, entscheidet über die Zukunft unserer Gesellschaft und die Chancen jeder und jedes einzelnen.


2.

Eine demokratische Bildungsreform kann nicht "von oben" verordnet werden. Sie muß das Werk aller Beteiligten sein. Die Rolle der Politikerinnen und Politiker dabei ist, Anstöße zu geben und die Rahmen­bedingungen schaffen.


3.

Eine neue Bildungsreform setzt am Erreichten an und entwickelt es sorgsam weiter.

Die CDU-Regierungen in Schleswig-Holstein haben einen enormen bildungspolitischen Reformstau hin­terlassen. Nach jahrzehntelanger konservativ geprägter Bildungsverwaltung mußten überfällige Reformen in kurzer Zeit umgesetzt werden. Die Rahmenbedingungen, die wir 1988 vorfanden, waren schwierig: knapper werdende finanzielle Mittel und ein geminderter Stellenwert von Bildung in der öffentlichen Diskussion.

Wir haben eine Reihe neuer Gesamtschulen ermöglicht und damit den Elternwillen erfüllt. Wir haben den Weg für offenen Unterricht an den Schulen bereitet. Die Integration Behinderter haben wir verstärkt. Die Ausstattung der beruflichen Bildung haben wir verbessert. Die Hochschullandschaft in Schleswig-Holstein wurde belebt. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben neue Chancen der Fort-und Weiterbildung erhalten.

Eine neue Bildungsdiskussion darf weder auf das Ziel "Sparen" verengt werden noch finanzpolitische Illusionen nähren. Sie muß den vorhandenen Problemdruck an Schulen und Hochschulen aufnehmen und hierzu Lösungen erarbeiten.

Bildungsreformen sind langfristige Aufgaben. Wir müssen diese Reformen konsequent und nachvoll­ziehbar weiterentwickeln.


4.

Die SPD legt ein Bildungsprogramm vor, das eine Reihe von Fragen aufgreift und Antworten zur Diskussion stellt. Wir sind uns bewußt, daß wir weder alle möglichen Fragen gestellt noch in jedem Fall bereits hinreichende Antworten gefunden haben. Dieses Programm ist daher erst der Anfangs­punkt einer breiten bildungspolitischen Diskussion. Wir rufen alle, die am Bildungssystem teilhaben, auf, bei der Weiterentwicklung dieses Programms mitzuwirken.

Bildung vor neuen Herausforderungen

Stellenwert und Verständnis von Bildung

Ziel und Aufgabe von Bildung ist für uns mehr als nur Qualifikation für ein Berufsleben. Bildung hat eine besondere Bedeutung für die Entfaltung der Persönlichkeit. Bildung muß Chancen eröffnen für selbständiges Arbeiten, für eine selbstbestimmte Gestaltung der erwerbsfreien Zeit und für verantwor­tungsbewußte und gleichberechtigte Teilnahme am politischen, sozialen und kulturellen Leben unserer Gesellschaft.

Bildung soll Menschen für die selbständige Lebensbewältigung befähigen, so daß sie

  • ihre grundlegenden Lebensbedingungen erfassen,
  • die Veränderungen dieser Lebensbedingungen wahrnehmen,
  • und diese verantwortlich und kreativ mitgestalten können.


Bildung prägt das Verhältnis des einzelnen zur Gesellschaft ganz wesentlich mit. Bildungseinrichtungen haben deshalb nach unserer Ansicht die Aufgabe:

  • Verständnis für andere Menschen zu wecken und Vorurteile abzubauen,
  • für den Umgang mit anderen Menschen Hilfestellungen anzubieten,
  • zum demokratischen und friedvollen Handeln zu erziehen,
  • und ein friedliches Zusammenleben zwischen den Völkern unter Achtung der kulturellen Eigen­ständigkeit zu fördern.

Diese Forderungen sind heute aktueller denn je.

Nach diesem Verständnis ist Bildung ein lebenslang andauernden Prozeß der Entwicklung der Persönlichkeit.

Um dieses Ziel zu verwirklichen, müssen alle Menschen gleiche Bildungschancen und das Recht auf Zugang zu den Bildungsangeboten haben.

Neue gesellschaftliche Herausforderungen

Unser Bildungssystem steht vor einer schwierigen Phase der Anpassung an veränderte gesellschaftli­che Herausforderungen.

2.1. Die Lebensbedingungen der Menschen befinden sich in einem grundlegenden Wandel. Junge wie erwachsene Menschen werden heute immer mehr aus traditionell geprägten Beziehungen und -bindungen herausgelöst. Sie verlieren damit Sicherheiten, die für ihren Umgang mit anderen Menschen und für ihre Orientierung in der Gesellschaft wichtig sind. Kinder und Jugendliche müssen - zuweilen damit alleingelassen - ihren eigenen Standort finden. In diesem Entwicklungs- und Entscheidungspro­zeß benötigen sie grundlegende Orientierungshilfen.

Immer mehr Kinder wachsen als Einzelkinder und/oder in Ein-Eltern-Familien auf. Zunehmend sind beide Eltern berufstätig.

Durch den steigenden Medienkonsum, durch die wachsende Rolle der Computer im Alltag und durch die Einschränkung der Spielflächen zugunsten des Autoverkehrs wird die unvermittelte Erfahrung von Wirklichkeit eingeschränkt. Die Veränderung von sozialen Beziehungen und Lebenszusammenhängen bewirkt häufig Entsolidarisie­rung und Gleichgültigkeit gegenüber anderen.

Das Kosten-Nutzen-Denken unserer Gesellschaft ist allgegenwärtig. Als wertvoll gilt, was einen Preis hat. Das rücksichtslose Durchsetzen eigener Interessen, auch auf Kosten anderer, wird immer mehr zum Leitbild für Erfolg. Vor diesem Hintergrund ist es für Kinder und Jugendliche besonders schwer, eigene Maßstäbe und Wertvorstellungen zu entwickeln und zu bewahren.


2.2. Die von der SPD in der Vergangenheit geförderte Öffnung der Bildung für größere Anteile der Bevölkerung war richtig. Sie entsprach nicht nur den Wünschen junger und erwachsener Menschen, sondern auch dem Bedarf der Gesellschaft. Anstelle der Bildungsprivilegien für wenige hat die SPD vielen den Zugang zu einer besseren Bildung und zu beruflicher Qualifikation ermöglicht. Ohne dies wäre unsere Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten international nicht so erfolgreich gewesen.

Arbeitsmarktprognosen für das Jahr 2000 sagen voraus, daß die Zahl der Arbeitsplätze, für die Qualifikationen mit höheren Bildungsabschlüssen notwendig sind, immer größer wird.

Gleichzeitig gibt es neue finanzielle Rahmenbedingungen. Neue Anforderungen an die öffentlichen Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden entstehen aus dem Finanzbedarf für den Aufbau in den neuen Ländern, für die Entwicklung in Osteuropa und in der Dritten Welt. Dennoch ist es notwendig zu überprüfen, ob die aufgewendeten finanziellen Mittel für das Bildungssystem ausreichen und wirksa­mer eingesetzt werden können.

Immer modernere Fertigungstechniken stellen höchste Anforderungen an strukturelles Denken, selbständiges Arbeiten und Problemlösungsbereitschaft. Verantwortung wird stärker an Arbeitnehme­rinnen und Arbeitnehmer delegiert als zuvor. Gefragt sind Leistungsbereitschaft, selbstbewußtes, eigenständiges Handeln und Kreativität, um im arbeitsteiligen Weltmarkt bestehen zu können .Arbeitsplätze unterschiedlicher Qualifikationsstandards sollen auf der Basis bestmöglicher Berufsbil­dung einen größtmöglichen Beschäftigungsstand in einer konkurrenzfähigen Wirtschaft sichern.

Bildungsreform in Schleswig-Holstein - Festigung, Sicherung und Weiterentwicklung

Nach langen Jahren der bildungspolitischen Erstarrung unter den konservativen Regierungen, sind in Schleswig-Holstein in allen Bereichen des Bildungswesens wichtige Reformen eingeleitet worden, die sich jetzt bewähren und festigen müssen.

  • Das Schulgesetz hat mehr Mitwirkungsrechte für Eltern und Schüler geschaffen und die Zusam­menarbeit aller Gruppen in der Schule gestärkt.
  • Die Prinzipien eines schülerorientierten offenen Unterrichts setzen sich an den Grundschulen und zunehmend auch an den weiterführenden Schulen durch. So wird die individuelle Förderung aller Begabungen erleichtert.
  • Behinderte und nichtbehinderte Kinder lernen zusammen; die Sonderschulen werden zu Förderzen­tren weiterentwickelt. Die Möglichkeiten der Förderung und Unterrichtung behinderter Schülerin­nen und Schüler haben wir erweitert.
  • Ein neues Verfahren zur Modernisierung der Lehrpläne an den weiterführenden Schulen ist eingeleitet, damit mehr Freiräume an den Schulen und neue Lernerfahrungen möglich wer­den.Inhalte der Schulfächer werden diskutiert, starre Organisationsabläufe in Frage gestellt.
  • Das freiwillige 10. Hauptschuljahr ist für alle Hauptschülerinnen und -schüler erreichbar. Es hat ihre Bildungschancen gestärkt und den Erwerb qualifizierter Ausbildungsabschlüsse erleichtert bzw. überhaupt erst möglich gemacht.
  • Mit der Errichtung von sechzehn zusätzlichen Gesamtschulen sind Wahlmöglichkeiten von Eltern und Schülern für eine integrierte Form der weiterführenden Schule geschaffen worden. Die Ge­samtschulen bieten unter einem Dach alle Bildungsabschlüsse in durchlässiger Form. Ziel ist es, allen Eltern und SchülerInnen die Wahlmöglichkeit für diese Schulform zu bieten.
  • Wir haben die Ausbildungsordnungen in der beruflichen Bildung verbessert, Möglichkeiten zu doppelqualifizierenden Abschlüssen geschaffen und den Hochschulzugang ohne Abitur für beson­ders qualifizierte Berufstätige eröffnet.
  • Die Finanzierung der Schulen in privater Trägerschaft und der Schulen der dänischen Minderheit wurden auf eine sichere Grundlage gestellt, der Unterricht in friesischer Sprache ausgebaut.
  • Der Landeshochschulplan von 1991 hat erstmals mittelfristige Entwicklungslinien - und Perspekti­ven für die schleswig-holsteinischen Hochschulen und die selbständigen Forschungseinrichtungen entwickelt.
    Mit den Hochschulgesetznovellen sind bzw. werden die Leistungsfähigkeit und Autonomie der Hochschulen und die Mitwirkungsrechte der nicht-professoralen Gruppen verbessert. Ein veränder­tes Haushaltsrecht ermöglicht den Hochschulen mehr Flexibilität, Selbstverantwortung und Effek­tivität beim Einsatz ihrer finanziellen Mittel.
    Die Hochschulen und sonstigen Forschungseinrichtungen im Lande werden nachhaltig ausgebaut. Durch neue Standorte insbesondere für technische Studiengänge an den Universitäten und Fach­hochschulen einschließlich der Gründung einer neuen Hochschule an der Westküste werden erheb­liche Ungleichgewichte in der regionalen Hochschulstruktur Schleswig-Holsteins gemildert und die Voraussetzungen für einen innovativen Wissenstransfer geschaffen. (Geomar/ISIT)
    Durch die Integration der Pädagogischen Hochschule Kiel in die Christian-Albrechts-Universität und die Umwandlung der Pädagogischen Hochschule Flensburg in eine Bildungswissenschaftliche Hochschule Flensburg - Universität sind insbesondere leistungsfähige Strukturen für die erforderli­chen inhaltlichen Reformen der Lehramtsausbildung geschaffen worden.
    Die Verselbstständigung der Muthesius-Hochschule für Gestaltung aus der Fachhhochschule Kiel dokumentiert den hohen Stellenwert der bildenden Kunst im schleswig-holsteinischen Hochschul­system.
  • Wir haben den Bildungsurlaub für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eingeführt. Die Kooperation der Einrichtungen zur Weiterbildung haben wir verbessert, um den Zugang für alle zu erleichtern.


Wir wollen diese wegweisenden Neuerungen erhalten und schrittweise im Rahmen der Möglichkeiten ausbauen.

Angesichts der veränderten Bedingungen, ist die erste Aufgabe der Bildungspolitik die Sicherung und Wahrung der Grundlagen unseres Bildungswesens.

  1. Die Schülerzahlen in Schleswig-Holstein wachsen kräftig. Es ist deshalb erforderlich, die Lehrkräf­te und die räumlichen und sächlichen Schulmittel möglichst wirksam einzusetzen. Im Bedarfsfall müssen auch zusätzliche Lehrkräfte eingestellt werden.
  2. Durch die gemeinsamen Anstrengungen von Land, Kreisen und Kommunen wurde für das Schulwesen von Schleswig-Holstein zum ersten Mal eine verläßliche Schulentwicklungsplanung erarbeitet. Diese gilt es ständig fortzuentwickeln und umzusetzen. Die SPD wird bei der Umset­zung besonders darauf achten, daß bei steigenden Schülerzahlen vernüftige pädagogische Rah­menbedinungen erhalten bleiben. Ziel ist ein wohnortnahes Angebot der von den Eltern ,Schülerinnen und Schülern gewünschten Bildungseinrichtungen. Wo diese nicht vorhanden sind, ist sicherzustellen, daß Gemeinde-, Kreis- und Landesgrenzen der Verwirklichung dieses Ziels nicht entgegenstehen.
  3. Die Zahl der Ausbildungsstellen nimmt ab.Damit alle Jugendlichen, die eine berufliche Ausbildung anstreben, eine Lehrstelle erhalten, muß die Wirtschaft als verantwortlicher Partner im dualen Sy­stem der Berufsausbildung ihrer öffentlichen Verantwortung für die qualifizierte Berufsausbildung wieder stärker gerecht werden.
  4. Ernstzunehmende Prognosen sagen auch langfristig einen hohen Bedarf an HochschulabsolventIn­nen voraus. Auch für Schleswig-Holstein gilt, daß die Bedeutung von Forschung und ihrer intelligen­ten Anwendung zunimmt. Die zur Verfügung stehenden Mittel müssen daher effizient eingesetzt werden. Dabei muß die personelle Ausstattung der Hochschulen den wachsenden Studentenzahlen angepaßt werden.


Auf dieser Grundlage wollen wir eine Weiterentwicklung der Bildungsreform mit Augenmaß.

Folgende Schwerpunkte setzen wir:

  • Wir wollen die erzieherische und sozial integrierende Aufgabe des Bildungssystems stärken.
  • –Wir wollen die eigenverantwortliche Gestaltung der einzelnen Schulen fördern.
  • Wir wollen die Bildungsinhalte modernisieren.
  • ––Wir wollen die Kooperation zwischen den Schularten und Bildungsbereichen ausbauen.
  • –Wir wollen die berufliche Bildung aufwerten.
  • ––Wir wollen den Ausbau und die begonnene Strukturreform der Hochschulen in Lehre und Forschung fortsetzen.
  • Wir wollen Berufsbild und Arbeitsbedingungen von im Bildungswesen tätigen Lehrkräften so gestalten, daß sie den geänderten Anforderungen ihres pädagogischen Auftrags gerecht werden können.


Dabei lassen wir uns von folgenden bildungspolitischen Grundüberzeugungen leiten:

  • Das Bildungssystem gehört in staatliche Verantwortung,
  • Chancengleichheit für alle ist in einer sozialen Demokratie wesentlich,
  • integrieren und fördern statt separieren und auslesen entspricht unserem Menschenbild,
  • Durchlässigkeit und Kooperation zwischen den Bildungswegen ist ein Erfordernis einer modernen Gesellschaft.

Wir brauchen einen Generationenvertrag zugunsten der Bildung

Die bildungspolitische Diskussion wird derzeit durch die aktuellen Finanzierungsprobleme belastet. Dies ist das Ergebnis einer verfehlten Finanzpolitik der Bundesregierung. Zwar wird Bildung immer noch als Zukunftsinvestition gewertet; doch gleichzeitig erleben wir in der Bundesrepublik in den letzten zehn Jahren ein Absinken der Bildungsinvestitionen von um 25 % (von 5,5 % auf 4,2 % des Bruttosozial­produkts). Der Anteil der Bildung an den öffentlichen Haushalten bei Bund und Ländern sank damit von 14 % auf 8 %. Diese Entwicklung muß umgekehrt werden.

Wir müssen besonders verantwortungsbewußt darüber entscheiden, wieviel uns Bildung wert ist und wie wir die Bildungseinrichtungen ihren Aufgaben entsprechend ausstatten.

Wir wollen, daß der jungen Generation ein Bildungssystem zur Verfügung steht, in dem das Recht auf bestmögliche Erziehung und Bildung verwirklicht wird und das sich dabei zugleich an den gesell­schaftlichen Erfordernissen orientiert. Dem Generationenvertrag in der Alterssicherung muß ein Generationenvertrag zugunsten der Bildung und Ausbildung und der Bildungsfinanzie­rung entspre­chen. Wir treten ein für eine solche Generationenverpflichtung gegenüber der Jugend, bei der die Gesellschaft eine moderne Schul- und Berufsausbildung garantiert und der Staat den Rahmen für einen solchen zukunftsorientierten Ausbau des Bildungssystems setzt.

Wenn das Erreichte nicht nur gehalten, sondern verbessert werden soll, dann muß der Bildungsbereich bei der Verteilung der öffentlichen Mittel wieder einen höheren Stellenwert gewinnen. Wir wollen die Priorität für Bildung und Wissenschaft in den öffentlichen Haushalten auf allen Ebenen durchsetzen, um die als notwendig erkannte Weiterentwicklung der Bildungsreform zu sichern.

Gleichzeitig muß aber auch sichergestellt sein, daß für die berufliche Ausbildung und Qualifizierung steigende Mittel in den Unternehmen der Wirtschaft bereitgestellt werden. Bei der Gestaltung von Tarifverträgen erwarten wir von den Tarifparteien, daß sie auch Vereinbarungen über neue Arbeits­zeitmodelle treffen, die den Beschäftigten zusätzliche Zeiten zur Weiterbildung eröffnen.

Die Strukturen unseres Bildungssystems müssen modernisiert werden

Die veränderten Rahmenbedingungen für Bildung müssen zu einer Reform und Weiterentwicklung der bisherigen Strukturen im Bildungssystem führen:

  • Schulen, Hochschulen und andere Bildungsinstitutionen müssen ihr eigenes Profil gewinnen. Wir wollen ihnen eine wachsende Gestaltungsfreiheit und -verantwortung in der Organisation und Finanzierung ihrer Ziele und deren methodischen Umsetzung eröffnen.
  • Die wachsende Selbständigkeit der einzelnen Bildungseinrichtungen soll sich auch in der freien Verfügung über die von der öffentlichen Hand zugewiesenen Mittel widerspiegeln. Eine effizientere Verwendung der Mittel setzt kompetente Management- und Verwaltungs­strukturen in den Insti­tutionen unseres Bildungssystems voraus. Wir streben deshalb an, das Leitungspersonal an Schu­len und Hochschulen entsprechend zu qualifizieren. Durch den Einsatz von geeigneten Verwal­tungskräften sollen die pädagogischen Fachkräfte entlastet werden.
  • Um flexibler auf die allgemeinen und speziellen Veränderungen in der Bildungsnachfrage reagieren zu können, ist es notwendig den öffentlichen Dienst zu reformieren u. a. mit dem Ziel, künftig mehr Lehrer im Angestelltenverhältnis zu beschäftigen. Zu diesem Zweck sollen auch mehr Stellen für junge Lehrerinnen und Lehrer geschaffen werden. Die Ausweitung von Teilzeittätigkeiten in allen Bereichen und auf allen Verantwortungsebenen des Bildungs­wesens werden wir fördern, wenn die Beschäftigten es wollen.
  • Auch an den Hochschulen wollen wir den Anteil von Angestellten in Lehre und Forschung erweitern.
  • Es sollen Modelle für eine neue Berechnung der Arbeitszeit der pädagogischen Lehrkräfte entwickelt und erprobt werden. Die Tätigkeitsmerkmale sind zu beschreiben und zu gewichten, um auf diese Weise auch andere pädagogische Tätigkeiten in die Arbeitszeitberechnung einzube­ziehen.
  • Leitungspositionen an den Schulen sind im Grundsatz zeitlich zu befristen. Über entsprechende Zulagen sollen sie ausreichend dotiert werden. Über die Verlängerung entscheidet das Gremium, das über die Besetzung der Leitungsfunktionen zu entscheiden hat.
  • Im Hochschulbereich sind Zusagen über Sach- und Personalmittel, die über die Grundversorgung hinausgehen, ebenfalls zeitlich zu befristen. Über die Verlängerung entscheidet das zuständige Organ der Universität.
  • Wir wollen diese Reform des öffentlichen Dienstes auch für den Bildungsbereich in engem Zusammenwirken mit den Gewerkschaften und Verbänden erarbeiten.
  • Es wird die Möglichkeit geschaffen, Spenden und Stiftungen in einen Bildungsfonds einzubringen. Auf Landesebene wird dazu eine "Bildungsstiftung" eingerichtet, die bei der Mittelvergabe nach dem Prinzip der Chancengleichheit verfährt. Die Existenz und Funktion von Schulvereinen bleibt davon unberührt. Soweit Bildungseinrichtungen private Mittel als Spenden zur Verfügung gestellt werden, sollen diese steuerlich begünstigt werden.
  • Zur Sicherstellung der beruflichen Erstausbildung brauchen wir neue Finanzierungs­instrumente. Betriebe, die sich nicht ausreichend an der beruflichen Erstausbildung beteiligen,werden mit einer zweckgebundenen Abgabe belastet. Betriebe, die besondere Ausbildungsanstrengungen unter­nehmen, werden im Rahmen einer aufkommensneutralen Unternehmenssteuerreform belohnt.
  • Die staatliche Ausbildungsförderung wird schrittweise weiterentwickelt. Neben einem begrenzten Zuschuß zur Schulzeitförderung wollen wir die Bedarfssätze und Freibeträge für die Ausbildungs­förderung im Rahmen der ersten Phase der wissenschaftlichen Ausbildung an einer Hochschule regelmäßig anpassen. Daneben wollen wir eine niedrig verzinste Darlehensförderung für die Zeit der Promotion und der Meisterausbildung einführen (Bildungsdarlehen).

Bildungsinhalte für die Zukunft

Bildung während des ganzen Lebens

Bildung soll für die Menschen in allen Lebensabschnitten und entsprechend ihren Interessen und Fähigkeiten Angebote bereitstellen.

Diese lebensbegleitenden Bildungsangebote sollen der persönlichen Entfaltung des Einzelnen dienen,und sie sollen ihn gleichzeitig ermutigen, Verantwortung für andere Menschen und die Gesellschaft zu übernehmen.

Lebenslanges Lernen setzt voraus, daß die Lernenden zu jedem Zeitpunkt in das Bildungssystem wieder einsteigen können. Dazu ist es notwendig, daß überflüssige Barrieren beseitigt werden. Es muß allen Menschen ermöglicht werden, sich z. B. an den Hochschulen weiterzuqualifizieren.

Bildungsnetze

Bildung beginnt bereits in den Kindertagesstätten, deren Ausbau und Ausstattung damit zu einer wesentlichen gesellschaftlich Pflichtaufgabe wird. Darüber hinaus müssen Einrichtungen für die Jugendarbeit erhalten und geschaffen werden, Konzepte erarbeitet und die Förderung von Initiativen verstärkt werden. Unsere Forderung bleibt aktuell, die Finanzierung der Kinder- und Jugendarbeit im Kinder-und Jugendhilfegesetz (KJHG) zu verankern und damit sicherzustellen.

Kinder und Jugendliche müssen die Möglichkeit haben, demokratische Verhaltensweisen einzuüben, indem sie sich aktiv an der Gestaltung ihres Umfeldes beteiligen. Sie brauchen außerschulische (Frei-)Räume, die ihren Neigungen und Bedürfnissen entsprechen. Sie müssen mehr als bisher in politische Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Kunst- und Musik­schulen bereiten auf die Teilnahme am kulturellen Leben vor und tragen damit wesentlich zur Entwicklung der demokratischen Gesellschaft bei.

Der Bildungsauftrag ist in der Schleswig-Holsteinischen Verfassung verankert. Volkshochschulen und Bibliotheken kommt bei seiner Verwirklichung eine zentrale Rolle zu. Die materielle Ausstattung dieser Bildungseinrichtungen muß gewährleistet und ausgebaut werden. Ihre Tätigkeit muß mit anderen Bildungseinrichtungen vernetzt werden, ohne die jeweilige Unabhän­gigkeit und Qualität wie Quantität der Angebote einzuschränken. Sinnvolle Kombination von Haupt- und Ehrenamt können die Eigenin­itiativen und Profilbildungen stärken.

Unser Bildungswesen ist vielfach so organisiert, daß Bildungsinstitutionen zusammenhanglos neben­einander stehen. Selbst Schulen in Bildungszentren arbeiten oft sehr isoliert. Wir fördern deshalb die Vernetzung von benachbarten Schulen in organisatorischer wie inhaltlicher Hinsicht. Auch im Hoch­schulbereich und in der Weiterbildung ist die Zusammenarbeit weiterzuentwickeln. Bildungsinstitutio­nen können so bessere Schwerpunktbildungen vornehmen und die vorhande­nen personellen und fi­nanziellen Ressourcen sinnvoller nutzen. Zudem ist auf diese Weise eine größere Durchlässigkeit zwischen den Bildungseinrichtungen erreichbar.

Nach unserer Ansicht sind Schulen wie auch Hochschulen zu wenig in ihr Umfeld eingebunden. Erfahrungen auch in Schleswig-Holstein zeigen, daß sich Bildungseinrichtungen und Stadtteil bzw. das weitere regionale Umfeld gegenseitig sehr positiv beeinflussen können. Hierzu gehören die Kooperation mit Betrieben, Vereinen und sozialen Einrichtungen, die Nutzung außerschuli­scher Lernorte und das Einbeziehen externer Experten in den Unterricht. Deshalb setzt sich die SPD für Berufsinformationen und Berufspraktika bei entsprechender Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte in allen Schularten ein.

Bildungseinrichtungen wirken nicht allein auf die Entwicklung junger Menschen. Familien, andere Jugendliche, Vereine, Betriebe, Rundfunkanstalten, Büchereien, Wohnungen, Stadtteile prägen ihr Selbstbild und Verhalten wesentlich mit. Anforderungen an Bildungseinrichtungen müssen diese Zusammenhänge berücksichtigen.

Neue Formen des Lernens und der Bildung ermöglichen

Angesichts der sich immer schneller wandelnden Anforderungen an die Qualifikation von Menschen, müssen Bildungsangebote vorrangig vermitteln, wie man lernt.

Die SPD will erreichen, daß in unseren Bildungseinrichtungen

  • das Denken in Zusammenhängen gefördert wird, das notwendig ist, um angemessen auf die komplexen Überlebensfragen unserer Zivilisation reagieren zu können,
  • der Unterricht stärker fächer- und jahrgangsübergreifend und vernetzt organisiert wird,
  • Fachwissen in ganzheitliche Betrachtungen einbezogen wird,
  • die Persönlichkeitsentwicklung gleichzeitig gefördert wird,
  • Bildungseinrichtungen gesellschaftliche Veränderungen flexibel aufgegriffen werden.


Wir müssen die Bildungsangebote auch danach beurteilen, ob sie Menschen unterschiedlicher Begabungen und Fähigkeiten, unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlicher Kulturkreise zusam­menführen oder ob sie Menschen stigmatisieren und durch Ausgrenzung im Selbstwertgefühl verletzen. Inhalte und Methoden von Bildungs- und Erziehungsarbeit sowie die Bedingungen, unter de­nen die einzelnen Einrichtungen arbeiten, müssen daraufhin überprüft werden.

Wir müssen den Bildungseinrichtungen genügend Zeit für ihre umfassende und schwieriger gewordene Aufgabe geben und ihnen genügend Freiräume geben, um eigenverantwortlich über das Richtige und Erforderliche zu entscheiden.

Die konkrete Ausgestaltung der Bildungsarbeit der einzelnen Einrichtung kann und darf nicht zentral verordnet und durch eine Vielzahl von Vorgaben und Erlassen reglementiert werden. Schulen und ande­re Bildungseinrichtungen sollen zukünftig selbständiger darüber entscheiden, wie der Unterricht organisiert werden soll.

Bildungsinhalte

Bei allen Differenzen über bildungspolitische und pädagogische Absichten gibt es Grundwerte in unserer Gesellschaft, an denen sich Bildungs- und Erziehungsarbeit orientieren muß. Dazu gehören ins­besondere:

  • den Menschen zu befähigen, friedlich in einer Welt mit unterschiedlichen Kulturen, Gesellschaftsfor­men, Völkern und Nationen zusammenzuleben
  • der Erhalt einer demokratischen Kultur. Ein demokratisches Gemeinwesen hat nur Bestand, wenn Demokratie und Empfinden von Gerechtigkeit in allen Lebensbereichen gelebt und gelernt wird.
  • der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen. Der Mensch muß sein Verhältnis zur Natur und Umwelt neu bestimmen, wenn er als Mensch mit der Natur überleben will.
  • eine sozial gerechte Gestaltung der Lebensverhältnisse, angesichts des wirtschaftlichen, technischen und sozialen Wandels.
  • die Gleichstellung zwischen Frauen und Männern, Jungen und Mädchen in Familie, Beruf und Ge­sellschaft.
  • das Recht aller Menschen zur Gestaltung ihrer politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Le­bensverhältnisse, ihre Mitwirkung und Mitverantwortung in allen Lebensbereichen.


Zu den grundlegenden Inhalten zählt für uns eine humanistische Grundbildung. Über die Vermittlung der Kulturtechniken hinaus soll sie den jungen Menschen Wissen und Verständnis unserer und anderen Kulturen und ihrer Entwicklung vermitteln. Sie soll zum Verständnis unserer modernen Gesellschaft und ihrer Geschichte beitragen. Der europäischen Tradition, ihren Sprachen und ihren Ideen, wollen wir eine besondere Bedeutung geben. Zu einer breit angelegten Grundbildung gehört neben sozialen und musischen Fähigkeiten auch die Vermittlung fach- und berufsübergreifenden Qualifikationen (Schlüsselqualifikationen).


Unter Schlüsselqualifikationen verstehen wir

  • das selbständige und eigenverantwortliche Lernen und Arbeiten;
  • das Entwickeln von Selbsteinschätzungskompetenzen;
  • das Lernen und Arbeiten in (Lebens-)Zusammenhängen;
  • der Erwerb fachlicher Kompetenz im Hinblick auf die Problemstellung,
  • das Lernen und Arbeiten im Team;
  • die selbstverständliche Berücksichtigung der menschlichen, der internationalen und ökologischen Kernprobleme beim Lernen und Arbeiten.

Diese Schlüsselqualifikationen sind Grundlage für die berufliche Handlungsfähigkeit des Individuums. Sie sind ein Teil der Persönlichkeitsentwicklung.


Der in unserem Bildungssystem verwendete Leistungsbegriff ist zu eng. Er bezieht sich fast aus­schließlich auf die individuelle Leistungsfähigkeit in Konkurrenz zu anderen Menschen, orientiert am abfragbaren Wissen, an meßbaren Fertigkeiten und immer noch am sozialem Durchsetzungsvermögen. Menschlich wertvolle und gesellschaftlich wichtige Fähigkeiten wie gesellschaftlich-politisches Ver­antwortungsbewußtsein, Kooperationsfähigkeit, solidarisches Verhalten, moralische und soziale Empfindsamkeit gehen nicht genügend in die Bewertung ein. Soziale Bedürfnisse nach Zusammenar­beit und gegenseitiger Hilfe bleiben häufig unberücksichtigt.

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten setzen uns für einen umfassenden und an der Gesamtpersönlichkeit ausgerichteten Leistungsbegriff ein. Dieser pädagogische Leistungsbegriff berücksichtigt:

  • den individuellen Lern- und Entwicklungsprozeß,
  • die soziale Dimension des Lernens und
  • die Grundsätze des Ermutigens und Förderns.

Die Weiterentwicklung der Schule

Sozialdemokratische Bildungspolitik will fördern und integrieren statt auslesen und ausgrenzen. Für Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten gibt es kein Zurück in ein Schulsystem der sozialen Separierung und Auslese sowie der staatlichen Zuteilung von Bildungsprivilegien. Politik, die gesell­schaftliche Ungleichheit von Menschen verfestigt, ist undemokratisch.

Wir wollen Schulen, die eine Vielfalt von Bildungsmöglichkeiten und -abschlüssen anbieten, den unterschiedlichen Neigungen und Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler Rechnung tragen, sie differenziert fördern und so mehr Chancengleichheit verwirklichen. Die Erfahrungen von Unterschied­lichkeit, von unterschiedlicher Herkunft und Nationalität, von individuellem und sozialem Lernen, von Selbstverwirklichung und Verantwortung für sich selbst und für andere kann nur dort gemacht wer­den, wo auch unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichem Selbstverständnis und unterschiedli­chen Zielen vertreten sind und einander schätzen lernen.

Diese Ziele müssen auch die notwendige Erneuerung der Schulform des dreigliedrigen Schulsystems bestimmen. Die Gesamtschule ist für die SPD die zukunftsweisende Schulform, die flächendeckend einzuführen ist, damit alle Eltern, die dies wünschen, ihr Kind an einer Gesamtschule anmelden können. Damit wird der unterschiedlichen Nachfrage der Eltern nach den verschiedenen Schulformen für ihre Kinder Rechnung getragen.

Wo Eltern sich nach der Grundschule für das gegliederte Schulsystem entscheiden, sollen sie lei­stungsfähige Bildungsangebote vorfinden. Wir werden daher nach Lösungsmöglichkeiten suchen, die die Probleme im gegliederten System in ihrer Wirkung auf Kinder und Jugendliche möglichst mildern und die Schulträger in die Lage versetzen, sachgerechte regionale Lösungen zu finden.

Der Erziehungsauftrag der Schule und ihre Möglichkeiten der sozialen Integration

Schulen haben die gesellschaftliche Aufgabe, Wissen zu vermitteln und Lernen zu organisieren. Wegen der Veränderungen von Familie und Kindheit werden sich die Schulen mehr noch als bisher von einem Unterrichts- und Lernort zu einem weiteren Lebensort für Kinder und Jugendliche entwickeln. Gleich­wohl kann und darf die Schule die familiäre Erziehung nicht ersetzen. Die Schule muß sich aber - mehr als in der Vergangenheit - ihres Erziehungsauftrags bewußt sein. Wir müssen erkennen, daß die stark veränderten Familienstrukturen diese wichtige Aufgabe nicht mehr allein übernehmen. Das veränderte Rollenverständnis der Frauen in unserer Gesellschaft ist eine positive Entwicklung, und es bedarf weiterhin großer Anstrengungen, um den Anspruch der Gleichstellung von Frau und Mann im Alltag und Berufsleben zu verwirklichen. Deshalb ist es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, Familien dabei zu unterstützen, ihren Kindern und Jugendlichen ein Chancengleiches Hineinwachsen in die Gesell­schaft zu ermöglichen. Die Lebensprobleme der Kinder sind heute vielfach größer als ihre Lernpro­bleme. In den Schulen müssen deshalb zusätzlich zu den klassischen Aufgaben der Schule schritt­weise die erzieherischen Voraussetzungen und die für kognitives und soziales Lernen unverzichtbaren Erfahrungsräume geschaffen werden. Dies gilt für alle Schulstufen und Schularten. Dies muß im engen Zusammenwirken mit den Familien und in einer offenen Kooperation mit den vielfältigen Formen der Jugendpflege und der Jugendhilfe geschehen.

Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern durch Koedukation

Für die gesellschaftliche Gleichstellung von Frauen und Männern ist das Bildungssystem von herausra­gender Bedeutung. Was Bildungsbeteiligung und Geschlechterverteilung bei Bildungsabschlüssen be­trifft, so haben Mädchen im Verlaufe der letzten zwanzig Jahre deutlich aufgeholt. Dies ist auch ein Erfolg der koedukativen Bildung, zu der wir uns grundsätzlich bekennen.

Allerdings reicht es nicht aus, Mädchen und Jungen in einem Raum zu unterrichten, wenn sich nicht auch Erziehungs-, Unterrichtsziele und -stile verändern. Notwendig sind eine Veränderung der pädagogischen Praxis und eine wissenschaftlich fundierte Pädagogik der Koedukation, die überkom­menen Rollenfixierungen und einseitigen Fächer- und Berufswahlorientierungen entgegenwirken.

Deshalb muß bei Unterrichtsinhalten, -materialien und der Unterrichtsgestaltung darauf geachtet werden, daß Frauenthemen ausreichend enthalten sind. In der Lehreraus- und -fortbildung müssen Ge­genmaßnahmen gegen die Gefahren einer verdeckten und offenen Benachteiligung bis hin zur Diskriminierung von Mädchen vermittelt werden. Schulbücher, die diskriminierende Klischees verbrei­ten oder Frauenthemen ignorieren, werden als Unterrichtmittel nicht mehr zugelassen.

An jeder Schule muß es eine Lehrerin geben, die als spezielle Ansprechpartnerin für alle Schülerinnen da ist. Wir unterstützen Formen der Unterrichtsdifferenzierung bis hin zur zeitlich begrenzten Aufhe­bung der Koedukation, wenn dieses z.B. im technisch-naturwissenschaftlichen und im sportlichen Bereich zu einer Überwindung der Hemmschwellen und Beachteiligungen von Mädchen beitragen kann.

Integration von ausländischen Kindern und Jugendlichen

Kinder und Jugendliche der Minderheiten deutscher und nichtdeutscher Staatsangehörigkeit bedürfen einer besonderen Unterstützung und Förderung. Auch die Wahrung und Förderung ihrer kulturellen Identität ist Aufgabe der Bildungspolitik.

In unserem Land leben Menschen unterschiedlicher Nationalität, Kultur und Religion zusammen. Auch in Schleswig-Holstein wird sich der Anteil von Menschen mit einer ausländischen Herkunft deutlich erhöhen. Bei der Integration der Kinder und ihrer Eltern, egal ob sie auf Dauer oder auf Zeit hier leben, spielt das Erziehungs- und Bildungswesen eine herausragende Rolle. Wir setzen uns für verstärkte An­strengungen in vorschulischer, schulischer und außerschulischer Erziehung und Bildung ein, um ihnen gleiche und bestmögliche Chancen zu eröffnen und zu sichern.

Das gemeinsame Spielen und Lernen von Kindern und Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft ist der beste Weg, auf das Zusammenleben in einem geeinten Europa vorzubereiten, rassistische und fremdenfeindliche Vorurteile gar nicht erst aufkommen zu lassen und dort, wo sie bestehen, abzu­bauen.

Kindergarten für alle

Die SPD verwirklicht das Recht auf einen Kindergartenplatz für alle drei- bis sechsjährigen Kinder. Der Kindergarten hat einen eigenständigen Erziehungs- und Bildungsauftrag. Eine Zusammenarbeit mit den Schulen ist sinnvoll auszugestalten. Dies gilt hinsichtlich der altersgemäßen und sozialen Vorerfahrun­gen, der gegenseitigen Unterstützung in der pädago­gischen Arbeit und der sinnvollen Nutzung von Einrichtungen, die im räumlichen Zusammenhang stehen. Kindergarten und Schule sollen möglichst eng kooperieren, um einen möglichst einfachen Übergang für die Kinder zu erreichen, insbesondere im Interesse der schulpflichtigen, aber noch nicht schulreifen Kinder.

Betreute Grundschule, Halbtagsschule mit festen Schulzeiten und Ganztagsschule

Die beschriebenen gesellschaftlichen Veränderungen machen in verstärktem Maße die Einrichtung öf­fentlicher Betreuungsangebote mit verläßlichen Zeitstrukturen über den Unterricht hinaus erforderlich. Der Wandel in der Lebenswelt der Kinder und Familien erfordert es, die Grundschule zu einer kindge­rechten und familienfreundlichen Schule auszubauen und eine Verknüpfung mit sozialpädagogischen Ansätzen anzustreben.

Wir wollen alle Möglichkeiten nutzen, um den Grundschulen ein zusätzliches Betreuungsangebot zu ermöglichen. Solange sich die finanziellen Rahmenbedingungen zugunsten der öffentlichen Haushalte nicht verbessern, sollen Kinder freiwillig und gegebenenfalls unter Zahlung von Beiträgen teilnehmen können. Unser Ziel ist die Halbtagsschule mit einem verläßlichen Zeitrahmen von 7 bis 13 Uhr und einem zusätzlichen pädagogischenAngebot für alle Kinder. Da dies mit einem hohen Bedarf an pädago­gischen Fachkräften verbunden ist, wird dieses Ziel erst auf mittlere Sicht realisierbar sein.

Um einen Übergang von der betreuten Grundschule zur Halbtagsschule zu ermöglichen, wollen wir ei­ne qualifizierende Begleitung der Betreuungskräfte sicherstellen.

Ganztagsschule

Ganztagsschulen und andere Ganztagsangebote stärken Kinder und Jugendliche gegenüber negativen Einwirkungen aus ihrer Lebensumwelt. Sie erleichtern die soziale Integration auslän­discher Kinder und Jugendlicher. Die Einrichtung von Ganztagsschulen ist deshalb vorrangig an sozialen Brennpunkten zu betreiben. Sie sollten sich zu Stadtteilschulen entwickeln.

Die SPD hält die Einrichtung von Ganztagsschulen bei allen Schularten für erforderlich. Wegen der hohen Kostenbelastung der öffentlichen Haushalte ist die Einrichtung weiterer Ganztags­schulen ein langfristiges Ziel. Vorerst streben wir an, in jeder Stadt Schleswig-Holsteins mindestens eine Ganz­tagsschule anbieten zu können.

Für Kinder von ganztägig berufstätigen und alleinerziehenden Elternteilen sollen im Rahmen eines Mo­dells Horteinrichtungen mit nachmittäglicher Betreuung geschaffen werden.

Förderung von behinderten Schülerinnen und Schülern

Das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes überträgt dem Staat soziale Verantwortung und die Pflicht zu sozialer Gerechtigkeit. Dieser Verpflichtung nachzukommen, bedeutet insbesondere, ungerechtfer­tigte Benachteiligungen abzubauen und der Ausgrenzung benachteiligter Menschen entgegenzutreten.

Sozialdemokratische Bildungspolitik gibt deshalb der Förderung behinderter und auf andere Weise benachteiligter Menschen einen hohen Stellenwert. Benachteiligte Kinder müssen bereits in Kindergär­ten durch den Einsatz spezieller Fachkräfte gefördert werden.

Die gemeinsame Erziehung behinderter und nichtbehinderter Kinder in der Schule gibt ein notwendiges positives Beispiel für gesellschaftliche Solidarität wie auch für Integration, eine der wichtigsten Aufgaben unserer Gesellschaft.

Der gemeinsame Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Kindern und Jugendlichen soll es Schülerinnen und Schülern ermöglichen, in ihrer Wohnumgebung die Grundschule und eine weiterfüh­rende allgemeinbildende Schule zu besuchen. Diese integrative Form des Unterrichts soll sowohl den behinderten als auch den nichtbehinderten Schülerinnen und Schülern erweiterte Lernerfahrungen er­öffnen.

Die vorbeugende Förderung der von Behinderung bedrohten Schülerinnen und Schüler und die sonderpädagogische Förderung der behinderten Schülerinnen und Schüler ist Aufgabe der Förderzen­tren. Sie stellen sicher, daß die Förderung individuell gestaltet wird. Das gilt für alle Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf, unabhängig von der Art ihrer Behinderung.

Integrativer Unterricht soll in allen Schularten erfolgen, so daß er in Anspruch genommen werden kann, soweit es der individuellen Förderung behinderter Schülerinnen und Schüler dient. Dazu muß ei­ne angemessene personelle, räumliche und sächliche Ausstattung geschaffen werden.

Darüber hinaus ist eine enge Kooperation zwischen den Förderzentren und den allgemeinbilden­den Schulen erforderlich. Dieses bedingt gemeinsamen Unterricht.

Der gemeinsame Unterricht setzt eine entsprechende Aus-, Fort-und Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern voraus.

Schleswig-Holstein hat als erstes Bundesland die Sonderschulen als Förderzentren beauftragt, den in­tegrativen Unterricht in allen Schularten personell und organisatorisch zu unterstützen. Damit ist es gemeinsame Aufgabe der Förderzentren, in enger Zusammenarbeit mit den Grund­schulen und weiterführenden Schulen ihres Einzugsbereiches, alle behinderten und von Behinde­rung bedrohten Schülerinnen und Schüler zu fördern, unabhängig davon, in welcher Schulart sie unterrichtet werden. Die SPD wird alle Entwicklungen unterstützen, die die allgemeinbildenden Schulen und die Förderzen­tren vernetzen, um Prävention, Integration und Unterricht in den Sonderschulen als flexibles System sonderpädagogischer Förderung beizubehalten.

Ergänzend hierzu werden spezielle Einrichtungen der Erziehungshilfe gefördert, um die vorhandenen Benachteilungen von Schülerinnen und Schülern mit Erziehungsschwierigkeiten im Zuge ihrer Beschu­lung zu beseitigen.

Der Förderbedarf bestimmt den geeigneten Förderort. Hierbei ist der Elternwille maßgeblich zu berücksichtigen.

Im Einzugsbereich von Schulen mit integrativem Unterricht und von Förderschulen ist darauf zu achten, daß die gesamte Infrastruktur soweit wie möglich barrierefrei gestaltet ist. Der Schulweg muß als eine durchgehende Beförderungskette für die behinderten Schülerinnen und Schüler ausgestattet sein. Nur durch ein barrierefrei gestaltetes Lebensumfeld kann der Anspruch auf Mobiltät und damit Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erfüllt werden.

Um möglichst vielen behinderten Jugendlichen einen Berufseinstieg zu ermöglichen, ist eine enge Zusammenarbeit zwischen den entsprechenden Förderzentren und den berufsbildenen Schulen notwendig .

Eine demokratische Schule braucht mehr eigenverantwortliche Entscheidungs- und Handlungsräume

Zeitgemäße Schulen brauchen ein hohes Maß an Gestaltungsfreiheit und umfassende Möglichkeiten einer verantwortlichen Selbststeuerung. Zu viele und einengende Regelungen entziehen Verantwor­tung, die für das Funktionieren einer demokratischen Schulkultur so wichtig ist. Gesetzliche Regelun­gen, Erlasse und Verwaltungsvorschriften müssen deshalb auf das notwendige Minimum zurückge­führt werden.

Selbständigkeit, Selbststeuerung und Selbstverantwortung müssen aber rechtlich abgesichert werden.

Pädagogische Freiheit und Verantwortung der Lehrkräfte müssen eingebettet werden in die vom Kollegium einer Schule eigenständig zu verantwortende pädagogische Arbeit.

Einen größeren Entscheidungs- und Handlungsraum wollen wir z. B. in folgenden Bereichen erreichen:

  • Bereitstellung eines Budgets für Sach- und Personalmittel, über dessen Verwendung die jeweilige Schule selbst entscheidet und das sie auch auf das nächste Haushaltsjahr übertragen kann: (z. B. für Honorarkräfte, Sozialarbeiter, Entgelt für außerschulische Experten, Schulhelfer, oder für die Ausstattung und Gestaltung von Räumen, Anschaffung von Medien und Unterrichtsmitteln, die aus der konkreten projektorientierten, fächerüber­greifenden Unterrichtsarbeit entstehen).
  • Regelung der Eigenverantwortung des Kollegiums bei der methodischen Gestaltung des Unter­richts und seiner organisatorischen Vernetzung. Schulen sollen sich ein eigenes Profil geben kön­nen. Sie sollen veranlaßt werden, jährlich ein entsprechendes Schulprogramm zu veröffentlichen.
  • Lehrerinnen und Lehrern sollen für die Übernahme zusätzlicher Aufgaben Leistungsanreize angeboten werden.
  • Um den Erziehungsauftrag der Schule zu stärken, müssen Klassenlehrkräfte die Möglichkeit haben, regelmäßig mit den ihnen anvertrauten Kindern und Jugendlichen Probleme zu besprechen und Lösungen zu erarbeiten. Dafür werden Möglichkeiten in der Stundentafel geschaffen.
  • Die Unterrichtszeit darf nicht vollständig verplant werden. Die Lehrpläne und Stundentafeln müssen Raum lassen für eigenverantwortliches Gestalten der einzelnen Schulen (z.B. Jahresstun­dentafeln) .Deshalb müssen die Stundentafeln daraufhin überprüft werden, ob sie in der Zusam­menstellung der Fächer den heutigen Anforderungen noch genügen und den Schulen eigene Schwerpunktsetzungen ermöglichen.
  • Die Schulkonferenz bleibt oberstes Beschlußorgan mit einer Drittelparität von Lehrkräften, Eltern­schaft, und Schülerschaft. Sozialpädagogische Mitarbeiter können Mitglied der Schulkonferenz werden.


Dieser Prozeß der Demokratisierung des Schulwesens erfordert von Lehrkräften, Schulleitungen, Schülerschaft und Eltern eine Veränderung im Umgang miteinander und somit auch erheblich Lernprozesse. Nur dann kann Selbstverantwortung wirkungsvoll praktiziert werden. Auch Schulauf­sicht und Schulträger müssen bestimmte Entscheidungs- und Verfügungskompetenzen an die Schulen abgeben. Sie müssen bereit sein, die Aufgabe der Beratung bzw. Unterstützung zu übernehmen.

Unser Grundsatz lautet: soviel Selbstverantwortung vor Ort wie möglich, sowenig staatliche Reglementierung wie nötig. Die staatliche Schulaufsicht ist auch künftig erforderlich. Sie soll gewähr­leisten, daß das Verfassungsgebot der einheitlichen Entwicklung der Lebensverhältnisse auch im Bildungsbereich in allen Landesteilen beachtet wird.

Die Schulaufsicht soll aber in Zukunft stärker beratend wirken und die Qualitätssicherung und Eigen­entwicklung der Schulen unterstützen.

Von besonderer Bedeutung für die Schulaufsicht ist, daß sie für alle Schularten gleichstufig organisiert wird. Damit sollen gleiche Prinzipien für alle Schularten und Bildungsgänge angewendet werden. Durch die Schulententwicklungsplanung wird die Zusammenarbeit mit den Schulträgern einen höheren Stellenwert erhalten. Für das Zusammenwirken von Schulaufsicht , Schulträgern und Schulen müssen Organisationsformen entwickelt werden, die gewährleisten, daß alle an der Schule beteiligten Personen eine gemeinsame Verantwortung für die regionale Schulentwicklung tragen.

Ausbildung und Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern

Die veränderten Anforderungen an die Schule können nicht ohne Auswirkungen auf die zukünftige Aus- und Fortbildung der Lehrerinnen und Lehrer bleiben. Die wissenschaftliche Ausbildung hat sich in der Vergangenheit zu sehr auf die fachliche Kompetenz und eine fachbezogene Didaktik und Methodik beschränkt. Künftig muß sie mit der Entwicklung sozialer und pädagogischer Kompetenz, der Fähigkeit und Kenntnis zu fächerübergreifender Unterrichts­gestaltung und mit schulartübergreifenden Einsatz­möglichkeiten verbunden sein . Dazu werden auch Lehrerinnen und Lehrer für den Einsatz in zwei Schulstufen - Grundschule und Sekundar­stufe I oder Sekundarstufe I und Oberstufe - ausgebildet. Auf diese Weise können Lehrkräfte in Zukunft flexibler eingesetzt werden.

Die wissenschaftliche Lehrerinnen- und Lehrerausbildung erfolgt in einem erziehungswissen­schaftli­chen Fachbereich der Universitäten sowie in den schulfachbezogenen wissenschaftlichen Fachberei­chen. Fachwissenschaftliche und fachdidaktische Studieninhalte müssen in ausreichender Weise mit erziehungs- und gesellschaftswissenschaftlichen Inhalten verbunden werden. Die Strukturen der Lehrer- und Lehrerinnenausbildung müssen auch die Ausbildung für die integrierten Fächer Weltkunde und Naturwissenschaften gewährleisten. Praktische Erfahrungen in der Arbeitswelt sind vor Abschluß des Studiums nachzuweisen.

Der Theorie-Praxis-Bezug des Studiums muß durch eine Erhöhung der schulpraktischen Ausbildungsan­teile verstärkt werden. Das Studium aller Lehramtstudiengänge schließt förderpädagogische Grund­kenntnisse ein. Im viersemestrigen Referendariat sind schulartübergreifende Ausbildungsanteile insbesondere in pädagogischer Hinsicht verbindlich.

Die Lehrerfortbildung ist unter Einbeziehung außerunterrichtlicher Arbeitszeit zu intensivieren und soll verpflichtende Elemente beinhalten, die jede Lehrkraft nachweisen muß. Die Lehrerfortbildung sollte neben einer intensiveren schulnahen Fortbildung über die "Schulinterne Lehrer- und Lehrerinnenfortbil­dung" (Schilf) auch schulartübergreifende Seminare anbieten. Auf diese Weise kann eine Kooperation der Lehrkräfte und ein möglichst flexibler Einsatz an verschiedenen Schularten gefördert werden. Für einen Einsatz an einer anderen Schulart sind besondere Fortbildungsmaßnahmen zur Voraussetzung zu machen. Eine möglichst flächendeckende Einrichtung von Lernwerkstätten für Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte soll das Fortbildungsangebot vor Ort ausbauen (unter Nutzung vorhandener Räume). In diesem Zusammenhang ist das starre Laufbahnrecht entsprechend zu flexibilisieren und zu modernisieren.

Die Fortbildung ist dann besonders erfolgreich, wenn sie in ein Langzeitprogramm zur Weiter­entwicklung einer Schule eingebettet ist. Ebenfalls eingebettet in ein solches Programm sollten unbedingt die sogenannten "Pädagogischen Tage" sein, die von den Schulen bereits heute einmal jähr­lich zur schulischen Weiterentwicklung genutzt werden können.

Wir wollen den Schulen im Rahmen einer eigenverantwortlichen Budgetverwaltung auch Haushaltsmit­tel zur Verfügung stellen, aus denen am freien Markt Fortbildungsangebote bezogen werden können, die das Landesinstitut für Praxis und Theorie der Schule nicht bieten kann. Auf diese Weise kann bedarfsgerechter auf das Fortbildungsangebot der jeweiligen Schule reagiert werden.

Besonderes Augenmerk muß auf die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Schulleiterinnen, Schulleitern und deren Stellvertreterinnen und Stellvertretern gelegt werden. Verwaltungstechnisch und pädagogisch professionell arbeitende Schulleitungen sind oft ein Garant für "gute" Schulen. Zur Erreichung der nötigen Professionalität werden wir die entsprechenden Angebote bereit stellen.

Neue Konzepte zur Umschulung von Lehrerinnen und Lehrern sollten es zugleich ermöglichen, nach ei­ner Zeit der Tätigkeit in der jeweiligen Schulart in Berufe außerhalb der Schule zu wechseln. Für eine solche Phase der Umschulung ist eine begrenzte Fortzahlung der Bezüge ohne oder mit einer entsprechend eingeschränkten Unterrichtsverpflichtung vorzusehen.

Die Strukturen im Schulsystem weiterentwickeln

Vorschulbereich

Der Ausbau von Kindertagesstätten wird auch künftig durch Land, Kommunen, Träger und Elternbei­träge finanziert. Wir halten unsere Forderung aufrecht, daß sich der Bund am notwendigen Ausbau des Angebots an Kindergartenplätzen finanziell beteiligen muß.

Grundschule

Die Grundschule als gemeinsame Schule für alle Kinder ist in den letzten Jahrzehnten am wirk­samsten reformiert worden. Sie ist neue pädagogische Wege gegangen. Dieser Prozeß muß weiter ge­fördert werden. Insbesondere im Eingangsbereich der ersten Klassen muß die Grundschule noch stär­ker als bisher auf die individuellen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler eingehen können, insbesondere durch kleinere Klassen.

Die SPD in Schleswig-Holstein plädiert dafür, daß Grundschulkinder zukünftig behutsam, spielerisch und ohne Leistungsdruck an eine erste Fremdsprache herangeführt werden.Über eine Fremdsprache soll frühzeitig die nötige Offenheit für fremde Kulturen und Menschen gefördert werden.

Die Einführung der Berichtszeugnisse bis Klasse 3 hat sich grundsätzlich bewährt. Wir wollen diese Form der Rückmeldung über die Lernfortschritte für Eltern und Schüler beibehalten und auch für das 4. Schuljahr sicherstellen.

Da sich die Entwicklung eines Kindes in einem halben Jahr nicht wesentlich ändert, wollen wir anstelle der Halbjahresberichtszeugnisse ein verbindliches Beratungsgespräch mit Eltern und Kindern anbieten und den Eltern und Kindern eine kurze schriftliche Rückmeldung geben, in welchen Bereichen zum letz­ten Berichtszeugnis Veränderungen zu bemerken sind.

Statt des heutigen Entwicklungsberichts in Klasse 4 soll künftig durch die Klassenkonferenz eine Empfehlung ausgesprochen werden, in welcher weiterführenden Schulart das Kind die Schullaufbahn fortsetzen sollte. Diese Empfehlung muß mit einer Beratung der Eltern verbunden werden. Dabei muß darauf hingewiesen werden, daß alle Schulabschlüsse auch an einer Gesamtschule erreicht werden können.

Die guten Erfahrungen mit den Berichten zu den Lernfortschritten sollen auch für die über die Klasse 3 hinausgehenden Klassenstufen genutzt werden. So können mehr Berichtsaussagen und Beratungs­gespräche schrittweise in Kombination mit den Ziffernnoten eingeführt werden.

Schularten in der Sekundarstufe I

Durch eine Strukturreform der Sekundarstufe I soll die Gründung von Gesamtschulen erleichtert und das Schulangebot in der Nachbarschaft verbessert werden, um den gymnasialen Bildungsgang auch in der Fläche anbieten zu können.

Die SPD wird deshalb

  • die Umwandlung von Schulen zu kleinen Gesamtschulen - auch an nicht zentralen Orten - ermöglichen ,
  • in ländlichen Schulzentren die Bildung von organisatorisch und inhaltlich verbundenen "Kooperativen Schulen" mit schulartübergreifendem Lehrereinsatz fördern. Sie können auch den gymnasialen Bildungsgang anbieten.
  • auch außerhalb von Schulzentren und in Kooperativen Schulen integrierte Orientierungsstufen ermöglichen,so daß Schülerinnen und Schüler entsprechend ihrer Leistungsentwicklung leichter zu anderen Anforderungsprofilen wechseln können.

Die Hauptschule, die Realschule und das Gymnasium in der Sekundarstufe I haben sich in den vergangenen Jahrzehnten mit Erfolg neuen Anforderungen gestellt, wenn es um die Aufnahme und Förderung neuer Schülergruppen ging. Dabei ist der Zugang insbesondere zu den Gymnasien gewachsen.Damit die Schulen den größeren pädagogischen Anforderungen noch besser gerecht werden können, lehnen wir eine Verkürzung der Schulzeit in der Sekundarstufe ab, unabhängig um welche Schulart es sich handelt.

Die SPD strebt langfristig für alle Schülerinnen und Schüler das 10.Schuljahr an, das einen mittleren Bildungsabschluß ermöglicht. Insbesondere für lernschwächere Schülerinnen und Schüler sind dabei berufsorientierte, praxisgeleitete Inhalte und Methoden aus den Erfahrungen mit dem freiwilligen 10. Schuljahr umzusetzen.

In der Realschule soll die Profilbildung mit der Sprachförderung und der Auseinandersetzung mit neuen Technologien weiter vorangetrieben werden.

In der Sekundarstufe I sind die schon gemachten Anstrengungen mit binnendifferenzierenden Unterrichtsformen und schülerorientiertem Ansatz auszubauen.

Oberstufen an Gymnasien, Gesamtschulen und berufsbildenden Schulen

Die Sekundarstufe II der Gymnasien, Gesamtschulen und beruflichen Vollzeitschulen soll weiterhin drei Jahre dauern. Für eine Verkürzung sehen wir weder Bedarf noch Spielraum. Die Sekundarstufe II soll mehr Möglichkeiten bekommen, dem Anspruch und Konzept der Gesamtschule gerecht zu werden. Dazu gehört, die Integration allgemeiner und beruflicher Bildung in der Sekundarstufe II der Gesamt­schule zu beginnen. Hierzu müssen Veränderungen der Stundentafel und Lehrpläne hin zu mehr projektorientiertem Unterricht und die Kooperation mit beruflichen Schulen, Ausbildungszentren und Betrieben möglich sein.

Die Sekundarstufen II der Gymnasien und Gesamtschulen können und sollen miteinander und mit berufsbildenden Schulen kooperieren, um ein ausreichendes Kursangebot sicherzustellen.

Das Abitur muß allgemeine Hochschulzugangsberechtigung bleiben, Eingangsprüfungen lehnen wir ab. Verbessert werden weiterhin die Möglichkeiten des Hochschulzugangs für qualifizierte Berufstätige ohne Abitur.

Berufliche Erstausbildung

Durch das permanente Fortschreiten der technologischen Entwicklung und die Anwendung moderner Ar­beitsorganisationsformen sind immer mehr berufsübergreifende Fähigkeiten erforderlich geworden. Die Neuordnung der Ausbildungsberufe hat in den Betrieben und in den Berufsschulen zu erheblichen Verän­derungen der Anforderungen geführt. Insbesondere der neue handlungsorientierte Ansatz stellt hohe An­forderungen an die Aus- und Fortbildung von Lehrkräften und Ausbildern.

Aufgrund dieser Veränderungen stehen heute allgemeine und berufliche Bildungsgänge von ihren inhaltli­chen Anforderungen enger zusammen denn je.

Allerdings ist die schleswig-holsteinische SPD der Auffassung, daß es bei der gesellschaftlichen Umsetzung dieser Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung noch einen erheblichen Hand­lungsbedarf gibt.

Nach Schätzungen der Bundesanstalt für Arbeit sind seit 1970 zwei Millionen Jugendliche ohne Erstausbildung geblieben. Besonders betroffen sind dabei Frauen, Nichtdeutsche, Lernschwache und Be­hinderte. Etwa 15 Prozent eines Jahrgangs werden auch heute noch ohne abgeschlossene, anerkannte Berufsausbildung in die Arbeitswelt entlassen. Darüber hinaus werden immer mehr Jugendliche nach einer erfolgreich abgeschlossenen Ausbildung nicht übernommen und sind dann oftmals auf Sozialhilfe angewiesen.

Stärkung des dualen Systems

Das duale Ausbildungssystem der Berufsausbildung mit den Lernorten Schule und Betrieb einschließlich überbetrieblicher Ausbildung wird bejaht. 60 Prozent eines Altersjahrgangs durchlaufen bereits heute eine duale Berufsausbildung. Dessen hohe Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik wird anerkannt. Grundsätzlich erwarten wir von den Betrieben auch in rezessiven Phasen der Wirtschafts­entwicklung wie bisher die Bereitstellung von ausreichend zeitgemäßen und auf den zukünftigen Bedarf hin ausgerichteten Ausbildungsplätzen. Dabei sollten Kommunen und Länder als Träger von beruflicher Erst­ausbildung eine positive Vorreiterrolle spielen. Aus konjunkturellen und strukturellen Gründen ziehen sich viele Unternehmen mit kurzsichtigen Kostenargumenten aus der beruflichen Erstausbildung zurück und re­duzieren die Übernahmezahlen. Dabei zerstören sie nicht nur die Zukunft vieler junger Menschen, sondern gefährden darüber hinaus ihre Konkurrenzfähigkeit; denn nur wer genügend hochqualifizierte Mitarbeiter beschäftigt, kann im internationalen Wettbewerb bestehen. Dies führt in absehbarer Zeit dazu, daß der Facharbeiterbedarf nicht mehr gedeckt sein wird.

Deshalb appelliert die SPD an die Wirtschaft, die Ausbildung eines qualifizierten Nachwuchses fortzusetzen bzw. auszubauen.

Betriebe, die sich nicht in erforderlichem Umfang an der beruflichen Erstausbildung beteiligen, sollen einen finanziellen Beitrag zur Schaffung eines ausreichenden Ausbildungsplatzangebots in Wirtschaft und Ver­waltung und damit zur Zukunftssicherung leisten.

Die Landesregierung wird aufgefordert, eine dementsprechende Bundesratsinitiative einzuleiten und mit den Sozialparteien in einen Dialog zur Erreichung einer landesgesetzlichen Regelungen einzutreten.

Die SPD wird

  • die Reform des Berufsbildungsgesetzes vorantreiben, um einerseits die verbindliche Kooperation der beteiligten Lernorte sicherzustellen und um andererseits die Leistungen aus der Schule und aus dem Betrieb in eine veränderte Form der Abschlußprüfung einzubringen.
  • durch Zusammenarbeit der beruflichen Schulen über Kreisgrenzen hinweg berufspädagogische Ange­bote effizienter zu gestalten.
  • die Umsetzung handlungsorientierter Lernprozesse an den Lernorten Schule und Betrieb, wie sie die Neuordnung der Berufe vorsieht, vorantreiben.
  • vollzeitschulische Ausbildungen, (z. B. im Bereich der Gesundheits- und Altenpflegeberufe, Hauswirtschaft) daraufhin überprüfen, ob diese auch durch duale Berufsausbildungsgänge möglich sind.
  • die berufliche Bildung attraktiver gestalten, indem Theorie und Praxis an Berufsschulen und überbetrieblichen Ausbildungszentren stärker miteinander verzahnt und effektiver gestaltet werden. Dadurch können Auszubildende länger am Lernort Betrieb verbleiben.
  • regional abgestimmte, flexible Organisationsformen der 480-Jahresstunden Berufsschulunterricht (z. B. durch Verblockung), der überbetrieblichen Ausbildung und der Ausbildung im Betrieb umsetzen.
  • der Investitionen in Berufsbildungsstätten unter dem Blickwinkel stetiger Modernisierung gezielt aus­zuweiten.
  • die Unterstützung der überbetrieblichen Lehrgänge zur Förderung der Qualität der Ausbildung im Handwerk fortsetzen.

Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung

Die sozialdemokratische und gewerkschaftliche Forderung nach Gleichwertigkeit von allgemeiner und be­ruflicher Bildung wird inzwischen von den Wirtschaftsverbänden geteilt. Wir wollen für diejenigen, die eine Berufsausbildung absolviert haben, weiterführende Wege im Beschäftigungs- und Bildungssystem ermögli­chen. Es kommt darauf an, daß qualifizierten Absolventen beruflicher Ausbildung vielfältige Karrierechan­cen eröffnet werden.

Die SPD

  • wird die Berufswahlreife in den allgemeinbildenden Schulen - auch der gymnasialen Oberstufe - durch gezielte Maßnahmen fördern.
  • begrüßt die Regelung in der neuen Berufsschulverordnung, daß Jugendliche ohne Hauptschulabschluß nach dem ersten Ausbildungsjahr in einem anerkannten Ausbildungsberuf diesen automatisch erhalten.
  • setzt sich dafür ein, daß der zusammen mit der erfolgreich abgeschlossenen Berufsausbildung erwor­bene mittlere Abschluß in allen Ländern der Bundesrepublik anerkannt wird.
  • will Möglichkeiten schaffen, daß im Rahmen der dualen Ausbildung die Fachhochschulreife bzw. all­gemeine Hochschulreife erworben werden kann.
  • prüft, inwieweit Abiturienten duale Ausbildungszeiten auf ihr Studium angerechnet bekommen können.
  • unterstützt duale Ausbildungswege für Abiturienten als Alternative zu einem Hochschulstudium.
  • wird das Studium zum höheren Lehramt im gewerblich-technischen Bereich auch in Schleswig-Holstein ermöglichen.

Erstausbildung für alle

Prognosen zeigen, daß bis zum Jahr 2000 und darüber hinaus der Anteil der Arbeitsplätze für Ungelernte weiterhin stark sinken wird, während der Bedarf an beruflich qualifizierten Arbeitnehmern nicht gedeckt werden kann. Deshalb muß für die Erwachsenen ein Angebot zur Nachqualifizierung, möglichst in Betrieben, geschaffen werden. Für die benachteiligten Jugendlichen müssen besondere Bildungs- und Ausbildungswege offengehalten bzw. eröffnet werden.

Die SPD wird deshalb

  • die berufsvorbereitenden Fördermaßnahmen für Jugendliche ohne Ausbildungsvertrag ausweiten mit dem Ziel, eine betriebliche Ausbildung zu ermöglichen.
  • der Ausgrenzung von Lernschwachen durch Modellprojekte wie u.a. durch den Einsatz von Ausbildungsbetreuern, Fördernetzwerke für benachteiligte Jugendliche entgegenwirken.
  • das Benachteiligtenprogramm des Bundes in seinen beiden Teilen (außerbetriebliche Ausbildung und ausbildungsbegleitende Hilfen) zu einem Förderprogramm für alle Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz ausbauen.
  • Bildungsangebote im Vollzeitbereich dort erhalten und weiterentwickeln, wo sie Benachteiligungen auf­hebt, Chancen eröffnet oder neue Bildungsgänge erforderlich macht.
  • die Transparenz und Koordination der Angebote verbessern.

Die Weiterentwicklung der Hochschulen

Die Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland müssen weiter ausgebaut und reformiert werden, weil sich ihre Aufgabenstellung in den letzten zwanzig Jahren stark verändert hat. Der Anteil der Studierenden, die eine berufsbefähigende wissenschaftliche Ausbildung erwarten, ist deutlich höher als der derjenigen, die später ausschließlich wissenschaftlich arbeiten wollen. Dem müssen die Hochschulen durch eine ver­änderte Ausbildung Rechnung tragen. So können lange Studienzeiten verkürzt, die Mittel effizienter einge­setzt und vor allen Dingen die Motivation der Studierenden erhöht werden.

Nur durch die Bereitschaft der Hochschulen, diesen Reformprozeß mit zu gestalten, können sie einem wei­teren Verfall ihrer gesellschaftlichen Bedeutung entgegenwirken.Die Befreiung von bürokratischen Reglementierungen und eine ausreichende Finanzierung durch Bund und Länder muß gesichert sein, wenn die Hochschulen ihrer Verantwortung gerecht werden und die notwendigen Veränderungen durchsetzen.

Zum Umbau und weiteren Ausbau des Hochschulsystems will die SPD folgende Schritte einleiten:

Ausbau und Strukturreform der Hochschulen - Investition für die Zukunft

Wir wollen bei steigendem Studienplatzangebot den Anteil der Studienplätze an Fachhochschulen auf ca. 40 % erhöhen.

Das Lehrangebot soll durch eine Aufwertung der Lehrtätigkeit, durch flexiblere Regelungen für Lehr- und Forschungstätigkeit, durch die Einbindung kompetenter externer Lehrender angereichert werden.

Die Zusammenarbeit zwischen den Hochschulen des Landes soll weiter intensiviert werden. An den Fach­hochschulen sollen neue Studiengänge entstehen, darunter auch solche, die es bisher nur an Universitäten gibt.

Duale Studiengänge vor allen Dingen an Fachhochschulen sollen betriebliche und Hochschulausbildung verbinden. Studiengänge sollen stärker modular aufgebaut sein, um eine den Bedürfnissen der Studierenden angepaßte Ausbildung anbieten zu können, Beruf und (Weiter-)Studium müssen leichter zu verbinden sein. Weiterbildung auf wissenschaftlichem Niveau ist ständige Aufgabe der Hochschulen und muß durch entsprechende Maßnahmen stärker unterstützt werden. Sie eröffnet die Chance einer engeren Verbindung zwischen Hochschulen und Gesellschaft, die auch die gesellschaftliche Akzeptanz der Hochschulen wieder erhöht.

Für die an schleswig-holsteinischen Schulen angebotenen Fächer ist grundsätzlich ein zugehöriger Studi­engang für das Lehramt an mindestens einer Hochschule anzubieten.

Die Zusammenarbeit zwischen Hochschulen, Wirtschaft, Gewerkschaften und dem öffentlichen Sektor muß verbessert werden, gegenseitige Berührungsängste müssen abgebaut werden. Forschung und Lehre an Hochschulen muß aber immer ihre Unabhängigkeit behalten.

Erfolgreich studieren in angemessener Zeit

Die Chancengleichheit derjenigen, die studieren wollen, muß gewährleistet sein. Hochschulbildung darf niemanden aus finanziellen oder sozialen Gründen oder wegen seiner Herkunft verwehrt werden. Daher lehnen wir auch Studiengebühren ab.

Ein Studium muß in der Regel nach vier bis fünf Jahren einen ersten berufsbefähigenden Abschluß ermög­lichen. Dazu müssen die entsprechenden Rahmenbedingungen verbessert und Studien- und Prüfungs­ordnungen von unnötigem Ballast befreit werden. Mehr Flexibilität und weniger Verrechtlichung ermöglicht neue, auf dem Arbeitsmarkt nachgefragte Studiengänge.

Vorrangig muß das Lehrangebot in den Praktika, Übungen und Seminaren ausgeweitet werden, die Voraussetzung für den Studienfortgang sind. Der Einsatz studentischer Tutoren, von mehr Lehrpersonal des Mittelbaus außerhalb von Qualifikationsstellen auf unbefristeten Stellen kann dabei hilfreich sein.

Die Hochschulen sollen Studierenden, die vor dem Abschlußexamen die Hochschule verlassen, die bis dahin erbrachten Leistungen bestätigen. Es ist anzustreben, daß diese Leistungen von anderen Ausbildungseinrichtungen anerkannt werden. Es muß geprüft werden, ob und wie in bestimmten Fächern Abschlüsse unterhalb des Diploms oder Magisters möglich sind.

Viele Studierende sind wegen einer zu geringen Ausbildungsförderung gezwungen, neben dem Studium zu jobben, und können sich nicht intensiv genug ihrem Studium widmen. Durch eine regelmäßige Anpassung des BAFöG an die Lebenshaltungskosten können daher auch die Studienzeiten verkürzt werden.

Zwangsexmatrikulation und finanzielle Bestrafungen sind keine geeigneten Instrumente zur Studien­zeitverkürzung. Sie bestrafen meistens die, die unter schwierigen Bedingungen studieren und nicht die "Faulen". Statt dessen setzen wir auf positive Anreize wie Freischußregelungen.

Ein "Teilzeitstudiums", heute schon Realität für viele Studierende, soll durch eine flexiblere Studienor­ganisation ermöglicht werden.

Bei zweistufigen Ausbildungsgängen muß durch genügend viele Stellen im Vorbereitungsdienst sichergestellt werden, daß Wartezeiten nach dem ersten Studienabschluß vermieden werden.

Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer müssen eine ausreichende hochschuldidaktische Ausbildung erhalten. Die Qualität der Lehre muß bei der Berufung von Hochschullehrern stärker gewichtet werden. Für in der Lehre erfolgreiche Hochschullehrer sollen besondere Anreizsysteme geschaffen werden. Da­zu können zum Beispiel Preise für ausgezeichnete Lehrveranstaltungen gehören.

Durch breite Beteiligung die Eigenverantwortung der Hochschulen stärken

Die Bereitschaft von Studierenden und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zur Mitarbeit in den Gremien ist ein Angebot und nicht - wie von Konservativen verstanden - eine Bedrohung. Wir wollen daher sicherstellen, daß alle Gruppen ihre Vorstellungen uneingeschränkt einbringen und begründen können. Dazu müssen die Beteiligungsrechte dieser Gruppen im Rahmen der Rechtslage optimal ausgebaut werden.

Frauen müssen stärker beteiligt werden. Die gesetzlichen Voraussetzungen sind geschaffen worden, ih­re Umsetzung muß gesichert werden.

Die Autonomie der Hochschulen soll gestärkt werden. Wir erwarten aber, daß die Hochschulen ihrer Verantwortung gerecht werden und die notwendigen Strukturveränderungen aus eigenem Antrieb rechtzeitig durchführen.

Forschungspolitik

Forschungspolitik ist ein entscheidender Beitrag zur Zukunftsgestaltung und zur Zukunftssicherung für kommende Generationen. Sie ist Teil einer zukunftsorientierten Strukturpolitik und hat zum Ziel, Forschung und Wissenschaft in den Stand zu setzen, den ökonomischen, ökologischen und sozialen Herausforderungen von Gesellschaft und Wirtschaft gerecht zu werden.

Im einzelnen muß Forschungspolitik dazu beitragen

  • ein Klima des geistigen Aufbruchs zu fördern, das für die Wissenschaft neue Entfaltungsmöglich­keiten bietet, bestehende strukturelle Verkrustungen aufbricht und der jungen Generation Zu­kunftschancen öffnet,
  • für Grundlagenforschung und wissenschaftliche Erkenntnis als kultureller Leistung Freiräume zu schaffen, ihre Anwendung zu fördern und mögliche Risiken wie etwa bei der Gentechnik frühzeitig zu bewerten,
  • die Erneuerung der Wirtschaft durch Forschung, Innovationsförderung, Technologietransfer und verbesserte Rahmenbedingungen zu unterstützen und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.
  • den ökologisch erforderlichen Umbau der Wirtschaft voranzutreiben und Produkte, Produktions­prozesse, Infrastrukturen und die Energiesicherung in Richtung einer Kreislaufwirtschaft weiter zu entwickeln.
  • den Aufbau einer sozialen Gesellschaft zu ermöglichen, in der Schutz von Leben und Gesundheit der Menschen, die humane Gestaltung der Arbeit und die Gleichberechtigung der Frauen umfas­send verwirklicht wird.
  • die internationale Zusammenarbeit zu fördern, kulturelle Barrieren zu überwinden und unterschied­liche Traditionen verstehbar zu machen.


Nach den langen Jahren forschungspolitischer Abstinenz unter den konservativen Regierungen sind in Schleswig-Holstein mit der Entwicklung des Landeshochschulplans und der Technologiekonzeption erstmals die Voraussetzungen für eine zielorientierte Wissenschafts- und Forschungspolitik geschaffen worden, die zugleich Instrumente einer durchdachten Strukturpolitik sind.

Die SPD wird die von ihr begonnene strategische Forschungspolitik in Schleswig-Holstein fortsetzen und den vorgesehenen Ausbau der Forschungskapazitäten im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten realisieren.

Dabei wird es insbesondere darum gehen

  • den begonnenen Ausbau neuer Kapazitäten für Forschungs- und Entwicklung insbesondere an der technischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität in Kiel, an der Medizinischen Universität Lübeck, beim ISIT-Institut und an den Fachhochschulen zügig fortzuführen und vorhandene For­schungseinrichtungen zu modernisieren.
  • den Technologietransfer zwischen Forschung und Wirtschaft zu verstärken und dabei auf Offen­heit und Transparenz zu achten,
  • die öffentliche Forschungsförderung noch stärker auf die Bearbeitung der drängenden Gegen­wartsfragen wie z.B. wie z. B. Armut, soziale Not, Hunger, Kriege, Umweltzerstörung zu konzen­trieren. Gefördert werden muß insbesondere Forschung zum sparsamen Umgang mit Ressourcen, zu alternativen Energiekonzepten, zur ökologischen Innovation in Landwirtschaft und Industrie, zur biotechnischen Innovation, zur Stadtentwicklung und Verkehrsinfrastruktur.
  • die frauenbezogene Forschung zu intensivieren,
  • Tierversuche auf ein Minimum zu reduzieren und rnittelfristig weiter durch andere Methoden zu ersetzen,
  • die regionale Kooperation in der Forschungsplanung effektiver zu gestalten,
  • die Beteiligung der Parlamente in Bund und Ländern bei der Festlegung von Forschungsprogram­men zu verbessern,
  • den wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Dialog zur Technologiefolgenabschätzung und Technikbewertung zu intensivieren. Hierbei sollte die grundsätzliche Bereitschaft, technische oder soziale Alternativen zu entwickeln und zu fördern, im Vordergrund stehen.

Weiterbildung für eine menschliche Zukunft

Die Bedeutung von Weiterbildung steigt. Viele Gründe belegen dies: Weiterbildung trägt zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts und zum Abbau von Arbeitslosigkeit bei, ist Voraussetzung für einen kontinuierlichen Innovationsprozeß und den Austausch im Rahmen des zusammenwachsenden Europas. Weiterbildung un­terstützt den Ausbau der Beteiligung an politischen und gesellschaftlichen Veränderungen und ist unabdingbar für die Bewältigung der demographischen Entwicklung. Bei anhaltend hohem, voraussichtlich weiter steigenden Bildungs- und Qualifikationsbedarf von Wirtschaft und Gesellschaft sowie zukünftig sin­kender Erwerbsbevölkerung mit steigendem Durchschnittsalter muß Weiterbildung zu einem lebensbeglei­tenden Prozeß werden. Deshalb ist es nach wie vor Aufgabe, die Weiterbildung zur vierten Säule des Bil­dungswesens aufzubauen.

Ein vorrangiges Ziel der Weiterbildung ist es,

  • die individuellen Chancen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auf dem Arbeitsmarkt zu erhalten und zu verbessern,
  • Veränderungen durch die technische Entwicklung bewältigen und gestalten zu können,
  • Chancengleichheit zu verwirklichen,
  • soziale Kompetenzen zu fördern,
  • die Arbeitswelt mit der Gestaltungskompetenz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sozial und human zu gestalten,
  • politische, gesellschaftliche, historische und kulturelle Prozesse zu verstehen und mitzugestalten,
  • kreativen Umgang mit der wachsenden Freizeit zu erwerben.


Die Teilnahme an Weiterbildung wächst: Schon mehr als ein Drittel der Bevölkerung nimmt jedes Jahr an Weiterbildungsmaßnahmen teil. Dies ist eine erhebliche Leistung aller Beteiligten. Weiterbildungsangebote und die Bereitschaft zur Weiterbildungsteilnahme konzentrieren sich allerdings bislang vorwiegend auf bes­ser Qualifizierte und Führungskräfte. Vielen sind Weiterbildungsangebote nicht bekannt. Zum Teil wird Wei­terbildung zwar grundsätzlich befürwortet, jedoch persönlich als nicht erforderlich angesehen. Für die Da­seinsvorsorge wird die Bereitschaft zum persönlichen Engagement allerdings immer wichtiger.

Es bedarf der Entwicklung eines Weiterbildungssystems, das unter Wahrung der Pluralität der Träger und der Freiwilligkeit der Teilnahme Grundversorgung und offenes Angebot, anerkannte Zertifizierungen und Abschlüsse sowie Gleichwertigkeit beruflicher und allgemeiner Bildung sicherstellt. Nur mit der Gewährlei­stung von Rahmenbedingungen können die Stärken der Weiterbildung, ihre rasche Reaktionsfähigkeit und Flexibilität, ihre Vielfalt und Teilnehmerorientierung, dauerhaft gesichert werden. Hierzu gehören unterstützende Strukturen, die Transparenz und Effizienz, Beratung und Qualität, Forschung und Planung ermöglichen bzw. gewährleisten.

Wirtschaft, Gewerkschaften und Verbände bleiben aufgefordert, ihre Verantwortung beim Auf- und Ausbau der vierten Säule des Bildungssystems wahrzunehmen.

Wer die Forderung nach lebensbegleitendem Lernen als Chance für alle und nach Verlagerung von Ge­genständen aus der Erstausbildung in die Weiterbildung umsetzen will, muß deshalb das Angebot an Wei­terbildung ständig ausbauen, zu einem "Weiterbildungssystem" vernetzen und allen arbeitenden Menschen auch materiell den Zugang dazu ermöglichen.

Die SPD wird sich deshalb bundespolitisch dafür einsetzen,

  • zur Sicherstellung der Qualität in einem Bundesrahmengesetz für die berufliche Weiterbildung die An­erkennung von Trägern und von Abschlüssen zu regeln, wobei die Sozialpartner zu beteiligen sind,
  • die Weiterbildung nach einem neuen Arbeits- und Strukturförderungsgesetz (Fortbildung und Umschulung) dauerhaft zu sichern und zu verstetigen,
  • durch die Einführung eines europäischen Bildungspasses, in dem anerkannte Bildungsabschnitte be­scheinigt werden, die Mobilität von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in der Gemeinschaft zu er­möglichen.


Mit der Verabschiedung des Bildungs- Qualifizierungs- und Fortbildungsgesetzes (BQFG) wurde ein erster Schritt für die Entwicklung der Weiterbildung in Schleswig-Holstein getan. Mit der Verankerung eines Rechts auf Weiterbildung, unabhängig von Geschlecht, Alter, Bildung, beruflicher Stellung oderNationalität, des Rechts auf Bildungsfreistellung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einschließlich eines Teilnehmerschutzes gegenüber Weiterbildungsanbieern, der staatlichen Anerkennung von Trägern und Einrichtung als Qualitäts-Gütesiegel sowie Regelungen zur Koordinierung und der Arbeit der Kommission Weiterbildung wurde der Entwicklung der Weiterbildung Rechnung getragen.

Die finanzielle Förderung im Bereich der arbeitsmarktorientierten Weiterbildung (Arbeit für Schleswig-Hol­stein), der Umweltbildung (Akademie für Natur und Umwelt) und von Projekten der beruflichen Qualifizierung sowie der Investitionen in moderne Berufsbildungsstätten wurde in den vergangenen Jahren ausgebaut, die Fachschulen weiter entwickelt. Akzente wurden zugunsten der Professionalisierung der Volkshochschularbeit, der Alphabetisierung Erwachsener sowie frauenspezifischer Weiterbildungsmaß­nahmen gesetzt.

Die Aufgaben des Landes bestehen auch künftig in der Schaffung von sicheren Rahmen­bedingungen und dem Ausbau der erforderlichen Weiterbildungsinfrastruktur sowie einer gesicherten öffentlichen Förderung der Weiterbildung. Zugleich muß verhindert werden, daß im Zuge von Verwaltungsreform und Haushaltssanierung Weiterbildungseinrichtun­gen der öffentlichen Hand zunehmend kommerzialisiert wer­den. Nicht zuletzt bedarf es eines weiterbildungsfreundlichen Klimas, das der wachsenden Bedeutung ent­spricht.


Zur Wahrnehmung öffentlicher Verantwortung setzt die SPD folgende Schwerpunkte:

  • Weiterbildungsgesetz
    Ein Weiterbildungsgesetz soll die öffentliche finanzielle Förderung der Weiterbildung auf eine dauerhaf­te Grundlage stellen. Neben Rechtssicherheit und transparenten Förderungskriterien soll das Weiter­bildungsgesetz die Professionalisierung unterstützen sowie Schwerpunkte der Förderung festlegen.
  • Weiterbildungs-Infrastruktur
    Der Aufbau einer Weiterbildungsinfrastruktur erfordert Maßnahmen zur Verbesserung von Transparenz und Information, zur Beratung und Werbung, zur Schaffung vergleichbarer Qualitätsmaßstäbe und zur Förderung Benachteiligter. Regionale Weiterbildungsberatung leistet wichtige Beiträge zur Entwicklung des Angebots und Verzahnung mit strukturellen Zielen und Aufgaben, zur Verbesserung von Transpa­renz, zum effizienten Einsatz und zur Unterstützung von Kooperation und Koordination. Deshalb wollen wir ein flächendeckendes Netz für Weiterbildungsinformation und -beratung. Die erfolgversprechenden Erfahrungen des Weiterbildungsverbundes im Kreis Dithmarschen, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen, sollten, ergänzt um die Funktion "WeiterbildungsmaklerIn", zur Beratung der Betriebe sowie der zielorientierten Vermittlung zwischen Anbietern und Nachfragern auf ganz Schleswig-Holstein übertragen werden.
  • Zielgruppen- und themenspezifische Förderung
    Zu den vordringlichen Schwerpunkten gehören folgende Bereiche:
    • Maßnahmen für Berufsrückkehrerinnen, Alleinerziehende und Teilzeitbeschäftigte,
    • politische Bildung, u. a. mit den Schwerpunkten Handlungskompetenz, europäische Einigung und Gleichstellung von Frau und Mann,
    • Alphabetisierung Erwachsener und nachträgliche Schulabschlüsse,
    • Umweltbildung,
    • nachträglicher Erwerb anerkannter Berufsabschlüsse,
    • Weiterbildung für Ausländerinnen und Ausländer,
    • Förderung der Weiterbildungsbeteiligung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die bisher unterdurchschnittlich an Weiterbildung teilgenommen haben (gering Qualifizierte, Beschäftigte aus Kleinbetrieben und Langzeitarbeitslose).


All diese Weiterbildungsangebote müssen auf den besonderen Bedarf der jeweiligen Zielgruppen ab­gestimmt sein. Dabei kommt der Berücksichtigung älterer Menschen besondere Bedeutung zu. Neue Lerntechnologien können zu adressatengerechten und flexiblen Angeboten beitragen.

Insbesondere für Personen, die einerseits kaum Chancen haben, an betrieblicher Weiterbildung teilzunehmen, und andererseits nicht zum Kreis der AFG-Förderungsberechtigten gehören, müssen Möglichkeiten eröffnet werden, sich neue Berufs- und Lebenschancen durch Weiterbildung zu eröffnen.